Der folgende Artikel wurde in der unabhängigen linken italienischen Tageszeitung "il manifesto" vom 12.12.1999 veröffentlicht.
Eine Hochburg der FIOM-CGIL ist gefallen. Und der finale Angriff auf die schon seit langer Zeit brüchigen Mauern ist von links gekommen. Im Fabrikrat des Fincantieri-Werkes von Ancona (720 Beschäftigte, davon 534 Arbeiter) hat sich zumindest an den Wahlurnen die Mehrheit verändert. Sieger ist der SALFA(1), die autonome Basisgewerkschaft, die im vergangenen Juli in der Fabrik entstanden ist. Sie hat 40% der Stimmen erhalten (245 in absoluten Zahlen), d.h. weit mehr als die bis jetzt erreichten 100 Mitglieder und ist damit Erster vor den anderen drei Listen, denen von FIOM, FIM und UILM(2). Besiegt und zerrissen ist vor allem die FIOM, die bei den Arbeitern immer in der Mehrheit gewesen ist. Bis vor zwei Jahren hatte sie sogar die absolute Mehrheit und noch heute über 300 Mitglieder im Betrieb. Dennoch hat dieses Mal nicht einmal 200 Stimmen erreicht. Bei den Arbeitern wurde sie Zweite (170 Stimmen), bei den Angestellten Letzte (23 Stimmen) ein Mitglied von dreien hat sie nicht gewählt. Und niemand konnte die Niederlage rechtfertigen, indem er sich an die glitschigen Wände der Wahlenthaltung klammerte, weil man seit Jahren nicht soviele Arbeiter gezählt hat, die zur Wahl gegangen sind. Die örtlichen konföderalen Gewerkschaften (3) staunen ungläubig.
Und doch kam das Ergebnis nicht ganz so unerwartet, denn schon im August war es der nationale Sekretär der FIOM, Claudio Sabattini, gewesen, der in bezug auf den Fall Ancona Alarmstufe Rot ausrief und die Seinen in der Stadt mehrmals striegelte, um die tiefgreifenden inneren Risse aufzuhalten und zu versuchen eine erstarrte interne Vertretung(4) zu erneuern. Er wurde nicht erhört. Trotzdem der SALFA gerade aus einer Rippe der FIOM entstanden ist (die Gründer waren ehemalige FIOM-Mitglieder) sind von 46 Mitgliedern, die die FIOM im vergangenen Juli in einer Woche verloren hat, alle in die neue Basisgruppe übergewechselt.
Die Wahl ist das Abbild der wachsenden Unzufriedenheit in einer Fabrik, wo mehr als 50% der Beschäftigten weniger als 30 Jahre alt sind und für die daher die traditionellen ideologischen Motivationen, die Lagerwahl und das Mitgliedsbuch nicht zählen. Der SALFA hat gewonnen, weil er die gegenwärtigen Beunruhigungen und die Zukunftsängste vertritt. Weil der SALFA der äußerst unsicheren Privatisierung der Fincantieri (festgesetztes Datum dafür: Juni 2000) mit einer desaströsen menschlichen und ökonomischen Bilanz nachgeht.
Von Januar bis heute hat das Loch in der Bilanz 120 Milliarden Lire erreicht <gut 120 Millionen DM /d.Ü.> und zwar aufgrund von Knebelverträgen, die von einer, laut allen, unfähigen Geschäftsleitung mit den Auftraggebern abgeschlossen wurden, denen aber, laut dem SALFA, von den konföderalen Gewerkschaften seit langem nicht wirksam entgegengetreten wurde. Knebelverträge wie jenen für die 3 Thorline-Schiffe, d.h. unmögliche Lieferzeiten und 63 Millionen Lire <gut 63 000 DM /d.Ü.> Vertragsstrafe für jeden Tag Verspätung. Von drei Schiffen sind zwei zu 80% gebaut und anderswo vollendet worden. Eines wurde ein Jahr nach dem vorgesehenen Liefertermin übergeben. Die Thorline kann sich somit bei der Werft in Ancona bedanken: Von 3 Schiffen hat sie 2 gratis bekommen.
