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Updated: 18.12.2012 15:51
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Eine "lange" Streikwoche und was auf dem Spiel steht ­ bei Post, Bahn und anderswo

Gliederung:


   "Eine schwarze Woche in den öffentlichen Diensten" sagte am Montag die rechtsbürgerliche Boulevardzeitung ’France Soir' voraus. Auf der konservativen Tageszeitung ’Le Figaro' wurde nur "eine lange Woche der Streiks" angekündigt, und noch sachlicher verkündete das Wirtschaftsfachblatt ’La Tribune': "Eine sozial unruhige Woche für die Regierung".

   Die "lange Woche" begann in gewisser Weise, symbolisch, schon am vorigen Samstag. An jenem Tag fand eine vom Umfang her bescheidene, aber recht viel beachtete Demonstration statt, zu der u.a. mehrere Gewerkschaften im französischen Kulturministerium, die Bildungsgewerkschaft FSU und mehrere Künstlervereinigungen aufriefen. Sie richtete sich gegen den Einzug wirtschaftlicher Rentabilitätskriterien an besonders symbolträchtigem Ort: Bereits seit der Französischen Revolution war der Eintritt in das Museum des Louvre kostenlos für Studierende, Kunstschaffende und Lehrpersonen gewesen. Damit soll jetzt teilweise Schluss sein. Die Louvre-Verwaltung, die bisher dem französischen Kulturministerium unterstand, soll nunmehr ihre Autonomie erhalten ­ und "den Louvre in die Modernität führen", sagen die Offiziellen, oder "in die Vermarktung", wie Kritiker meinen. Für Studierende, selbst für Kunststudenten, und für Lehrerinnen (außer im Rahmen eines vorab vereinbarten Termins für ihre Klassen) soll es mit den Gratiseintritten vorbei sein, angeblich, um sich besser "auf die sozial Bedürftigen zu konzentrieren". Gleichzeitig aber wird den Unternehmen, die eine wirtschaftliche Mäzenatenrolle übernehmen (also die Sponsoren spielen), die Verteilung ganzer Bündel kostenloser Eintrittskarten überlassen. Das betrifft derzeit die Landwirtschaftsbank Crédit agricole oder den Erdölkonzern Total, einen besonders üblen Konzern, der für seine Geschäftspraktiken in Afrika und anderswo berüchtigt ist. Willkommen in der "Modernität"!


Dienstag: Ausstand bei der Post

An diesem Dienstag sind 200.000 Beschäftigte der französischen Post zum Ausstand ausgerufen. Der Streikaufruf betrifft den verbeamteten Teil der Mitarbeiter von La Poste, der derzeit noch zwei Drittel des Personals umfasst.

Die rund 100.000 nach privatrechtlichen Verträgen eingestellten Postbeschäftigten sind nicht vom Streikaufruf erfasst. Denn jener Teil der Forderungen, der die Löhne betrifft, umfasst die Angestellten mit privatrechtlichem Status nicht: Ihre Löhne werden in einem Extraverfahren ausgehandelt, während jene der (noch) verbeamteten Postbeschäftigten der allgemeinen Entwicklung der Gehälter im öffentlichen Dienst folgt.

Für die öffentlichen Dienste hat der zuständige Minister Renaud Dutreil für das laufende Jahr 2005 eine Anhebung der Gehälter um 1 Prozent angekündigt. "Eine Provokation für die Gewerkschaften" (so ’La Tribune'), denn nach deren Berechnungen haben die öffentlich Bediensteten seit 1999/2000 einen Verlust an Kaufkraft in Höhe von 5 Prozent erlitten; daher forderten sie für das laufende Jahr eine Anhebung der Löhne um 5 Prozent, um den vergangenen Verlust wettzumachen. Die Regierung behauptet dagegen einen Kaufkraftgewinn im selben Zeitraum von 1,3 Prozent. Dabei dürften die Bemessungsgrundlagen für die Teuerung, etwa im Kontext der Euro-Einführung, nicht dieselben sein; die Regierung geht in ihren Berechnungen mutmaßlich allein vom Inhalt eines (restriktiv definierten) Warenkorbs aus, anstatt die Teuerung bei allen Gütern zu berücksichtigen. - Seitens der nach privatrechtlichen Verträgen Angestellten der Post wiederum konnte im Vorjahr 2004 eine ausgehandelte Lohnerhöhung um 1,7 Prozent erzielt werden. Diese ist aber höchst ungleich verteilt, da die Mitarbeiter der finanziellen Dienste der Post (Postbank usw.) von der Erhöhung nicht betroffen waren.

