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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Intersyndicale kämpft weiter "Entgegen einer verbreiteten Erwartung ist die Einheit der ,Intersyndicale', d.h. des Bündnisses von acht französischen Richtungs-Gewerkschaftszusammenschlüssen gegen die drohende "Reform" des Rentensystems, am gestrigen Donnerstag nicht geplatzt. Am Nachmittag trat die ,Intersyndicale' am Sitz der CFDT, im 19. Pariser Bezirk, zusammen. Zu ihren Mitgliedern zählen die fünf "klassischen" Gewerkschafts-Dachverbände (CGT: "postkommunistisch", CFDT: an der Spitze rechtssozialdemokratisch, FO: verbalradikal-populistisch-schillernd, CFTC: Christenheinis, CGC: höhere Angestellte), der "moderate" lockere Zusammenschluss von Berufsgruppengewerkschaften UNSA, die linke Union syndicale Solidaires (zu ihr zählen u.a. die Basisgewerkschaften SUD) und die FSU (Zusammenschluss von Gewerkschaften v.a. im Bildungssektor)" - so beginnt der Beitrag "Gewerkschaftliche Einheit doch (noch ?) nicht geplatzt" von Bernard Schmid vom 22. Oktober 2010. Gewerkschaftliche Einheit doch (noch ?) nicht geplatzt - Zwei neue "Aktionstage" geplant - Heute Abend beginnen jedoch die Schulferien u.a. im Raum Paris Entgegen einer verbreiteten Erwartung ist die Einheit der ,Intersyndicale', d.h. des Bündnisses von acht französischen Richtungs-Gewerkschaftszusammenschlüssen gegen die drohende "Reform" des Rentensystems, am gestrigen Donnerstag nicht geplatzt. Am Nachmittag trat die ,Intersyndicale' am Sitz der CFDT, im 19. Pariser Bezirk, zusammen. Zu ihren Mitgliedern zählen die fünf "klassischen" Gewerkschafts-Dachverbände (CGT: "postkommunistisch", CFDT: an der Spitze rechtssozialdemokratisch, FO: verbalradikal-populistisch-schillernd, CFTC: Christenheinis, CGC: höhere Angestellte), der "moderate" lockere Zusammenschluss von Berufsgruppengewerkschaften UNSA, die linke Union syndicale Solidaires (zu ihr zählen u.a. die Basisgewerkschaften SUD) und die FSU (Zusammenschluss von Gewerkschaften v.a. im Bildungssektor). In breiten Beobachterkreisen war angenommen worden, die Einheit dieses Kartells werde an diesem Donnerstag zerspringen. Denn es hatte sich im Vorfeld angedeutet, die "moderateren" Organisationen könnten das Bündnis wahrscheinlich verlassen, nachdem der Senat (das "Oberhaus" des französischen Parlaments) der Rentenreform ebenfalls zugestimmt haben würde - nach der Nationalversammlung oder dem "Unterhaus", welches die Renten"reform" bereits am 15. September verabschiedete. Aus den Reihen der CFDT oder der UNSA etwa verlautete, wenn erst einmal beide Parlamentskammern der "Reform" zugestimmt hätten, dann gelte es, "die Demokratie zu respektieren" - und auf einen Wechsel auf Regierungsebene im Wahljahr 2012 zu hoffen bzw. zu setzen. Zwar hatte etwa die CFDT nicht dezidiert erklärt, sie wünsche über den gestrigen Tag hinaus keine weiteren Mobilisierungen mehr - wohl aber auf eher schwammige Weise erläutert, nach dem geplanten Votum im Senat müsse die Sozialprotestbewegung "ihre Aktionsformen (grundlegend) ändern". Die CGC, der Gewerkschaftsdachverband der ,cadres' oder leitenden/höheren Angestellten, hatte sogar im Vorfeld ausdrücklich erklärt, nach dem letzten gewerkschaftlichen "Aktionstag" vom Dienstag, den 19. Oktober werde sie das Bündnis voraussichtlich verlassen. Und dann kam es, wider vielfaches Erwarten, doch noch anders. Selbst die CGC (in deren Reihen eher Wähler der bürgerlichen Rechten denn Sympathisanten der Linken anzutreffen sind) blieb auch nach dem gestrigen Treffen in der ,Intersyndicale'. Und die CFDT sowie die anderen Gewerkschaftsverbände und -zusammenschlüsse einigten sich auf zwei neue "Aktionstage" gegen die Renten"reform": Am Donnerstag, den 28. Juni und am Samstag, 06. November soll es erneut zu Arbeitsniederlegungen (jenseits der ohnehin im Streik stehenden Sektoren) und Demonstrationen kommen. Aber auch der Senat hatte am gestrigen Donnerstag noch nicht über den Gesetzentwurf zur "Reform" abgestimmt. Sein Votum war mehrfach verschoben worden, ursprünglich hätte es bereits am 14. Oktober stattfinden soll, dann am Mittwoch, später am gestrigen Donnerstag. Nunmehr wird es endgültig für den heutigen Tag erwartet. Zwar