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Updated: 18.12.2012 15:51
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Eisenbahnerstreik - eine aktuelle Bilanz

Nachdem am Donnerstag den 24. November die "Rückkehr zur "Normalität" des Bahnverkehrs ausgerufen worden war, versucht Bernard Schmid in seinem Beitrag "Ergebnisse des Eisenbahnerstreiks und Versuch einer Bewertung" vom 25. November 2005 eine aktuelle Bilanz.

Ergebnisse des Eisenbahnerstreiks und Versuch einer Bewertung

Eine „Rückkehr zu einer normalen Verkehrssituation“ wurde am gestrigen Donnerstag bei der französischen Bahngesellschaft SNCF bekannt gegeben. Der landesweite Ausstand der Eisenbahner/innen, der am Montag dieser Woche um 20 Uhr (als „unbefristeter und alle 24 Stunden per Votum in den Streikversammlungen verlängerbarer“ Streik) begonnen hatte, war im Laufe des Mittwoch zunehmend abgebröckelt. In den jeweiligen Vollversammlungen hatte ein Bahndepot nach dem anderen für die Wiederaufnahme der Arbeit gestimmt: Toulouse, der Bahnknotenpunkt Villeneuve-Saint-Georges (südöstlich bei Paris), ...

Die „heisse Phase“ des landesweiten Arbeitskampfs der Bahnbeschäftigten hat also nur 24 Stunden, im Laufe des Dienstag, angedauert. Die verhältnismässig schnelle Beendigung des Streiks hängt unmittelbar mit zwei Faktoren zusammen: der mässigen bis relativ geringen aktiven Teilnahme an ihm einerseits, und den am Dienstag durch die Bahndirektion vorgenommenen Zugeständnissen andererseits.

Die Verhandlungsergebnisse

Fangen wir bei den Zugeständnissen an. Als Ergebnis eines fünfstündigen Treffens zwischen SNCF-Vertretern und den Gewerkschaften am Dienstag wurde in den Radionachrichten und anderen Medien zunächst vor allem berichtet, die Direktion habe 0,3 % Lohnerhöhung (ab dem 1. Januar 2006) sowie die Zahlung einer Einmal-Sonderzahlung in Höhe von 120 Euro eingeräumt. Ferner werden für das kommende Jahr 700 Neueinstellungen bei der Bahngesellschaft SNCF zugesagt.

Die 120 Euro an einmalig auszuschüttender Prämie kommen zu den (für zwei Jahre zusammenkommenden) Lohnprämie von 400 Euro für die beiden Jahre 2004 (160 E) und 2005 (240 E) hinzu. Es handelt sich um eine Gewinnbeteiligung für die abhängig Beschäftigten, welche die Direktion bereits vor Beginn des Streiks angeboten hatte, aber die durch die Mehrheitsgewerkschaft CGT in dieser Form oder Höhe abgelehnt worden war. Unklarheit entsteht allerdings durch eine Äuberung von SNCF-Präsidednt Louis Gallois, der am Donnerstag im öffentlichen Fernsehsender France 2 erklärte: „Es handelt sich nicht um eine neue (zusätzliche) Ausgabe gegenüber dem, was wir (ohnehin) hätten tun müssen, da ein Abkommen über Lohnanreize durch Prämien/Gewinnbeteiligung in Kraft ist“. Gleichzeitig stellt die SNCF-Direktion jetzt Neuverhandlungen über die Lohnzulagen in Aussicht, freilich ohne nähere Präzisierung.

Den Lokführern werden ihrerseits „Neuverhandlungen“ zum Thema der Nachtarbeit zugesichert. Die Abwehr des Vorhabens der Bahndirektion, in Bälde die Nachtschicht der Lokführer/innen von 4 auf 6 Stunden zu verlängern, hatte die Hauptforderung ihrer Berufsgruppengewerkschaft FGAAC gebildet. (Die FGAAC hatte sieben spezifische Forderungen für ihre Berufsgruppe aufgestellt, neben den 16 allgemeinen und alle Bahnbeschäftigten betreffenden Punkten, die im Forderungskatalog der zum Streik aufrufenden Gewerkschaften standen.) Die näheren Konturen und Ergebnisse dieser Verhandlungen muss man nun abwarten.

