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Wahr ist, was mir nützt

Mexico verbittet sich Kritik am Globalabkommen mit der EU

 

"Von Wahrheit gibt es nicht nur verschiedene Ansichten, sondern auch verschiedene Definitionen", so der ehemalige Bischof von San Cristóbal de las Casas in Chiapas, Samuel Ruíz, gegenüber einer Delegation von EuropaparlamentarierInnen, die sich Ende März zum politischen Dialog in Mexico aufhielt. "Für die Einen handelt es sich um eine ethische Kategorie, die Anderen verstehen unter Wahrheit politische Wirksamkeit." In diesem Sinne wahr ist etwa das erstklassige Timing der PRI-Regierung. Am 1. Juli tritt das Globalabkommen EU-Mexico in Kraft, am 2. Juli finden die Präsidentschaftswahlen statt. Da müssen die Unterhändler als strahlende Sieger in den Schlagzeilen stehen, meinte die Regierung und blendete für den europäischen Besuch den Rest des Landes einfach aus.

von Gaby Küppers

Der Streikposten ist in einem einfachen Bretterverschlag untergebracht. Drinnen das Nötigste für den Dienst rund um die Uhr. Auf der Straße weist Amalia gerade noch einen Autofahrer auf Parkplatzsuche in eine Nische, dann wirft sie ihr Wischtuch über die Schulter und zeigt auf das von Transparenten umflatterte Streikhäuschen. "Gesucht wird Morales", steht dort. Und: "Wir halten durch"."Wir ehemaligen Angestellten von Morales schieben alle rundum Wache. Auf die ringsum abgestellten Fahrzeuge aufpassen, Frontscheiben und Karosserien putzen, damit halten wir uns über Wasser." Das Entgelt füllt die magere Streikkasse auf. Seit fast vier Jahren. Am Morgen des 13. Juli 1996 starrten die Angestellten von Antonio Morales Carrillo auf ein verschlossenes Werkstor. Gleich daneben betraten offenbar neu eingestellte ArbeiterInnen dieselben Firmenräume durch eine frisch geöffnete Tür. Das Unternehmen hatte über Nacht Namen und Eingangstür gewechselt. Wer von den "Alten" in den Betrieb wollte, den verscheuchten Polizisten mit Kübeln voller Wasser .

31 ArbeiterInnen, darunter 18 Frauen, standen vor dem Nichts. Die meisten von ihnen hatten seit Jahrzehnten in der Morales-Druckerei gearbeitet, die Etiketten und Kartons für Bacardi herstellt. Das internationale Unternehmen hatte sich um die Verhältnisse bei seinem mexicanischen Zulieferer nicht gekümmert, die Regierung jahrelang beide Auge zugedrückt, obwohl die Firma nie die vom Lohn abgezogenen Steuern und Sozialabgaben abgeführt hatte. Bis nichts mehr ging. Da bat Antonio Morales seine Belegschaft zuerst, unentgeltlich Überstunden zu leisten, dann zahlte er acht Wochen lang keine Löhne. "Ihr wollt doch eure Arbeit behalten..." Schließlich forderte er sie auf, in den Streik zu treten. Dann nämlich würden ihm die Nachzahlungen erlassen und der Betrieb könne weitermachen. Doch die ArbeiterInnen, unterstützt von der linken Oppositionsgewerkschaft FAT (Frente Auténtico de Trabajo), weigerten sich. Morales versperrte das Werkstor, zog von innen eine Mauer hoch und behauptete, eine Druckerei namens Morales habe es nie gegeben. Indes, die Frechheit siegte nur zeitweilig, dank des Durchhaltevermögens der seither erwerbslosen Belegschaft, der Fotos von der offenen Druckereitür und jahrelanger Betreuung durch die Anwälte der FAT. Der Prozess scheint in den kommenden Wochen zu Gunsten der ArbeiterInnen auszugehen.

