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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Frankreich: Zum aktuellen Stand der Ereignisse an der Streikfront Eisenbahnerstreik dürfte vor vorläufigem Abbruch stehen. Die Verhandlungen bei der SNCF haben begonnen, scheinen aber noch nicht vor einem Durchbruch zu stehen. Am Dienstag hatten frankreichweit eine halbe Million Menschen demonstriert, aber aus unterschiedlichen Motiven. CFDT-Generalsekretär François Chérèque musste die Pariser Demo fluchtartig verlassen. Präsident Nicolas Sarkozy versucht, den "Knoten", der die heterogenen Forderungen zusammenhält - die gemeinsame Sorge um die Kaufkraft - zu durchschlagen. Sarkozy wandelt auf historischen Spuren : ,Il faut savoir terminer une grève' "Man muss einen Streik beenden können" (im Original: ,Il faut savoir terminer une grève' ): Mit diesen Worten äußerte sich der französische Präsident Nicolas Sarkozy, erstmals seit einer Woche, öffentlich zu den laufenden Streikbewegungen. Vor der Versammlung einer Vereinigung französischer Bürgermeister am Dienstag griff er damit, voller Ironie, eine berühmt gewordene Äußerung des französischen KP-Chefs während der stalinistischen Ära - Maurice Thorez - auf. Mit diesen Worten hatte Thorez 1936 für das Abwürgen des wilden Generalstreiks plädiert, nachdem seine Partei (unter dem Front populaire, auf Deutsch höchst grobschlächtig mit "Volksfront" übersetzt) erstmals in Regierungsnähe gerückt war: "Man muss einen Streik beenden können, wenn die wesentlichen Forderungen erfüllt sind, oder auch wenn alle Forderungen erfüllt sind, aber ein Kompromiss getroffen wurde." Nicolas Sarkozy geht es freilich um etwas Anderes, denn er möchte die anhaltenden Ausstände in den französischen Transportbetrieben sowie an den Universitäten beenden, und dabei gleichzeitig die Kernsätze der von ihm geplanten "Reformen" durchsetzen. In den Transportbetrieben geht es dabei um die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. An den Hochschulen dagegen um das bereits im Hochsommer verabschiedete - aber im Nachhinein heftig umstrittene Gesetz zur finanzpolitischen "Autonomie der Universitäten", das eine Öffnung zur Privatwirtschaft und die Stärkung der Macht der Universitätspräsidenten beinhaltet. Bezüglich der Studierenden höhnte Sarkozy, diese könnte angeblich "nicht einmal eine klare Forderung artikulieren". Stärkere Rücksichten nehmen muss er dagegen auf die Streikenden in den Verkehrsbetrieben, ohne dass er vom Kern seiner Pläne abrücken würde. Vor (vorläufigem) Abbruch des Bahnstreiks Der Anfang vom Ende des "unbefristeten" französischen Eisenbahnerstreiks ist, nach bisher achttägiger Dauer, mutmaßlich am Donnerstag früh eingeläutet worden. Am Vorabend hatten 50 von rund 100 Vollversammlungen der Streikenden in Bahnhöfen und besetzten Bahndepots, die am Mittwoch abgehalten wurden, einer vorläufigen Wiederaufnahme der Arbeit zugestimmt. Auch wenn es mehrere Tage dauern wird, bis der Eisenbahnverkehr wieder halbwegs den Normalzustand erreichen wird, schien damit eine wichtige Wende herbeigeführt zu sein. Die CGT, die mit rund 40 Prozent der Stimmen bei den letzten Personalratswahlen stärkste Gewerkschaftsorganisation bei den französischen Eisenbahnern, rief am Mittwoch Abend nicht zur Fortführung des Ausstands auf. Dies erklärte der Generalsekretär der Eisenbahner-Sektion der CGT, Didier Le Reste, der zugleich darauf hinwies, dass die Vollversammlungen der Streikenden souverän über die Fortsetzung oder Aussetzung des Arbeitskampfs entschieden. Ohne das Gewicht der CGT als solcher wird es den Streikteilnehmern jedoch schwer fallen, ihren Ausstand fortzusetzen, da die Gesamtbeteiligung ohnehin in den letzten Tagen allmählich abzubröckeln begann. Insbesondere infolge der wachsenden Lohnverluste, da es in Frankreich keine Bezahlung