Von einem Punkt der Zugeständnisse der Direktion war in den Medienberichten nicht so viel die Rede: Während im Vorfeld des Streiks relativ viel darüber berichtet wurde, die Gewerkschaften wehrten sich gegen eine „schleichende Privatisierung“ (obwohl vielerorts in den Medien gleichzeitig auch behauptet wurde, es gebe keine Privatisierungsdrohung), war von diesem Thema im Nachhinein kaum noch die Rede. Die Medieninformationen beschränkten sich weitgehend auf die lohnpolitischen Zugeständnisse. Dabei gibt es zumindest eine nicht unwichtige Neuerung in Sachen Filialisierung und (sektorenweiser) Privatisierung zumindest der Rechtsformen bei der Bahngesellschaft: Die bisherige Filiale iD TGV, die für den Internet-Verkauf der Tickets für die Hochgeschwindigkeitszüge (TGV) verantwortlich war und deren Beschäftigte nicht unter dem Eisenbahner-Statut, sondern ausschlieblich mit privatrechtlichen Verträgen eingestellt waren, wird nun aufgelöst. Ihre Beschäftigten müssen in die allgemeinen Strukturen der Bahngesellschaft integriert werden. Damit wird die Tendenz hin zur Filialisierung und Auslagerung von Tätigkeiten aus dem „Kerngeschäft“ der SNCF nicht beendet sein. Der Internet-Verkauf der Tickets muss aber vorläufig wieder durch die Bahngesellschaft selbst übernommen werden, was vielen GewerkschafterInnen zumindest als wichtige symbolischer Sieg gilt.

In der Gesamtschau sehen die Ergebnisse des Streiks, jedenfalls so wie sie in den Medien präsentiert werden (mit einer Konzentration auf die rein lohnpolitischen Aspekte), eher mager aus. Hingegen meint Annick Coupé, die Sprecherin des Dachverbands der linken Basisgewerkschaften SUD-Solidaires, im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen (am Donnerstag), diese Ergebnisse seien nicht so schlecht. Jedenfalls, wenn man die relativ schwache Streikbeteiligung berücksichtige, sei das mutmabliche Maximum an Zugeständnissen herausgeholt worden: Angesichts einer nicht sonderlich gut angelaufenen Streikbewegung hätte bei einer Fortführung des Ausstands über mehrere Tage hinweg die reale Gefahr bestanden, dann mit einer totalen Niederlage und entsprechenden Frustrationen und Enttäuschungen zu enden. Die Garantie der Neueinstellung von 700 Beschäftigten und die Auflösung der Filiale iD TGV sind für Annick Coupé die wichtigsten Zugeständnisse, die herausgeholt werden konnten.

Streikbeteiligung: eher schwach

Der entscheidende Knackpunkt liegt selbstverständlich darin, dass der Arbeitskampf (auf Beschäftigtenseite) nicht sonderlich gut anlief. Am Dienstag gab die SNCF-Direktion eine Streikbeteiligung von „22,8 Prozent“ an. Die Eisenbahner-CGT bestritt diese Angaben der Direktion (wie oftmals) und nannte andere, jedoch nicht so präzise Zahlen; sie sprach von einer Teilnahmequote von „rund 30 Prozent“. Bei jedem gröberen Eisenbahnerstreik gibt es diesen Streit um die Beteiligungszahlen. Es scheint aber, dass die Auswertung durch die Pariser Abendzeitung „Le Monde“ kaum bestritten werden kann, derzufolge es sich um drittniedrigste Beteiligung an einer Streikbewegung bei der französischen Bahn in den letzten 10 Jahren handelt; während dieses Zeitraums wurden insgesamt 22 Streikbewegungen bei der SNCF verzeichnet.

