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Updated: 18.12.2012 15:51
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Bilanz des Total-Streiks

"Der Ausstand ist landesweit beendet, doch bleibt in der "bedrohten" Raffinerie in Dunkerque aufrecht erhalten. Dunkerque ist nun isoliert. Neben unterschiedlichen Gewerkschaftsstrategien der CGT (stärkster Verband) und von SUD (Mehrheitsgewerkschaft in Dunkerque) spielt auch die Unmittelbarkeit oder Nichtunmittelbarkeit der Arbeitsplatzbedrohung eine Rolle dabei, dass das Verhalten der Beschäftigten an den "Standorten" nun auseinander klafft. TOTAL musste einige Zugeständnisse machen, die den Lohnabhängigen jedoch kaum Sicherheit gewährleisten" - so beginnt der aktuelle Beitrag "Nach dem Streik bei TOTAL in Frankreich und drohender Benzinknappheit" von Bernard Schmid vom 26. Februar 2010.

Nach dem Streik bei TOTAL in Frankreich und drohender Benzinknappheit

Der Ausstand ist landesweit beendet, doch bleibt in der "bedrohten" Raffinerie in Dunkerque aufrecht erhalten. Dunkerque ist nun isoliert. Neben unterschiedlichen Gewerkschaftsstrategien der CGT (stärkster Verband) und von SUD (Mehrheitsgewerkschaft in Dunkerque) spielt auch die Unmittelbarkeit oder Nichtunmittelbarkeit der Arbeitsplatzbedrohung eine Rolle dabei, dass das Verhalten der Beschäftigten an den "Standorten" nun auseinander klafft. TOTAL musste einige Zugeständnisse machen, die den Lohnabhängigen jedoch kaum Sicherheit gewährleisten

Dieses Mal hätte Nicolas Sarkozy nicht behauptet: "Heutzutage fällt es keinem auf, wenn es einen Streik in Frankreich gibt", wie er höhnisch am 05. Juli 2008 erklärt hatte. (Die Äußerung ist seitdem oft ironisch-spöttisch aufgegriffen worden.) Dass der Streik beim französischen Erdölkonzern TOTAL - vor einem Jahrzehnt hervorgegangen aus der Fusion der Giganten TOTAL, ELF Aquitaine und der belgischen Ölfirma Fina - in den letzten anderthalb Wochen "niemandem aufgefallen" sei, lässt sich nun wirklich nicht behaupten.

Zu Anfang dieser Woche begannen Teil der Medien und des Publikums Panik zu schieben, das Szenario einer Benzinknappheit wurde wiederholt an die Wand gemalt; und verschiedene Zeitungen bemühten sich, detailliert die Reserven darzulegen ("zehn Tage Benzinvorräte frankreichweit", oder rund 100 Tage "unter Einschluss der strategischen Reserven, die aber nur bei einem internationalen Großereignis angebrochen werden dürfen und nicht bei einem sozialen Konflikt"). Bei 132 von insgesamt rund 2.000 ELF- oder TOTAL-Tankstellen in Frankreich wurden am Montag dieser Woche um 13 Uhr bereits Treibstoffengpässe verzeichnet, d.h. es mangelte an diesen Tankstelle an mindestens einem Produkt. Im Laufe von vier oder fünf Tagen drohten sich die Engpässe zu verallgemeinern. Am Dienstag, auf dem Höhepunkt des Konflikts, waren bereits 294 Tankstellen ,en rupture de stock' - das bedeutet, ein oder mehrere Produkte waren vollständig ausverkauft. Am Mittwoch, nach teilweise erfolgter Wiederaufnahme der Arbeit, ging die Zahl im Laufe des Tages auf 134 zurück.

Bis am Dienstag Abend befanden sich sechs von insgesamt zwölf französischen Erdölraffinerien im Ausstand, die insgesamt 54 Prozent der vorhandenen Raffineriekapazitäten im Land ausmachen. Auch die beiden Raffinerien des Ölkonzerns EXXON Mobile auf französischem Boden waren ab Dienstag (durch die CGT) dazu aufgerufen, sich dem Streik anzuschließen. Hintergrund dafür waren gemeinsam geteilte Befürchtungen, zahlreiche Arbeitsplätze im Raffineriesektor verloren gehen zu sehen - konkreter Anlass ist die angekündigte Schließung der TOTAL-Raffinerie im nordfranzösischen Dunkerque. Es handelte sich also nicht um einen reinen Solidaritätsstreik, sondern um einen im eigenen "Arbeitsplatzinteresse" geführten Arbeitskampf.