der Arbeitskampftage durch gewerkschaftlichen Streikkassen gibt, sondern die abhängig Beschäftigten jeden einzelnen Streiktag aus ihrer eigenen Tasche bezahlen. Zu Anfang der Woche waren laut Bahndirektion knapp 30 Prozent der Gesamtzahl ihrer Beschäftigten im Ausstand (und bei der Pariser RATP am Mittwoch nach Angaben der Direktion nur rund 17 Prozent, wobei es dennoch zu erheblichen Einschränkungen des Métro- und Busverkehrs kam). Dabei täuschen diese Durchschnittsziffern jedoch insofern erheblich, als vielmehr n eine Aufschlüsselung nach Beschäftigtenkategorien vorgenommen werden müsste. Denn für die Auswirkungen eines Streiks ist das fahrende Personal von höherer Bedeutung als die Schalterbediensten, und auch die höheren und leitenden Angestellten in den Büros sind in diese Gesamtziffer mit einbezogen. - Zumindest vorübergehend ist vor diesem Hintergrund, ab Ende der Woche, wohl mit einem Abflauen des Arbeitskampfs zu rechnen. Möglich geworden war dies dadurch, dass am Mittwoch früh Verhandlungen "ohne Vorbedingungen" bei der Bahngesellschaft SNCF eröffnet worden waren, denen die Regierung - nachdem sie anfänglich darauf beharrt hatte, dass der Rahmen der Verhandlungsspielräume von ihr abgesteckt worden sei und nur innerhalb davon Vereinbarungen getroffen werden könnten - im Prinzip auch zustimmte. Die drei Vertreter des Arbeitsministerium stimmten am Mittwoch bei der SNCF dem Formelkompromiss zu, wonach die Grundsatzfragen wie jene der Verlängerung der Lebensarbeitzeit - auf 40 Beitragsjahre zur Rentenkasse - "erwogen" ( évoqués ) werden sollten bzw. dürften. Dabei handelt es sich zwar vorwiegend um Rhetorik, denn das konservative Regierungslager ist zugleich äußerst fest entschlossen, an den Kernsätzen der geplanten "Reform" und insbesondere an der Verlängerung der Lebensarbeitszeiten (auch für die Eisenbahner und andere Beschäftigungsgruppen) nicht rütteln zu lassen. Denkbar geworden ist nun aber zumindest ein Formelkompromiss, dem zufolge die Regierung zwar einen Sieg in diesem Kernpunkt ihres Anliegens vermelden kann - aber zugleich durch finanzielle Kompensationen und Anrechnungsmodalitäten die konkreten Auswirkungen auf die Eisenbahner begrenzt bleiben. Konturen eines sich abzeichnenden "Kompromisses" Zumindest in den kommenden Jahren würden demnach Anhebungen des Grundlohns der Eisenbahner dafür sorgen, dass die "Strafbeträge" für fehlende Beitragsjahre zur Rentenkasse im Moment der Pensionierung genügend abgefedert werden, um real weiterhin eine relativ frühe Verrentung zu ermöglichen. Denkbar wird dies etwa durch die Einbeziehung von Nacht-, Wochenend- und anderen Zuschlägen, die bisher nicht in die Pension der Eisenbahner mit einberechnet wurden doch einen Gutteil ihrer Entlohnung ausmachen, sowie einen Zuschlag von maximal 5 Prozent - die Rede ist im Moment, zu Anfang der Verhandlungen, konkret freilich eher von 2,5 Prozent - auf den Grundlohn in den letzten Monaten vor der Pensionierung. Da die Pension der Eisenbahner auf der Grundlage der letzten sechs Monate vor der Verrentung kalkuliert wird, hätte auch eine solche zeitlich begrenzte Lohnerhöhung beträchtliche Auswirkungen auf die Rentenhöhe. Dieser Anrechnungsmodus ist relativ günstig, da die Pensionen für die Privatbeschäftigten früher auf der Basis des Durchschnittslohns der letzten 10 Jahre vor dem Abgang in die Renten berechnet wurden, seit einer "Rentenreform" von 2003 jetzt aber sogar auf der Grundlage des Einkommensdurchschnitts in den vorausgegangenen 25 Jahre - was eine klare Absenkung bedeutetet. Dennoch sind die Pensionen der Eisenbahner, bei gleichem Qualifikationsniveau, bislang um durchschnittlich 9 Prozent niedriger als jene der Privatbeschäftigten. Und dies, eben weil bislang die Lohnzuschläge aus dem Kalkül außenvor blieben, obwohl sie einen wichtigen Bestandteil des