Davon sind die ArbeiterInnen der Reifenfabrik Euzkadi noch weit entfernt. Die Firma war im November 1998 mehrheitlich an die deutsche Continental Reifen verkauft worden. Damit stieg das Hannoveraner Unternehmen zum größten deutschen und weltweit viertgrößten Reifenhersteller auf. Die mexicanische Belegschaft galt als motiviert: Die 14500 ArbeiterInnen verdoppelten von 1984 bis 1998 die Produktion von 8000 auf 16 000 Reifen täglich, das Qualitätszertifikat ISO 9002 garantiert internationale Konkurrenzfähigkeit. Für die 30-prozentige Produktionssteigerung im Steuerjahr 1998 verlangten die ArbeiterInnen gemäß der mexicanischen Verfassung eine Gewinnausschüttung. Aber die neuen deutschen Eigentümer hatten anderes im Sinn: Oben auf der Liste stand die Kündigung des geltenden Tarifvertrags, sodann sollte die Arbeitszeit von acht auf zwölf Stunden heraufgesetzt, die Bezahlung von Überstunden abgeschafft und die Sieben-Tage-Woche eingeführt werden. Im ebenfalls zu Continental gehörenden Werk von General Tire war das mit Hilfe der CTM (Central de Trabajadores Mexicanos), dem PRI-hörigen Dachverband mexicanischer Gewerkschaften, schnell gelungen. Bei Continental aber leistete die Betriebsgewerkschaft SNRTE (Sindicato Nacional Revolucionario de Trabajadores de Euzkadi) Widerstand. Ergebnis: Im Juni 1999 wurde im Werk 4 achtzehn Gewerkschaftsmitgliedern gekündigt, im November 1999 das Werk 3 mit 200 ArbeiterInnen geschlossen und die Produktion in ein Subunternehmen verlegt. Begründung: Die Produktion im Werk 3 sei unrentabel. Eine glatte Lüge.

Die SRNTE hofft nun auf weltweite Gewerkschaftssolidarität. Aber ausländische Investitionen, nein danke, von deren Segen können sie kein gutes Lied singen, geschweige denn von der mexicanischen Regierung und deren gelben Gewerkschaften.

Freitag Nachmittag im Innenhof des Stadtmuseums von Mexico D.F. Über 300 GewerkschafterInnen haben sich zu einem Treffen versammelt. Fäuste werden geballt, auch aus den zwei Reihen, in denen die TrägerInnen schnieker Pilotenuniformen sitzen, die die CTM-Dominanz satt haben. Die neugegründete Gewerkschaft der ParkplatzwächterInnen meldet sich zu Wort – sie ist ein Ergebnis des Versuchs der PRD-geführten Regierung von Mexico-Stadt, die Informellen in Kooperativen zu organisieren. Und natürlich auch die ArbeiterInnen von Euzkadi. Sie wollen etwas scheinbar Selbstverständliches in einer Demokratie: Organisationsfreiheit. Aber die ist im Land der institutionalisierten Revolution nicht gewährleistet. Gewerkschaftsmitgliedschaft ist für die meisten MexicanerInnen kein oppositioneller Akt. Wer einen Arbeitsvertrag unterschreibt, landet regelmäßig in den Melderegistern der CTM. Und die steckt mit den ArbeitgeberInnen unter einer Decke, führt aufmüpfige ArbeiterInnen auf einer schwarzen Liste – und isolierte sich im Internationalen Bund Freier Gewerkschaften, weil letzterer den NAFTA-Vertrag kritisch sieht. Die Versammelten fordern daher etwas, das in keinem OECD-Land mehr in frage stehen dürfte, nämlich ohne Furcht vor Repression und Rausschmiss ungehindert in Betrieben über ArbeiterInnenrechte aufklären zu dürfen.

