letzte Änderung am 7.April 2003

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Frankreich: Bewegung 3. April ?
Die Renten”reform”, die Streiks dagegen und die Entwicklung der CGT

Auch in Zeiten des Krieges im Irak herrscht kein völliger sozialer Burgfrieden, auch wenn die Regierung nichts sehnlicher wünscht als das. Diese Erfahrung musste am Donnerstag, 3. April das Kabinett von Jean-Pierre Raffarin machen. Der politische Legitimätsbonus, den Präsident Jacques Chirac mit seiner vermeintlichen Antikriegsposition - von der er zur Zeit abrückt - einstreichen konnte, bewahrte die Pariser Regierung nicht vor einer sozialen Mobilisierung, die sie als störend für ihre Pläne empfinden muss.

Am Donnerstag, 3. April streikten die öffentlich Bediensteten gegen die von der Regierung unter Jean-Pierre Raffarin geplante Rentenreform. Geplant ist, unter Federführung des gaullistischen Sozialministers François Fillon, vor allem eine Verlängerung der Beitragszeiten für die öffentlich Bediensteten (von 37,5 Jahren auf 40 Jahren, um den vollen Rentensatz zu erhalten), wie sie für die Beschäftigten des privaten Sektors 1993 durchgeführt wurde. Daneben ist das - bisher aufgrund der sozialen Brisanz nicht explizit ausgesprochene - Ziele, eine “private Säule” der Absicherung einzuführen, in Form leicht modifizierter Rentenfonds.

Die zweitgrößte französische Gewerkschaft, die sozialdemokratische und an der Spitze neoliberale CFDT, war im Vorfeld bereits aus der gewerkschaftlichen Front ausgeschert. Sie steuert nunmehr geradewegs auf die Unterzeichnung eines Abkommens mit der Regierung zu, und rief explizit nicht zur Teilnahme am Aktionstag vom Donnerstag auf. Dennoch waren die Demonstrationen besser besucht als jene vom 1. Februar zum selben Thema, damals war die CFDT noch dabei. Frankreichweit demonstrierten am letzten Donnerstag nach Polizeiangaben 320.000 Personen (an 117 Orten), im Vergleich zu 256.000 Anfang Februar.

Die Demonstration von Marseille war mit 30.000 TeilnehmerInnen eine der bedeutendsten. Auch andere Städte Südfrankreichs wiesen, gemessen an ihrer Einwohnerzahl, sehr stattliche Demozüge auf: In Toulouse und im kleineren Pau etwa demonstrierten je 15.000 Personen. In Paris demonstrierten knapp 30.000 Beschäftigte der öffentlichen Dienste, aber zum Teil auch des privaten Sektors gegen die Rentenreform - jene der chemischen Industrie waren an die Spitze des Demozugs gestellt worden. Zwei Drittel des Zuges gehörten der CGT an. Die Polizei gab die Teilnahmerzahl mit 26.000 an, die Veranstalter mit 80.000, was aber unrealistisch erscheint. Der Verfasser dieser Zeilen zählte 18.000 bis 20.000 Demonstranten für die CGT, gut 4.000 für den populistischen Gewerkschaftsbund Force Ouvrière (FO), 3.000 für die (eher den Positionen der CGT nahe stehende) Lehrergewerkschaft FSU und einige hundert für die kleineren, linksalternativen Basisgewerkschaften SUD. Die rechten Gewerkschaftsverbände CFTC - christlich - und CGC - für die höheren Angestellten - brachten jeweils höchstens 50 Sympathisanten auf die Straße.

Auch die interne Linksopposition der CFDT nahm an der Pariser Demonstration teil, so dieTransport-Sektion FGTE und die CFDT-Lehrergewerkschaft SGEN. Daneben hatten die Bezirksverbände von Paris und der benachbarten Départements Val-du-Marne und Seine-Saint-Denis zur Teilnahme aufgerufen. Die Demo-Beteiligung reicht damit über den linksoppositionellen Flügel der CFDT hinaus, bis in deren Mitte. In Marseille oder Clermont-Ferrand (der Stadt, die vom Reifenhersteller Michelin geprägt ist) beispielsweise hatte die örtliche CFDT ebenfalls zur Teilnahme an den Demonstrationen aufgerufen. Vor allem bei der CGT und der FSU, natürlich auch bei SUD, waren in der Pariser Demonstration zahlreiche Slogans zu sehen und zu hören, die den aktuellen Krieg im Irak zum Gegenstand hatten, und die Opposition gegen ihn thematisierten - im CGT-Block auch von einem der Lautsprecherwagen aus. Bei der CGT hatten sich im übrigen viele Demonstrierenden den Aufkleber der französischen KP mit der Aufschrift "Stoppt den Krieg" angeheftet.