Eisenbahnerlohns ausmachen. Das könnte sich nun ändern. Allerdings fordern die Regierung sowie die Bahndirektion im Gegenzug ein Ende der Anpassung der Pensionen an die durchschnittliche Lohnentwicklung zugunsten ihrer Anpassung an die offizielle statistische Preisentwicklung. Dies käme wiederum einer klaren Absenkung im Laufe eines Rentnerdaseins gleich. Auch haben sie gestern Pläne für eine drastische Verschlechterung der Lohnbedingungen für alle künftig neu eingestellten Bahnbeschäftigten auf den Tisch gelegt. Verhandlungsbedarf wird es also noch genügend geben. Der Zeitrahmen der Gespräche ist nun auf einen Monat angesetzt worden, bis zum 20. Dezember. Im Falle eines Scheitern des Verhandlungen droht die Regierung damit, einseitig die Bestimmungen der "Rentenreform" für die Transportbediensteten bei Eisenbahn und den öffentlichen Nahverkehrsbetrieben festzulegen. Für denselben Fall hat die Transportföderation des Gewerkschaftsbunds CFDT (FGTE-CFDT, die wesentlich "linker" sowohl als der Dachverband CFDT als auch dessen Eisenbahnersektion bzw. ihre Führung ist), bereits eine Streikwarnung für den 20. Dezember 2007 hinterlegt. Im Gegensatz zur Privatindustrie und dem privaten Dienstleistungssektor müssen Streiks in Frankreich in den öffentlichen Diensten fünf Tage vor ihrem Beginn durch Hinterlegen einer Arbeitskampfwarnung angemeldet werden. Dies war im Jahr 1963 beschlossen worden, nachdem ein unerwartet ausgebrochener Métro-Streik spektakuläre Ergebnisse hervorgerufen hatte. Neben der Eisenbahn betrifft die geplante "Reform" auch die Energieversorgungsunternehmen EDF und GDF - öffentliche Unternehmen, deren zweitgenanntes sich aber trotz früherer anderslautender Ankündigungen der Regierung in der Privatisierung befindet - sowie die Nahverkehrsbetriebe. Das betrifft insbesondere die im Raum Paris tätige RATP ( Régie autonome des transports parisiens ), bei der am kommenden Montag die Verhandlungen anfangen, während der Métro- und Busverkehr am Donnerstag noch immer stark beeinträchtigt war. Circa jeder dritte bis vierte Métrozug verkehrte, am neunten Tag in Folge, wobei große Unterschiede zwischen den 14 Einzellinien der Pariser Métro und den verschiedenen Buslinien bestanden, je nach gewerkschaftlichem Organisationsgrad sowie dominierender gewerkschaftlicher Couleur der jeweils dort Beschäftigten. Der Arbeitskampf bei der RATP hatte am vergangenen Mittwoch früh, wenige Stunden nach dem Ausstand der Eisenbahner ab dem Abend des 13. November, begonnen. Bei den Pariser Nahverkehrsbetrieben wies die CGT am Mittwoch Abend darauf hin, dass die Vollversammlungen souverän entschieden, und bezog insofern nicht offen Position zur Frage einer Beendigung des Streiks. Bei EDF (wo in der Nacht des ersten Streiktags, am 14. November) ein erhebliches Abfallen der Energieproduktion zu verzeichnen gewesen war, und GDF wurden bereits am vergangenen Freitag Verhandlungen auf Unternehmensebene eröffnet. Dort wurde der Streik seitdem vorläufig ausgesetzt. Gewerkschaften unter Druck ihrer Basis Das bisherige Szenario des Streiks erscheint als nicht untypisch für französische Verhältnisse, wo Streikbewegungen in der Regel anders ablaufen als in den deutschsprachigen Ländern. Insbesondere ist auffällig, dass ein Arbeitskampf durchgeführt wird und notwendig ist, um überhaupt das Kräfteverhältnis herzustellen, das es den Beschäftigtenorganisationen erlauben wird bzw. soll, am Verhandlungstisch halbwegs substanzielle Zugeständnisse herauszuholen. Anders als etwa in der Bundesrepublik, wo die Aushandlung von Kompromissen zwischen den "Tarifspezialisten" beider Seiten - Arbeitgeber und Gewerkschaften - zunächst "Expertensache" ist und lange Zeit über bleibt. Erst wenn am Verhandlungstisch keinerlei Einigung erzielt werden kann oder die Gespräche blockiert sind, ruft das Gewerkschaftslager in