Von der Kenntnis solcher Zustände wird die Delegation der Europa-ParlamentarierInnen von offizieller Seite her wohlweislich ferngehalten. Die EPlerInnen sind gleich nach der feierlichen Unterschrift unter das soeben abgeschlossene Globalabkommen von Staatspräsident Zedillo und Kommissionspräsident Prodi in Lissabon nach Mexico gereist, um sich ein Bild vom neuen Partner zu machen. Und der hatte ihnen minutiös ein Mammutprogramm vorbereitet, das keine Zeit ließ für kapriziöse Bekanntschaften mit dem "normalen" Mexico. Selbst der vorab vorgetragene Wunsch nach einem Treffen mit Menschenrechtsgruppen war vom Außenministerium sabotiert und schließlich mit Hilfe des spanischen Botschafters – für den Mexico zuvorderst aus Investitionsplätzen besteht – fast vereitelt worden. Mit der verdrehten Behauptung, eine der renommiertesten NGOs, das Centro Agustín Pro, unterstütze seit Jahren systematisch die ETA, veranlasste er die spanischen Abgeordneten, ein Gespräch mit deren MitarbeiterInnen abzulehnen. Dass dann doch noch ein Treffen mit Menschenrechtsgruppen zu Stande kam, kostete die übrige Delegation viel diplomatisches Geschick und Zeit.

Stattdessen sollten die EPlerInnen nach dem Willen der mexicanischen Regierung ein stabiles Land vorfinden, das vor Investitionsmöglichkeiten nur so strotzt. Das "weitreichendste Abkommen, das die EU je mit einem Drittland abgeschlossen hat", so die EU-Kommission in ihrer Selbstdarstellung, wird von beiden Seiten als einzigartige Marktchance angepriesen. Nie habe Mexico einem anderen Land einen schnelleren Vorzugszugang zugebilligt, als europäische Unternehmen sie jetzt genössen, die NAFTA-Partner USA und Kanada eingeschlossen, diktierte die Kommission der europäischen Presse. In Mexico schlägt sie selbstverständlich andere Töne an. EU-Botschafter López Blanco "verriet" mexicanischen JournalistInnen zur Beruhigung, die EuropäerInnen hätten mit dem Abkommen im Grunde ein Eigentor geschossen, indem sie praktisch allen Industrieprodukten Zollfreiheit gewährten. Die mexicanische Regierung schwärmt, die derzeit einseitige Orientierung auf NAFTA sei mit dem neuen Handelspartner Europa vorbei. Tatsächlich waren die Handelsbeziehungen im letzten Jahrzehnt stark eingebrochen. Der Anteil europäischer Produkte an Mexicos Importen fiel von 17 auf 9 Prozent, während die USA ihren Anteil von 66 auf 75 Prozent steigerten. Europa bezieht statt 13,3 Prozent der mexicanischen Importe inzwischen nur noch 3,6 Prozent. Wirklich wichtig ist der mexicanische Markt für die EU allerdings nicht: Mexico steht für ein Prozent der europäischen Ausfuhren und 0,6 Prozent der Einfuhren. Den Asymmetrien hinsichtlich Reichtum, Industrialisierung und Bildungsgrad zwischen beiden "Partnern" trägt das Abkommen in keiner Weise Rechnung. Die sozialen Gräben werden sich zwangsläufig vertiefen: Weder enthält der Vertrag ein Sozialprotokoll noch ein Zusatzabkommen über Sozialrechte, wie es immerhin der NAFTA-Vertrag kennt.

