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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Eisenbahnerkollegen honorieren kämpferische Position Linke Basisgewerkschaft SUD-Schienenverkehr erhält verstärkten Zuspruch bei Wahlen zum Aufsichtsrat der Bahn - und muss gegen Repressalien kämpfen Am 20. Februar dieses Jahres, also kommende Woche, wird die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der SNCF (französische Bahngesellschaft) für die nächsten fünf Jahre bekannt. An jenem Tag ernennt die Regierung per Dekret die sieben Staatsvertreter im Aufsichtsrat sowie jene fünf "unabhängigen Persönlichkeiten", die "aufgrund ihrer Kompetenz" dort sitzen. Die Wahlen für die Vertreter/innen der abhängig Beschäftigten, die ihrerseits ein halbes Dutzend Sitze innehaben, fanden am Mittwoch vergangener Woche (5. Februar) statt. Am Freitag wurde das amtliche Endergebnis bekannt. Die Wahlergebnisse sind insbesondere von den sichtbaren Zuwächsen für die linke Basisgewerkschaft SUD Rail (SUD Schienenverkehr) geprägt, die ihre Position als zweitstärkste Gewerkschaft hinter der CGT ausbauen kann und nun bei 18,7 Prozent der Stimmen ankommt. Die Ergebnisse der Wahlen zu den Personalvertreter/inne/n im Aufsichtsrat widerspiegeln vor allem die Sympathien, die den einzelnen Gewerkschaften seit dem letzten größeren SNCF-Streik (vom 14. bis circa 22. November 2007, seine Beendigung variierte von Region zu Region) durch die abhängig Beschäftigten entgegen gebracht werden. "Der letzte Arbeitskampf um die Rentenregelungen hat sichtbar Spuren bei der SNCF hinterlassen", mit diesen Worten beginnt denn auch die Einschätzung der Wirtschaftstagszeitung ,La Tribune' - entfernt vergleichbar mit dem deutschen ,Handelsblatt' - zu den jüngsten Wahlen unter den Eisenbahner/inne/n. (Vgl. ,La Tribune' ) Wir erinnern uns: Im Oktober, während eines 24stündigen Warnstreiks, sowie im November (während eines zunächst als "unbefristet" deklarierten Ausstands, den die großen Gewerkschaftsbünde - vor allem CGT und CFDT, auf je unterschiedliche Weise, schnell abwürgten, nachdem am 21. November Gespräche eröffnet worden waren) streikten die Eisenbahner/innen gegen die Verlängerung ihrer Lebensarbeitszeit. Letztere stellt die letzte Salamischeibe der regressiven "Rentenreform" von 2003 dar, die nunmehr die letzte Gruppe von abhängig Beschäftigten erreicht hat. Weitere Verschlechterungen für ALLE Lohnabhängigen (die Anhebung von derzeit 40 obligatorischen Beitragsjahren zur Rentenkasse auf zukünftig 42,5 - bis vor wenigen Jahren waren es noch 37,5 gewesen) werden jedoch voraussichtlich im ersten Halbjahr dieses Jahres 2008 beschlossen werden. Der Entwurf eines Regierungsdekrets, der am 21. Dezember 07 bekannt wurde, für die Renten der Eisenbahner/innen ging bereits über die derzeit noch geltenden 40 Beitragsjahre hinaus und sah 41 Jahre (bis 2016) voraus. Unterdessen sind die Verhandlungsrunden bei der SNCF, die Ende November begonnen hatten, weder formell abgeschlossen noch beendet worden. Hinter den Kulissen gehen sie entweder als Geheimgespräche fort oder aber stecken hoffnungslos fest - man bekommt schlichtweg nichts mehr mit. Die Ton angebenden Gewerkschaften, allen voran die CGT, schlagen weder Alarm, noch halten sie die Lohnabhängigen über den Stand der Dinge wirklich informiert. Nun zu den Ergebnissen im Einzelnen: SUD Rail hatte bei den letzten Wahlen zu den Personalvertreter/inne/n im Aufsichtsrat der SNCF, 2003, noch circa 13 Prozent erhalten. Nunmehr erzielt die linke Basisgewerkschaft genau 18,65 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen (ohne Filialen, die aus der Bahn ausgelagert worden sind). Dies entspricht einem Zuwachs um 5,23 % gegenüber dem Jahr 2003. Bei der vorletzten vergleichbaren Wahl im Jahr 1998 war SUD Rail noch gar nicht angetreten. Die linke Basisgewerkschaft entstand 1995/96 aus Absplitterungen der (rechts)sozialdemokratischen CFDT, nachdem die Führung des nationalen Dachverbands - nicht aber die Transportsektion der CFDT - die damaligen Angriffe auf die Renten der Eisenbahner/innen sowie die "Gesundheitsreform" unter dem Premierminister Alain Juppé (Dämpfung der Gesundheitskosten) unterstürzt hatte. Die neuerliche Unterstützung der CFDT-Führung für die "Rentenreform" von Premier Jean-Pierre Raffarin sowie des damaligen Arbeits- und "Sozialministers" François Fillon von 2003 führte zu stärkeren Abspaltungen, die SUD-Schienenverkehr erheblichen Zuwachs unter den Eisenbahner/inne/n bescherten. Nunmehr wird die Position von SUD, die die mit Abstand kämpferischsten Positionen