Doch in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch rief besonders die CGT - als stärkster Gewerkschaftsverband im Sektor der Petrochemie - dazu auf, den Streik "vorläufig einzustellen" und die Arbeit wieder aufzunehmen. Fünf von sechs zu TOTAL gehörenden Raffinerien stellten daraufhin ihre Teilnahme am Ausstand ein (bei EXXON hatte der Ausstand noch nicht zu greifen begonnen). Dunkerque hingegen, wo der Arbeitskampf bereits wesentlich früher begonnen hatte, nämlich am 12. Januar 2010, blieb auch weiterhin im Streik. Dort ist die Mehrheitsgewerkschaft freilich nicht die CGT, sondern SUD. Neben der anders gestalteten gewerkschaftlichen Landschaft spielt bei diesem Auseinanderdriften zwischen den fünf anderen TOTAL-Raffinerien (wo die Arbeit seit Mittwoch wieder aufgenommen wurde) und der sechsten in Dunkerque auch eine Rolle, dass die Bedrohung für die Arbeitsplätze dort wesentlich unmittelbarer ausfällt: Die Anlage in Dunkerque war schon seit September 2009 bis auf den Stillstand heruntergefahren worden. Dort arbeiten rund 350 Beschäftigte von TOTAL sowie 400 bis 450 Beschäftigte von Subunternehmen.

Knapp 8 Milliarden Euro Jahresprofit - und gleichzeitig Entlassungen programmiert

Ursprünglich hatte die Konzernspitze schon am 1. Februar dieses Jahres verkünden wollen, dass der "Standort" in Dunkerque endgültig dichtgemacht wird. Doch dann kam die französische Regierung dazwischen, die ihr in den Arm fiel: Halt, das geht so nicht, denn am 14. und 21. März finden frankreichweit die Neuwahlen sämtlicher Regionalparlamente statt. Die Ankündigung von mehreren Hundert Entlassungen bei einem Konzern, der - bezüglich Umsatz und Gewinn - ganz oben auf der Liste der börsennotierten Unternehmen Frankreichs und des Aktienindex ,CAC 40' steht, hätte aus Sicht des konserativ-wirtschaftsliberalen Regierungslagers verheerende Folgen haben und sein (wahrscheinlich absehbares) Desaster bei den Regionalparlamentswahlen komplett machen können.

TOTAL erzielte im zurückliegenden Jahr 2009 einen Jahresgewinn (Reingewinn, nicht Umsatz!) in Höhe von 7,8 Milliarden Euro. Das entspricht zwar einem Rückgang um 44 Prozent gegenüber dem Gewinn im Jahr 2008: über 13 Milliarden Euro (was aber den Konzern auch nicht daran hinderte, zeitgleich mit dessen Bekanntgabe zu Anfang 2009 den Abbau von 555 Arbeitsplätzen - mit Umschulungen, also ohne direkte Entlassungen - anzukündigen). Vor diesem Hintergrund wäre es in der Öffentlichkeit umso skandalöser erschienen, falls gerade TOTAL nun massenhaft Kündigungen ausgesprochen hätte.

Also übte die Regierung, in Gestalt von Industrieminister Christian Estrosi (gleichzeitig Bürgermeister von Nizza), Druck auf den Konzern aus - damit dieser den Termin der Bekanntgabe von Entlassungen in seinen Raffinerien zeitlich nach hinten schiebe. Und so wurde, auf Anregung der Regierung hin, anlässlich der Sitzung des CCE (ungefähr: Gesamtbetriebsrats im Konzern) vom 1. Februar, die Verschiebung der Entscheidung angekündigt: Eine neue Sitzung solle am 29. März stattfinden, also nach den Regionalparlamentswahlen; die Weichenstellung zur Schließung oder Nichtschließung der Raffinerie in Dunkerque solle jedoch voraussichtlich erst bis "im Sommer 2010" gefällt werden. Doch die abhängig Beschäftigten trauten dem "lieben Frieden" natürlich nicht, wussten sie doch, dass die Verschiebung nur einen kurzen Aufschub bedeutete, aber eben keinerlei Sicherheit für ihre Jobs gewährleistete - im Gegenteil.