Gut befolgter Streik

Infolge des Streiks waren die öffentlichen Transporte in Paris stark beeinträchtigt, einige Metro- und RER-Linien wurden am Tag des Ausstands völlig stillgelegt. Auf nationaler Ebene war auch der Eisenbahnverkehr mittelstarken Störungen ausgesetzt, 80 Prozent der Flugverbindungen wurden aufgrund der Arbeitsniederlegung annulliert. In den Schulen streikten landesweit gut 30 Prozent des Lehrpersonals. Aber auch Sektoren der Privatindustrie waren von Arbeitsniederlegungen betroffen, so Pechiney (Metallindustrie), Total (Erdölverarbeitung) und Aventis (chemische Industrie). Die Aventis-Beschäftigten führten in Paris den CGT-Block an.

Die Frage stellt sich dennoch, welche Perspektiven der Kampf gegen die Renten”reform” in naher Zukunft hat. Die CFDT ist bereits deutlich auf Pro-Regierungs-Linie, aber auch bei der Führungsebene der CGT ist nicht sicher, ob sie nicht in naher Zukunft einknicken wird. (An der Basis hingegen ist der Unmut über die “Reform”, und die damit einher gehende Veränderung des sozialen Kräfteverhältnisses, riesig.) Der CGT-Wirtschaftswissenschaftler Jean-Christophe Le Duigou etwa zählt zu jenen, die dafür eintreten, von Gewerkschaften (neben anderen Akteuren) mit verwaltete Rentenfonds “à la française” - als Bestandteil einer “privaten Säule” der Absicherung - zu favorisieren. Das kommt einer Preisgabe der Position, die für eine Verteidigung des Solidarsystems eintritt, gleich.

Der 47. CGT-Kongress und der Kampf um die Renten”reform”

Auf dem jüngsten 47. CGT-Kongress, der in der letzten Märzwoche in Montpeller stattfand, musste Le Duigou zwarfür seine Positionen einige Federn lassen. Zwar stand er auf der Liste des Wahlvorschlags, den der Vorstand unter Bernard Thibault für die neue Leitungskommission (Commission exécutive) unterbreitete. Doch unter allen Mitgliedern der neuen, 50-köpfigen CGT-Führung - ihre Zahl ist soeben reduziert woden - erhielt Le Duigou das schlechteste Wahlergebnis, das ihn gerade mit Mühe und Not als 50. unter den 50 Mitgliedern platziert. Allerdings wurde die zeitweise auf dem Kongress offen aufgebrochene Kontroverse um die Haltung des Gewerkschaftsbunds zur “Reform” von oben abgebügelt. Und das teilweise mit demagogischen Mitteln: Am zweiten Kongresstag wurden die konträren Positionen zunächst deutlich benannt. Dann stand eine Rednerin der Textilsektion auf der Redeliste, die mit bewegter Stimme die Lebensbedingungen der Textilarbeiterinnen schilderte - um zur Forderung überzugehen, es solle keine “Politikerdebatten” in der CGT geben, die von politisierten Profis geführt würden, welche vom Fabrikleben keine Ahnung hätten. Donnernder Applaus für die, in Wirklichkeit höchst demagogische, Einlage - damit war die Debatte abgebrochen! Die Führung konnte wieder zur Tagesordnung übergehen.

