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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Sofort und ohne Bedingung Anlässlich des 31. Jahrestags der iranischen Revolution von 1979 haben vier Arbeiterorganisationen am 10. Februar gemeinsam eine Erklärung veröffentlicht. Die »Charta der Minimalforderungen der Arbeiter Irans«1 geht einleitend ein auf die Hoffnungen und Forderungen, die die treibende Kraft für die damalige Revolte gegen das Schah-Regime waren. »An jenen Tagen«, so die Charta, »zogen Millionen aus dem Volk auf die Straßen mit der Hoffnung, dass die Herrschaft der Unterdrückung und der Repression beendet und ein besseres Leben ermöglicht wird«. Die Unterzeichner der Charta heben zugleich die entscheidende Rolle der Arbeiterkämpfe in der iranischen Revolution hervor, besonders die des legendären Streiks der Erdölarbeiter. Dieser Streik verwandelte sich in kurzer Zeit spontan zu einem Generalstreik. Tatsächlich leisteten die Erdölarbeiter damals einen enormen Beitrag zum Sturz des Regimes am 11. Februar 1979. Die strategische Stellung der Erdölindustrie in der iranischen Ökonomie war sicherlich ein Grund. Die anderen Gründe lagen in der kompromisslosen Haltung und in der historischen Autorität der Erdölarbeiter innerhalb der iranischen Arbeiterbewegung. Der Slogan »Unser Erdölarbeiter, unser kompromissloser Führer«, der damals bei Massendemonstrationen häufig zu hören war, zeigt, wie hoch die Menschen ihre Rolle und die Bedeutung ihrer Kämpfe einschätzten. Bilanzierend blicken die Unterzeichner der Charta auf die letzten drei Jahrzehnte zurück und stellen fest, dass »Armut, Arbeitslosigkeit, Lohn unter der Armutsgrenze, Abbau von Subventionen, Verelendung und Schutzlosigkeit der Lohnabhängigen« heute die Realität der arbeitenden sozialen Schichten im Iran bestimmen. Damit seien also die Versprechen der iranischen Revolution nicht eingelöst worden. Das heiße aber nicht, so die Unterzeichner, dass damit auch die Hoffnung »für ein besseres und freies Leben« verloren gegangen sei. Im Gegenteil: Durch seine Proteste strebe »das iranische Volk immer noch eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse« an. Auch die Arbeiter im Iran hätten während der letzten Jahre immer wieder versucht, »mit Streiks und Protesten, mit der Gründung unabhängiger Organisationen für ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben« zu kämpfen. Deswegen säßen viele von ihnen heute hinter Gittern. Kämpferisch und selbstbewusst betonen sie, dass Unterdrückung und Haftstrafen ihre Aktivitäten, ihren Kampf nicht im Geringsten verhindern könnten. Denn »wir sind Millionen Menschen«, liest man dort, »wir produzieren alle Reichtümer, die Räder der Produktion, das öffentliche wie materielle Leben befinden sich in unseren Händen«. Die in der Charta gestellten zehn Forderungen seien die »Minimalforderungen«, die sofort und ohne Bedingungen erfüllt werden müssten. Die politischen Forderungen umfassen das »Recht auf die Bildung unabhängiger Gewerkschaften und Parteien, auf Streik und auf die Rede-, Versammlungs- und Pressefreiheit«. Ebenso fordern sie die »bedingungslose Gleichberechtigung der Frauen im sozialen wie ökonomischen, im politischen wie familiären Leben«, die »sofortige Aufhebung der Todesstrafe«, die »bedingungslose Freilassung aller Arbeiteraktivisten und anderer politischer Gefangener«. Die Forderung, dass das Regime »den 1. Mai als einen offiziellen Feiertag« anerkennen müsse, ist so alt wie die iranische Arbeiterbewegung selbst. Die sozialen und ökonomischen Belange der Lohnabhängigen betreffend fordern sie