Dass das Mexico-Abkommen den EuropäerInnen ein Sprungbrett für den riesigen NAFTA-Markt verschaffen wird, bleibt unausgesprochen, steckt aber in jeder Zeile des Abkommens. Denn gefördert wird darin vor allem zweierlei: die Maquila-Industrie und Investitionen. Die laxe Ursprungsregel – schon jetzt stammen 90 Prozent der Bestandteile für Exportprodukte aus dem Ausland – kommt dem Ausbau einer Exportindustrie entgegen, die sich auf die Montage von Einzelteilen aus aller Welt spezialisiert. Autos oder Textilien für den US-amerikanischen oder umgekehrt europäischen Markt können ohne einheimische Zulieferer produziert werden. Damit wird der Ausbau eines Binnenmarktes geradezu verhindert. Gleichsam vorweggenommen wurde das gescheiterte MAI (Multilaterales Investitionsabkommen). Ausländische InvestorInnen dürfen nicht schlechter gestellt werden als inländische, sprich: Sie dürfen besser gestellt werden. Besondere Auflagen wie die Verpflichtung auf einheimische Zulieferer, Mindesteinstellquote für einheimische Leitungskräfte oder Frauenförderung im Betrieb sind verboten. Auch absolute Partikularinteressen haben Eingang in das Abkommen gefunden. Warum sonst sollte der ansonsten verbotene Handel mit Elfenbein im Text geregelt sein? Und warum sonst hat die EU ausgedealt, Pestizide wie DDT nach Mexico auszuführen, was die Baseler Konvention eigentlich unterbindet? Wer wird an der Vorzugsquote für tiefgefrorenen Orangensaft verdienen, der erst in Europa in Flaschen gefüllt wird? Warum haben sich die MexicanerInnen nicht für den Export weiterer Verarbeitungsstufen (Arbeitsplätze!) von Orangen, Avocados oder Holz stark gemacht?

85 Prozent des mexicanischen Außenhandels werden von nur 327 Großunternehmen abgewickelt, so Senator Jorge Calderón von der PRD, die als einzige mexicanische Partei das Abkommen ablehnte – im Europaparlament hatten die Grünen und die Vereinigte Linke dagegen gestimmt. Das sind 0,12 Prozent aller mexicanischen Betriebe. Nur ein Fünftel der größeren mexicanischen Firmen könnte theoretisch überhaupt am Export teilhaben. Aber nicht sie stellen das Gros der Arbeitskräfte, sondern die kleinen und mittleren Unternehmen sowie der informelle Sektor, begründet der PRD-Präsidentschaftskandidat Cuauthémoc Cárdenas seine Kritik am Abkommen. Ein Abkommen müsse ein Beitrag zur Lösung der dringenden Probleme des Landes sein. So seien nur 12 Prozent der MexicanerInnen im Sozialsystem, 60 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung schlage sich außerhalb der formalen Ökonomie durch. Das reichste Fünftel Mexicos streicht 56 Prozent des gesamten Einkommens des Landes ein, das ärmste Fünftel gerade einmal 4 Prozent.

Die Regierung hat gefälligere Zahlen parat. Nur 2,3 Prozent der MexicanerInnen seien arbeitslos, servierte Vizewirtschaftsminister Luis de la Calle seinen staunenden europäischen Gästen bei einem Mittagessen zu ihren Ehren, zu dem er auch gleich seine Berater bei den Verhandlungen eingeladen hatte: eine illustre Runde von Unternehmern. Als de la Calle auf die bevorstehende Bildungsoffensive zu sprechen kommt – so als hätte seine Partei erst gestern die Regierung übernommen – kommt niemandem das Wort UNAM über die Lippen. Der fast einjährige Streik an der Universität (s. ila 234) war kürzlich erst durch Stürmung beendet worden, etliche StudentInnen mit teils fadenscheinigen Begründungen noch in Haft. Eisernes Schweigen auch zur Zeitungsmeldung vom gleichen Tage, wonach die Rettungsaktion der bankrotten Banken – sprich die Sanierung ihrer Besitzer – die SteuerzahlerInnen 516,4 Milliarden Pesos (knapp 50 Milliarden US-Dollar) kosten wird. Nicht zuletzt von den spanischen Delegationsmitglieder. Spanische Banken erhoffen sich nämlich vom neuen Vertrag beschleunigten Zugriff auf die zuvor durch die öffentliche Hand schuldenfrei gemachten mexicanischen Geldinstitute. Verblüffend ist am Ende des Mahles nur, dass die Regierungspartei der institutionalisierten Revolution ihre institutionalisierte Gewerkschaft nicht mit an den Tisch gebeten hatte. Dabei hätte die CTM sicher pflichtgemäß ein Loblied auf das Abkommen gesungen.

