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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Italienisch für Erwerbslose – Interview mit einer Erwerbslosenintiative aus Neapel In der Via Cesare Rassaroll findet man ein beeindruckendes Haus, ein ehemaliges öffentliches Gebäude, das heute von der Arbeitsloseninititiatve “Coordinamento di lotta per il lavoro di Napoli” (Neapels Koordination im Kampf für die Arbeit) seit einem Jahr besetzt ist. Es wird von den Erwerbslosen für die Vorbereitung sozialer Aktionen, Demonstrationen usw. genutzt. Mit einigen von ihnen wurde das Gespräch geführt. Sie berichten über den heutigen Stand der Arbeitslosensituation in Neapel und die neue Erwerbslosenbewegung, die seit einem Jahr gewisse Resonanz und Erfolge aufweisen kann. Das Interview führten Mitglieder der französischen CNT im August 2004. Seit wann seid ihr als Erwerbsloseninitiative organisiert? Der Kampf gegen Arbeitslosigkeit wird seit 1977 geführt, seit fast 30 Jahren. Es sind seitdem viele verschiedene Kollektive entstanden, die unterschiedliche Phasen der Zusammenarbeit durchgemacht haben. 1997, im Viertel San Lorenzo, entstand eine breite Bewegung aus verschiedenen Gruppen, von Studenten bis zu sozialen Zentren, um Raum und Lebensqualität in der Stadt zurückzugewinnen, z. B. durch Besetzung von Häuser. Dies hat sich vom Zentrum langsam bis in die Vororte hinein ausgebreitet. Daraus sind wir hervorgegangen. Die Gruppe wurde gegründet, um die Belange der Arbeitslosen
auf lokaler Ebene anzugehen. In Süd-Italien sind die sozialen und
Arbeitsverhätnisse sehr problematisch. Die Praxis der Günstlingswirtschaft
und die Kollaboration der Gewerkschaftsfunktionäre mit den Parteien
sind in Wie würdet ihr euch im politischen Spektrum einordnen? Wir gehören der Strömung “Antagonistische
Linke” an. Die autonome Bewegung in Italien hatte hunderttausende
Arbeiter und Erwerbslose, die mit den Organisationen der radikalen Linken
und den traditionellen Gewerkschaften gebrochen hatten, eingebunden. Diese
Bewegung basierte auf den Prinzipien der Selbstorganisation und Parteiunabhängigkeit.
Diese autonome Arbeiterbewegung war in Kollektiven organisiert, um in
Fabriken direkte Aktionen durchzuführen, Häuser zu besetzen
und Lebensmittel günstig zu beschaffen. Das alles geschah in den
1970er Jahren. Heute sind von dieser breiten Bewegung die Basisgewerkschaften
(COBAS) und soziale Zentren übrig geblieben. Die heutige Globalisierung
und die Ereignisse in Genua haben in Italien Seitdem haben sich in Genua und Rom neue Gruppen für die Forderung nach einem Garantielohn gegründet, und andere, wie die Tutti Bianchi, dafür engagiert. In Neapel arbeiten wir zusammen mit anderen Initiativen, die sich für Besetzung, Migranten und soziale Rechte einsetzen. Wir haben jedoch nichts mit Pseudo-Erwebslosenintiativen wie z. B. “Verfügbare Arbeitskraft”, die rechtsextremen Parteien wie Allianza Nazionale oder Forza Nueva nahestehen, zu tun. Sie kopieren unsere Forderungen und instrumentalisieren die Arbeitslosen, indem sie z. B. Fortbildungen finanzieren. Durch den Niedergang der kommunistischen Partei blieb die soziale Frage den rechten Parteien überlassen. Wir haben jetzt nicht nur gegen die Mafia, sondern auch gegen die Rechten zu kämpfen, um diesen Bereich zurückzuerobern. Was sind eure Forderungen? Wir fordern, vor allem, für alle das Recht auf Arbeit, mit festen, unbefristeten Stellen nach landesweit gleichen Normen, d. h. die Möglichkeit für alle, zu leben. In unserer Region gibt es 450.000 Arbeitslose. Es gibt in Europa verschiedene Typen von Einkommen für Erwerbslose: Arbeitslosengeld, Sozialhilfe usw. Bei uns gibt es nichts dergleichen. Deshalb verlangen wir einen garantierten Lohn für die Phase zwischen zwei Erwerbstätigkeiten. Das heißt, daß der ursprüngliche Lohn fortgezahlt wird, bis man einen neuen Job gefunden hat. Wir wollen kein garantiertes Einkommen, das keine Verbindung zur Arbeit hat und uns erlauben würde, nicht zu arbeiten. Wir verlangen nicht, daß uns die Gesellschaft bezahlt, während die anderen arbeiten. Idealerweise möchten wir in die Produktion integriert sein, mit festen Arbeitsverträgen, ohne Prekarität. Wir setzen uns für den Erhalt bestehender Arbeitsplätze ein, indem wir gegen Stellenabbau kämpfen. Schließlich treten wir für Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich ein, damit jeder arbeiten kann, und jeder weniger arbeiten muß. Unsere Forderungen beziehen sich nicht nur auf die Arbeit, sondern wir verlangen genauso auch volle Migrationsfreiheit, das Recht, zu studieren, was sich heute nur Wohlhabende leisten können, sowie ein öffentliches, laizistisches Bildungssystem ohne Schulgeld. Ohne das sind intellektuelle Entwicklung und Kritikfähigkeit nicht möglich. Wir kämpfen gegen die Privatisierung des Gesundheitssektors und verlangen einen hochwertigen kostenlosen sozialen Service (öffentlicher Verkehr, Gesundheit und Schulen). Schließlich engagieren wir uns für das Recht auf Wohnraum, ohne Diskriminierung und unabhängig von Parteien und Gewerkschaften. Außerdem prangern wir die etablierten Gewerkschaften an, die im Stillen mit den Chefs kollaborieren. Sie stehen den Bossen näher als den Arbeitern. Aber mit den Basisgewerkschaften haben wir gemeinsam am 1. Mai für Garantielohn und das Recht auf Arbeit demonstriert. Wie ist euer aktueller Zustand? Seit einiger Zeiten haben wir trotz einer Phase starker
Repression viel Zuspruch gefunden. Hier, wenn man Arbeit verlangt, wenn
man sich in der Bewegung gegen Arbeitslosigkeit engagiert, wirft einem
der Staat vor, daß man einer subversiven Organisation angehört.
15 bzw. 17 Prozesse wurden gegen uns geführt, einige unserer Genossen
standen bis vor sieben Monaten noch unter Hausarrest. Das bedeutet eine
Kriminalisierung der Bewegung, obwohl das Recht auf Arbeit in der Anfang 2004 haben wir in Neapel eine Demonstration mit 5.000 Erwerbslosen organisiert. Diesen September planen wir weitere Aktionen. Zur Zeit beginnen Fortbildungsmaßnahmen für Erwerbslose, die von der Region und der Zentralregierung finanziert werden. Das ist eine Errungenschaft, die wir durch unseren Kampf erreicht haben. Außerdem ist es uns gelungen, diesen Anliegen auf Landesebene Gehör zu verschaffen. Verschiedene Gesetzesinitiativen in diese Richtung wurden von einigen linken Parteien, wie PDS (Linkspartei, Ex-KP), Grünen und Refondazione Communista, eingebracht. Die Forderung nach Garantielohn ist langsam auf Landesebene zum Thema geworden, aber hat sich noch nicht durchgesetzt. Das Interview führten: Isabelle und
Rudy Erschienen in direkte aktion Nr. 165 vom September/Oktober 2004. |