letzte Änderung am 26. Juni 2002

LabourNet Germany ARCHIV! Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Home -> Internationales -> Frankreich -> Sozdem Suchen

Französische Sozialdemokraten zwischen Arbeiterbewegung und Sozialliberalismus

Bernhard Schmid, Paris

 

In der nunmehrigen parlamentarischen Opposition stellt die französische Sozialdemokratie die absolut dominierede Kraft dar. Ihre Stellung ist weit hegemonialer als zur Zeit der Regierungskoalition der "pluralen Linken" unter Lionel Jospin (Premierminister von Juni 1997 bis Mai 2002). Der Hauptgrund dafür ist das "Trauma" der Präsidentschaftswahl, bei der nur noch die konservative und die neofaschistische Rechte in der Stichwahl vertreten waren. Die Logik des vote utile, des vermeintlichen "Nützlich-Stimmens" - um wenigstens einen Vertreter der Linken im weiteren Sinne in die Stichwahl schicken zu können - hat daher bei der Präsidentschaftswahl voll gegriffen. Der Parti Socialiste (PS) konnte sein eigenes Ergebnis bei den jüngsten Parlamentswahlen sogar von 23,7 Prozent (1997) auf jetzt 24,1 Prozent knapp verbessern. Hingegen müssen seine bisherige Koalitionspartner die Zeche zahlen.
 
Die KP erhielt im ersten Durchgang der Parlamentswahl 4,8 Prozent der Stimmen (gegenüber 9,9 Prozent bei der Parlamentswahl 1997) und kassierte damit, nach der Präsidentenwahl, einen erneuten schweren Schlag. Absprachen mit den Sozialisten über einige Wahlkreise, die der KP (ohne Konkurrenz durch andere Linksparteien) reserviert blieben, haben es der Partei jedoch erlaubt, knapp ihre Parlamentsfraktion - dafür sind 20 Abgeordnete erforderlich, die KP hat ihrer 21 (gegenüber 36 zuvor) - zu retten. Der Preis dafür war, dass die KP erstmals seit den 30er Jahren nicht mehr in allen Wahlkreisen flächendeckend antrat, sondern ihrerseits in circa einem Fünftel der Wahlkreise gegenüber sozialdemokratischen und/ oder grünen Bewerbern zurückstand. (Die Wahlabsprache betraf 170 von insgesamt 577 Wahlkreisen, die besonders durch die Rechte gefährdet schienen.) Da die KP-Bewerber in manchen Wahlkreisen die Stimmenpotenziale aller Linksparteien auf sich zogen, muss ihr jetziges Gesamtergebnis von 4,8 Prozent sogar noch als łkünstlich˛ geschönt gelten. Vor allem ihre Wählerschaft ist es, die aus sozialer Unzufriedenheit heraus den Urnen fern bleibt oder jedenfalls nicht mehr für die etablierte Linke stimmt.

Die Grünen mit 4,4 Prozent und nur noch drei Abgeordneten mussten ebenfalls Federn lassen.

Die radikale Linke mit 2,8 Prozent (gegenüber 2,2 Prozent bei der Parlamentswahl 1997) fällt hinter ihre Wahlerfolge bei vorangegangenen Wahlen (Regionalwahlen 1998, Europaparlamentswahl 1999, Präsidentschaftswahl 2002) zurück. Die Aussichtslosigkeit, unter dem Mehrheitswahlrecht einen Sitz zu erhalten, und die sehr massive Kampagne für das "kleinere Übel" gegenüber einer "rechten Republik" hatten ihr große Steine in den Weg gelegt. Die LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) überholt zum ersten Mal bei einer landesweiten Wahl knapp die Wahlergebnisse von LO, Lutte Ouvrière (1,3 gegenüber 1,2 Prozent). Das dürfte eine Quittung für die sektierische Ablehnung jedes Wahlbündnisses der radikalen Linken durch LO bilden. Aber auch für das Auftreten von LO nach der Präsidentschaftswahl, als die Organisation von Arlette Laguiller den Eindruck erweckte, das Erschrecken über den Erfolg von Jean-Marie Le Pen gehe sie nicht viel an.

 

Die sozial- und wirtschaftspolitischen Konzepte des PS

Eine Schlüsselfrage für die nähere Zukunft dürfte sein, wie sich die nunmehr größte parlamentarische Opositionspartei profilieren wird. Ein Teil der PS-Verantwortlichen hatte zwischen der Präsidentschafts- und der Parlamentswahl das Wahlprogramm zunächst ein wenig nach links verschoben, um sich den verlorenen Wählern auf der Linken und in den sozial schlechter gestellten Klassen wieder anzunähern.