Doch an konkrete Gewerkschaftsinteressen hatte die Regierung bei ihrer Präsentation einfach nicht gedacht. Während die oppositionellen GewerkschafterInnen an besagtem Freitag in Mexicos Stadtmuseum debattierten, wurden die EuropäerInnen in der Präsidentenmaschine in die reiche Industriestadt Monterrey im nördlichen Bundesstaat Nuevo León eingeflogen. Das Außenministerium, der Gouverneur des Bundesstaats und verschiedene Firmenleitungen hatten alles hergerichtet, damit die Gäste sich vom bereitstehenden Investitionsparadies überzeugen konnten. Nuevo León würde dem armen, aufrührerischen Süden, sprich Chiapas, lieber heute als morgen den Rücken kehren und sich den USA anschließen. Überhaupt, die Indianer seien doch keine zivilisierten Menschen, meint einer der Herren Unternehmer. Das Geld würde völlig umsonst dorthin gepumpt.

Elcoteq heißt die ausgewählte Firma, die die EPlerInnen besichtigen dürfen. Finnisches Kapital steckt in der Firma, die Einzelteile für Handys zusammenbaut. Im hochmodernen Vorführraum findet eine Diaschau statt. Alles läuft prima, und dann fällt doch die eine oder andere verflixte Frage. "Wie viel Urlaub haben die Arbeiter im Jahr?" – "Eine Woche, nach einer einjährigen Probezeit." Überraschtes Stirnrunzeln. "Und was sagt die Gewerkschaft dazu?" – "Gewerkschaften? Die brauchen wir nicht, wir sind doch alle eine große Familie." Ein ratschendes Geräusch, und das nächste Dia mit neuen Zahlen und Erfolgskurven überdeckt jede weitere Nachfrage.

 

Chiapas: Paramilitärs! - Welche Paramilitärs?

Eine Flause konnte das mexicanische Außenministerium den EPlerInnen beim besten Willen nicht ausreden: einen Besuch in Chiapas. Am Ende stellte Präsident Zedillo sein Flugzeug zur Verfügung und sicherte sich damit die Kontrolle über die Aufenthaltsdauer. Am neuen Flughafen von San Cristóbal de las Casas schirmte ein Haufen Kameras und Mikrophone zunächst von jedem Blick auf eine "normale" Umgebung ab. Dann folgte ein ewig langer Empfang bei Gouverneur Albores, der sich in unendlichen Ausführungen zur Region erging, dem, sagte er, "sichersten Staat Mexicos". Schließlich wurde den Gästen dann eine der Touristenattraktionen der Gegend präsentiert, das Bilderbuchdorf Zinacatán. Bei der Ankunft wurden Böller abgeschossen, indianische Kunsthandwerker verlasen Ansprachen vom Blatt, die die Chancen des EU-Vertrags lobten. Und "zufällig" fand auch gerade eine Gerichtsverhandlung in einem der neu eingerichteten Indianergerichte statt.

"Ein Vorzeigeprojekt der Regierung", lächelte Samuel Ruíz, den zu treffen die offiziellen Programmgestalter schließlich nicht verhindern konnten. Die PRI behauptet, mit der Unterstützung dieser – auch vorher bestehenden – Indianergerichtsbarkeit erfülle sie die mit der EZLN geschlossenen Verträge von San Andrés de Laraínzar. Samuel Ruíz ist vom Gegenteil überzeugt. Das derzeit nach Chiapas gepumpte Regierungsgeld bringe keine Lösung, weil es die Strukturen nicht ändere. Die Leute aber wehren sich nicht nur wegen Hunger und Armut, sondern wegen fehlender Gerechtigkeit und wegen der Repression. 40 Prozent der mexicanischen Armee, 60-70 000 Mann, befänden sich in Chiapas, der Regierungsbeauftragte für Chiapas, Emilio Rabasa, gibt lediglich 18 000 zu. Von 25 000 Vertriebenen spricht Samuel Ruíz, Albores wusste lediglich von 7000, ausgestoßen von ihren Gemeinden wegen Religions- oder Parteiwechsels! Auch von Paramilitärs war ihm genauso wenig bekannt wie dem PRI-Bürgermeister im Nachbardorf von Acteal, wo am 22. Dezember 1997 bei einem bislang ungesühnten Massaker 45 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, bestialisch ermordet wurden.