Zu dem Ausstand an diesem Dienstag hatten vier Gewerkschaften aufgerufen, die zusammen (nach den Ergebnissen der Personalratswahlen) rund 80 Prozent der Postbeschäftigten vertreten: Die CGT (34,8 % der Stimmen), die linke SUD PTT (21 %), die populistische Force Ouvrière, FO (18,1 %) und die christliche Gewerkschaft CFTC (5,1 %). Neben den Forderungen zur Lohnpolitik umfasst ihr Aufruf auch eine Kritik an der anstehenden Restrukturierung der Post. Deren Grundlage soll der "Gesetzentwurf zur Regulierung der Postaktivitäten" bilden, der ab dem heutigen Dienstag in der französischen Nationalversammlung debattiert wird und am Donnerstag in erster Lesung angenommen werden soll. Daher rührte auch die Auswahl des Datums für den heutigen Ausstand bei der Post.

Nicht aufgerufen dagegen hatte namentlich die (ehemals) sozialdemokratische und pro-neoliberale CFDT (16,2 %). Bei der CFDT war man der Auffassung: "Wenn die politischen Verantwortlichen entschieden haben, eine Konkurrenz bei den Postdiensten einzurichten, dann ist es wichtig, den Sektor zu regulieren und der Post die Mittel an die Hand zu geben, um widerstehen zu können" (d.h. wohl: um wettbewerbsfähig zu sein, Anm. B.S.) meint dazu der CFDT-Sekretär für Post und Telekommunikation Alain Barrault.

Doch worum geht es bei dem "Gesetz zur Regulierung der Postaktivitäten"? Der Entwurf ist nicht wirklich neu: Die französische Regierung unter Jean-Pierre Raffarin hatte ihn bereits am 16. Juli 2003 veröffentlicht. Der Senat, das konservativ dominierte "Oberhaus" des Parlaments, hat ihn bereits am 28. Januar 94 (in abgeänderter Fassung, die die wirtschaftsliberalen Tendenzen verschärft) angenommen. Dagegen war die Debatte in der Nationalversammlung (der parlamentarischen Kammer, die das entscheidende letzte Wort) schon zwei mal verschoben worden, im Juni und dann im Herbst 2004, aufgrund der massiven Widerstände gegen den Entwurf. Die Postbeschäftigten hatten sich damals in großer Zahl gegen den Text mobilisiert.

Der Gesetzentwurf übernimmt zwei Richtlinien der Europäischen Kommission vom 15. Dezember 1997 und vom 10. Juni 2002, die damit in französisches Recht umgesetzt werden. Demnach soll ab dem 1. Januar 2006 die freie Konkurrenz bei der Beförderung allen Postguts über 50 Gramm Gewicht einkehren (seit Jahresanfang 2003 ist bereits die Beförderung von Briefen und Poststücken oberhalb von 100 gr für die Konkurrenz freigegeben). Ab dem 1. Januar 2009 sollen alle Beförderungsleistungen für die freie Konkurrenz geöffnet werden.

Der Text übernimmt aber auch die Zielsetzungen des "Planvertrags 2003 bis 2007", der am 13. Januar 2004 zwischen der Postdirektion und dem französischen Staat vereinbart wurde. Dieser Vertrag, den damals sämtliche Gewerkschaften der Postmitarbeiter ablehnten, sieht die Ausrichtung der Post und ihrer Aktivitäten auf Rentabilitätskriterien vor ­ um mit anderen europäischen Anbietern von Postdienstleistungen, genannt werden vor allem die deutsche und die holländische Post, im Rahmen der Konkurrenzöffnung mithalten zu können.