Doch der "Ausbruch" des Streiks im Raffineriesektor "auf breiter Front", am Mittwoch vergangener Woche (17. Februar), und das Horrorszenario - aus Sicht der Regierenden - einer sich ausbreitenden Benzinknappheit kurz vor den Regionalparlamentswahlen ließen den Minister das Ruder herumwerfen. Wiederum waren es die Regierung und ihr Industrieminister Christian Estrosi, die nun massiv Druck auf den Konzern ausübten, die Entscheidung symbolisch vorzuziehen - vor die Regionalparlamentswahlen, um zu signalisieren, dass man nicht darauf warte, bis die Wahlen vorbei seien, um danach schlechte Nachrichten zu verkünden. Vom 29. März wurde die Sitzung des CCE (-ungefähr: Gesamtbetriebsrats) nun also auf den 8. März vorverlegt.

Unterdessen wurde eifrig verhandelt. Am vorigen Sonntag gaben beide Seiten, TOTAL und die Gewerkschaften, zunächst den Abbruch der Verhandlungen und ihr vorläufiges Scheitern bekannt. Der Druck wuchs dadurch. Aber im Laufe des Dienstag wurden sich die Konzernspitze und die CGT handelseinig: TOTAL verpflichtet sich nunmehr dazu, neben dem Standort in Dunkerque (der quasi bereits "geopfert" worden ist) innerhalb von fünf Jahren keine weitere der noch verbleibenden fünf Raffinerien auf französischem Boden zu schließen. Dies soll den Befürchtungen der Beschäftigten jedenfalls für einen (je nach Sichtweise) kurzen bis mittelfristigen Zeitraum entgegen wirken. Gleichzeitig wurde für Dunkerque das Versprechen abgegeben, den Standort zu "re-industrialisieren" und, nach Aufgabe der dortigen Raffinerie, andere Beschäftigungsmöglichkeiten dort anzusiedeln; die Rede ist beispielsweise von einem Methangas-Terminal im Hafen von Dunkerque, doch dieses wird voraussichtlich erst ab 2014 funktionstüchtig werden. TOTAL verspricht, allen abhängig Beschäftigten der Raffinerie in Dunkerque Ersatzarbeitsplätze "in Zusammenhang mit ihren Kompetenzen" anzubieten - das beinhaltet aber keine Aussage darüber, wo und wie. Die Investitionszusagen für Dunkerque bleiben unkonkret; so fragt sich ein durch ,Libération' (vom 25.o2.10) zitierter Lohnabhängiger: "TOTAL hat soeben Investitionen für 20 Milliarden Euro in Nigeria bekannt gegeben. ,Die Investitionen im Ausland sind präzise. Für jene in Frankreich gibt es hingegen keine Zahlen." Es muss zwar aufgepasst werden, dass die im Kern richtige Kritik an der planetaren Expansionsstrategie des Konzerns keine chauvinistische Schlagseite (Stichworte "Arbeitsplätze zuerst für Franzosen") erhält. Dennoch ist es zutreffend, dass Misstrauen angebracht ist, sofern keinerlei konkrete Zahlen die vom Konzern abgegebene "Verpflichtung" untermauern.

Ferner konnten die Verhandlungsführer der Gewerkschaften die Bezahlung der zurückliegenden Streiktage durch den Arbeitgeber "herausholen".