Dieselbe Geschichte beim Vertrag über 4 Schiffe für die Orsero-Gruppe: 2 nach der maximalen Bauzeit übergeben, 2 noch im Bau und nach Monaten und Monaten weiß man niemand wie lange das Zahlen von 43 Millionen Lire <gut 43 000 DM /d.Ü.> Strafe pro Tag durch die dorische Fincantieri noch dauern wird. Der SALFA aber ist entstanden als die Gesundheitsfrage beim Bau zweier Schiffe für den Transport Chemikalien explodierte. Gebaut wurden diese mit Inox-Duplex-Stahl, der ein Molekül (das R 45) erzeugt, das vom Gesetz Nr. 626 als krebserregend klassifiziert worden ist. Im vergangenen Juli haben die Arbeiter die alte RSU "verklagt", weil sie unfähig war sie gegenüber einer rücksichtslosen Firma zu schützen.
Vier Monate nach Beginn der Arbeiten ist die Situation trotz der strengen Anordnungen des Arbeitsgerichtes unverändert. Bei keinem der eingesetzten Arbeiter wurde beispielsweise jemals der Urin analysiert, was von den Medizinern bei jedem Schichtbeginn und Schichtende jeden Tag verordnet worden ist.
Und desweiteren erklärt Luciano Marconi vom SALFA gibt es die moralische Frage der wilden Auftragsvergabe. 140 Fremdfirmen erledigen offiziell Auftragsarbeiten. Die offizielle Zahl der dabei Beschäftigten beträgt 800, viele davon Nicht-EU-Ausländer.
Für zuviele aufreibende Schichten gibt es zuviele Rechtlose: 3 Dollar <rund 6 DM> gibt es für die Ausländer, der Großteil der Italiener erhält Löhne zwischen 28 000 und 38 000 Lire am Tag <28 38 DM>. Ein alles einschließendes Paket ohne Urlaub und Krankheit, die zu Hause verborgen wird, bis hin zur Entlassung, wenn man verunglückt. "Die konföderalen Gewerkschaften hatten die Augen davor geschlossen und waren nicht mehr in der Lage die stichhaltigen Bedürfnisse zu vertreten, die für diejenigen konkret sind, die hier drinnen jeden Tag mit den eigenen Ängsten kämpfen." Es ist noch immer Marconi, der das erklärt. Er, der als DS-Stadtrat (5) der FIOM-Kader war, der Sabattini informiert hatte, um die gewerkschaftliche Erneuerung in der Werft zu leiten. Er ist jedoch von der örtlichen CGIL- und FIOM-Führung wegen der kritischen Intervention vor drei Monaten, die gerade auf den Seiten von "il manifesto" stattfand, bestraft und isoliert worden. Heute ist Marconi im SALFA. "Wir haben nicht verstanden, wie schwer die Krankheit war", konnte Anacleto Giuliani, der regionale Koordinator der FIOM, nur noch feststellen. Der SALFA hat die Mehrheit errungen, aber nur an den Urnen in der RSU hat er 4 von 15 Delegierten. Die "Schutzklausel" schützt die konföderalen Gewerkschaften und <damit auch /d.Ü.> die FIOM. Mit den 35% bewahrt man sich 6 Delegierte. (6)
Übersetzung: Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover
1) Abkürzung für: Autonome Gewerkschaft der Arbeiter der Fincantieri-Werft von Ancona.
2) Die Metallarbeitergewerkschaften der drei großen sozialpartnerschaftlichen italienischen Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL.
3) Der gängige Ausdruck für CGIL-CISL-UIL und ihre Einzelgewerkschaften.
4) Gemeint ist die Einheitliche Gewerkschaftliche Vertretung (RSU) im Betrieb, in Italien eine Mischung aus Vertrauensleutekörper und Betriebs- bzw. Personalrat.
5) Die DS (Linksdemokraten) sind Anfang 1990 aus dem rechten Mehrheitsflügel der italienischen KP hervorgegangen, die sie damals auflösten, und stellen heute als größte sozialdemokratische und Regierungspartei auch den amtierenden Ministerpräsidenten Massimo D'Alema.
6) Was hier angesprochen wird, ist die jeder sogenannten Demokratie hohnsprechende Regelung, daß 35% aller RSU-Sitze nicht gewählt werden, sondern von vornherein für CGIL-CISL-UIL reserviert sind und unter diesen, entsprechend ihrem Stimmenanteil, aufgeteilt werden. Eine Regelung, die in der konzertierten Aktion getroffen wurde und trotz eines erfolgreichen Referendums dagegen eiskalt beibehalten wird. Angeblich soll sie betriebsegoistischen Tendenzen vorbeugen.
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