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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Nach der Wahl - die soziale Säuberung der Slums Der Tenor der Berichterstattung der Kommerzmedien über die heftigen Unruhen in Kenia ist eindeutig: es sind Stammesauseinandersetzungen (weil ja klar ist: Europa besteht aus Völkern, Afrika aus Stämmen) und die AfrikanerInnen sind nicht wirklich reif für "unsere Demokratie" müssen sozusagen vom zivilisierenden Europa benotet werden (im Gegensatz zu Wahlstrategen in Florida oder Großkoalitionären...). Diesen ideologischen Scheuklappen versuchen wir in der Telefonkonferenz "Kenia nach der Wahl" vom 10. Januar 2007 die Sichtweise (und Handlungsweise) von kenianischen AktivistInnen und sozialen Gruppierungen, die für eine andere Gesellschaft eintreten, entgegenzusetzen. Kenia nach der Wahl (Wohlgemerkt: Niemand verleugnet die Tatsache, dass die blutigen Konfrontationen, sei es in den Slums von Nairobi oder im Rift von ethnischen Rivalitäten geprägt waren und sind. Die Frage ist nur, was daran eigentlich neu sein soll - davon ist Kenya, dank britischer Kolonialpolitik und danach, seit längeren Zeiten geprägt.) Wir sprachen in einer Telefonkonferenz mit Denise Komba, seit langen Jahren aktiv als Journalistin in der Demokratiebewegung und in der Journalistengewerkschaft, mit Peter Kevin, Aktivist der Lehrergewerkschaft in Mombasa und mit Lyndon Kemeki, aktiv in diversen sozialen und politischen Projekten in den Slums der Hauptstadt. Lasst mich zuerst fragen: War das Wahlergebnis nun gefälscht oder nicht? Denise: Ja logisch, das ist völlig klar. Es ist eine inzwischen allseits bekannte Tatsache, dass in mindestens drei Wahlbezirken die Stimmen für Kibaki auf dem Weg zur nationalen Wahlkomission drastisch zugenommen haben - und alleine diese seltsamen zugewinne in den drei Bezirken machen schon ungefähr die Hälfte seines Stimmenvorsprungs von etwas mehr als 200.000 Stimen aus. Lyndon: Getroffene Hunde bellen heisst es bei euch: Überleg doch nur mal, wie sich die Statements des Präsidenten verändert haben - zunächst hatte er für seinen Wahlsieg gedankt und jetzt ist er zu Gesprächen bereit - also entweder er hat gewonnen, dann kann er immer noch sagen, er will verhandeln um das Land zu schützen, oder aber eben nicht und dann hat er gelogen. Peter: Interessant ist es in diesem Zusammenhang vor allem die unterschiedlichen Taktiken der EU und der USA zu verfolgen. Der US-Botschafter hatte zunächst Kibaki sofort gratuliert, die EU gleich bemerkt, es sei nicht mir rechten Dingen zugegangen...Jetzt müssen auch die USA sozusagen zurückrudern, während ausgerechnet die Briten sich als Wahrer der Demokratie aufspielen und das vor dem Hintergrund ihrer Untaten gerade in Kenya. Denise: Du musst mal sehen, wie jetzt alle Register gezogen werden, die Lage in den Griff zu kriegen - und zwar keineswegs etwa nur die Ausschreitungen, sondern den gesamten Protest. Sich mit Bischof Tutu zu zeigen, war ein extrem guter public relations Schritt von Kibaki, bzw seiner südafrikanischen Beraterfirma, denn die und nicht irgendeine Partei, entscheidet, was gemacht wird. Seht ihr den Protest denn unabhängig von dem Vorwurf des Wahlbetrugs? Peter: Nein, für mich gehört es zusammen, obwohl es unterschiedliche Quellen hat. Nachdem Kibaki 2002 gewählt worden war, war in vielen Teilen des Landes eine Art Aufbruchstimmung vorherrschend, endlich würde sich was ändern nach den bleiernen Zeiten von Arap Moi. Und nichts hat sich geändert - die Mercedesklasse ist reicher geworden. Was ist denn mit dem allseits beschworenen Wirtschaftswachstum, was erlebt man als normaler Mensch, im Sinne von keinen Zugang zu den Cliquen zu haben, denn davon? Lyndon: In der Theorie ist es überall daselbe - erst wächst die Wirtschaft, dann tropft es herunter und siehe da, die Armut ist weg. In der Wirklichkeit ist es auch überall das gleiche: Wenn es solche Tropfen gibt, sind sie so klein, dass sie unterwegs austrocknen, sprich alles Lüge. Du musst schon sehen, dass die Sache mit den Slums in Kenya anders ist, als etwa in Brasilien oder Indien oder Südafrika. Es wird gesagt, in Nairobi würden rund 3,5 Millionen Menschen wohnen - und 2 Millionen davon eben in Slums, das heisst, die Mehrheit, das macht schon einen Unterschied. Das sind Verhältnisse, die sich jenen nähern, die es in einigen der ärmsten Länder des Kontinents gibt. Denise: Ich kann mal versuchen, das zu vergleichen mit den Dingen, die mir vor kurzem auffielen, als ich in Europa war. Da hatte ich in mehreren Ländern, auch in Deutschland den Eindruck, es entwickeln sich zwei Welten - das Gerede der Politiker und das Geschreibsel der Journaille haben gar nichts mehr mit dem Leben einer wachsenden Zahl von Menschen zu tun, die das auch zunehmend gleichgültiger und wütender werden lässt. Und genau so ist es auch hier - nur eben schon immer, seit