Home > Internationales > Mauretanien | |
Updated: 18.12.2012 16:07 |
"In Mauretanien existiert noch immer die Sklaverei" Interview von Bernard Schmid mit El-Arby Ould Sadeck von der Vereinigung ,SOS Esclaves', deren Hauptsitz in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott liegt Am 8. August dieses Jahres nahm das mauritanische Parlament in Nouakchott einstimmig ein neues Gesetz an, das die Praxis der Sklaverei mit Strafen von fünf bis zehn Jahren Haft bedroht. Die "Propagierung" der Sklaverei wird ebenfalls unter Strafe gestellt, die bis zu zwei Jahren Haft gehen kann. Die Vereinigung SOS Esclaves mit Sitz in Nouakchott kämpft seit langen Jahren gegen die bisher in Mauritanien nach wie vor verbreitete Sklaverei. Vor dem Staatsstreich der Militärs gegen den damaligen Präsidenten Ould Taya vom 03. August 2005, der zur (Wieder-) Herstellung der bürgerlichen Demokratie geführt hat, war die Organisation illegal. In jener Zeit gründete sie eine Auslandssektion auf jedem Kontinent. Inzwischen ist auch die Stammorganisation in Mauretanien selbst legalisiert worden und konnte offizielle Räumlichkeiten beziehen. El-Arby Ould Saleck, 41, ist der Vorsitzende der Europa-Sektion von SOS Esclaves . Selbst Sohn eines Sklaven, konnte er dennoch im Süden Mauretaniens zur Schule gehen. Später studierte er in Nouakchott Philisophie und setzte sein Hochschulstudium in Montpellier und Paris fort. Seine Doktorarbeit zum Thema der Sklaverei in Mauretanien, die er an der Pariser Sorbonne vorlegte, erschien 2003 im Verlag L'Harmattan als Buch unter dem Titel , Les Haratins' . Heute arbeitet Ould Saleck im Rathaus von Nanterre. Dort sprach mit ihm Bernhard Schmid. Aus Anlass des internationalen Tags des Gedenkens an den Sklavenhandel und an die Abschaffung der Sklaverei am 23. August erschien das Interview, in gekürzter Form, am selben Tag in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World'. Erinnern wir bei dieser Gelegenheit auch daran, dass Phänomene wie Haussklaverei keineswegs allein in Ländern wir Mauretanien existieren: Unter dem Namen "moderne Sklaverei" sind sie in den reichen Metropolen eher in Zunahme denn im Verschwinden begriffen. Oftmals beuten wohlhabende Haushalte dabei Einwanderer, insbesondere solche ohne Aufenthaltspapiere, unter sklavereiähnlichen Bedingungen aus. In Frankreich haben seit den 1990er Jahren mehrere Prozesse dazu stattgefunden und auch zu Verurteilungen geführt. Neben Europa bilden die arabischen Golfländer einen Hort solcher Formen der Haussklaverei. Im letzteren Falle trifft es - als Opfer solcher Verhältnisse - insbesondere Menschen aus Pakistan, Indien, Bangladesh, Sri Lanka, Thailand oder von den Philippinen. INTERVIEW Frage: Am 8. August nahm das mauritanische Parlament einstimmig ein Gesetz an, das die Sklaverei als Verbrechen einstuft und mit Strafen, die von fünf bis zehn Jahren Haft reichen, bedroht. Bisher glaubte man jedoch zu wissen, dass die Sklaverei in Mauretanien im Jahr 1981 definitiv abgeschafft worden sei. In manchen Quellen war ferner zu lesen, dass sie bereits drei mal verboten und abgeschafft worden sei. Warum wurde nun also erneut ein Gesetz dazu verabschiedet? Antwort: Bisher gab es ein Verbotsgesetz, das aus dem Jahr 1981 stammt. Es wurde jedoch nicht effektiv umgesetzt, denn es ließ vor allem die zentrale Frage unbeantwortet: Was wird aus den Sklaven, die freigelassen worden sind? Woher bekommen sie morgen zu essen, wo können sie hingehen, um ein Dach über dem Kopf zu haben? Zudem sah das Gesetz von 1981 eine Entschädigungsregel vor - aber nicht zugunsten der ehemaligen