Der folgende Artikel entstammt der unabhängigen linken italienischen Tageszeitung "il manifesto" vom 5.2.2000.

Telecom Italia

Über 80% beteiligen sich am Streik

Francesco Piccioni – Rom

Wenn sich die Stärke von Colaninno(1) nach der Popularität unter seinen Beschäftigten bemessen würde, wäre der gestrige Tag für ihn ein sehr schlechter Tag gewesen. Genauso wie es auf der anderen Seite ein guter Tag gewesen ist, wenn man sieht, daß sich fast 80% (2) der Telecom-Beschäftigten an dem 8stündigen nationalen Streik beteiligt haben, der praktisch von allen unter den Telefonarbeitern vertretenen Gewerkschaften angesetzt worden ist. Heftig gespalten was die Ziele, die gewerkschaftlich-politische Identität und den Grad der Verständigungsbereitschaft in den Auseinandersetzungen um die Unternehmenspläne angeht, haben sie sich im Streik alle vereint wiedergefunden. Auf der Straße haben sie unabhängig voneinander bewegt. CGIL, CISL und UIL haben sich mit dem Kommunikationsminister Cardinale getroffen, der "sich verpflichtet hat, die Möglichkeit einer Intervention in bezug auf das Geschehen im Bereich der eigenen Vorrechte zu prüfen". Draußen demonstrierten die Cobas (3), die - zusammen mit der Vereinigten Metallarbeiterföderation (FLMU)(4) – die konföderalen Gewerkschaften als "Komplizen" der Telecom betrachten, weil diese akzeptiert haben "in Sachen Arbeitszeit, Arbeitsorganisation und Ausscheiden aus der Arbeit sehr weit nachzugeben" und "über den industriellen Plan sowie über die Erneuerung des Tarifvertrages zu verhandeln, ohne irgendeinen der Betroffenen zu informieren".

Im Mittelpunkt des Konfliktes stehen auch in diesem Sektor der massenhafte Personalabbau und die äußerst gewagten/unverschämten (und auf’s Äußerste angefochtenen) Züge des neuen Chefs Colaninno auf der finanziellen Ebene, die am Tag nach der Privatisierung angekündigt wurden. Einerseits kündigt die Telecom an, sich von 13 500 Arbeitern befreien zu wollen, andererseits fährt sie fort sich Tausender von Zeitarbeitern (Hunderte in der TIM und 3 000 Akkordarbeiter in den Call-Centern von Atesia) sowie Teilzeitkräften zu bedienen. Angeklagt wird auch das von CGIL, CISL und UIL mit Telcos (von der Telecom kontrolliert) unterschriebene Abkommen über die Nutzung von 600 "atypischen" Arbeitskräften mit geteilter Mehrwertsteuer für den neuen Dienst des Telefon-Lottos.

Es sickern, auf welchem Wege auch immer, die ersten Indiskretionen über die Gestalt der vorgesehenen Einschnitte durch. Umfangreiche Entlassungen (bei Italtel-Mobilfunk, Sirti, Teleleasing und Meie-Vendita), Outsourcing (eine Gesellschaft für die Verwaltung des Personals mit 500 Beschäftigten - in Zukunft veräußerbar – sowie einige Immobiliengesellschaften), Übertragungen (Lager und der komplette Autopark mit 398 000 Fahrzeugen), starke Verringerungen des Personals auch in den Leitungsbereichen, bei der "Netzfunktion" und im "Markt Italien". Eine Orgie negativer Signale in einem Unternehmen, das – wie Colaninno gerade gestern verkündet hat – einen Wert von 245 Billionen Lire <knapp 250 Millionen DM /d.Ü.> besitzt. Der einzige Bereich, in dem die Telecom daran denkt "die Beschäftigung auszudehnen" ist der der Verkäufer (sie werden von 870 auf 1170 zunehmen).

Eine übrigens von der Regierung gebilligte totale Deregulierung des Arbeitsmarktes, so daß viele Telecom-Arbeiter mittlerweile offen von "per Gesetz durchgesetztem caporalato" (5) sprechen.

 

Übersetzung: Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover

Anmerkungen der ÜbersetzerInnen:

1) Der Vorstandschef der Telecom Italia seit diese im wesentlichen dem Olivetti-Konzern gehört.

2) Der Widerspruch zur Überschrift liegt leider im Original begründet.

3) Abkürzung von Comitati di base (Basiskomitees). Ende der 80er Jahre / Anfang der 90er Jahre entstandene und in verschiendenen Bünden außerhalb von CGIL-CISL-UIL zusammengeschlossene kleine, aber sehr rege, kämpferische und linksradikale Basisgewerkschaften mit z.T. erheblichem Einfluß unter den Lehrern, in der Automobilindustrie, im Transportwesen, öffentlichen Verwaltungen, der Post etc.

4) Anfang der 70er Jahre aus einer Linksabspaltung der norditalienischen FIM-CISL entstandene kämpferisch-syndikalistische, aber z.T. auch unpolitische und partikularistische Metallergewerkschaft mit ca. 30 000 Mitgliedern, die Mitglied in der Einheitskonföderation der Basis (CUB) ist, dem größten Basisgewerkschaftsbund.

5) Direkt übersetzt: Das System der Korporalsherrschaft. Ein vor allem in der Landwirtschaft Apuliens verbreitetes halb-feudales und mafiöses System der Beschäftigung von Hilfskräften, bei dem nicht nur die "padroni" ihre Profite machen, sondern auch die "Korporale", d.h. die "Arbeitsvermittler" und Aufseher die Arbeiter(innen) kräftig schröpfen.


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