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Updated: 18.12.2012 15:51 |
USTKE - auch in zweiter Instanz verurteilt
Koloniale Klassenjustiz verurteilt die Gewerkschaft USTKE in zweiter Instanz Gefängnis für Auseinandersetzungen am Rande eines Streiks - und Haft (ohne Bewährung) für den Gewerkschaftsvorsitzenden für Zusammenstöße anlässlich einer Protestversammlung, an der er gar nicht einmal teilgenommen hatte: Auch in zweiter Instanz lautet so das Urteil gegen Aktivisten der antikolonialen "Eingeborenen"gewerkschaft USTKE in Neukaledonien. Die Insel im Westpazifik gehört administrativ zu Frankreich, und soll 2013 bis 2018 über eine mögliche zukünftige Unabhängigkeit (die freilich durch die wachsende Präsenz europäischer Siedler erschwert wird) abstimmmen. Aufgrund von Reibereien bei einem Streik gegen die Transportgesellschaft Carsud - eine Filiale des französischen multinationalen Konzerns Véolia - im Januar 2008, waren 23 Angeklagte aus den Reihen der USTKE zu Anfang des Jahres in der Inselhauptstadt Nouméa vor Gericht gestellt worden. Bei den damaligen Zwischenfällen im Januar dieses Jahres hatte die uniformieren "Sicherheits"kräfte versucht, Streikposten abzuräumen, und heftige Provokationen gestartet - in deren Folge Steine flogen und es zu anderthalbtägigen Auseinandersetzungen kam. Aufgrund so genannter "Aufstachelung zur bewaffneten Zusammenrottung" (sic) war der Gewerkschaftsvorsitzende der USTKE, Gérard Jodar, am 22. April 2008 zu einem Jahr Haft, darunter sechs Monaten ohne Bewährung, verurteilt worden. Die übrigen 22 Angeklagten erhielten damals Haftstrafen zwischen einem Monat und einem Jahr ohne Bewährung. (Vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/ustke3.html ) Nunmehr hatte in der vergangenen Woche, am 9. September, das Berufungsgericht von Nouméa in zweiter Instanz über die Zwischenfälle am Rande des Streiks bei der Transportgesellschaft im Januar zu urteilen. Es reduzierte zwar den nicht zur Bewährung ausgesetzten Anteil der Haftstrafe für den Vorsitzenden Gérard Jodar: Er muss nun, geht es nach den Richtern, für drei Monate (die ohne Bewährung verhängt wurden) ins Gefängnis. Es behielt aber zugleich die Gesamtstrafe von einem Jahr, davon nunmehr neun Monate auf Bewährung, bei. Auch für die übrigen Angeklagten aus den Reihen der USTKE-Gewerkschafterr/innen wurden die Haftstrafen beibehalten, aber im Strafmaß reduziert. Die Urteile lauten nunmehr respektive auf einen Monat, zwei Monate bzw. vier Monate ohne Bewährung (gegenüber, in erster Instanz, bis zu einem Jahr). Vor allem die kürzeren, insbesondere einmonatigen, Haftstrafen sind oft bereits mit der vor dem erstinstanzlichen Prozess abgesessenen Untersuchungshaft abgebüßt bzw. werden mit ihr vergolten. Es bleibt ein ganz großes Aber. Denn die Richter am Berufungsgericht (Cour d'appel) von Nouméa verurteilten die angeklagten Gewerkschafter gleichzeitig zu einer massiven Geldstrafe in Höhe von 16 Millionen Pazifik-Francs (umgerechnet grob 120.000 Euro). Dies entspricht angeblich den an Polizeiautos und Einsatzfahrzeugen der - kolonialen - Gendarmerie angerichteten Verschönerungen, pardon: Schäden. Dadurch versucht die Kolonialjustiz, die "Eingeborenen"gewerkschaft (USTKE, circa 6.000 Mitglieder) an ihren wohl empfindlichsten Stelle zu treffen, am Geld. Die finanzielle Solidarität mit all ihren Mitgliedern ist nämlich ein äußerst wichtiger Stützpfeiler ihrer Aktivität. Denn die USTKE hat nicht nur - aufgrund der Tatsache, dass ihre Mitglieder 1 Prozents ihres Lohns oder Gehalts abdrücken - das mit Abstand höchste Beitragsvolumen unter allen, auf Neukaledonien vertretenen Gewerkschaften. Sie setzt es auch zugunsten der Solidarität und kämpferischer Aktivitäten effektiv ein. So bezahlt sie für Streikende - derzeit befinden sich 21 ihrer Mitglieder noch immer, seit nunmehr 10 Monaten, bei der Transportgesellschaft Carsud im Streik - ihre Strom- und Wasserrechnungen. Seit Jahresanfang hat die USTKE so, laut Angaben ihres Vorsitzenden Gérard Jodar, 7 Millionen Pazifikfrancs für Ausgaben gewerkschaftlicher Solidarität ausgegeben. Und die von ihr nun zu berappenden Anwaltskosten belaufen sich auf 10 Millionen Pazifikfrancs (rund 100.000 Euro). Die Anwältin der USTKE, Cécile Moresco, bezeichnet unterdessen das (in zweiter Instanz im Strafmaß verringerte) Urteil gegen die Gewerkschaft als, relativen, Sieg. Deshalb wird sie darauf verzichteten, den französischen Obersten Gerichtshof in Straf- und Zivilsachen - die Cour de cassation, die von ihr aufgerollte Prozesse ohnehin nur auf Rechtsfehler hin überprüft, aber keine neue Diskussion der strittigen Fakten an und für sich vornimmt - anzurufen. Hingegen wird sie mit den Haftrichtern über die konkreten Modalitäten bei der Umsetzung der Urteile verhandeln respektive streiten. Bedeutet das nun, dass der Gewerkschaftsvorsitzende Gérard Jodar tatsächlich alsbald ins Gefängnis - die Haftanstalt der Insel befindet sich in Camp-Est - muss? Dies steht durchaus noch nicht fest, denn über die konkreten Modalitäten der Durchführung der Strafe (Gefängnis, Freigang, "gemeinnützige Arbeit"...) wird nun ein Haftrichter entscheiden. Jodar selbst kündigte an, er werde notfalls den Gang ins Gefängnis antreten (und "ihn nutzen, um Sport zu treiben"). Aber er fügte hinzu, es gebe genügend andere Leute, "die es nicht akzeptieren würden, den Vorsitzenden der USTKE in die Haftanstalt wandern zu sehen. Angefangen bei den Gefängniswärtern in Camp-Est, die bei der USTKE organisiert sind, und die ihren Vorsitzenden nicht die Schwelle der Haftanstalt überschreiten sehen wollen..." (Vgl. http://bellaciao.org/fr/spip.php?article70927 ) Im Hinblick darauf gilt es Näheres also noch abzuwarten... B. Schmid 19. September 2008 |