Sklaven, sondern im Gegenteil sollten die früheren Sklaven ihren bisherigen Herren einen "Schadensersatz" für den Verlust ihrer Arbeitskraft zahlen. Unter diesen Bedingungen konnte die effektive Abschaffung der Sklaverei nicht Realität werden. Hinzu kommt das Problem, dass die Abhängigkeitsverhältnisse oft tief in den Mentalitäten verankert sind. Jene, die angeben, die Sklaverei sei in der Vergangenheit drei mal abgeschafft worden, spielen darüber hinaus auf die beiden Verfassungen Mauretaniens an. 1960, im Jahr der Unabhängigkeit, gab Mauretanien sich eine Verfassung, der zufolge die Bürger des neuen Staates gleichberechtigt waren. Dies beinhaltete theoretisch ein Verbot der Sklaverei. Im Juli 1991, zu einer Zeit, als eine Welle der Demokratisierung die Staaten Afrikas erfasste und viele Regime sich - oft nur vordergründig - demokratisierten, nahm das Land eine neue Verfassung an. In ihr hieß es wiederum, alle mauritanischen Bürger seien frei und gleich. Auch dies lässt sich so interpretieren, dass es keine Sklaverei geben dürfe. Aber konkrete Gesetze gegen die Praxis der Sklaverei gab es nur zwei: jenes von 1981, und das vom August dieses Jahres. Frage: Was war jeweils der Auslöser für die Annahme dieser Gesetze? Antwort: Zunächst gab es seit März 1978 eine Bewegung unter dem Namen el-hor , das bedeutet ungefähr so viel wie "freier Mann" (vom Arabischen horrija , Freiheit). Ihre zwölf Gründungsmitglieder gehörten zur Elite innerhalb der Bevölkerungsgruppe der Haratin oder "Freigelassenen", wie die faktischen Sklaven oder ihre Nachfahren im offiziellen Sprachgebrauch heißen. Es handelte sich also um Personen aus dieser Gruppe, die das Glück hatten, eine Schulbildung zu erfahren. Einer unter ihnen war Messaoud Ould Boulkeire, der jetzige mauritanische Parlamentspräsident. Diese Bewegung wurde unterdrückt, 1980 wurde ihren Gründungsmitgliedern der Prozess in Rosso in Südmauretanien gemacht. Danach machte sie aber informell weiter. Sie war der Vorläufer für den Kampf der Haratin um ihre Emanzipation. Als dann 1980 eine Gruppe von Offizieren die Macht übernahm, war einer von ihnen - die Nummer Zwei in ihrem "Komitee zur nationalen Rettung", der Hauptmann Breika Ould M'Bareck - selbst ein Haratin . Er war in vielen Aspekten eine reaktionäre Persönlichkeit und trachtete danach, selbst die Macht zu übernehmen. Aber er war auch ein Rebell. Um eine Antwort auf die laut gewordene Forderung nach Emanzipation der Haratin zu geben, nahm das Offizierskomitee 1981 das Dekret gegen die Sklaverei an. Frage: Die Praxis der Sklaverei ging aber danach offenkundig weiter, obwohl sie nunmehr offiziell verboten war. Wie muss man sich das vorstellen? Aufgrund des Verbots gab es sicherlich keine Sklavenmärkte, wie man sie aus früheren Jahrhunderten kennt. Antwort: Nein, die Praxis der Sklaverei in Mauritanien darf man sich tatsächlich nicht in dieser Form vorstellen. Sie war und ist oft nach außen hin unsichtbar. Nach 1981 war es oft so, dass bisherige Herren und Sklaven vermeintliche Familienverhältnisse begründeten. Beide gingen etwa zur Moschee und ließen sich eine Bescheinigung ausstellen, in denen zum Beispiel der bisherige Herr versicherte: "Ab diesem Tage ist mein Bruder frei, ich werde ihn bei mir beherbergen..." Faktisch war es dann aber so, dass der bisherige Sklave weiterhin alle körperlichen oder undankbaren Arbeiten verrichtete und dafür kaum oder kein Geld erhielt. Auf dem Land bedeutet das in der Regel, die Viehherden zu hüten. Aber in den städtischen Zentren nimmt die Sklaverei eine andere Form an. Besonders nach der großen Dürre von 1995 