"Riots can bring progress for the people"

Gewerkschaften, Parteien und politisches Mandat auf Mauritius

 

"Riots can bring progress for working people" – mit dieser Überschrift kommentiert Lalit (kreolisch für "La Lutte", der Kampf), die wahrscheinlich wichtigste linke Oppositionsgruppe auf Mauritius, in einer mehrseitigen Broschüre die Ereignisse vom Februar 1999. Die Polizei hatte den bekannten mauritianischen Musiker Kaya wegen des Rauchens von Haschisch verhaftet und im Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert. Vier Tage später wurde er tot in seiner Zelle gefunden. Bereits in der folgenden Nacht protestierten zahlreiche Mauritianer massiv und militant gegen diesen – in Mauritius nicht unbekannten – Missbrauch der Staatsgewalt. Im Verlauf der drei Tage andauernden Aufstände wurden unter anderem 15 Polizeistationen vorübergehend besetzt und drei Aktivisten von der Polizei erschossen. Gemeinsam mit der "All Workers Conference" (AWC), einem informellen Dachverband der zahlreichen mauritianischen Gewerkschaften, war diesen Aufständen von Lalit eine politische Stoßrichtung gegeben worden. Gefordert wurde: Verhaftung derjenigen, die in Kayas Todesnacht im Gefängnis Verantwortung getragen hatten; Auflösung der "Tonton Macoute", einer Spezialeinheit der Polizei; Amnestie für alle Demonstranten; öffentliche Untersuchung aller "Todesfälle", die sich unter Polizeigewahrsam ereignet hatten; Veränderung der ökonomischen Ausrichtung des Landes zum Wohl der Bevölkerungsmehrheit und eine Überprüfung des Haschisch-Verbots.

Erreicht wurde zumindest die Untersuchung der Todesumstände Kayas durch englische Gerichtsmediziner und eine öffentliche Diskus-sion über die Haftbedingungen auf Mauritius.

Die Antwort der Regierung Im Dezember 1999 kam es zur Antwort der von der Parti Travailliste (PT, Arbeiterpartei) geführten Regierung: Am Samstag, dem 11. Dezember, gab es erste Hinweise, dass die Regierung einen Gesetzesvorschlag zur "öffentlichen Sicherheit" einbringen wolle. Am darauffolgenden Montag, dem 13. Dezember, bekamen die Parlamentarier und die Öffentlichkeit den Gesetzestext der Public Security Bill (PSB) erstmals zu Gesicht. Bereits am folgenden Tag sollte das Gesetz in erster, zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden. Der zeitliche Ablauf der Nacht- und Nebelaktion ist auch insofern von Bedeutung, als die bereits bestehende Gesetzgebung auf Mauritius eine siebentägige Anmeldung von Demonstrationen erzwingt.

Bei der Public Security Bill handelt es sich um Notstandsgesetze in einer kaum zu überbietenden Massivität. Im Namen der öffentlichen Sicherheit wird mit ihrer Hilfe ein permanenter Ausnahmezustand errichtet. Auch in Deutschland kommt einem aus dem Paket von Gesetzes-Regelungen manches allzu bekannt vor. Ihr repressiver Charakter erweist sich bereits an allgemeinen Strukturelementen des Gesetzestextes: So sieht der Strafenkatalog generell Mindeststrafen von 3, 5 oder 10 Jahren vor – ohne Höchststrafen für die entsprechenden Vergehen zu definieren. Jeder Polizeioffizier von einem mittleren Rang an aufwärts ("Assistant Superintendent") kann Verhaftungen vornehmen, wenn er Verstöße gegen das Gesetz auch nur vermutet. Für Verhaftungen und Hausdurchsuchungen muss keine Straftat erfolgt sein; vielmehr reicht es aus, wenn der Polizeioffizier eine entsprechende Absicht bei dem Beschuldigten unterstellt. Das Verbot einer Organisation und ihre Verfolgung gemäß der PSB spricht der Polizeipräsident aus, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass diese sich am Terrorismus tatsächlich bzw. wahrscheinlich beteiligt oder den Terrorismus "irgendwie" unterstützt. (§3 Abs. 1: "Where the Commissioner has reason to believe that an association or combina-tion of persons is engaged in, or is likely to engage in, or is concerned with the promotion or encouragement of terrorism, he may, by Order, declare that association or combination of persons to be a proscribed organisation.")