Am Mittwoch sprach die Direktion noch von 10 Prozent Streikbeteiligung, während der Ausstand allgemein abbröckelte. Abweichende Zahlenangaben sind jedenfalls dem Autor nicht bekannt.

Die Gründe für dieses relativ schwache Anlaufen des Arbeitskampfs müssen analysiert werden. Neben einer möglichen gewissen Ermüdung der Beschäftigten (es handelte sich um den sechsten Streikaufruf in diesem Jahr 2005 bei der SNCF) spielt sicherlich der eiskalte Wind, der diesem Ausstand aus dem Grobteil der Medien und mindestens einem relevanten Teil der – wahrnehmbaren – öffentlichen Meinung entgegen schlug, eine wichtige Rolle. Ein gewisses Misstrauen hinsichtlich der („politisch motivierten“) Taktiken, die durch die Gewerkschaftsapparate aus Eigeninteresse verfolgt würden, konnte bis hinein in Teile des SNCF-Personals verankert werden.

Die Mehrheitsgewerkschaft CGT muss im März 2006 die Personalratswahlen überstehen (und will deswegen dem kämpferischen Konkurrenten SUD Rail – SUD Schienenverkehr – nicht allein das Feld überlassen, so hieb es vielerorts), und im April 2006 steht der Kongress des Dachverbands CGT auf der Tagesordnung. Die Führung des Dachverbands benötigt für eine Wiederwahl sicherlich ein halbwegs sichtbares Symbol (wie ein erfolgreicher Streik bei der SNCF es wohl gewesen wäre), vor allem nach ihrem offenkundigen Looser-Kurs in Sachen Privatisierung von Electricité de France, die jüngst erfolgte. Paradoxerweise kann das Ausbleiben des sichtbaren Erfolgs bei diesem Streik jedoch eher noch die aktuelle Führung unter CGT-Generalsekretär (und Ex-Eisenbahner) Bernard Thibault stärken. Dies deswegen, weil viele Eisenbahner-Sektionen, namentlich die starken Verbände im Raum Marseille und in Seine-Saint-Denis (Pariser Vorstädte), der radikaleren oder auch traditionskommunistischen Opposition innerhalb des Dachverbands CGT nahe stehen.

Insofern hatte vor allem die CGT sicherlich auch eigene, in ihrer Apparatlogik begründete Interessen mit dem Streik verbunden. Dies erklärt jedoch nicht hinreichend, warum der Arbeitskampf auch durch andere Gewerkschaften unterstützt, bei der Bahngesellschaft SNCF trugen ihn immerhin vier gröbere Gewerkschaften (CGT, SUD-Rail, Force Ouvrière und die Berufsgruppengewerkschaft der Lokführer FGAAC). Es gab auch wichtige inhaltliche Gründe für den Streik, namentlich im Hinblick auf die drohende „schleichende Privatisierung“. Auch wenn dies relativ schwer vermittelbar erschien, nachdem SNCF-Präsident Louis Gallois und führende Politiker „schriftliche Garantien“ gegen eine Privatisierung der SNCF (welche für deren Kerngeschäft aber ohnehin nicht erwartet worden wäre) abgegeben hatten. Der aktuelle Bahnchef Louis Gallois, der persönlich ein Anhänger des republikanischen Linksnationalisten Jean-Pierre Chevènement und damit sicherlich eher ein Freund von Staatsintervention ist, mag als Privatperson sogar dabei glaubwürdig sein: Er dürfte sich höchstwahrscheinlich auch nicht für eine klare Privatisierung begeistern. Am sukzessiven Eindringen privatkapitalistischer Interessen in diesen Sektor, und damit auch in die Bahngesellschaft selbst (insbesondere im Zuge ihrer Filialisierung), vor dem europaweiten Kontext im Transportsektor dürfte dies aber nichts ändern.

