letzte Änderung am 04. Juni 2003 | |
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Ungleichzeitigkeit bleibt derzeit das bestimmende Element in der französischen Mobilisierung gegen die antisozialen "Reformpläne" der Regierung Raffarin Ungleichzeitigkeit zwischen verschiedenen Sektoren, und zwischen dem Niveau der Mobilisierung zu verschiedenen Zeitpunkten.
Am Montag abend dieser Woche begann der, von vielen Teilnehmern der Streikbewegung seit längerem erwartete, Ausstand in den Transportbetrieben bei der Bahngesellschaft SNCF sowie den städtischen Verkehrsmitteln (Metro-, Tram- und Buslinien) in 50 grösseren französischen Städten. Allerdings hatte er bisher nicht den von manchen erwarteten Effekt einer Initialzündung, die zu einer raschen Ausweitung des sozialen Konflikts mit Tendenz hin zum Generalstreik sorgen würde. Der Transportstreik ist in sich selbst von Ungleichzeitigkeit und widersprüchlichen Elementen geprägt. Vor allem auch deswegen, weil es der Regierung im Vorfeld gelungen war, einen Teil der Transport-Gewerkschaften aus der Streikfront herauszubrechen.
Flagrant ist dies bei der RATP, dem Metro- und Busbetreiber im Grossraum Paris, dessen streikbedingtes Lahmlegen den Gang mehrerer Millionen Menschen zur Arbeit beeinträchtigen und damit erhebliche Auswirkungen auf die gesamte Ökonomie hätte. Die Beschäftigten der RATP verfügen über eine spezifische, eigene Rentenkasse, wie auch die Eisenbahner der SNCF. Die konservative Regierung hatte in den letzten 10 Tagen alles daran gesetzt, um diesen geselschaftlichen Sektor von anderen Bereichen zu isolieren, indem man ihn scheinbar aus der "Reform" der Rentensysteme ausklammerte.
Bei der RATP ging die Rechnung halbwegs auf. Bei der Verkehrsgesellschaft des Grossraums Paris liegt die Zahl der Pensionsempfänger aufgrund des Altersdurchschnitts der Angestelltenbevölkerung deutlich niedriger als in anderen Bereichen. Daher konnte die Regierung hier relativ einfach Garantien für die Sicherung des jetzt bestehenden Rentenniveaus geben, die bis zum Jahr 2008 befristet sind. Den "gemässigten" Gewerkschaften (CFDT und FO) sowie den rein korporatistischen Verbänden genügte diese vorläufige Garantie, um ihren Streikaufruf bei der RATP zurückzuziehen. Allein die CGT, die rund 45 Prozent der Stimmen bei den Personalratswahlen stellt, sowie die (offiziell in dem Sektor bisher nicht anerkannte) linke Gewerkschaft SUD Transports rief ab Montag noch zur Arbeitsniederlegung bei der RATP auf. Deren Erfolg war eher durchmischt während einige Metrolinien nahezu vollständig lahmgelegt waren, verkehrten andere in fast normalem Takt. Gegen Wochenmitte hin waren die Streikeffekte bereits vermindert.
Bei der Eisenbahn (SNCF) dagegen stiessen die vorläufigen "Garantien" der Regierung auf weniger Glauben, zumal hier nur versprochen worden war, "erst" im kommenden Jahr die Rentenkassen zu "reformieren". Das war freilich eher als Drohung denn als Versprechen aufgefasst worden. Alle sieben Gewerkschaften bei der SNC, mit Ausnahme derunpolitisch-korporatistischen Lokführergewerkschaft FGAAC, riefen hier zum Ausstand auf. Da die FGAAC zwar nur 3 Prozent der SNCF-Beschäftigten, aber 30 Prozent der Lokführer organisiert, konnte dennoch rund ein Drittel der Züge verkehren. Die Auswirkungen des Streiks blieben von Region zu Region unterschiedlich.
Am stärksten mobilisiert bleiben die LehrerInnen, die in Paris rund die Hälfte der 80.000 Demonstrierendem vom Dienstag stellten. An diesem Tag fanden erneut frankreichweit über 110 Demonstrationen statt, die insgesamt rund 600.000 Menschen mobilisierten. Das waren allerdings weniger als bei den vorausgegangenen Aktionstagen am 13. und 25. Mai. Möglicherweise hat das Auseinanderziehen des Kalenders, das die CGT-Führung beschlossen hatte, bereits ein Stück weit "die Luft herausgelassen aus der Mobilisierung". Statt gleich nach dem unerwarteten Erfolg des 13. Mai überall die Arbeit niederzulegen, sollte etwa alle 10 Tage ein grösserer Aktionstag stattfinden (am 25. Mai, dann am 3. Juni und jetzt wieder am 10. Juni), während die CGT die sponant ausgesprochenen Transportstreiks vom 14./15. Mai noch abgewürgt hatte.
Ein entscheidendes Datum wird der 12. Juni bilden: An diesem Tag soll frankreichweit das Abitur stattfinden. Da die LehrerInnen aber derzeit die mit Abstand kämpferischste Berufsgruppe bilden, steht dessen Stattfinden unter Vorbehalt. Daher ist es sehr wahrscheinlich, dass die Regierung vor dem 12. Juni noch politischen "Ballast" abwerfen wird. Wahrscheinlich ist ferner, dass Bildungsminister Luc Ferry entlassen wird (angekündigt ist es seit längerem) - vielleicht auch nicht, weil die Lehrergewerkschaften bereits ankündigten, dass ihnen das Feuern des Ministers egal wäre: "Wir wollen nicht das ewig gleiche Ritual wiederholen: Der Minister wird geopfert, die Politik bleibt dieselbe."
Bis in der zweiten Junihälfte wird ferner feststehen, was bei den Streiks herumkommt, denn die umstrittene Renten"reform" (die im Augenblick im Mittelpunkt der Proteste steht, aber nicht deren alleiniger Grund ist) wird ab dem 15. Juni im Parlament beraten. Bis zum 20. Juli. soll sie auch beschlossen sein, da die Regierung den "Sommerpausen-Effekt" ausnutzen will. Das wissen auch jene, die ihre Arbeit niedergelegt haben. Daher wird der Konflikt notgedrungen, in der einen oder anderen Richtung, in den nächsten Wochen aufgelöst werden müssen.
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