Die Vagheit des Begriffes "Terrorismus", der – national wie international – als universeller Türöffner zur Verfolgung politischer Opposition bekannt ist, steht mit gutem Grund am Anfang des Gesetzestextes und ermöglicht die Verfolgung jeder radikalen Opposition. Wörtlich heißt es in § 2: "Terrorismus bedeutet den Gebrauch von Gewalt für politische Ziele, schließt den Gebrauch von Gewalt ein, um die Öffentlichkeit oder irgend einen Teil der Öffentlichkeit in Angst zu versetzen."

Direkt auf den Paragraphen über Terrorismus folgen die neuen Spezialregelungen für Sportereignisse. Hintergrund sind "Rassen"-Unruhen im Anschluss an ein Fußballspiel Mitte 1999. Nachdem es der Regierung mit Hilfe der Massenmedien gelungen war, die politischen Unruhen des Frühjahrs in rassisch bzw. rassistisch motivierte umzudeuten, benutzte sie nun die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Fußballfans und den Brandanschlag auf ein Casino als "antirassistische" Legitimation ihrer verschärften Strafgesetzgebung.

Die sich anschließenden Paragraphen des PSB sind schließlich explizit auf Unruhen bezogen. Es heißt dort: Wenn zehn oder mehr Personen irgendwo zusammenkommen und Gewalt in "öffentlicher Absicht" ausüben oder auszuüben planen ("is likely to be prejudical"), die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abträglich ist, macht sich jede dieser Personen strafbar. Auch hier eröffnet die häufig anzutreffende Formulierung "is likely to" dem Interpretationsmonopol der Polizei unbegrenzte Möglichkeiten.

Der eingangs zitierte Text würde auf diese Weise, verbunden mit den Prinzipien der Strafbarkeit der Absicht und der Strafbarkeit der Unterstützung, zum Verbot auch gewerkschaftlicher Organisationen ausreichen. Hier spätestens endet die Übertragbarkeit mauritianischer auf hiesige Verhältnisse. Denn eine Auseinandersetzung mit den potentiellen Dynamiken des staatlichen Gewaltmonopols und entsprechenden Analysen zum politischen Mandat der Gewerkschaften finden schon lange nicht mehr öffentlich statt und scheinen mit einem Denkverbot belegt. Angesichts der faktischen Einbindung in das herrschende System der Regeln ist daher vorerst auch kaum mit entsprechenden Repressalien zu rechnen.

Nach dem Verbot durch die Polizei – juristische Überprüfung ist im Gesetz nicht vorgesehen – stehen der extensiven Strafverfolgung jetzt alle Türen offen: Wer gleichzeitig mit drei Personen einer verbotenen Organisation spricht, kann mit mindestens fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Personen, die ein Kleidungsstück oder Zeichen einer verbotenen Organisation tragen, können ebenfalls mit fünf Jahren Minimum bestraft werden. Auch das Spenden, Leihen oder Aufbewahren von Geld an eine bzw. von einer verbotenen Organisation kostet fünf Jahre Minimum. Der bloße Aufenthalt in der Nähe von Unruhen ohne vernünftige Entschuldigung wird genauso bestraft. (Haus-)Durchsuchungen aller Art sind erlaubt, wenn ein mittlerer Polizeioffizier den Verdacht hegt, dass ein Verstoß gegen das Gesetz vorliegt.

Die de facto inhaltlich unbegrenzte und juristisch unkontrollierte Gewalt, die der Polizei eingeräumt wird, wird durch die Einführung von "Gedankenverbrechen" und die gesetzliche Einführung eines Spitzelsystems abgerundet: § 8 Abs. 2 sieht vor, dass sich jede Person strafbar macht, die sich im Besitz eines Artikels bzw. elektronisch gespeicherten Materials befindet, das seiner Tendenz nach rassische, religiöse u.a. Missachtung gegen Personen ausdrückt – dabei wird zusätzlich die Beweispflicht auf den Beschuldigten verschoben.

§ 3 Abs. 4 macht alle diejenigen Personen zu Verbrechern, die Wissen über eine terroristische Organisation erlangen und nicht in vertretbarer Zeit einen Polizeioffizier davon in Kenntnis setzen. Gemäß Abs. 3 gilt dies auch dann, wenn eine Organisation zwar nicht durch die Polizei als terroristisch eingestuft wurde, aber die Amtsperson "vernünftigen Grund zum Verdacht" hat, dass die entsprechende Organisation den Terrorismus fördern könne. ("Any person who does an act ... to an association or combination of person, which is not a prescribed organisation but which he knows, or has reasonable cause to suspect, is engaged, or is likely to engage in, or is concerned with the promotion or encouragement of terrorism, shall commit an offence" (§3 Abs.3)

 