Am selben Tag, an dem der Vertrag angenommen wurde, gab der französische Finanzgerichtshof (la Cour des comptes) einen Bericht zur angeblich notwendigen "Modernisierung und Kostendämpfung" im Postsektor bekannt. Darin wird das derzeit noch vorhandene landesweite Netz von Postbüros als "überdimensioniert" bezeichnet. Derzeit gibt es 17.000 "Postkontakte" im Land, darunter 12.500 voll funktionierende Postbüros. Davon sollen demnach auf Dauer nur noch 6.013 Postdienststellen übrigbleiben, über die Hälfte soll also verschwinden. (Zum Vergleich: In Deutschland gibt es rund 12.000 "Postkontakte", und die Zahl der voll funktionierenden Postbüros ist von 11.000 auf 3.700 gesunken; Zahlenangaben laut ’L¹Humanité' vom 18. Januar 04)

Zum Ausgleich wird die Öffnung sonstiger Postkontakte in Gestalt von "points Poste" etwa bei BäckerInnen und Lebensmittelhändlern in Aussicht gestellt; dadurch soll die Gesamtzahl von 17.000 irgendwie gearteten Postkontakten aufrecht erhalten bleiben. Dort: Nur wird man dann zwar vielleicht Briefmarken kaufen können; aber wo soll man Pakete aufgeben oder Einschreiben abholen? Die Raffarin-Regierung hat sich jetzt das Zahl, die Gesamtzahl von 17.000 (siehe oben) beizubehalten, auf die Fahnen geschrieben. Ferner hat sie in den Gesetzentwurf die ­ tröstlich gemeinte ­ Verpflichtung aufgenommen, "nicht mehr als 10 Prozent der Bevölkerung" eines Départements dürften "mehr als 10 Kilometer" von einem Postkontakt entfernt wohnen, sei es einem Büro von La Poste oder einer sonstigen Niederlassung beispielsweise auch eines privaten Anbieters. Beruhigende Aussichten für die EinwohnerInnen ländlicher Zonen...

Der oben zitierte Bericht des Rechnungshofs (Cour des comptes) schreibt ferner die Reduzierung der "zu hohen" Personalausgaben vor. Diese machen, bei insgesamt 320.000 Beschäftigten mit unterschiedlichem Statut, derzeit rund 65 Kosten der Gesamtkosten des (noch öffentlichen) Unternehmens La Poste aus. Der Bericht spricht einer Absenkung der Personalkosten um 20 Prozent das Wort, das entspricht den derzeitigen "Kosten" von 60.000 Arbeitsplätzen. Entsprechend fürchten die Postmitarbeiter und Gewerkschaften um die Zukunft der Arbeitsplätze.

Besonders kritisiert werden ferner die Vorstellungen über die Zukunft der Postbank. Alle finanziellen Dienstleistungen der Post (Kreditwesen, Schecks und Postbankkarten, Kontoführung...) sollen dem Gesetzentwurf zufolge künftig abgetrennt werden. Aus ihnen soll ein eigenständiges, "autonomes" Unternehmen "unter dem Dach von La Poste" geformt werden. Dieser Plan wurde durch die Verschärfungen, die der Pariser Senat im Januar 2004 an dem Text anbrachte, in den Entwurf hinein befördert. La Poste gilt bisher allgemein als "die Bank der Armen", da die Postdienste niemandem die Eröffnung eines Kontos verweigern dürfe. Deswegen haben auch SozialhilfeempängerInnen und von Überschuldung betroffene Haushalte ihr Postkonto; nur wird ihnen in der Regel ein Bankkarte zum Abheben verweigert, und sie müssen ihre Abhebungen am Schalter tätigen. Die große Befürchtung lautet nun, die Verpflichtung, auch solchen KundInnen die Unterhaltung eines Kontos anzubieten, werde künftig mit dem neuen "Postalischen Kreditinstitut" (ECP), das gegründet werden soll, wegfallen. Denn wenn dieses Kreditinstitut "autonom" ist und also nach eigenen Kriterien wirtschaften kann, dann dürfte auch die Sozialbindung, an die La Poste (als öffentlicher Dienstleister) gebunden ist, entfallen.

