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Zahlen können trügerisch sein

Zum rechnerischen und praktischen Umgang mit ArbeitsmigrantInnen in Israel

"Zehn Jahre Information und Dokumentation" kann das kleine, aber feine Institut von "Kav La’Oved – The Worker’s Hotline" in Israel feiern. Gegründet wurde die Initiative, die heute 14 Festangestellte zählt und Büros in Tel Aviv und Jerusalem unterhält, zunächst mit dem Ziel, vor allem den palästinensischen ArbeiterInnen auf der Westbank und im Gaza-Streifen Hilfe und Unterstützung zu vermitteln. Doch das Problem der ungesicherten Beschäftigung unter großteils illegalen Bedingungen und der legalen Arbeitsmigration weitete sich auch in Israel im Laufe der letzten Dekade aus, so dass heute die Betreuung und Rechtsberatung von MigrantInnengruppen aus einer Vielzahl von Ländern auf dem Programm steht. Israel hat nach Auskunft von Kav La’Oved mit rund 14 Prozent einen höheren Anteil von ausländischen Beschäftigten als jedes Land Europas – mit Ausnahme der Schweiz. Weitere Schwerpunkte der Aktivitäten liegen in der Dokumentation, Veröffentlichung und juristischen Verfolgung von Beschwerden und Beanstandungen hinsichtlich der Arbeitsbedingungen (vor allem in Zeitarbeitsfirmen) sowie in sozialpolitischer Lobbyarbeit. Gefördert wird das Ganze u.a. von der Heinrich Böll Stiftung, Christian Aid, Agir – Ensemble pour les Droits de l’Homme und der israelischen Rig Foundation. Wir dokumentieren den folgenden Beitrag aus der Geburtstagsausgabe des Instituts-Journals vom Mai 2000 leicht gekürzt.

Stets aufs Neue lässt sich demonstrieren, wie manipulierbar die Arbeitsmarktstatistik ist. Und gerade der Berechnung der Zahlen der ArbeitsmigrantInnen in Israel liegen dabei in hohem Maße politische Motive zugrunde, die umso problematischer werden, je näher es an sensible Themen wie die Anzahl der beschäftigten PalästinenserInnen geht. Kav La’Oved stellt daher eigene Berechnungen an und verwendet dabei die vom Arbeitsministerium herausgegebenen Statistiken ebenso wie die dazu publizierten Zahlen verschiedener Wirtschaftsinstitute. Außerdem werden Angaben der "Palestinian Authority" (PA) und ausländischer Botschaften zum Vergleich herangezogen. Auf diese Weise ergibt sich ein deutlich abweichendes Bild: Während nach Angaben des Arbeitsministeriums gegenwärtig beispielsweise 72.000 PalästinenserInnen in Israel einer Arbeit nachgehen (davon 40.000 illegal), kommt die Palestinian Authority auf insgesamt rund 120.000 legal und illegal Beschäftigte. Schätzungen der israelischen Verteidigungsbehörden wiederum gehen von 60.000 illegal einreisenden und weiteren 20.000 in den Siedlungen arbeitenden PalästinenserInnen aus. Die Abweichungen und die absolute Höhe der Zahlen lassen sich aus den Interessen der jeweiligen Behörden erklären: Während das Verteidigungsministerium die illegale Beschäftigung von PalästinenserInnen vorrangig unter Sicherheitsaspekten sieht ("selbst illegale Jobs für PalästinenserInnen erhöhen Israels Sicherheit"), stellt die Zahl von 60.000 unregistrierten palästinensischen ArbeitsmigrantInnen das Arbeitsministerium als Behörde, die über die Regulation und Kontrolle des Anteils palästinensischer Beschäftigter zu wachen hat, tendenziell in Frage – einmal abgesehen davon, dass israelische Unternehmen damit vollkommen unkontrolliert Personalkosten drücken.

Die Zahlen für ArbeitsmigrantInnen aus anderen Ländern werden vom Arbeitsministerium und dem Statistischen Amt übereinstimmend mit 140.000 (davon die Hälfte illegal) angegeben, während Kav La’Oved davon ausgeht, dass allein die Zahl der Illegalen 141.000 beträgt: Sie kommen aus Jordanien/Ägypten/Marokko (30.000), der früheren Sowjetunion (30.000), Philippinen/Thailand (25.000), Rumänien (15.000), Chile/Kolumbien/Ecuador/Brasilien (12.000), China/Indien/Sri Lanka (10.000), Schwarzafrika (10.000), Bulgarien/Ungarn/Polen (5.000) sowie aus der Türkei (4.000).

Zusammen mit den 60.000 illegal beschäftigten PalästinenserInnen sind das ca. 200.000 Beschäftigte ohne Papiere oder knapp 10 Prozent aller Erwerbstätigen. Und zusammen mit den legal arbeitenden 110.000 ArbeitsmigrantInnen (40.000 aus Palästina und 70.000 aus anderen Ländern) beträgt der Anteil sogar 14 Prozent.

