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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Der Arbeiteraufstand von Suzzara "Die zweihundert Arbeiter der Iveco, die über zwei Stunden auf den Geleisen von Suzzara demonstrierten, haben um 18.15 die Linie Modena-Mantova freigegeben und die Züge wieder zirkulieren lassen. Die Besetzung dieses Nachmittags hat zur Streichung von zwei Zügen zwischen Modena und Carpi geführt und zur teilweisen Annullierung einiger Kompositionen, die durch einen Busdienst zwischen Gonzaga und Mantova ersetzt wurden." Das ist die knappe Nachricht, die der "Resto del Carlino" von Modena am vergangenen 13. Oktober veröffentlicht hat. Kein Wort über die Gründe, weshalb die Arbeiter die Gleise besetzt haben! Offensichtlich interessieren den Schreiberling und seine Leser mehr die Pünktlichkeit der Züge als die Probleme der Arbeiter. Der "Corriere della Sera" hat wenigstens einen einzigen Satz über die Ursache des Protests aufgewendet: "Die Besetzung war die Reaktion der Arbeiter von Iveco auf die Mitteilung, dass die Firma - nach dem Treffen, das am Morgen mit Betriebsrat und Gewerkschaften stattgefunden hatte - die Streichung der 160 befristeten Verträge bestätigt hat." Mit dieser dürren Notiz haben sich die Leser der angesehenen Mailänder Zeitung zweifellos zufrieden gegeben. Sind sie doch an weit grössere Zahlen gewohnt: Was sind schon 160 Arbeitsplätze im Vergleich zu den Milliarden, welche die Regierungen ausgeben, um die Banken zu retten! Wer mehr über den Arbeiteraufstand von Suzzara (Mantova) wissen will, dem bleibt nichts anderes übrig, als in den Weiten des Internets in Blogs zu forschen, in denen sich die Arbeiter zu Wort melden. Hier der authentische Bericht eines Arbeiters im Blog von "orgoglio operaio" (Arbeiterstolz): "Seit Juni haben sie fast 400 Personen entlassen und ab vorgestern weitere 160, im Takt von 40 jede Woche! Bis am Donnerstagnachmittag [9. Oktober] waren noch alle Arbeitsverhältnisse dieser 160 Arbeiter bestätigt, während im Laufe des Abends die Firma IVECO sich darum gekümmert hat, ihnen zu telefonieren und zu sagen, sie brauchten am Freitag nicht mehr zur Arbeit zu kommen, da ihre Verträge nicht mehr erneuert würden. Gestern Morgen haben sich Arbeiter und Firma an einen Tisch gesetzt, um eine Übereinkunft zu suchen, aber die Firma hat klargemacht, dass die Verträge keinesfalls mehr erneuert würden. Darauf ist alles Möglich passiert, ein ganzes Werk von über 1000 Personen hat sich entleert. Um gegen die Politik der Firma zu protestieren, wurden auch die Strassen blockiert, was zur Ankunft der Ordnungskräfte und auch eines Fernsehteams von RAI3 geführt hat. Dann haben die Gemeinde- und Provinzbehörden zu Gunsten der Arbeiter gesprochen, ein wenig Ruhe ist aber erst im späteren Nachmittag eingekehrt. Nun frage ich mich, wenn schon eine Equipe von RAI3 da war, weshalb hat denn keine einzige Tagesschau darüber berichtet? Vielleicht weil es angenehmer ist, wenn die Leute nicht wissen, wie sich eine grosse Firma wie die IVECO aufführt, die überdies zur FIAT-Gruppe gehört?!!!! Es gelang, für Montagmorgen ein Treffen zwsichen der Firma und den Gewerkschaften zu vereinbaren, aber die Firma hat bereits klar gemacht, dass die Entlassenen nicht wieder eingestellt und die Kurzarbeit ausgedehnt werde. Zwischen September und Oktober haben wir bereits 7 Tage gemacht, für November hatten sie beschlossen, nur 3 Tage zu machen und jetzt haben sie stattdessen 10 beschlossen und im Dezember werden sie uns vom 12. an in den vorgezogenen Urlaub schicken bis Mitte Januar. Nie hätte ich damit gerechnet, dass man zu einem derart tragischen Schluss kommen würde, nachdem bis im Juli auch eine Spezialschicht in der Nacht gefahren wurde, weil die Produktion erhöht worden war. Sie hatten versprochen, dass das während des ganzen 2009 angedauern würde, so ist es jedoch nicht gewesen." Unter den verschiedenen Kommentaren im Blog "orgoglio operaio" findet man auch den sarkastischen Vorschlag, den Artikel 1 der italienischen Verfassung der traurigen Wirklichkeit von heute anzupassen: "Italien ist eine demokratische Republik, die auf der PREKÄREN Arbeit aufgebaut ist"... Ein anderer erinnert daran, wie noch im Mai 2007 die "Gazzetta di Mantova" voller Begeisterung über die IVECO wie von einer "Traumfabrik" geschrieben hatte: Investitionen für mehrere Tausende von Milionen Euro, 600 vorgesehene Anstellungen, für eine Tagesproduktion, die innerhalb des Jahres 2007 350 neue "Daily" erreichen wird. Um der Produktionsspitze zu begegnen, wurde auch eine freiwillige Nachtschicht eingeführt. Das Werk der Iveco von Suzzara fliegt einem historischen Rekord entgegen, sowohl hinsichtlich Produktion als auch Beschäftigung. Man rechnet bis Ende 2007 mit einem Ausstoss von 75 000 leichten Fahrzeugen. Bis im 2010 wird es Arbeit für dreitausend Personen geben mit einer Produktion von 500 Fahrzeugen am Tag. Die Gruppe Fiat hat das Suzzareser Werk zum "Auftragsleader" erklärt. Zuerst, um die Produktionsspitzen zu brechen, wurden jede Menge Arbeitskräfte angestellt, Nachtschichten gefahren, und dann, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, wirft man die Arbeiter von einem Tag auf den anderen hinaus. Kein Wunder, dass die Enttäuschung gross ist und die Wut zunimmt, wie die Stellungnahme eines andern Arbeiters bezeugt: "Aus einem ganz bestimmten Grund bin ich derart wütend... Als wir ins Werk von Suzzara gekommen sind, haben uns die Herren Betriebsräte übers Ohr gehauen: WERDET MITGLIED, UM ALLES ANDERE KÜMMERN WIR UNS!!!!! Und wir, derart hereingelegt, sind beigetreten! Jetzt sind sie alle verschwunden... Ich bin enttäuscht, dass die, die unse Interessen hätten vertreten sollen, uns nur ausgenützt haben!!!!!" Das also ist der Grund, weshalb die Arbeiter derart schlecht auf die Gewerkschaftsführer zu sprechen sind, wie am Abend des 10. Oktobers auf " MANTOVA.COM - das Portal von Mantova" zu lesen war : "Während der Versammlung im Betrieb, die am Morgen stattgefunden hat, ist der Sekretär der UILM (Metallarbeitergewerkschaft der UIL), Luciano di Pardo von einem Puddingbecher am Auge getroffen worden. Die Arbeiter haben dann das kleine Gebäude der Direktion erreicht und drohende Sprechchöre gegen die Firmenleitung gerufen. Um 14.30 Uhr haben sie den Kreisel auf der Provinzstrasse erreicht und den Verkehr buchstäblich zum Erliegen gebracht. (...) Während beider Schichten haben heute Versammlungen und Strassendemonstrationen in der Umgebung des Werks stattgefunden. Um die Ordnung aufrechtzuerhalten waren Patrouillen der Polizei, der Carabinieri und der Gemeindepolizei vor Ort. Am Morgen war die von den Manifestanten besetzte Provinzstrasse vollständig geschlossen." Vielleicht dachte jemand, dass sich nach der Revolte vom Freitag, 10. Oktober die Gemüter wieder beruhigt oder wenigstens in dem von den Gewerkschaften vorgesehenen Rahmen bewegt hätten, wie der Bericht in der " Gazzetta di Mantova" über die Ereignisse vom Montag, 13. Oktober hätte vermuten lassen: "Anfänglich bestanden die Kampfmassnahmen von FIM, FIOM und UILM in einem vierstündigen Streik der betroffenen Betriebe und der Betriebsräte anderer Firmen der Gegend, mit Kundgebungen an den Kreiseln, mit Fahnen und Spruchbändern, ohne den Verkehr zu blockieren, ihn vielmehr nur zu verlangsamen." Doch dann, wie einst im "heissen Herbst", haben für einmal einzig die Arbeiter entschieden, wie gekämpft wird. Was sich am 13. Oktober in Suzzara zugetragen hat, bezeugt ein anderer, detaillierter Bericht auf A-Infos: "Der Kampf der Arbeiter der Iveco von Suzzara geht weiter. Ihnen angeschlossen haben sich auch Arbeiter anderer lokaler Firmen, die ebenfalls für die Iveco produzieren, so dass die Produktion völlig stillgelegt ist. Die Iveco hat sich keinen Schritt von ihren Entschlüssen entfernt, im Gegenteil, gestern hat man schliesslich herausgefunden, dass es nicht nur 160 sind, die entlassen werden, sondern viel mehr, weil viele Leute noch einen befristeten Arbeitsvertrag haben, der im nächsten Jahr ausläuft, nebst all jenen, die mit einem halbjährigen Ausbildungsvertrag angestellt worden sind. Auch für diese hat die Firma mit klaren Worten gesagt, dass