die »Annullierung der befristeten Arbeitsverträge« nicht nur in staatlichen wie halbstaatlichen Betrieben, die »Auflösung aller vom Staat organisierten Arbeitervertretungen«, die »Einstellung der Massenentlassungen«, das »Recht auf Arbeit und Berufssicherheit« sowie »die Gewährleistung der sozialen Absicherung der Lohnabhängigen« vor allem im »Arbeitslosigkeits-, Renten- und Arbeitsunfähigkeitsfall«. Mit den Forderungen nach der »Erhöhung des Mindestlohns« und der »sofortigen Auszahlung der ausstehenden Löhne« sprechen sie nicht nur ein unmittelbar materielles Problem der Lohnabhängigen an. Sie erwähnen damit auch zwei wichtige Ursachen für immer wieder ausbrechende Proteste von Arbeitern und Angestellten im Iran. Die Regierung Ahmadinedschads legte 2006 einen monatlichen Mindestlohn fest, der bei etwa 180 Euro liegt. Einige Zuschläge mitgerechnet, beträgt er für Arbeitskräfte mit befristetem Arbeitsvertrag etwa 230 Euro und für die mit unbefristetem Arbeitsvertrag etwa 200 Euro. Abgesehen davon, dass der monatliche Mindestlohn schon, als er vor vier Jahren verabschiedet wurde, nicht weit über der Armutsgrenze lag, liegt er heute wegen der galoppierenden Inflation und der Verteuerung des Lebensunterhaltes weit darunter. Mit dem Mindestlohn ist auch ein anderes Problem verbunden: Für viele Arbeitgeber, nicht nur aus dem Privatsektor, ist der staatlich festgelegte Mindestlohn angeblich sehr bzw. zu hoch. Die Folge sind Entlassungen von Beschäftigten, vor allem derjenigen mit Werkverträgen oder mit befristeten Arbeitsverträgen. Diese Verträge werden häufig durch sog. »weiße« Arbeitsverträge ersetzt, d.h., es gibt keinen schriftlichen Arbeitsvertrag. Die Lohnhöhe und Arbeitseinsätze werden nach direkter Absprache und nach Bedarf geregelt – also Prekarisierung sozusagen in ihrer reinen Form, nämlich Tagelöhnerei. Seit einigen Jahren stellen die ausstehenden Löhne ein immer wiederkehrendes Problem im Iran dar. Viele Betriebe und Firmen bezahlen ihre Angestellten entweder wegen der Zahlungsunfähigkeit in Folge der andauernden Krise – besonders in den Industrie- und Baubranchen – oder wegen dunkler Finanzspekulationen und mafiöser Machenschaften nicht rechtzeitig. In den meisten Fällen wurden die Gehälter über mehrere Monate nicht ausbezahlt. Daraus resultierten zahlreiche Unruhen und Proteste in der jüngsten Zeit. In beiden Fällen unternimmt die Regierung keine politischen und rechtlichen Schritte, um die Betroffenen zu schützen. Ein Grund dafür sind die Machtstrukturen im Iran. Denn viele von diesen Firmen und Betrieben gehören sog. »Stiftungen«, die als ökonomische Domäne der jeweiligen Fraktionen bzw. Machteliten des Regimes gelten. Der andere Grund liegt im iranischen Arbeitsgesetz selbst, dessen arbeitgeberfreundliche Tendenzen durch die neoliberalen Angriffe in den 90er Jahren noch verstärkt und gar zu dessen Hauptbestimmung erhoben wurden. Um nur ein Beispiel anzuführen: die Artikel 28 und 191 der Betriebsverfassung entbinden kleine Betriebe mit weniger als zehn Beschäftigten vom Arbeitsgesetz. Damit gibt es in etwa 96 Prozent der Arbeitsstätten im Iran u.a. keine Rechtssicherheit und keinen Kündigungsschutz für die Beschäftigten. Daher fordern die Unterzeichner der Charta die »Bearbeitung und Ratifizierung eines neuen Arbeitsgesetzes unter direkter Beteiligung der von einer allgemeinen Arbeiterversammlung gewählten Vertreter«. Das ist eines der Hauptanliegen aller Beschäftigten im Iran. Die Unterzeichner der Charta kritisieren darüber hinaus die jüngste Politik der Ahmadinedschad-Regierung, indem sie von der Regierung