der Regel als "ultimatio ratio" ("letztes Mittel", so die Formulierung der gültigen Rechtsprechung) ihre Basis zu Aktionen auf. Die Unterschiede bleiben freilich nicht dabei stehen, da diese unterschiedliche "Streikkultur" auch andere wesentliche Unterschiede automatisch impliziert. Insbesondere auch die Tatsache, dass die französischen Gewerkschaftsapparate zumindest über lange Phasen hinweg real gar nicht "Herren der Lage" sind, sondern die Beschäftigten an der Basis in hohem Maße selbst die Initiative besitzen. Wie es auch jüngst wieder der Hinweis der CGT auf die Souveränität der Vollversammlungen beweist. Auch wenn dieser ausdrücklich platzierte Verweis zugleich offenkundig taktischer Natur ist - denn wenn die CGT einen Streik abwürgen oder umgekehrt anfachen möchte, wissen ihre Funktionsträger in aller Regel, wie sie sich in den Vollversammlungen jeweils zu verhalten haben. Selbst dann, wenn sie es nicht offen ankündigen. Der Verweis mit dem Daumen über die Schulter auf die Vollversammlungen, die erst noch durch die CGT von der Qualität eines (vorläufigen) Verhandlungsergebnisses "überzeugt" werden müssen, ist insofern auch ein Mittel, um auf den Fortgang der Gespräche einzuwirken. Freilich stimmt es zugleich auch, dass im aktuellen Konflikt erhebliche Unterschiede in der Einschätzung der Spielräume etwa zwischen, dem Apparat der CGT und dem überwiegenden Teil ihrer Basis, sowie den Teilnehmern an den Streikversammlungen, bestehen. Letztgenannte mehrheitliche Basis sowie die linksalternative Basisgewerkschaft SUD-Rail (SUD Schienenverkehr) verfechten nach vor die Position, wonach die so genannte "Reform", insbesondere die Verlängerung der Lebensarbeitszeiten, schlicht und rundheraus abzulehnen sei. Die CGT-Führung glaubt jedoch, mehr im derzeitigen Kräfteverhältnis auf keinen Fall durchsetzen zu können, da die Regierung wild zum autoritären Durchsetzen auf Biegen und Brechen entschlossen scheint. Nicolas Sarkozys UMP droht auch bereits damit, Gegendemonstrationen gegen den Streik zu organisieren und diesen ins Leere laufen zu lassen, indem konservativ geführte Rathäuser etwa private Ersatzbusse zur Verfügung stellen. Eine erste Anti-Streik-Demonstration am Sonntag vereinigte in Paris rund 8.000 Leute, war aber noch nicht durch die Regierungspartei, sondern durch kleinere wirtschaftsliberale Vereinigungen (wie etwa ,Liberté Chérie' und ,Stop la grève' ) aufgerufen worden. Vor diesem Hintergrund fürchtet die CGT-Führung, im Falle einer Ausdehnung des Arbeitskampfs gegen eine Wand zu laufen. Zumal die Forderung nach Aufrechterhaltung von Sonderbedingungen für die Eisenbahner (u.a. Gruppen) notwendig als sozial ungerechtfertigt erscheine. Die CGT-Basis, FO und SUD-Rail plädieren hingegen dafür, stattdessen die Forderung nach "37,5 Jahren Beitragsjahre für alle" zu propagieren, als Antwort auf die Behauptung der Regierung, die bisher mögliche, relativ frühe Verrentung der Eisenbahner sei "sozial ungerecht". Das würde bedeuten, für die anderen Beschäftigtengruppen die "Reformen" von 1993 und vor allem 2003 - also die Anhebung der Beitragsjahre zur Rentenkasse auf 40 bis jetzt, und bis auf 42,5 ab dem Jahr 2020 - rückgängig zu machen. Diese Forderung, die in den Vollversammlungen der Streikenden in den Bahndepots höchst populär ist, ermöglicht potenziell den Brückenschlag zu anderen Beschäftigtenkategorien. Um sie wirklich durchsetzen zu können, müsste allerdings viel, sehr viel passieren. Die CGT-Führung glaubt nicht daran, möchte allerdings den Elan des Streiks nutzen, um durch reale Zugeständnisse die Auswirkungen der "Reform" in den kommenden Jahren für die Eisenbahner zu neutralisieren. Der Streik bei SNCF und Pariser Verkehrsbetrieben wurde seit dem Wochenende minoritär, behielt aber dennoch eine erhebliche Wirkung bei, da es bei einem Ausstand eher auf