Home > Internationales > Italien > rosso4
Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Ein Kommentar von Rosso (Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover) zu:

Abstimmung über soziales Reformpaket in Italien erfolgreich - Gewerkschafter stärken Regierung Prodi den Rücken

„Eine große Mehrheit der italienischen Arbeiter und Gewerkschafter hat für einen Anstieg des Rentenalters gestimmt - und damit den angeschlagenen Regierungschef Prodi gestärkt. Das Reformpaket sieht auch soziale Verbesserungen vor…“ Bericht von Jörg Seisselberg, ARD-Hörfunkstudio Rom vom 11.10.2007 externer Link

Der Beitrag des ARD-Korrespondenten Jörg Seisselberg vom 11.10.2007 ist in allem was er sagt richtig, nur die Gewichtung und die nicht erwähnten Fakten beeinträchtigen die Qualität ein wenig. Das Endresultat betrug den offiziellen Angaben der drei großen Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL zufolge 82% Ja und knapp 18% Nein zur Rentenreform und zur geringfügigen Abmilderung des 2003 von der Berlusconi-Regierung eingeführten Gesetzes Nr.30 ("Biagi-Gesetz"), das auf das mitte-linke "Treu-Gesetz" von 1997/98 aufbaut und den Einsatz von Leiharbeitern, Unterbezahlung von "Auszubildenden" und andere Formen der Prekarisierung massiv erleichtert. Auf ein sehr bedeutendes Teilergebnis kommt Herr Seisselberg leider erst unter ferner liefen zu sprechen, dass nämlich im FIAT-Konzern das NEIN mit76% ganz deutlich die Mehrheit hatte. Insgesamt überwog unter den Metallern mit 50-53% (der genaue Wert ist strittig) die Ablehnung bzw. gab es ein Pari. In den größten Call Centern gab es übrigens sehr unterschiedliche Ergebnisse, die von 75% Nein über 50-50 bis 80% Ja-Stimmen reichten.

Grund dafür ist insbesondere das Abstimmungsverhalten der Rentner, die die Hälfte der CGIL-CISL-UIL-Mitglieder ausmachen und zu 94% (!) mit JA stimmten, 1.) um - drastisch gesagt - ihren eigenen Arsch zu retten, d.h. die Finanzierung der jetzt ausgezahlten Renten durch spätere Verrentung der nachfolgenden Jahrgänge abzusichern und 2.) weil sie noch fast komplett die alte Tradition des PCI-Gehorsams gegenüber der Gewerkschaftsführung auszeichnet. Traditionell sieht die Gewerkschaftslinke in der Rentnergewerkschaft der CGIL (der SPI-CGIL) kein Land, obwohl sie in der Urabstimmung der Mitglieder vor dem letzten CGIL-Kongres insgesamt auf gut 20% der Stimmen kam. Die Pensionäre folgen nicht nur treu ihrer Gewerkschaftsführung, sondern auch ihrer "befreundeten Regierung Prodi", "weil sich das eben so gehört", denn sonst kommt ja wieder der böse Berlusconi ans Ruder (... und setzt das Werk von Prodi & Co. fort!).

Das Ergebnis des Referendums wird von den beiden Teilen der CGIL-Linken (Rete 28 Aprile und Lavoro e Società) sowie von der mit Abstand größten Metallarbeitergewerkschaft des Landes FIOM-CGIL (350.000 Mitglieder) angefochten, weil eine Reihe von Fällen belegt sind, wo ein und dasselbe CGIL-Mitglied in drei verschiedenen Wahllokalen seine Stimme abgeben konnte, ohne dass es Probleme gab. Außerdem stehen die veröffentlichten Gesamtergebnisse in einigen Städten in krassem Widerspruch zu allen bedeutenden Einzelergebnissen in den örtlichen größeren Betrieben und Verwaltungen. Und natürlich wurde insbesondere von CGIL-Generalsekretär Guglielmo Epifani kurz vor der Abstimmung massiv Druck ausgeübt und zum Beispiel dem Koordinator von Lavoro e Societá und Mitglied des Nationalen CGIL-Sekretariats, Nicolosi, indirekt mit Strafmaßnahmen gedroht. (Dem Kopf des Rete 28 Aprile und Nr. 2 der FIOM, Giorgio Cremaschi, hatte er bereits vor Monaten mit Gewerkschaftsausschluss gedroht, wenn der weiterhin mit den linken Basiskomitees COBAS zusammenarbeiten und deren Streiks viel Erfolg wünschen sollte.) Epifanis Äußerungen kurz vor der Abstimmung am 8.-10.Oktober 2007 und vielen Kommentaren wichtiger bürgerlicher Tageszeitungen war zu entnehmen, dass alle zwar mit einem Ja, aber mit einem recht knappen Ja zu den Gegenreformen rechneten. Und beispielsweise 40% Nein-Stimmen hätten Epifani höchstwahrscheinlich zum Rücktritt gezwungen und die CGIL-Bürokratie in noch größere Probleme und Konfusion gestürzt als das ohnehin schon (und auch weiterhin) der Fall ist.