der Unabhängigkeit. Peter: Das muss man doch verstehen können: wenn das Bankengeschäft, der Tourismus und die Telefongesellschaften expandieren und Gewinne machen und für ausländische wie einheimische Investoren interessant werden - wie soll da jemand was davon haben, der jeden Morgen aufsteht und in die Stadt zieht, um irgendwie Geld zu verdienen? Nicht einmal einen schlechten Hilfsjob wird er da kriegen. Lyndon: Zumal es in der Regel so ist, dass wenn gesagt wird, die Investitionsbedingungen müssten verbessert werden, alle schon mal die Hütte dicht machen, weil gleich darauf die Polizei kommt. Zum Beispiel gab es in diesem Zusammenhang immer wieder heftige Jagden auf Strassenhändler die, wie alle Slumbewohner, als Sicherheitsrisiko gelten. Ja, aber es gibt doch die Kriminalität, die Gewalt und mit Sicherheit leiden die Menschen darunter, es ist doch ein Thema oder? Denise: Es ist nicht ein Thema, es ist leider das Thema. Und wer am meisten darunter leidet, sind doch nicht jene, die in abgesperrten und bewachten Bezirken leben, sondern die in den Slums, dort ist die Gewalt der Alltag. Dort regieren Geheimgesellschaften oder Sekten mit brutaler Gewalt - über deren Verbindungen zur Politik man in der Regel zwar nur spekulieren kann, die aber auf jeden Fall existieren. Existieren - auch in ethnischen Netzen? Peter: Klar auch - aber allmählich kann ich es nicht mehr hören und lesen. Wenn europäische oder amerikanische Medienmacher über "ethnische Beziehungen" in Afrika räsonnieren, dann sollen sie doch gleich schreiben, die Neger sind halt nicht reif für die Demokratie - wobei ich viel lieber darüber reden möchte, was das denn für eine Demokratie sein soll, wo man eben mal alle paar Jahre zur Wahl geht ohne eine zu haben. Keine Wahl - auch diesmal? Peter: Ich denke nicht - die waren doch gestern zusammen und sind heute auseinander nur, um morgen wieder zusammen zu sein - wie schon immer und Odinga gehört zur selben Schicht wie Kibaki, schliesslich war sein Vater schon Minister, da sind durchaus auch andere als ethnische Netzwerke am Wirken, alle die heute vorhandenen politischen Kräfte stammen samt und sonders aus der KANU. Lyndon: Ich meine das gesellschaftliche Leitbild ist Konkurrenz und Reichtum - und jeder behilft sich, wie er kann. Du musst einfach davon ausgehen, dass die allermeisten der Jungen - und die haben ja vor allem gewütet - in den Slums geboren wurden und nichts anderes kennen und wenn da Hoffnungen so brutal enttäuscht werden, dann kommt eben die grosse und ziellose Wut. Beziehungsweise: Sie sucht sich ein Ziel, und da werden dann schon ethnische Trennungen wichtig. Denise: Ja - und nein. Jetzt schau mal die Kikuyus zum Beispiel. Kenyatta war einer - die Mau Mau waren auch welche, meistens jedenfalls. Weswegen die großkotzigen Kolonialherren damals dachten, Kenyatta müsste auch ein Mau Mau sein - als ob der Interesse an einer revolutionären Politik auf dem Lande gehabt hätte - er hat sie genauso heftig unterdrückt wie die Briten vorher, da war nichts mit "mein Stamm" oder so, die machen sich das doch alle viel zu einfach, Hauptsache man hat ein Muster, da wird dann reingezwängt, was geht. Ist denn von den damaligen Ereignissen heute noch etwas wirksam? Lyndon: Und ob! Es wird gesagt, dass der Kenyattaclan 15% der kenianischen Erde besitzt - ich weiss nicht, ob das so stimmt, aber es ist in jedem Fall viel - und das gehört keinem anderen Kikuyu oder so, sondern eben dieser vielleicht reichsten Familie Kenias. Peter: Und frag mal nach, wem Kaffee oder Tee gehört, die Plantagen meine ich oder wer die Partner der Investorem in der Tourismusbranche sind und so weiter - da gilt Kapitalismus und nicht Ethnie - was nicht heisst, dass die bedient wird und erst recht nicht, dass nicht aufeinanderlos gegangen wurde - das ist passiert, immer wieder und vor allem vor und diesmal nach den Wahlen, mindestens seit 1992. Denise: Was sie stets betreiben ist eben die Säuberung der Slums und da gibt es genügend, die den schmutzigen Teil gerne übernehmen. Und wie kommt das Land, wie kommen die Menschen jetzt aus dieser Situation wieder heraus? Denise: Ich denke, es gibt - und das ist das Positive an den traurigen -ereignissen - genügend Kräfte in Kenia, die sich aktiv und intensiv gegen das Morden gerichtet haben, darauf setze ich meine Hoffnung, und auf nichts sonst. Das fängt bei den Kirchen an und auch ein guter Teil der Gewerkschaften hat sich aufgerafft. Peter: Das sehe ich genauso und du musst ja daran denken, dass alle anderen entweder "Partei" sind, also zusammen mit den Kontrahenten gearbeitet haben oder zumindest so gesehen werden, das Vertrauen ist da gleich Null. Lyndon: Es gab auch ganz anderes in verschiedenen Armengebieten - Patrouillen wurden in einer ganzen Reihe organisiert, um alle zu entwaffnen - das muss von uns kommen, von niemand sonst. (Die Fragen stellte hrw) |