das Fahrpersonal denn auf die Schalterbediensteten ankommt. Da am Dienstag zudem noch rund eine halbe Million Beschäftigte aus anderen öffentlichen Diensten (Krankenschwestern und -pfleger, Lehrer/innen, Postbedienstete) - für ihre Kaufkraft sowie gegen den durch die Regierung geplanten Stellenkahlschlag - neben den Eisenbahnern demonstrierten, blieb ein Schwung im Arbeitskampf erhalten. François Chérèque flog hinaus (hihi) Frankreichweit gingen am Dienstag nach Angaben der Polizei 375.000, laut CGT 700.000 Menschen auf die Straße. In Paris sprachen die Veranstalter/innen von 70.000 Teilnehmer/innen. Auffällig war jedoch, dass mehrere Kräfte auch unter den OrganisatorInnen versuchten, die beiden Themenblöcke - die Abwehrkämpfe gegen die Angriffe auf die Renten unter den ,Régimes spéciaux' einerseits, die Lohn- und Arbeitsplatzfrage in den übrigen öffentlichen Diensten auf der anderen Seite - strikt auseinander zu halten. Dies gilt insbesondere für die rechtssozialdemokratische CFDT, die offen dafür plädierte, beide Anliegen zu trennen. So tönte ihr Generalsekretär François Chérèque am Vorabend der Demonstrationen, man dürfe "nicht alles miteinander vermischen", denn sonst gebe es ein unübersichtliches Gemengelage "und die Regierung pickt sich dann die Elemente heraus, auf die sie antworten möchte". Darüber hinaus griff er "Minderheiten" an, dass sie statt eines rein gewerkschaftlichen Kampfs "eine globale, politische (Streik)bewegung möchten". Nicht gar so offen für eine säuberliche Trennung von Kampffronten und Anliegen plädierte die CGT, die jedoch ihrerseits nichts dafür tat, offensiv zu einer "Konvergenz" und einem Zusammenfließen der Kämpfe beizutragen. Nicht sonderlich willkommen in der Pariser Demonstration war unterdessen der CFDT-Oberbürokrat François Chérèque. Er wurde bei seiner Ankunft im Spitzenblock einem Pfeifkonzert ausgesetzt, einige Dutzend Aktive - von denen einige CGT-Aufkleber an der Kleidung trugen - griffen ihn darüber hinaus über längere Zeit verbal an. Nach einer halben Stunden verließ Chérèque, der u.a. als "Kollaborateur" Sarkozys und des Kapitals bezeichnet worden war, "fluchtartig" (so entsprechende Agenturmeldungen) die Demonstration. Es ist nicht das erste Mal, dass ein rechter Knochen an der Spitze der CFDT aus einer Pariser Demonstration hinaus komplimentiert wird. Ähnliches widerfuhr bereits Chérèques Amtsvorgängerin, der noch rechteren Einpeitscherin und CFDT-Generalsekretärin Nicolas Notat (Spitzname: ,la tsarine', also "die Zarin"), anlässlich von Großdemonstrationen in Paris am 28. November 1995 zur damaligen "Gesundheitsreform" sowie am 17. Oktober 1996 bei einem "Aktionstag" der öffentlich Bediensteten. Nicole Notat hatte damals die Kernsätze der "Gesundheitsreform" (welche u.a. die Dämpfung der Gesundheitskosten und ihr jährliche Deckelung durch das Parlament vorsah und daneben ein paar technische Verbesserungen enthielt) der konservativen Regierung von Alain Juppé unterstürzt, ähnlich wie ihr Nachfogler François Chérèque 2003 die "Rentenreform" der konservativen Regierung Raffarin. Nicole Notat ist heute als Unternehmensberaterin an der Spitzer ihrer eigenen Beraterfirma an der Porte de Bagnolet, in Paris, tätig. Sarkozy hält Ansprache im Fernsehen an "die Nation" Was die unterschiedlichen Forderungen bisher wie ein "Knotenpunkt" zusammenhält, ist insbesondere die Furcht vor Verlust an Kaufkraft, ja vor Verarmung (insbesondere im Alter). Dies gilt für die Rentenfrage, aber auch für die Anliegen der öffentlich Bediensteten und für den Zorn des Publikums gegenüber den durch die Krankenversicherung bzw. die Justizbeihilfe (im Rahmen des Armenrechts) nicht rückzahlbaren "Freibeiträgen" bei der medizinischen Versorgung und dem Zugang zur Justiz. Nicolas Sarkozy und seine Umgebung haben deshalb beschlossen, zu versuchen, diesen "Knotenpunkt" zu durchschlagen, indem sie die allgemein sich ausbreitende Furcht zum Thema Kaufkraft entschärft. Zu diesem Zwecke wird Präsident Sarkozy an diesem Donnerstag Abend oder Freitag Abend eine Ansprache im französischen Fernsehen an "die Nation" halten. Dabei wird er neue Ankündigungen zum Thema Kaufkraft tätigen. Die konkreten Maßnahmen bleiben abzuwarten, aber es zeichnet sich ab, dass sie die erwerbstätige Bevölkerung weniger in ihrer Eigenschaft als Lohnabhängige denn als Konsumenten (vollauf der neoliberalen Logik entsprechend) betreffen werden. Gedacht ist allem Anschein nach, einem Bericht in der Mittwochsausgabe der Pariser Abendzeitung ,Le Monde' folgend, an eine Absenkung der Verbraucherpreise in den Supermärkten sowie an gesetzgeberische Aktionen gegen "Knebelverträgen" bei Mobiltelefonverträgen. Sarkozys Bemühen um Profilierung durch Einwirkung auf die Supermarktpreise ist nicht besonders neu: Bereits in seiner Amtszeit als Wirtschafts- und Finanzminister, von März/April bis November 2004, hatte er nach einigen spektakulären Gestikulationen eine Senkung der Endverbraucherpreise in den Supermärkten um 2 Prozent erzielt. Hinterher stellte sich allerdings heraus, dass diese Senkung in der Praxis nur eine bestimmte Produktpalette betraf, während dieses Absinken der Preise durch die Supermärkte durch Erhöhungen bei einigen anderen Produkten kompensiert wurde. Bei diesem Mal möchte Sarkozy allerdings dem Vernehmen nach ein bisschen härter hinlangen: Dem Artikel in ,Le Monde' zufolge hat die Regierungsmannschaft zunächst damit gedroht, die von den Supermärkten den Produzenten (u.a. Landwirten) aufgedrückten, immer höheren Sonderzahlungen "für Serviceleistungen" - die in den letzten Jahren von rund 25 auf rund 35 Prozent anstiegen, und die notwendig auf die Produkte draufgeschlagen werden - abzuschaffen. Nun ist allerdings schon wieder nur noch die Rede davon, sie "zu kontrollieren". Sabotageakte am TGV In der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch wurden Sabotageakte an den Linien des Hochgeschwindigkeitszugs TGV vermeldet. An vier TGV-Linien, die von Paris ausgehen, so an der Atlantikstrecke und in Ostfrankreich, wurden Kabel angeschmort und bestätigt. An einer Stelle verbrannten 30 Streckenkilometer. Nachdem es am frühen Vormittag (auch unter dem Überraschungseffekt) zu teilweise dreistündigen Verspätungen gekommen war, blieb es am frühen Nachmittag etwa in Nordostfrankreich bei 15- bis 20minütigen Verzögerungen gegenüber dem Normalfahrplan. Die Auswirkungen konnten so durch die Bahngesellschaft schnell aufgefangen werden. Sie wurden sogleich durch die CGT und kurz darauf durch alle Eisenbahnergewerkschaften verurteilt, während die bürgerliche Presse sofort äußerst breit darüber berichtete. Aktionen einer Minderheit, die glaubt, auf diese Weise - außerhalb der Arbeitskämpfe selbst - als auf eigene Faust handelnde "radikale Avantgarde" eine Radikalisierung herbeiführen zu können, da sie die Massenkämpfe sonst verloren glaubt? Oder gezielte Aktionen, um die Bewegung zu diskreditieren, wie manche glauben? Eine Antwort fällt derzeit noch schwer. Bizarr ist unterdessen, dass es weder bei den größeren Eisenbahnerstreiks von 1995 noch bei denen von 2003 zu den kleinsten Beschädigungen am Material kam, worauf die Streikposten und die Gewerkschaften sorgfältig geachtet hatten. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige "Superradikale" hier auf eigene Initiative unterwegs waren, ohne Rücksicht auf die Auswirkung auf die Streikbewegung selbst. Aber die öffentliche Meinung droht, auch aus anderen Gründen und namentlich den Wartezeiten für die Passagiere und den Sozialneidkampagnen der Konservativen gegen die angeblich "privilegierten" Eisenbahner, zugleich gegen die Streiks zu kippen. Artikel von Bernard Schmid vom 22.11.07 |