Ganze Wirtschaftszweige in Israel leben heute von ArbeitsmigrantInnen. Dies betrifft insbesondere den Gesundheits- und Pflegesektor, und hier nicht nur den Privatbereich, in dem vor allem philippinische Dienstmädchen beschäftigt sind, sondern auch den professionellen Sektor, in dem vorwiegend Ärzte und Krankenschwestern aus der früheren Sowjetunion tätig sind. Weitere typische ‘Migrationsbranchen’ sind der Bau- und der Dienstleistungssektor, und nicht zu vergessen der große und profitable Bereich des Reinigungsgewerbes.

Ohne Zweifel hat diese hohe Zahl "billiger" bzw. "ungeschützter" Arbeit einen enormen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen der israelischen Erwerbstätigen und auf die Arbeitslosenrate. Die Stundenlöhne für israelische Beschäftigte liegen um 43 bis 67 Prozent höher als die der ArbeitsmigrantInnen. Die entsprechend hohe Nachfrage nach letzteren und ihr relativer arbeitsmarktpolitischer ‘Vorteil’ ist erkauft mit fehlenden Möglichkeiten, ihre Rechte geltend zu machen. So scheint in den für die Verfolgung von Beschwerden zuständigen Abteilungen des Arbeitsministeriums ein stillschweigender "Common-Sense" darüber zu bestehen, dass die Unternehmer die Rechte ihrer Beschäftigten im Prinzip respektieren: Anders ist nicht zu erklären, dass wichtige, etwa für einen Arbeitsgerichtsprozess bedeutsame Informationen und Unterlagen häufig zurückgehalten und entsprechende Anfragen abgeblockt werden. So erhielt etwa Kav La’Oved im Fall Juan Tira erst nach Einschalten der Bundesstaatsanwaltschaft Angaben zum Namen eines Unternehmers, den sie für eine Klage brauchten: Tira war 1999 von Inspektoren des Arbeitsministeriums an seinem Arbeitsplatz festgenommen worden, weil er keine Aufenthaltsgenehmigung vorweisen konnte. Er erklärte, er habe nicht ausreisen können, da er auf acht Monate Gehalt warte, die sein Chef ihm noch zahlen müsse. Dazu legte er Unterlagen vor, in denen zwar seine Arbeitszeiten dokumentiert waren, aus dubiosen Gründen jedoch jene Angaben fehlten, die es erlaubt hätten, die Identität des Arbeitgebers zu rekonstruieren. Um diese festzustellen, beantragte Tiras Anwältin Einsicht in die Akte ihres Klienten. Dies wurde ihr verweigert. Daraufhin richtete die "Association for Civil Rights in Israel" (ACRI) ein Schreiben an das Arbeitsministerium mit der Aufforderung, die fehlenden Unterlagen zur Verfügung zu stellen – doch der zuständige Anwalt des Ministeriums ließ sich von der rechtsstaatlichen Releveanz dieser Frage nicht überzeugen. Erst nach Anrufung und Intervention des Justizministeriums gab die Behörde, die eigentlich zum Schutz der Beschäftigten geschaffen wurde, nach.

Im Dezember 1999 unterzeichneten die Gewerkschaft "Histadrut" und der Unternehmer-Verband "Contractors Association" (CA) einen Zusatz zu den Tarifvereinbarungen im Bausektor, der eklatante Diskriminierungen von ArbeitsmigrantInnen enthielt. Damit diese Vereinbarung in Kraft treten konnte, musste sie noch vom Arbeitsministerium gegengezeichnet und registriert werden. Ein Anwalt von Kav La’Oved skizzierte die neue Vereinbarung in einem Schreiben an die zuständige Abteilung des Ministeriums: § 7 sieht demnach vor, dass die Histadrut von jeder/m ausländischen Beschäftigten 0,7 Prozent des Lohnes einziehen darf, obwohl MigrantInnen laut Satzung gar nicht Mitglied werden dürfen und auch kein Stimmrecht haben. Unternehmer sollten, ohne konkreten Nachweis, Teile des Lohns der ArbeitsmigrantInnen als "Spesen" oder "Schulden" einbehalten können. Sie sollten ferner alleine darüber entscheiden dürfen, ob Beschäftigte gegen ihre Arbeitsverträge verstoßen, und in welcher Höhe ein Lohnabschlag für angebliche Minderleistungen oder sonstige Formen der Nicht-Erfüllung des Arbeitsvertrages erfolgen kann. Auch die Pensionsansprüche der Beschäftigten wären vor willkürlichen Zugriffen des Unternehmers nicht geschützt gewesen. Ein Erfolg dieses Protestschreibens: Das Ministerium hat die Vereinbarung bislang nicht akzeptiert; es will der Histadrut erst noch Gelegenheit zur Stellungnahme geben.

Dies war nicht das erste Mal, dass die Histadrut versucht, über einen Deal mit solchen diskriminierenden Klauseln ihre Einnahmeseite aufzubessern und damit ihre chronische Finanzkrise zu ‘lösen’.

Übersetzung: U.W./K.H.

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Nr. 8/2000
http://www.labournet.de/express/

Kontakt und weitere Informationen:

Kav La’Oved, 78 Allenby St., Tel-Aviv,
e-mail: kavl-et-netvision@net.il
Internet: www.kavlaoved.org.il


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