![]() |
|
Home > Internationales > Libanon > Überblick Juni 2004 | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
"Aus den Händen geglitten..." Sechs Tote und ein Dutzend Schwerverletzte, als die Armee das Feuer eröffnete 1992 wurde Rafic Hariri Premierminister des Libanon - es sollte der Beginn der "Nachkriegszeit" werden, und Libanon wieder das ökonomische Zentrum des Nahen Ostens. Zum ersten Mal regierte ein bekennender Neoliberaler das einst als "Schweiz des Nahen Ostens" titulierte Land, in dem es neben israelischen (im Süden, offiziell bis Mai 2000) und syrischen (Bekaa Ebene) Einflusszonen auch etwa eine halbe Million Palästinenserinnen gab, denen Hariri erstmals Arbeitserlaubnis erteilte. Die Bilanz war schon nach 7 Jahren katastrophal: Von 1992 bis 1999 wuchs die Verschuldung des Libanon von 2 auf 18 Milliarden US Dollar, 2003 betrug sie bereits 34 Milliarden - der Schuldendienst absorbiert 47% des Staatshaushalts. Seitdem sind in dem vielfach gespaltenen Land Auseinandersetzungen an der Tagesordnung: sei es gegen Sparpolitik, Steuererhöhungen oder gegen die Projekte der Stadterneuerung von Beirut, wofür eine eigene Gesellschaft gegründet wurde - Solidere - zu deren Haupteigentümern der Ministerpräsident zählt... Die Demonstrationen am 27.Mai 2004, zu denen der - regierungsnahe - Gewerkschaftsbund CGTL aufgerufen hatte, galten dem Benzinpreis: dieser - bei 50% Besteuerung wichtige Einnahmequelle der Regierung - war innerhalb eines Jahres verdoppelt worden, auf 0,85 Dollar je Liter. Von daher ist es nicht überraschend, dass eine wesentlicher Bestandtteil der mehreren Tausend Demonstranten, die sich vor dem Regierungssitz in Beirut einfanden, Fahrer von Sammeltaxis waren: Sie waren die ganze Zeit der Benzinpreiserhöhung nur selten in der Lage, Fahrpreiserhöhungen durchzusetzen. Auch wenn es nicht zum ersten Mal in letzter Zeit war, dass der CGTL zu Protesten aufrief - bis dahin lag noch alles innerhalb des üblichen politischen Rituals - und die Aktionen des CGTL waren auch - wie schon in den Wochen vorher - nicht in der Lage, grössere Memenschenmengen zu mobilisieren. Der Streikaufruf wurde neben dem Transportwesen auch im Erziehungsbereich weitgehend befolgt - in den privaten Betrieben organisierten die Unternehmerverbände symbolische Protestaktionen. Samir Kassir, Geschichtsprofessor an der Beiruter St. Josefs-Universität
und Kolumnist der (englischssprachigen) Tageszeitung "The Daily Star"
sieht die Gründe für die Schwäche des CGTL in dessen allgemein
bekannter Regierungsnähe, personifiziert im Vorsitzenden Ghassan
Ghosn- im Laufe der 90er Jahre sei es dem Arbeitsministerium gelungen,
seine Kontrolle über den Gewerkschaftsbund entscheidend zu vergößern,
schreibt er in seinem Kommentar vom 1.Juni 2004 "What
was behind the Beirut shootings?" Was neu war, war, dass es anschliessend in diversen Armenvierteln
der 1,5 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt zu weiteren Kundgebungen,
Strassenblockaden und anderen Aktionen kam, so wurde etwa das Arbeitsministerium
in Brand gesteckt. Taxifahrer blockierten auch in Tyrus, im Süden
des Landes stundenlang die Strassen. Der Vorsitzende der "Confederation
of public transportation drivers" Abdel-Amir Najda, hatte bereits
vor den Protesten gewarnt, mehr als 40.000 Taxi und Busfahrer würden
sich an den Protesten beteiligen und Blockaden organisieren, schrieb Nayla
Razzouk in einem Bericht für Middle East Online vom 27.Mai 2004 "Strike
over gasoline high prices ends in bloody clash between protestors, troops" Offizielle statistische Angaben - "hier
aus AOL Countrywatch" In den Tagen danach waren libanesische und ausländische
Medien voller Spekulationen darüber, wer die gewerkschaftlichen Demonstrationen
"für politische Ziele missbraucht" habe und gegenseitige
Anschuldigungen machten die Runde. Der IBFG gab in einer (englischen)
Pressemitteilung vom 29.Mai 2004 "ICFTU
calls for investigation into killing of demonstrators" Aus den Händen geglitten sind diese Protestaktionen allen Organisatoren, der Gewerkschaftsbund rief als erstes dazu auf, die Gesetze zu beachten, aber auch alle politischen Parteien, inklusive der Hizbollah - die in den Stadteilen der Beiruter Armenvierteln die stärkste politische Kraft (und öfters: die einzige) ist, sahen "Agenten" am Werk, im Falle der Hizbollah: Der Amerikaner...Nur in solchen Stellungnahmen scheint auf, dass viele "Ausländer" sich an den Protesten beteiligt hätten, ohne dass dies einer politischen Erörterung unterzogen würde.
|