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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die Organisation der ArbeiterInnen

«Sich als Arbeiter zu organisieren und als solche zu handeln, ist bereits ein Programm.» Mit dieser Feststellung beginnt ein Aufruf unter dem Titel "Am Anfang war eine informelle Arbeiterpartei" pdf-Datei, verfasst von einigen INNSE-Arbeitern. Es sind dieselben, die den langen Kampf gegen die Schliessung ihrer Fabrik angeführt haben. Das wichtige Dokument fasst ihre Erfahrungen zusammen, nicht nur in den berühmten 16 Monaten Betriebsbesetzung, sondern in vielen Jahren des Kampfes gegen den Fabrikbesitzer, gegen die Fabrikbesitzer, gegen die verschieden Besitzer der INNSE. Darin präzisieren sie ihre Vorstellungen von der Organisation der ArbeiterInnen, die sie "partito operaio" - "Arbeiterpartei" - nennen und die auch informell bestehen könne. Denn - wie sie bekräftigen - die Arbeiter «brauchen kein fertiges Programm, bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet, mit einer Liste von Forderungen, halbwegs zwischen grossspurigen Zielen und kleinen, vergänglichen Ergebnissen.»

Wer die Arbeiterkämpfe in verschiedenen Betrieben, in mehreren Ländern und unterschiedlichen Ausgangslagen studiert und unterstützt, kommt nicht darum herum, eine Verwandtschaft festzustellen unter den einzelnen Kämpfen, die von den ArbeiterInnen selbst angeführt worden sind, ohne Vorherrschaft von Gewerkschaftsspitzen und politischen Parteien. In jedem dieser Arbeiterkämpfe taucht dieselbe Auffassung auf, auch wenn sie von einem Kampf zum andern in unterschiedlichen Worten ausgedrückt wird: Es ist die Entscheidung, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, sich als ArbeiterInnen zu organisieren und andern nicht mehr zu erlauben, in ihrem Namen zu sprechen. Die Arbeiter der Officine von Bellinzona haben ihre Autonomie mit dem Grundsatz «Niente etichette politiche!» (keine politischen Etiketten!) verteidigt, die Arbeiter der INNSE verwenden den Begriff der «centralità operaia» (zentrale Bedeutung der Arbeiter), und im Textilkombinat RASKA in Serbien fordern die Arbeiterinnen und Arbeiter: "Politik raus aus den Fabriken, für immer!"

Offensichtlich meinen alle, auch wenn sie es in verschiedenen Worten ausdrücken, die bürgerliche Politik. Es ist die Politik der Unternehmer und Kapitalbesitzer, die Politik der feindlichen Klasse und des Staates, die sie für immer aus den Fabriken werfen wollen. Denn sie wissen oder ahnen es zumindest, dass sie ihre eigenen Interessen als ArbeiterInnen nur verteidigen können, wenn sie sich von den bürgerlichen Ideen von rechts und links befreien und ein für allemal die Politik des kleineren Übels begraben. Die Politik des "Lieber den Spatz in der Hand...", die Politik des "sozialen Friedens", des "historischen Kompromisses", der Versöhnung zwischen der Arbeiterklasse und der Klasse der Kapitalbesitzer. Es sind nicht die Sitzungszimmer und Parlamentskammern, wo die ArbeiterInnen Politik machen. Die Fabriken, die Arbeitsplätze, die Strassen sind vielmehr das Schlachtfeld, wo die berühmten Barrikaden errichtet werden. Heute im Kopf durch die Befreiung von der bürgerlichen Vorherrschaft, morgen vielleicht auch im eigentlichen Sinne des Wortes...

Wenn man die verschiedenen Arbeiterkämpfe untersucht, stellt man fest, dass die ArbeiterInnen immer dann gesiegt haben, wenn sie es geschafft haben, ihre Autonomie als ArbeiterInnen zu erobern. Demgegenüber sind alle Kämpfe verloren gegangen, bei denen es den Gewerkschaftsspitzen und Parteien gelungen ist, die ArbeiterInnen davon zu überzeugen, den ausgehandelten Kompromiss, den "Spatz in der Hand", anzunehmen, bei dem möglicherweise ein Teil der Arbeitsplätze gerettet, gleichzeitig aber die Arbeiterfront gespalten und von Neuem die Konkurrenz unter den ArbeiterInnen angestachelt wurde, worauf sich ein Gefühl der Resignation und Verbitterung breitmachte. Es ist von grösster Wichtigkeit, diese entscheidenden Faktoren nicht aus den Augen zu verlieren! Denn es zeichnet sich ab, dass die Gewerkschaftsspitzen, wenn die Wut der ArbeiterInnen in eine Rebellion umzuschlagen droht, nicht zögern werden, auch zu Kampfmitteln wie Streiks und Betriebsbesetzungen zu greifen, bloss um nicht ihre Vorherrschaft über die ArbeiterInnen zu verlieren. Es sind nicht die Kampfformen, die über Sieg oder Niederlage entscheiden! Diese können (und müssen) von einem Kampf zum andern angepasst werden. Entscheidend ist vielmehr die Autonomie, die im und durch den Kampf zu erobern es den ArbeiterInnen gelingt oder eben nicht.

In einer Zeit, in welcher der Arbeiterwiderstand gegen den Unternehmerangriff schwach ist, gilt es die rebellischen ArbeiterInnen zu sammeln und um jene vereinzelten Fabriken herum, wo die ArbeiterInnen gesiegt haben, wie die Officine von Bellinzona oder die INNSE Mailand, ein immer weiter um sich greifendes Solidaritätsnetz aufzubauen, das über die Grenzen der Nationen, Sprachen und Kulturen hinausgeht. Auf diese Weise kann die Organisation und Vereinigung der ArbeiterInnen (ob wir sie nun "informelle Arbeiterpartei" nennen wollen oder nicht) auch zu einem Bezugspunkt für alle andern Lohnabhängigen werden, die der bürgerlichen Vorherrschaft noch viel stärker ausgesetzt sind. Dieses Vorhaben - das sei klargestellt! - kann nur erfolgreich verwirklicht werden, wenn es auf der Idee aufbaut, die einige INNSE-Arbeiter «centralità operaia» nennen.

Mail an die Redaktion des LabourNet Germany vom 21.06.2010


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