zogen viele Haratin in die Städte. Hier arbeiten sie dann etwa als Chauffeur für ihren Herren, oder als Hausdiener und "Mädchen für alles", wobei sie wiederum kaum oder nicht bezahlt werden. Diese Abhängigkeitsverhältnisse sind in den sozialen Mentalitäten tief verankert. So war es zum Beispiel auch so, dass faktisch nahezu alle Arbeitsplätze im Staatsdienst für Haratin verschlossen blieben, weil eine Überzeugung in der Gesellschaft vorherrscht, dass frühere Sklaven oder ihre Nachfahren keine verantwortungsvolle Tätigkeit ausüben können. Sklaverei gab es in Mauretanien auch in der vormodernen Gesellschaft, auch bei manchen schwarzen Bevölkerungsgruppen, den Peul und den Soninké. Hier handelte es sich um den Bestandteil eines sozialen Kastensystems, und die Sklaverei war nach außen hin so gut wie unsichtbar, zumal alle Beteiligten dieselbe Hautfarbe hatten. Aber heute ist die Sklaverei in Mauretanien meistens eine Erscheinung zwischen Angehörigen der maurischen Gruppe - also der arabisch-berberischen Bevölkerungsgruppe, in deren Händen die wirtschaftliche und politische Macht liegt - einerseits und den Négro-Africains genannten Schwarzen auf der anderen Seite. Frage: Und wie arbeitet SOS Esclaves dagegen? Antwort: SOS Esclaves ist 1995 entstanden. Da Mauretanien bis 2005 von aufeinanderfolgenden Diktaturen regiert worden ist, konnten wir jedoch nicht offen wirken: Es gab keine Freiheit der Meinungsäußerung, keine Presse- und Versammlungsfreiheit. Die Vereinigung durfte keine Hilfe aus dem Ausland empfangen und hatte keine Räume. Die Behörden weigerten sich, unsere Eintragung ins Register der angemeldeten Organisationen entgegen zu nehmen. 1998 wurde unser Vorsitzender Boubacar Ould Messaoud verhaftet, nachdem der französische Fernsehsender France3 - anlässlich des Autorennens Paris-Dakar - eine Reportage über die Sklaverei in Mauretanien ausgestrahlt hatte und Boubacar darin zu Wort kommen ließ. Daraufhin wurde er zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, jedoch nach einigen Monaten aufgrund internationalen Drucks und vor dem Hintergrund von Solidaritätsaktionen im Ausland auf freien Fuß gesetzt. Seit dem Militärputsch vom August 2005, infolgedessen die Demokratie eingeführt und die Macht an Zivilisten übergeben worden ist, hat der Druck abgenommen. Auch wenn nicht alles ideal läuft, so wurde vor einer Woche ein Journalist in der Hauptstadt Nouakchott zusammengeschlagen, so herrscht doch eine relative Freiheit vor. SOS Esclaves wurde offiziell als legale Organisation anerkannt und konnte Räumlichkeiten in Nouakchott beziehen. Wir empfangen Opfer der Sklaverei, geben ihnen eine Unterkunft bei unserem Präsidenten oder bei unseren Mitgliedern. Auch führten wir Prozesse gegen Fälle von Sklaverei, die jedoch in der Vergangenheit auf nationaler Ebene nie zum Durchbruch führten: Die Behörden bezeichneten unsere Vorwürfe als Lügen, und mitunter ließ man Opfer im Fernsehen auftreten, um schlechte Dinge über unsere Vereinigung zu sagen. Während des Wahlkampfs zur Präsidentschaftswahl vom 11. März 2007 hat dann der aussichtsreichste Kandidat - und jetzige Präsident - Sidi Ould Cheikh Abdallahi versprochen, ein neues, wirksames Gesetz gegen die Sklaverei zu verabschieden. Frage: War dies das Ergebnis von Druck, einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung...? Antwort: Die Sklaverei und das Problem der mauritanischen Flüchtlinge, die seit 1989 jenseits der Grenzen in Senegal und Mali leben, waren tatsächlich die Hauptthemen im diesjährigen Wahlkampf. 