Laut dem Gesetzentwurf soll La Poste zukünftig noch mindestens 50 Prozent der Anteile an diesem Kreditinstitut halten; noch vor einem Jahr hatte die damalige Industrieministerin Nicole Fontaine öffentlich versichert, der öffentliche Dienstleister werde das Institut zu 100 Prozent kontrollieren. Bereits jetzt ist die Rede vom Einstieg einer Privatbank, konkret wird der Name der Société Générale genannt, in das Kapital dieser ECP-Bank genannt. Dann wird es auch egal sein, ob La Poste 49 oder 51 Prozent der Anteile hält: Genau wie bei anderen teilprivatisierten, ehemaligen öffentlichen Diensten (man denke an France Télécom) wird dann de facto nach privatschaftlichen Rentabilitätskriterien gewirtschaftet werden. Konsequenzen könnten u.a. sein, dass die auf den Postkonten liegende Guthaben etwa auch zu Zwecken finanzieller Spekulation "angelegt" werden. Und dass, wie das bereits in Italien, Spanien, GB oder der Schweiz der Fall ist, die Postbank Verbraucherkredite in Kooperation mit privaten Bank vermittelt.

Am Dienstag mittag behauptete die Postdirektion, der Streik habe mit 13 Prozent Beteiligung nur geringen Erfolg. Dabei hat die Direktion selbstverständlich ausgeklammert, dass nur die verbeamteten Mitarbeiter überhaupt von dem Streikaufruf betroffen waren. In Paris waren am Dienstag einige Postbüros vollständig geschlossen oder hatten ihre Schalter nur für die Abholung von Einschreiben geöffnet.


Mittwoch: Zoff bei der Eisenbahn

Von 20 Uhr am Dienstag abend bis 8 Uhr früh am Donnerstag läuft die Streikanmeldung bei der französischen Bahngesellschaft SNCF. Hier rufen fast alle bei den EisenbahnerInnen vertretenen Gewerkschaften (sieben von acht, mit Ausnahme der CFE-CGC als Vertretung der leitenden Angestellten) zum Ausstand auf.

Die linke Gewerkschaft SUD-Rail (SUD Schienenverkehr; 14,8 % der Stimmen bei Personalratswahlen) hat allerdings in ihrem Namen einen "unbegrenzten" Streik angemeldet und fordert die Fortsetzung der Arbeitsniederlegungen am Donnerstag. Ähnlich äußert sich derzeit verbal die populistische Gewerkschaft Force Ouvrière (FO, 6,6 % der Stimmen bei der Bahn), die allerdings noch keine Streikanmeldung in ihrem Namen über den Mittwoch hinaus angemeldet hat. Im Gegensatz zum Privatsektor müssen Streikbewegungen im öffentlichen Dienst vorher (5 Tage vorab) angemeldet werden. Zudem hat ein "sozialpartnerschaftliches" Abkommen von Ende Oktober 2004, das von der Mehrzahl der Gewerkschaften (aber nicht SUD und FO) unterzeichnet worden ist, weitere Vorwarnmechanismen im Streikfall eingeführt. Die Wirtschaftszeitunt ’Les Echos`vom Dienstag spricht deswegen auch von einem "Testfall" für das Abkommen, das Arbeitskämpfe bei der Eisenbahn kanalisieren soll.

Bei der Bahn geht es ebenfalls um die Löhne der öffentlich Bediensteten und die seit 5 Jahren erlittenen Kaufkraftverluste (siehe oben), aber auch um die Zukunft des öffentlichen Dienstes und die vorgesehen Arbeitsplatzvernichtungen. Der Haushalt der Bahngesellschaft SNCF für das Jahr 2005 sieht den Abbau von 3.590 Arbeitsplätzen (von derzeit insgesamt 168.300) vor, überwiegend durch Nicht-Ersetzung von Abgängen in die Rente. Zwei Drittel der Stellenstreichungen (2.666) konzentrieren sich im Bereich des Gütertransports, der defizitär ist und keine richtige Entwicklung erfährt, obwohl dies ökologisch dringend geboten erscheinen dürfte. Bereits im Vorjahr waren im Güterbereich der Bahn 2.505 Stellen abgebaut worden. Insgesamt erreicht der Stellenabbau in den vergangenen Jahren rund 15.000.