unter allen Gewerkschaften anlässlich des jüngsten Angriffs vom Herbst 2007 eingenommen hatte, durch die abhängig Beschäftigten honoriert. Die "postkommunistische" CGT hatte zwar (als historisch dominierende Mehrheitsgewerkschaft, und noch immer stärkste Gewerkschaft bei den Eisenbahner/inne/n) formal an der Spitze der jüngsten Streikbewegung gestanden. Zugleich privilegierte sie jedoch offen eine Verhandlungstaktik, die stärker auf die Eröffnung von "Gesprächen" (und dort auszuhandelnde "Gegenleistungen" für eine Hinnahme der "Reform") denn auf das Aufbauen von Druck und "Gegenmacht von unten" abzielte. Und ab dem 21. November plädierte sie offen für eine Überführung des Streiks in eine bloße Begleitung der Gespräche durch die abhängig Beschäftigten -- die meistens passiv ausfallen und sich nur ab und zu durch kleinere Warnstreiks (wie jene im Dezember geplanten, die dann jedoch abgeblasen wurden) sich in Erinnerung rufen sollte. Die CGT erhält nunmehr 42,5 Prozent der Stimmen. Damit bleibt sie stärkste Gewerkschaft bei der SNCF, verliert jedoch 2,7 Prozent gegenüber 2003, und 9,3 Prozent gegenüber 1998. Die CFDT, deren Gewerkschaftsdachverband von Sozialliberalen (mit einer Affinität zum Neoliberalismus) geführt wird, war dem Streik schon ab der zweiten Woche offen in den Rücken gefallen und hatte von ihrer Spitze her schon früh zur "Wiederaufnahme der Arbeit" aufgerufen. Ihre Sektion bei den Eisenbahner/inne/n erhält nun 10,03 Prozent, gegenüber rund 15 Prozent beim letzten mal. Ihr Ergebnis entspricht einem Verlust von 6,1 Prozent gegenüber 2003, und von 11 Prozent gegenüber 1998. Dennoch ist die CFDT faktisch zufrieden, da sie einen Sitz im Aufsichtsrat der Bahngesellschaft "zurück erobert". Sie hatte zuvor (nach den Wahlen zu den Personalvertretern von 2003) zunächst einen Sitz gehalten; ihr Vertreter war dann aber, infolge der gravierenden Stellungnahmen der CFDT-Führung während des Kampfs um die "Rentenreform" im Mai/Juni 2003, aus seiner ursprünglichen Gewerkschaft ausgetreten und zur CGT übergelaufen. Die "reformistisch-unpolitische" UNSA, die ihre Basis von der früheren CFDT übernommen hat, jedoch in der Praxis eine etwas konsequentere Interessenvertretung betreibt und nicht ganz so weit rechts steht wie Letztere (sich sogar während der Streiks im vergangenen Herbst oft recht korrekt verhalten hat), sammelt 13,78 der Stimmen ein. Damit wächst sie gegenüber 2003 um 1,9 Prozent (oder um 2 Prozent gegenüber 1998), bleibt also - längerfristig betrachtet - relativ stabil. Die kleineren Gewerkschaften bleiben weitgehend stabil. So erhält die populistisch-schillerende FO 6,6 % der Stimmen, was genau ihrem Ergebnis beiden zweijährigen Personalratswahlen entspricht und (im Hinblick auf die letzten Wahlen zum Aufsichtsrat, die nur alle fünf Jahren stattfinden) einen Zuwachs um 0,6 Prozent darstellt. Die Christenheinis vom christlichen Gewerkschaftsbund CFTC bleiben weitgehend stabil (5,58 Prozent, plus 0,2 %), ebenso wie die Standesvertretung der höheren und leitenden Angestellten CFE-CGC (2,82 Prozent, plus 0,8 %, wobei viele "weißen Kragen" aus ihrem Einflussbereich früher auch durch die CFDT angezogen worden waren). Repressalien gegen SUD-Eisenbahner Unterdessen gerät SUD, bzw. geraten einige seiner Mitglieder, ins Visier der Direktion. Im Zusammenhang mit der Streikbewegung vom Herbst vergangenen Jahres drohen mehreren Mitgliedern der linken Basisgewerkschaft Repressalien. Am Mittwoch voriger Woche (6. Februar) waren zwei Mitglieder von SUD-Rail zu einem disziplinarrechtlichen Gespräch an der Gare de Lyon - einem der Pariser Bahnhöfe - vorgeladen. Vorgeworfen wurde ihnen vor dem disziplinarischen Ausschuss:
Die Vorgesetzten forderten im einen Falle eine "letzte Verwarnung vor Kündigung" zusammen mit sechs Tagen Ausschluss vom Arbeitsplatz (ohne Lohnfortzahlung), im anderen Falle eine "letzte Verwarnung vor Kündigung" zusammen mit zwölf Tagen Ausschluss vom Arbeitsplatz. Die nähere Ergebnisse der Unterhaltung, und der darauffolgenden Beratung im Disziplinarausschluss, sind bisher nicht bekannt. SUD-Rail führte unterdessen einen Solidaritätsstreik für ihre beiden, von der Drohung mit Repressalien betroffenen Mitglieder sowie eine Kundgebung vor dem Lyoner Bahnhof in Paris (dem Ort, wo der disziplinarische Ausschuss tagte) durch. Am Vormittag des vorigen Mittwoch verkehrten infolgedessen auf zwei Nahverkehrslinien, die über den Lyoner Bahnhof in Paris verkehren, nur ein Drittel bzw. die Hälfte der Züge. Das Endergebnis dieser Affäre bleibt abzuwarten. Bernard Schmid, Paris, 12.02.2008 |