1989 war es zu einem Massaker an Angehörigen der schwarzen Bevölkerungsgruppe der Peul gekommen, bei denen die maurische Elite Angehörige ihrer Sklavenbevölkerung für diese Angriffe benutzt und aufgehetzt hat. Daraufhin flohen zahlreiche Menschen aus Südmauretanien über den Senegalfluss in die Nachbarländer. Die Bewältigung dieses "humanitären Problems" ist heute Gegenstand zahlreicher Diskussionen. Die Haratin bilden heute, je nach Schätzung, 45 bis 55 Prozent der Bevölkerung. Genauere Zahlen gibt es nicht, da die Behörden sich bisher immer geweigert haben, eine Volkszählung durchzuführen und das genaue demographische Gewicht dieser Gruppe zu messen. Aber da die Bevölkerung insgesamt nicht groß ist - Mauretanien hat weniger als drei Millionen Einwohner - und aufgrund der Kinderzahlen, die in den Haratinfamilien wesentlich größer sind als bei der maurischen Oberschicht, gehen wir davon aus, dass die Haratin heute die Mehrheit bilden. Entsprechend besteht auch ein Druckpotenzial. Es ist hinzufügen, dass das Offizierskomitee, das Mauretanien vom August 2005 bis zu den Wahlen im März dieses Jahres führte, auch auf internationaler Ebene Verpflichtungen zur Abschaffung der Sklaverei eingegangen ist. So unterschrieb die Offiziersgruppe bei Verhandlungen mit der EU-Kommission in Brüssel 2005 eine Liste von 24 Verpflichtungen. Zu ihnen gehörte schon damals die effektive Abschaffung der Sklaverei, und eine Lösung für das seit 1989 bestehende Flüchtlingsproblem. Eine wichtige Ansprechpartnerin für die Sklavereigegner bei den europäischen Institutionen war dabei die grüne Abgeordnete Anne-Marie Isler-Beguin. Sie hat sich im Europaparlament viel um Mauretanien gekümmert und war auch Chefin der Beobachterdelegation, die im März die Wahlen in unserem Land überwachte. Beim Menschenrechts-Ausschuss der Vereinten Nationen haben wir eine effektive Lobbyarbeit leisten können: Jedes Mal, wenn eine offizielle mauritanische Delegation zu Anhörungen anreiste, besorgten wir uns Einladungen und sorgten für Präsenz von unserer Seite. Jedes Mal fanden sich die offiziellen Vertreter von Angesicht zu Angesicht mit Sklavereigegnern wieder. Frage: Wie bewerten Sie nun die Annahme des neuen Gesetzes vom 8. August? Wird es das Problem dieses Mal effektiv beheben? Antwort: Ich reagiere mit verhaltenem Optimismus auf die Verabschiedung dieses Gesetzes. Wir begrüßen es grundsätzlich: Es gibt uns einen juristischen Rahmen, um zukünftig zu handeln und Prozesse zu führen, wenn Opfer von Sklaverei bei unserer Vereinigung oder auch bei den Behörden vorstellig werden. Es wird wichtig sein, darauf zu achten, dass ihnen auch tatsächlich Verurteilungen folgen, und dass keine behördliche Verschleppung stattfindet. Ferner bedeutet dieses Gesetz, dass der mauretanische Staat offiziell anerkannt, dass die Sklaverei in Mauretanien noch existiert und ein Problem darstellt. Ich stelle aber keinen Blankoscheck aus und verfalle nicht blind in einen Freudentaumel. Die Arbeit fängt erst an! Jetzt geht es darum, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, ein Bewusstsein zu schaffen, die tief mental verwurzelten Abhängigkeitsverhältnisse aufzubrechen. Dabei haben das Radio, das Fernsehen eine wichtige Rolle zu spielen. Ferner müssen ökonomische Bedingungen geschaffen werden, die es einem früheren Sklaven erlauben, sich eine eigene soziale Existenz aufzubauen, wenn er seinen Herrn verlässt. Wichtig wäre auch die Einführung einer allgemeinen Schulpflicht, für alle Mauretanier, aber speziell für die Kinder von Haratinfamilien. Der juristische Rahmen für die Bekämpfung der Sklaverei ist nun vorhanden, aber jetzt muss er konkret ausgefüllt werden. |