Beim Besuch der Delegation in "seinem" wenige Kilometer entfernten Dorf war jener PRIist bereits bester Laune. Am nächsten Tag würde der Gouverneur höchstpersönlich vorbeischauen. Als Vorhut war bereits ein großer Schuppen voll nagelneuer Möbel für die Gemeinde eingetroffen. Wahlkampfzeiten. In Acteal-Las Abejas würde der Gouverneur nicht anhalten, um das von Dänemark gespendete Denkmal für die Ermordeten anzuschauen. Polhó, ein Zapatistendorf, könnte er erst gar nicht betreten. Ob Polhó an den Wahlen teilnähme, müsse erst noch das gesamte Dorf entscheiden, sagt der Dolmetscher des Autonomen Rats gegenübr den EPlerInnen. In dem einst 1215 EinwohnerInnen zählenden Dorf wohnen seit Beginn der Vertreibungen dreimal so viele Menschen wie früher. Auch der Autonome Rat macht die mit den Militärs kooperierenden Paramilitärs dafür verantwortlich, dass die in dem Dorf untergeschlüpften Vertriebenen nicht dauerhaft zu ihren Kaffeefeldern zurückkehren könnten. Zuletzt noch hätten sich 29 von ihnen nach einem beruhigenden Brief des Bürgermeisters von Chenalhó auf den Weg gemacht und seien sofort aufgegriffen worden. Einige befänden sich immer noch im Gefängnis.

Bis zu den Wahlen wird sich an dem Krieg niederer Intensität nichts ändern. Ohnehin kommt der Status Quo in Chiapas der Regierung gut zu pass. Nachgeben will sie nicht. Würde sie die Zapatisten militärisch niederschlagen, würde die Revolte schleunigst in anderen Bundesstaaten wie Oaxaca oder Guerrero aufbrechen. So aber kann sie den Mythos des lokal begrenten Konfliktes nähren, der Zeit, Kräfte und Mittel binde. Eine Generalentschuldigung für das Ausbleiben notwendiger struktureller Reformen im ganzen Land.

Dennoch kommen die Wahlkämpfer am Thema nicht ganz vorbei. Der PRI-Kandidat Labastida behauptet, die EZLN sei am Zuge. PRD-Kandidat Cárdenas dringt auf Erfüllung der Verträge von San Andrés durch die Regierung. Und der PAN-Kandidat Fox verkündet selbstbewusst, er müsse nur mal eine Viertelstunde mit Subcomandante Marcos unter vier Augen reden, dann wäre die Sache geritzt. Nur: Der Sub habe ihm noch kein Gespräch gewährt. Der ehemalige Coca Cola-Manager, der gern auch mal mit Cowboystiefeln und einer silbernen Gürtelschnalle auftritt, auf der der Schriftzug "Fox" prangt, liegt nunmehr Kopf an Kopf mit Labastida. Doch sind noch längst nicht alle PRI-Basen mobilisiert und bis zum Wahltag 2. Juli ist ja auch noch ein bisschen Zeit.

 

Kontaktadressen:

Gewerkschaft Frente Autentico de Trabajo
fat@laneta.apc.org

und in Sachen Continental:

SNRTE
Sindicato Nacional Revolucionario de Trabajadores de Euzkadi
Guadalajara/Jalisco
Tel/Fax: 0052-3-6880967

Der Artikel ist erschienen in ila 235 (Mai 2000)


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