In Erwartung eines Wechsels in die Opposition, der für den PS nicht wirklich überraschend eintrat, hatten sie zum Ziel erhoben, die Sozialdemokratie in der Oppositionszeit wieder aufzubauen. So, wie der PS das erfolgreich nach seiner drastischen Wahlniederlage im März 1993 vermocht hatte. Damals, nach fünf Jahren sozialliberaler Mehrheit - der PS regierte zwischen 1988 und 1993 mit einem Teil der liberal-konservativen UDF zusammen - hatte sich der Stimmenanteil des PS exakt halbiert. Doch die zwischen 1993 und 1997 anschwellenden gesellschaftlichen Protestbewegungen gegen die neokonservative Regierungspolitik hatten es dem PS erlaubt, rasch wieder zu "gesunden". Lionel Jospin erhielt einen unerwarteten Erfolg bei der Präsidentschaftswahl 1995, und 1997 gelang es ihm, den Regierungswechsel herbeizuführen.

Seit Mitte Mai dieses Jahres forderte das Wahlprogramm des PS nunmehr plötzlich, Unternehmen, die Subventionen zur Beschäftigungsförderung erhalten haben, sollten diese Gelder wieder zurückerstatten, wenn sie dennoch entlassen. Die KP hatte zwar schon vor zwei Jahren einen entsprechenden Gesetzestext eingebracht, der auch von der Koalition verabschiedet wurde. Die sozialistischen Ministerien hatten nur leider "vergessen", die notwendigen Ausführungsbestimmungen dafür zu erlassen. Zudem sollten die Beschäftigten künftig besser "gegen ungerechtfertigte Entlassungen" geschützt werden. Zum Zeitpunkt der börsenbedingten Entlassungen beim Automobilhersteller Michelin verkündete Regierungschef Lionel Jospin im September 1999 noch, dass "der Staat nicht alles regeln" könne. Alle diese Forderungen waren in der "Plattform" Lionel Jospins zur Präsidentschaftswahl im April nicht enthalten gewesen.

Ex-Wirtschaftsminister Dominique Strauss-Kahn (DSK) musste sich am 22.. Mai in einer Fernsehdebatte von Journalisten fragen lassen, warum er denn jetzt die "Umverteilung der Reichtümer" predige, wo er doch in seiner Amtszeit explizit erkläre habe, Eingriffe in die Reichtumsverteilung seien "nicht Sache des Staates". Strauss-Kahn redete sich darauf heraus, beim PS habe man "das Signal der Wähler verstanden". Offenkundig scheint jedenfalls, dass man gut zwischen Oppositions- und Regierungsprogramm zu unterscheiden weiß.

Doch manche hohen PS-Funktionäre hatten gegen diese wahlpolititisch motivierte Korrektur protestiert. So Laurent Fabius, bis vor kurzem Jospins neoliberaler Wirtschafts- und Finanzminister. Er tönte in der PS-Parteizentrale: "Das ist ein Scheißprogramm, das uns automatisch verlieren lassen wird". Er hat andere Visionen von einem Wiederaufbau der Sozialdemokratie: Erst als Tony Blair mit seiner modernisierten Variante des Thatcherismus angetreten sei, räsonniert er, habe die Partei nach 18 Jahren endlich die Opposition verlassen können. Und eine künftige, erneute Enttäuschung der sozialen Veränderungswünsche ihrer Wäherschaft sollen die Sozialisten - geht es nach seiner Vorstellung - künftig anders verhindern. Nämlich, indem sie gar keine Hoffnungen auf soziale Veränderung mehr erwecken.

In der Woche nach der Parlamentswahl ist Laurent Fabius nunmehr zum Parteisprecher der Sozialisten ernannt worden, der bisherige Sprecher Vincent Peillon - ein smarter junger Aufsteiger, der schon auch mal strategisch geschicktes Verständnis für das Attac-Netwerk bekundet hatte - wurde "geopfert". Im März 2003 soll nunmehr ein PS-Kongress einen Richtungsentscheid treffen. Wahrscheinlich dürfte danach, neben der Sozialdemokratie, noch reichlich Platz auf der Linken sein. Es gilt ihn zu nutzen, möchte man vermeiden, dass - mit Verlaub - die linke und gewerkschaftliche Wählerschaft ein weiteres Mal verarscht wird.

LabourNet Germany Top ^