Dennoch scheint es zumindest an einigen "Standorten" Schwierigkeiten bei der Annahme des Votums zur Wiederaufnahme der Arbeit durch das streikende Personal, und Unzufriedenheit mit dem Verhandlungsergebnis gegeben zu haben. So berichtet bspw. ,Libération' aus einer Vollversammlung der Streikenden in der Raffinerie von Feyzin (südlich von Lyon), dass es dort zu Verstimmungen kam und dass mehrere abhängig Beschäftigten in Redebeiträgen monierten, dass "die Kollegen in Flandern (= in Dunkerque) im Stich gelassen werden". In Feyzin ist die örtliche Mehrheitsgewerkschaft die ungefähr als sozialdemokratisch zu bezeichnende CFDT, die schon zu einem frühen Zeitpunkt - auf dem Höhepunkt des Streiks am Dienstag - gegen dessen Fortsetzung eintrat. Hingegen hatte die örtliche CGT versprochen, "bis zu dem Schluss mit den Kollegen in Flandern durchzuhalten", bevor sie am Mittwoch dann zur Wiederaufnahme der Arbeit aufrief. Gleichzeitig ergeben Berichte aus der Raffinerie von TOTAL im westfranzösischen Donges (bei Nantes), dass dort umgekehrt der Beschluss zur Wiederaufnahme der Arbeit ohne größere Opposition und fast einstimmig angenommen wurde.

Hintergründe der "Raffineriekrise"

Dass derzeit ein Rückbau der Arbeitsplätze im Raffinerie-Sektor erfolgt, hängt mit der Krise bei der Benzin-Abnahme zusammen. Normalerweise, ohne zusätzliche technische Eingriffe (die größere Investitionen erfordert), fallen bei der Raffinerietätigkeit rund 25 Prozent Benzin und 50 Prozent Diesel sowie Heizöl an. Doch in den letzten Jahren waren in einigen europäischen Ländern, unter ihnen Frankreich, jedoch die Diesel- (und Heizöl-)Produktion steuerlich und finanziell begünstigt worden, da im Zuge von Klimapolitik und aufgrund anderer Erfordernisse eine relativ erfolgreiche Benzin-Einsparpolitik verfolgt wurde. In Frankreich ist in den letzten30 Jahren der Benzinverbrauch um insgesamt 50 Prozent zurück gegangen, u.a. weil die (bereits aufgrund der Ölkrisen 1973/74 und 1978/79 begonnene) Begünstigung treibstoffsparender Motoren und Fahrzeuge weiterverfolgt wurde und weil Diesel steuerlich begünstigt wird. Doch wurde dieser Einbruch beim Benzinabsatz dadurch kaschiert, dass gleichzeitig jährlich 25 bis 30 Millionen Tonnen Benzin aus französischen Raffinerien in die USA exportiert wurden. Hingegen brach dieser Absatzmarkt in den letzten anderthalb Jahren zusammen, weil die US-Administration Obama - vor dem Hintergrund der Wirtschafts- & Finanzkrise - ihrerseits eine Einsparungspolitik verfolgt und sich zudem (zwecks Devisensparens und Verringerung der "Abhängigkeit" von den Golfstaaten und den Ländern der OPEC) verstärkt heimischen Ressourcen zuwendet.

Generell haben sich die Raffineriekapazitäten, die sich früher weltweit rund um das Nord-Atlantikbecken konzentrierten, inzwischen stärker rund um den Pazifik konzentriert.

Der technologische und industrielle Wandel ist also real. Auch TOTAL versucht, bei ihm mitzuhalten, und wendet sich in den letzten Jahren verstärkt der Nuklearenergie (der Konzern investierte rund 8 % in den künftigen neuen Reaktortyp EPR, der derzeit am Ärmelkanal errichtet wird) einerseits, und den erneuerbaren Energiequellen - besonders Solarenergie, mit Investitionsprojekten u.a. in Spanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, sowie Biomasse - zu. Letzterer Aspekt bildet zwar einen Schritt in die richtige Richtung, weg vom Umwelt zerstörenden und Ressourcen verzehrenden Erdöl- und Benzinverbrauch hin zu anderen Energiequellen. Jedoch ist von einem Konzern wie TOTAL mit seinen gigantischen Profiten bedingungslos zu fordern, dass eine industrielle Umorientierung keinesfalls auf Kosten der Arbeitsplätze erfolgt, um auf diesem Weg "unterwegs" auch noch höhere Profite mitzunehmen: Geringerer Benzinverbrauch (und weniger motorisierter Individualverkehr) ist unbedingt positiv; aber nicht unter Aussprechen von Kündigungen in einem Konzern, der im vergangenen Jahr acht Milliarden Euro Profit einstrich.

B. Schmid, 26. Februar 2010


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