Der Leitantrag zur Rentendebatte, den Le Duigou formulierte, erhielt 90 Prozent der Delegiertenstimmen. Er enthält zwar alle Forderungen der CGT-Basis, die er gewissermaßen in Erinnerung ruft: Verteidigung des Solidarsystems durch Umverteilung (zwischen den Generationen) und ggf. seine Anpassung an die sozialen Realitäten, Ablehnung einer privaten Absicherung, Ablehnung der Verlängerung der Beitragszeiten und Rückgängigmachung der “Balladur-Reform” von 1993 - d.h. Rückkehr zu 37,5 Beitragsjahren auch für die Beschäftigten des privaten Wirtschaftssektors. Aber nach diesem Abrufen der aktuellen Forderungen erfolgt in dem Antrag keine Festlegung auf ein weiteres Verhalten - weder wird eine Linie in den aktuell laufenden Verhandlungen mit der Regierung vorgegeben, noch wird die leiseste Perspektive für eine weitere Mobilisierung nach dem 3. April angesprochen. De facto wird der CGT-Führung damit freie Hand gelassen.

Deren Motivation bei der aktuellen Positionsentwicklung lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen. Erstens: Die CGT proklamiert nunmehr ihre “Autonomie” gegenüber der (früher ihre gewerkschaftliche Linie faktisch vorgebenden) französischen KP, und “der Politik” allgemein. In diesem Kontext wird versucht, zu beweisen, dass sie nunmehr “konstruktiv” und nicht mehr “überpolitisiert und ideologisch überdeterminiert” sei. Zweitens: Der Kurs auf die “gewerkschaftliche Einheit” mit der CFDT ist seit 1999 zum neuen Dogma geworden, nachdem die CFDT in jenem Jahr der CGT zur Aufnahme in den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) in Brüssel verhalf. Drittens, was natürlich nicht ausgesprochen wird: Im Apparat kann man sich materielle Vorteile davon versprechen, falls man “gewerkschaftlich kontrollierte” Pensionsfons mit verwalten sollte.

Bei all dem muss die CGT damit rechnen, dass sie dennoch von ihrer Basis her unter mächtigem Druck stehen wird, falls sie gar zu offenkundig dem neoliberalen Druck nachgibt.

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Premierminister Raffarin will nicht nachgeben

Der amtierende Regierungschef Jean-Pierre Raffarin zeigt sich bisher von den gewerkschaftlichen Protesten unbeeindruckt und erklärte in einem Fernsehauftritt am Abend des 3. April, er werde seine bisherige Orientierung bezüglich der “Reformen” aufrecht erhalten. Die (unabhängig vom gewerkschaftlichen Aktionstg programmierte) Ansprache hat die französische Bevölkerung offenkundig nicht überzeugt. Nach Zahlen der Tageszeitung Libération vom Montag (7. April) ist kurz danach die “Popularitätskurve” des Premierministers, zum ersten Mal seit seinem Amtsantritt im Mai 2002, unter die 50-Prozent-Marke gerutscht.

Bisher hatte Raffarin sich bei den eingefleischten Rechtswählern ebenso wie bei den, zwischen “Links” und “Rechts” unentschiedenen WechselwählerInnen in halbwegs gutem Ansehen gehalten - dank eines anfänglich recht vorsichtigen Agierens in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen (den konservativen “Albtraum” des Streikherbsts 1995 im Nacken sitzen habend). Im März 03 stand er sogar noch bei 58 Prozent positiven Meinungen. Damals profitierte er vom Legitimätsbonus von Präsident Chirac mit, den dieser sich durch sein scheinbares Engagement gegen den Irakkrieg auf internationaler Ebene erlangt hatte. Zwar bleibt Chirac derzeit nach wie vor populär (das Meinungsforschungsinstitut CSA gab ihm Ende März 75 Prozent positiver Meinungen, das ist der absolute Höchstwert Chiracs, den er vor allem seinem Agieren auf der internationalen Bühne verdankt). Doch “zu Hause” muss Premierminister Raffarin jetzt die innen- und vor allem sozialpolitischen Weichenstellungen bezahlen. Laut den, in Libération publizierten Zahlen des Instituts Lous Harris verlor er innerhalb eines Monats stattliche 9 Prozentpunkte, und landete bei nurmehr 49 Prozent positiver Äußerungen. Bleibt zu hoffen, dass er seinen Weg nach unten fortsetzt.

Bernhard Schmid (Paris)

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