Eine Schlüsselrolle für die gedämpfte Mobilisierung bei dem Streik spielte sicherlich auch die Furcht vieler Beschäftigten, in einen Konflikt hineingezogen zu werden, dessen (erfolgreiches) Ende nicht abzusehen ist. Die gröberen Streikbewegungen der letzten Monate haben doch gezeigt, so hat es jedenfalls den Anschein, dass die Ausstände entweder mit einer bitteren Niederlage nach längerem Kampf enden (wie bei der Marseiller Schifffahrtsgesellschaft SNCM). Oder aber dass die Gegenseite wochenlange Konfliktsituationen, ohne jegliche substanziellen Zugeständnisse, einfach „vor sich hin modern“ lässt und „aussitzt“ (wie derzeit noch bei den Marseiller städtischen Verkehrsbetrieben RTM, nach über 45 Streiktagen). In einen solchen scheinbaren Konflikt ohne Ende und ohne positives Resultat hinein gezogen zu werden, war sicherlich eine grobe Furcht bei vielen Bahnbeschäftigten. In diesem Sinne äubert sich auch Didier Le Reste, der Generalsekretär der Eisenbahner-CGT, in den Spalten von „Le Monde“.

Der „Service minimum“, Hobbythema der Rechten

Zumindest einen Vorzug hatte die verhältnismäbig schnelle Beendigung dieses Bahnstreiks: Die konservative Rechte hat nicht die Zeit gefunden, das Thema des (durch Dienstverpflichtungen zu garantierenden) obligatorischen „Service minimum“ auf die Tagesordnung zu setzen. Besonders im Kontext eines eher unpopulären Transportstreiks hätte die regierende Rechte zu diesem ihrem Lieblingsthema, das sie seit 2002 immer wieder aus der Kiste hervor holte, eine breite Kampagne entfachen können.

Seit dem 17. Juni 2005 besteht im Grobraum Paris jetzt erstmals auch eine Bestimmung zum „Service minimum“, der aber lediglich in Verträgen zwischen dem Staat und der Bahngesellschaft SNCF (33 % des Verkehrs sollen auch bei Streikzeiten gewährleistet werden) sowie dem Pariser Metro- und Busbetreiber RATP (eine Regelung über 50 % des Verkehrs) festgeschrieben ist. Eine ähnliche Bestimmung existiert seit dem 18. Juli 2005 jetzt auch im Elsass. Wird die Selbstverpflichtung durch die beiden Transportbetreiber SNCF / RATP nicht eingehalten, dann ist die jeweilige Verkehrsgesellschaft dem Staat eine Geldstrafe schuldig. Die Gewerkschaften und die Lohnabhängigen sind jedoch nicht Partei dieses Vertrages und daher auch nicht selbst an ihn gebunden. Beim Streik vom Wochenanfang wurde die Bestimmung über die 33 % zu garantierenden Verkehrs in der Hauptstadtregion de facto gröbtenteils eingehalten (dort verkehrten 34,5 % der Züge), mit Ausnahme des Vor-Ort-Zuges RER B auf der Nord-Süd-Linie quer durch Paris, der nur zu 24 Prozent fuhr. Die SNCF, die diese Linie betreibt, wird dafür voraussichtlich (laut „Le Monde“ vom Freitag) rund 360.000 Euros blechen müssen.

Metro- und Busstreik in Paris

Am Mittwoch streikte in Paris auch ein Teil der Beschäftigten des Bus- und Metrobetreibers RATP, auf einen Aufruf der Mehrheitsgewerkschaft CGT hin. Am Donnerstag war es dagegen SUD, die (ohne die CGT) die Beschäftigten der Pariser Verkehrsbetriebe zum Ausstand aufrief, und für den Freitag gab es einen erneuten Aufruf der CGT.

Der RATP-Streik war, gelinde ausgedrückt, nicht von besonderer Effizienz. Am Mittwoch verkehrten alle Métro-Linien mit Ausnahme der (in west-östlicher Richtung verkehrenden) Linie 9 normal. Am Donnerstag wurden nicht extra Streikmeldungen durch die Verkehrsbetriebe herausgegeben, die Verkehrsdichte wirkte aber so gut wie normal.

Bernhard Schmid (Paris)


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