Die Gewerkschaften kritisieren ferner die Einrichtung neuer Filialen mit rein privatrechtlichem Statut, in die Eisenbahner (die mit dem Statut als öffentlich Beschäftigte ausgestattet sind) "abgestellt" werden können. Das gilt etwa für die Filiale iDTGV, in der Reservierungen für den Hochgeschwindigkeitszug TGV ausschließlich per Internet ­ gänzlich ohne Schalterverkehr ­ vorgenommen werden können.

Die SNCF sieht "bedeutende Störungen" für den Streiktag am Mittwoch vor. Im Großraums Paris werden voraussichtlich 16 bis 40 Prozent der Regionalzüge verkehren. Von den Fernzügen wird voraussichtlich nur jeder vierte, von den TGV-Hochgeschwindigkeitszüge jeder dritte einsetzbereit sein.

Am selben Mittwoch ruft bei den Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF, deren anlaufende Privatisierung im Juni 2004 vom Parlament beschlossen wurde, die Mehrheitsgewerkschaft CGT zu einem 24stündigen Streik auf. Force Ouvrière (FO) fordert zu vierstündigen Arbeitsniederlegungen auf.


Donnerstag: LehrerInnen, öffentlich Bedienstete

Am Donnerstag schließlich werden die LehrerInnen und die Staatsbeschäftigten (etwa die Bediensteten von Kommunalangestellten und Ministerien) die Arbeit niederlegen. In den Krankenhäusern sind die Beschäftigten der, konstant überlasteten, Notaufnahmen sowie die Psychiater zu Arbeitsniederlegungen aufgefordert.

Dabei geht es allen Beteiligten um die Entwicklung der Löhne in den öffentlichen Diensten und die erlittenen Kaufkraftverluste (vgl. oben). Im öffentlichen Bildungswesen geht es ferner auch gegen die fehlenden Mittel für die Schule sowie gegen das vor einer Woche im Kabinett angenommene "Orientierungsgesetz" für das Schulwesen. Dort rufen alle wichtigen Gewerkschaften zu dem Ausstand auf, mit Abstand am entschlossensten tritt aber die große spezifische Bildungsgewerkschaft FSU (durchschnittlich 45 Prozent der Stimmen bei Personalratswahlen) auf. Das Haushaltsgesetz für 2005 sieht den Abbau von 3.800 Lehrerposten vor, vor allem im industriellen Krisendépartement Nord (rund um Lille) fällt de Stellenabbau stark aus. Der Streikerfolg im Bildungswesen gilt allgemein als wichtiger Test nach der schweren Niederlage, mit welcher der Lehrerstreik im April, Mai und Juni 2003 (gegen die Renten"reform" und gegen die Dezentralisierung im Bildungswesen) endete.


Allgemeine Aussichten

An vielen Fronten richten die Ausstände, die in dieser Woche zu erwarten sind, also (neben lohnpolitischen Forderungen) auch gegen die Streichung von Arbeitsstellen. Und sie repräsentieren damit auch eine Verteidigung der öffentlichen Dienste, die im allgemeinen gesellschaftlichen Interesse liegt. Global betrachtet, plant die Raffarin-Regierung im laufenden Jahr, laut Haushaltsgesetz 2005, den Abbau von 7.188 Arbeitsplätzen in den öffentlichen Diensten. In den Vorjahren waren es noch "nur" 1.089 (2003) und 4.561 (2004; Quelle: ’La TribuneŒ vom 17. Januar 05).

Die Regierung reagierte bisher ausschließlich mit Arroganz auf die bevorstehenden Arbeitsniederlegungen. Ihr Minister für den öffentlichen Dienst, Renaud Dutreil, fühlte sich bemüßigt, öffentlich zu unterstreichen, die Streiktage der öffentlichen Bediensteten würden aber nicht bezahlt. Diese Anmerkung war völlig unnötig und gegenstandslos, da in Frankreich (wo es keine gewerkschaftlichen Streikkassen gibt, im Gegenzug aber die Beschäftigten auch ohne Zustimmung des Gewerkschaftsapparats streiken können) ohnehin Streiktag noch nie bezahlt worden sind. Die uninteressante Bemerkung sollte eine symbolische Drohung, im Gestus des erhobenen Zeigefingers, darstellen.