sie ihnen nichts garantieren könne. Angesichts der letzten traurigen Resultate kann man sich vorstellen, wie es ausgehen wird... Gestern auf der Strasse haben sich die Arbeiter erhoben. Sie haben die Eisenbahnlinie blockiert, die Modena mit Verona verbindet, die Eingänge der Fabrik und haben versucht, die Autobahnanschlüsse in der Nähe von Suzzara sowie einige Hauptstrassen von Suzzara zu besetzen. Gestern hat ein Funktionär des Polizeipräsidiums von Mantova die Manifestanten filmen lassen und ihnen gedroht, sie würden identifiziert und wegen Störung des öffentlichen Verkehrs angeklagt. Die Drohungen haben nichts gebracht, um die Arbeiter davon abzuhalten, sie haben sich nicht gerührt, und es sind sogar noch andere dazu gekommen!!!! Man muss jedoch darauf hinweisen, dass das alles völlig friedlich abgelaufen ist, ohne auch nur einen Finger zu rühren und ohne irgend etwas gegen die Firma oder gegen einige Leiter zu sagen, es wurde nur gerufen: Wir wollen arbeiten und haben Hunger!!!!!!!! Der Versuch, Suzzara von den Genossen und kämpfenden Freunden zu isolieren, ist gelungen. Heute um 11.30 Uhr hat der Präfekt Gewerkschaften und Firma zusammengerufen, um eine Lösung zu finden, die allen passt. Die Demonstranten legen Wert darauf, dass alle Manifestationen friedlich abgelaufen sind, vielleicht ausser jenem Automobilisten, der nach meiner Meinung gefühllos und dumm den Kopf verloren hat, doch dank deim Eingreifen der Ordnungskräfte ist nichts geschehen. Jedenfalls stimmen die Zahlen überhaupt nicht, die von den Zeitungen verbreitet werden und von max. 200 Personen sprechen, heute Morgen waren es wenigstens 700/800!!! Ausserdem hat man erfahren, dass ein Abgeordneter des PD (Partito Democratico), der On. Marco Carra, der in der Provinz von Mantova gewählt wurde, morgen im Parlament über die Lage bei Iveco sprechen wird, obwohl die Arbeiter inzwischen kein Vertrauen mehr in die Politiker und Gewerkschaften haben. In der Tat waren bei den Initiativen, die heute ergriffen wurden, wenige Gewerkschafter anwesend; vielleicht haben die andern es vorgezogen wegzubleiben, um es mit der Firma nicht zu verderben. Wie üblich kommt die Politik immer zu spät !!!! Und sie zeigen, dass sie nichts gelernt haben aus der Vergangenheit, im Gegenteil... Und die Gewerkschaften? Sie sind viel zu nahe bei der Politik und zu weit weg von den Arbeitern, und nach meiner Meinung, wenn sie so weitermachen ... dann wird von ihnen nicht viel übrigbleiben. Die Arbeiter hingegen haben klar gezeigt, wie ein Kampf geführt werden muss im Interese aller, und wie die Arbeiter, wenn sie zusammenstehen, sich Gehör verschaffen können, obwohl jemand sie mit allen Mitteln zum Schweigen bringen will..." Nach dem Arbeiteraufstand von Suzzara haben Politiker und Gewerkschafter die Angelegenheit wieder in die Hand genommen, wie die " Gazzetta di Mantova" schreibt: "Inzwischen ist für Sonntag, 19. Oktober, um 10 Uhr, ein offener Gemeinderat einberufen worden, an dem die Betriebsräte der Iveco, die Provinzsekretäre von Fim, Fiom und Uilm sowe der Cgil, Cisl und Uil teilnehmen, ausserdem die Bürgermeister des Basso Mantovano, der Präsident der " Consulta Economica d'Area" sowie Parlamentarier. Am Montag, 20. Oktober wird der Betriebsrat der Iveco die Arbeiter zu einer Versammlung zusammenrufen, um sie darüber zu informieren, was am Verhandlungstisch mit dem Präfekten von Mantova und im Gemeinderat diskutiert wurde. Ausserdem arbeiten Fim, Fiom und Uilm gemeinsam daran, um eine Kundgebung mit allen auf dem Gebiet von Suzzara betroffenen Fabriken zu organisieren." Man wird also bald einmal erfahren, was im Gemeinderat von Suzzara besprochen wurde - und auch, wie es die Arbeiter aufgenommen haben. Im Übrigen stellt sich die Frage, ob dieser Arbeiteraufstand ein vereinzelter Ausbruch bleibt oder ob es gelingt, ihn in einen gut organiserten Kampf zu verwandeln, der einen langen Atem hat, wie jener in den SBB-Werkstätten von Bellinzona oder bei INNSE in Mailand. - rth Der Arbeiteraufstand von Suzzara auf youtube:
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