verlangen, dass diese »ihren Plan ‘für die sog. zielgerichtete Regulierung der staatlichen Subventionen’ sofort stoppen« müsse. Mit Zustimmung des Wächterrats und des Parlaments hat die Regierung am 13. Januar ein Gesetz ratifizieren lassen, das die staatlichen Subventionen drastisch abbaut. Die Regierung verspricht sich davon, den Staatshaushalt zu entlasten. Laut Gesetz soll die Regierung die Bedürftigen von nun an durch Direktzahlungen unterstützen. Im Iran werden vor allem Grundnahrungsmittel und Ölprodukte subventioniert. Man braucht nicht lange raten, welche verheerenden sozialen wie ökonomischen Folgen dieses Gesetz lang- wie kurzfristig haben wird. Es führt zur Erhöhung die Inflation, die nach offiziellen Angaben derzeit bei 25 Prozent liegt. Die Steigerung der Energiepreise erhöht zudem die Produktionskosten und treibt die kleinen wie mittelgroßen Betriebe in den Ruin. Diese Betriebe leiden bereits seit Jahren unter ihrer Unterauslastung. Sie erreichen nur 40 Prozent ihrer Produktionskapazität – etwa 35 bis 40 Prozent aller Industriebetriebe im Iran haben ihre Produktion bereits eingestellt. Die Erhöhung der Arbeitslosigkeit und die Verschärfung der Armut werden weitere Folgen des Gesetzes sein. Laut Angaben des iranischen Amts für Statistik beträgt die Arbeitslosigkeit elf Prozent. Alles in allem ist das »Gesetz für die zielgerichtete Regulierung der staatlichen Subventionen« ein Gesetz, das die Almosenverteilung – Ahmadinedschads Vorstellung vom »Wohlfahrtsstaat« – institutionalisiert und sowohl den bereits existierenden Klientelismus wie auch die Korruption weiter verbreitet. Es ist nicht zum ersten Mal, dass der organisierte Teil der iranischen Arbeiterschaft mit seinen Forderungen an die Öffentlichkeit tritt. Dennoch ist die »Charta der Minimalforderung der Arbeiter Irans« aus einigen Gründen nicht unwichtig: erstens, weil zwei der bedeutenden Tendenzen innerhalb der iranischen Arbeiterbewegung – »Syndikalisten« und Anhänger der »Einheitsgewerkschaft« – sich bei konkreten Forderungen einigen und damit die Weichen für praktische und gemeinsam koordinierte Kämpfe stellen konnten. Zweitens, weil in der Charta die Perspektive eines großen Teils der organisierten Arbeiterschaft deutlicher zum Ausdruck kommt als in anderen Proklamationen. Die Perspektive der Unterzeichner der Charta ist die der »sozialen und politischen Menschen- und Bürgerrechte«, die bekanntlich durch die verschiedenen internationalen Konventionen in den 50er und 60er Jahren detailliert definiert und von vielen Mitgliedsstaaten der UNO unterzeichnet wurden, wie z.B. das »Internationale Übereinkommen über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (vom 19. Dezember 1966)«. Und schließlich drittens könnte die Charta dazu beitragen, dass in den gegenwärtigen Protesten und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen im Iran die sozialen Rechte zusammen mit den politischen stärker und konkreter als bisher mitdiskutiert bzw. mitthematisiert werden. Es ist nämlich nicht nur das Regime in Teheran, das die politischen Menschenrechte unterdrückt und die sozialen mit den Füßen tritt. Auch ein großer Teil der liberalen Strömungen innerhalb der iranischen Opposition ignoriert entweder die sozialen Menschen- und Bürgerrechte gänzlich oder stuft sie als etwas Zweitrangiges ein. Denn die Thematisierung der sozialen Fragen könnte, so die große Sorge der Liberalen, die Spaltung der iranischen Opposition noch verschärfen und somit dem »Kampf für die Freiheit« beeinträchtigen. Said Hosseini Erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 2/10 |