Die öffentliche Meinung dagegen folgt den anstehenden Arbeitsausfällen in den öffentlichen Diensten bisher überwiegend mit Sympathie. Laut einer Umfrage, die am Montag durch die Boulevardzeitung ’Le Parisien' veröffentlicht wurde, stehen 65 Prozent den Streiktagen mit "Unterstützung" (41 %) oder "Sympathie" (24%) gegenüber. Dagegen zeigen sich 19 % "indifferent" und lediglich 15 Prozent "ablehnend" (9 %) oder "feindlich" (6 %).

In den Prioritäten des allgemeinen Publikums scheint die Verteidigung der Löhne und der Kaufkraft Vorrang zu genießen, denn 75 % während laut derselben Umfrage bereit, selbst für dieses Anliegen zu demonstrieren. Die Verteidigung der öffentlichen Dienste würde dagegen "nur" 59 % auf die Straße bringen und jene der 35-Stunden-Woche lediglich 47 Prozent.


Und die (Offensive gegen die) 35-Stunden-Woche?

Das hängt sicherlich eng damit zusammen, dass letztere (die in den Jahren 1998/2000 durch die Jospin-Regierung auf halb gesetzlichem und halb "sozialpartnerschaftlichem" Wege eingeführt worden ist) nicht allgemein und nicht unbedingt mit einem verteidigungswerten sozialen Fortschritt identifiziert war. Tatsächlich bildete die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf durchschnittlich 35 Stunden (im Jahresmaßstab) faktisch vor allem das "Zuckerl", um gleichzeitig die bittere Pille der deutlichen Ausweitung flexibler und variabler Arbeitszeiten (nach den Bedürfnissen der Produktion bzw. Dienstleistung) besser verabreichen zu können. Was allerdings die derzeitige Regierung plant, und ihr Gesetzentwurf dazu ist seit vorigem Mittwoch (12. Januar) bereits im Parlament, ist die Rücknahme des Zuckerls bei gleichzeitiger weiterer Verabreichung der bitteren Pille... Hinzu kommt, dass aufgrund der starken Zersplitterung der arbeitszeitrpolitischen Situation (die 35-Stunden-Reform der Regierung Jospin benötigte zu ihrer Umsetzung einzelbetriebliche Abkommen) die Lage je nach Branche und Betrieb sehr unterschiedlich ausfallen kann. Was hier als objektiver Fortschritt erlebt wurde, wegen der Verkürzung der Arbeitszeiten, bleibt dort eher als notdürftiges Mäntelchen für verschärfte Arbeitshetze und Ausdehnung des Zeitdiktats der Betriebe in Erinnerung. Eine einheitliche Mobilisierung gegen diesen nächsten Angriff der Raffarin-Regierung, dessen Gesetzentwurf zum Thema im Februar in die Nationalversammlung kommt, wird deswegen möglicherweise schwierig und mühsam ausfallen.

Auf den Aufruf von vier Gewerkschaftsbünden (CGT, CFDT, FO, CFTC) zuzüglich der linken SUD-Gewerkschaften, die mit einem eigenen Aufruf mobilisieren, hin wird dennoch am Samstag, 5. Februar ein erster Demonstrationstag zum Thema ’35-Stunden-Woche' stattfinden. In den Aufruf wurde jedoch eine Verteidigung der Löhne und der Kaufkraft mit aufgenommen. Einerseits, weil vielleicht auch die Gewerkschaften teilweise nicht vom durchschlagenden Erfolg einer Kampffront zur (real existierenden) 35-Stunden-Woche überzeugt sein könnten. Zum Anderen aber auch, weil die zu niedrigen Löhne in vielen Sektoren derzeit zur Propagandawaffe der Rechten und des Arbeitgeberlagers in ihrem Kampf zur Aushebelung der paar positiven Aspekte der alten 35-Stunden-Reform geworden sind: "Wenn Ihr eifrig Überstunden kloppt" (dann, wenn die Betriebe Mehrarbeit benötigen und daher Überstunde anordnen), so lautet ihre Botschaft, "dann könnt Ihr auch das Nötige dazu verdienen". Wahrscheinlich eine Milchmädchenrechnung aus Sicht der Lohnabhängigen; wohl aber eine Propaganda, die zumindest teilweise zu verfangen droht.

Bernhard Schmid (Paris)


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