Polizistenherz, was willst Du mehr... Der Widerstand

Die Public Security Bill, die sich damit verschärfend in die Tradition mauritianischer Ausnahmegesetzgebung einreiht ("Public Order Act" und "Public Gathering Act"), wird von der politischen und gewerkschaftlichen Opposition als politischer Angriff verstanden und bekämpft. Bereits am Abend des 13. Dezember, dem Tag der Veröffentlichung der Pläne zur Verabschiedung der PSB, gründete sich ein Ad Hoc-Komitee mit dem Ziel, das Gesetz vollständig zu verhindern. Es setzt sich vorrangig aus Mitgliedern von "Lalit" und des gewerkschaftlichen Dachverbandes AWC zusammen – ein vergleichbares politisches Selbstverständnis und die entsprechende Positionierung ist bei deutschen Gewerkschaften heutzutage in der politischen Auseinandersetzung leider nicht üblich.

Nach kurzem Zögern reihte sich die stärkste Oppositionspartei MMM ("Mouvement Militant Mauricien") in die Ablehnungsfront ein. Gerade deren Führer, Paul Beranger, hatte in der letzten Zeit allerdings ebenfalls das "Law and Order"-Ross geritten. Die MMM war 1997 aus der Regierungskoalition ausgetreten und beginnt jetzt ihren Wahlkampf für die im Nov. 2000 anstehenden Wahlen – der Konflikt mag ihr dabei zur Profilierung dienen.

Ergebnis der sehr kurzfristigen Mobilisierung, die von zusätzlichem, öffentlichem Druck begleitet war, war zunächst eine Verschiebung der parlamentarischen Abstimmung um eine Woche. In dieser Zeit wurden u.a. in der lokalen Presse ausgedehnte Diskussionen geführt. Auch die wichtigsten Tageszeitungen "L’Express" und "Le Mauricien" brachten im Kern kritische Kommentare zur PSB. Regierungschef Navin Ramgoolam musste zumindest die Motive der Gesetzesgegner öffentlich anerkennen und die Berechtigung der Kritik teilweise einräumen. Andererseits wirbt die Regierung mit dem "demokratischen" Charakter des Gesetzes, in dem sie sich auf die Nordirland-Gesetzgebung der "Mother of Parliaments" in London beruft.

So führte die endgültige Abstimmung, kurz bevor sich das Parlament an Weihnachten in die Sommerpause auflöste, zu dem kuriosen Ergebnis, dass das Gesetz von der Regierungsmehrheit zwar mit geringen Modifikationen angenommen wurde, der Regierungschef gleichzeitig aber öffentlich die Bereitschaft erklärte, auf Wunsch weitere Veränderungen vorzunehmen. Er räumte ein, dass das Gesetz Schwächen enthalte. MMM verließ bei der Abstimmung unter Protest den Saal – und musste so auch nicht dagegen stimmen.

Solange die PSB beim Staatspräsidenten lag, der sie mit seiner Unterschrift in Kraft setzen musste, setzte das Ad Hoc-Komitee darauf, den Präsidenten zur Verweigerung seiner Zustimmung zu bewegen und auf diesem Wege das Gesetz noch zu verhindern. Außerdem versuchte das Ad Hoc-Komitee, auch international Unterstützung zu organisieren. Diese ist in ihrer Wirksamkeit insbesondere in einem Land wie Mauritius nicht zu unterschätzen, wo der Blick aufgrund kolonialer Tradition und ökonomischer Abhängigkeiten noch immer überwiegend nach Europa gerichtet ist. Rechtzeitig zur Neujahrsansprache des Premierministers hat jedoch nun auch Staatspräsident Cassam Uteem der PSB zugestimmt. Der permanente Notstand ist damit wirklich geworden.

Bleibt abzuwarten, ob es der mauritianischen Opposition gelingt, ihre offensiven zu bewahren. Die Opposition in Mauritius beschränkte sich bis jetzt nicht auf die in Deutschland inzwischen übliche Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols und das bloße Beklagen der massiven Einschränkung von Rechtsstaatlichkeit. Vielmehr stellt sie sich bewusst in eine Traditionslinie sozialer Proteste – vom Kampf für die Unabhängigkeit über die Zulassung von Gewerkschaften bis zu Kämpfen um sozialstaatliche Errungenschaften angesichts des in Mauritius besonders offen betriebenen Neoliberalismus. Die relative Stärke der Gewerkschaften in Mauritius im Verhältnis zu Deutschland dürfte auch hierauf zurückzuführen sein. Hoffen wir, dass die PSB daran nichts ändern wird.

 

Ralf Kliche und Nadja Rakowitz
Erschienen in express 1/2000

 


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