Dass es dennoch ein so klares Ja gab, liegt meines Erachtens nur zu einem kleinen Teil an Ergebnismanipulationenen durch die Gewerkschaftsbürokratie. Das dürfte sich im auch bei uns üblichen Rahmen von 3 bis 5 Prozentpunkten bewegt haben. Die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder (auch der Erwerbstätigen!) wollte Prodi offenbar noch eine letzte Chance geben. Dafür spricht auch die hohe Beteiligung (offiziell "eine Million", real ca. 40.000 Menschen) an der von den drei linken Zeitungen "il manifesto", "Liberazione" und "Carta" initiierten Großdemo gegen Prekarisierung, für eine friedliche Außenpolitik etc. am Samstag, den 20.Oktober 2007 in Rom, die organisatorisch vor allem von den Regierungsparteien Rifondazione Comunista, Partei der Italienischen Kommunisten (PdCI), der CGIL-Linken,der FIOM, der linken Kulturorganisation ARCI etc. getragen wurde. Die CGIL-Spitze, die die Demo ablehnte und aktive Gegenpropaganda betrieb, hatte wenige Tage vor der Demo ihren Mitgliedern - bei Androhung von Sanktionen - das Mitführen von CGIL-Fahnen und -Symbolen untersagt. Darüber setzten sich mehrere tausend Gewerkschafter hinweg. Es gab ein Meer von CGIL-Fahnen. Außerdem wurden aus diesem Anlass Tausende "Io CGIL" (Ich CGIL)-Aufkleber gedruckt, die massenhaft getragen wurden.

Sehr spannend für die gewerkschaftliche Entwicklung auch im übrigen Europa wird das sein, was sich in den kommenden Tagen innerhalb der CGIL abspielt. Dort hatte die FIOM mit dem Beschluss ihres Zentralkomitees Mitte September 2007 (Mehr als 80% Nein-Stimmen zu den beiden Gegenreformen bzw. den entsprechenden Abkommen der CGIL-CISL-UIL und der Prodi-Regierung) etwas gewagt, was es in der gesamten italienischen Nachkriegsgeschichte noch nie gegeben hatte: ganz offiziell und eindeutig gegen das Abkommen der Führung des eigenen Gewerkschaftsbundes zu votieren. Damit, mit dem gegensätzlichen Abstimmungserbnis bei der Urabstimmung (82% Ja, bei allen Metallern aber 50-53% Nein und unter den FIOM-Mitgliedern wahrscheinlich 60-65% Nein) bzw. mit der Beteiligung der FIOM und ihrer Führung an der Demo vom Samstag hat sich der Riss innerhalb der CGIL enorm vertieft. Zumal das ganze bereits eine bedeutende Vorgeschichte hat: Die offene Opposition der FIOM-Führung unter Gianni Rinaldini gegen die sozialpartnerschaftliche Politik der CGIL-Spitze und das Eintreten für mehr gewerkschaftliche Demokratie auf dem letzten CGIL-Kongress und die massive Beteiligung an der, von der radikalen Linken (auch den COBAS etc.!) organisierten Anti-Prekaritätsdemo im November 2006, was Epifani ausdrücklich untersagt hatte Ein Verbot, dass die FIOM schlicht ignorierte und wesentlich zum Gelingen der damaligen Demo beitrug.

In der Ausgabe des ehemaligen PCI-Zentralorgans "l'Unitá" (heute eine offen sozialdemokratische Tageszeitung) vom 22.10.2007 (also der heutigen Ausgabe) warnt Epifani denn auch unverblühmt vor einem Zerbrechen der CGIL und der Gründung einer klassenkämpferischen "vierten Gewerkschaft" durch die FIOM zusammen mit den COBAS und anderen linken Basisgewerkschaften wie SdL, RdB, CUB etc. Die FIAT-eigene Tageszeitung "La Stampa" hatte bereits am 13.9.2007 einen Leitartikel veröffentlicht mit dem Titel: "FIOM – CGIL -- zwei Gewerkschaftsmodelle".

Übersetzungen zu dieser spannenden Entwicklung sind in Arbeit.

Rosso (Mitglied des Gewerkschaftsforums Hannover), Kontakt: negroamaro@mymail.ch


Home | Impressum | Über uns | Kontakt | Fördermitgliedschaft | Newsletter | Volltextsuche
Branchennachrichten | Diskussion | Internationales | Solidarität gefragt!
Termine und Veranstaltungen | Kriege | Galerie | Kooperationspartner
AK Internationalismus IG Metall Berlin | express | Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
zum Seitenanfang