hatte das "Oberhaus" am gestrigen Nachmittag noch 254 Änderungsanträge zum Text - sowohl aus der parlamentarischen Linksopposition als auch aus dem halboppositionellen Mitte-Rechts-Spektrum und z.T. aus dem Regierungslager - zu bearbeiten. Nunmehr hat Präsident Nicolas Sarkozy jedoch ein Machtwort gesprochen und eine "blockierte Abstimmung" gefordert, die laut Artikel 44 der Verfassung in parlamentarischen Eilverfahren zulässig ist. Das bedeutet, dass das Parlament nur über die ursprüngliche Gesetzesvorlage zuzüglich der durch die Regierung selbst eingebauten bzw. ausdrücklich gebilligten Zusatzanträge abstimmt - aber nicht über Zusatz- oder Änderungsanträge der Opposition. Ursprünglich hatte Senatspräsident Gérard Larcher (der zur Regierungspartei UMP gehört und unter Jacques Chirac selbst Arbeits- & Sozialminister war) den Senatsfraktionen zugesichert, die Debatte werde "bis zum Ende gehen". Nun wird dieses Versprechen aber, am heutigen Freitag, voraussichtlich doch nicht durchgehalten. Die beiden weiteren geplanten „Aktionstage“ beziehen sich terminlich darauf, dass sie in die absehbaren weiteren Schritte des Gesetzgebungsverfahrens eingreifen. Der „Aktionstag“ vom Donnerstag nächster Woche (28. 0ktober) wird voraussichtlich am Tag nach dem erwarteten gemeinsamen Votum von Nationalversammlung & Senat zur nötigen Bestätigung der Vorlage stattfinden. Letztere muss nun am Montag durch die Nationalversammlung noch an die (durch das Oberhaus vorgenommenen) Änderungen angepasst werden, und danach durch ein „konformes Votum“ beider Parlamentskammern gemeinsam bekräftigt werden. Und der „Aktionstag“ vom Samstag, den 06. 11. wird wohl der Unterschrift von Staatsoberhaupt Nicolas Sarkozy unter die Gesetzesvorlage unmittelbar vorausgehen. Unterdessen war am gestrigen Donnerstag die, lernende oder studierende, Jugend zu einem neuen eigenen Aktions- und Demonstrationstag aufgerufen. In Paris beispielsweise demonstrierten - je nach Angaben von Polizei und Veranstalter/inne/n zwischen 4.000 und 15.000 Studierende und Oberschüler/innen, in Bordeaux rund 5.000, rund 2.000 in Lille, mindestens mehrere Hundert in mittelgroßen Städten. Dabei wurden insgesamt 266 Personen festgenommen, unter ihnen 36 in Lyon (wo es zu Anfang der Woche zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizeikräften und Jugend sowie zu Plünderungsaktionen gekommen war - die bürgerliche Presse und das konservative Regierungslager bemühten sich, das Ganze als „Bürgerkriegsszenen“ und „Stadtguerilla“ hinzustellen). Je nach Angaben, war in 316 Oberschulen - laut dem Bildungsministerium - bzw. 1.300 laut den Schülergewerkschaften UNL und FiDL der Unterrichtsbetrieb aufgrund der Mobilisierung gestört. Laut UNL und FiDL waren davon 700 bis 900 blockiert. (Insgesamt existieren rund 4.300 Oberschulen in Frankreich.) Insgesamt wurden laut Angaben von Innenminister Brice Hortefeux seit dem Aufflammen der Jugendproteste und dem Beginn der unbefristeten Streiks am 12. Oktober (und bis gestern) bislang 2.257 Personen am Rande der Demonstrationen festgenommen, 1.677 von ihnen blieben für 24 bis 48 Stunden im Polizeigewahrsam. Einzelne wurden bereits dem Richter vorgeführt. An der Spitze der gerichtlich abgesegneten Repression steht das westfranzösische Saint-Nazaire, wo die Justiz mehrfach Reibereien zwischen Ordnungskräften und - oft jüngeren - Demonstranten im Anschluss an die (offiziellen) Demonstrationen hart sanktioniert hat. Dort wurden bisher mindestens sechs Demonstranten, zwei mal je drei, zu Haftstrafen o h n e Bewährung verurteilt. Insgesamt mischen sich bei den Festnahmen und den Blitzprozessen die Vorwürfe des Widerstands gegen Polizeikräfte - Wurfgegenstände, Rangeleien -, und Plünderungsversuche. In Nanterre, wo es am Montag zu Ausschreitungen unter tatkräftiger Beteiligung von subproletarischen Trabantenstadt-Jugendlichen kam, wurde gestern ein 18jähriger wegen behaupteter Plünderungsversuche im (nahe bei Nanterre liegenden) Pariser Banken- und Geschäftsviertel La Défense zu zwei Monaten Haft o h n e Bewährung verknackt. Am gestrigen Abend wanderte darüber hinaus ein 17jähriger in Untersuchungshaft, weil er am Dienstag in Montrouge (eine südlich an Paris angrenzende Vorstadt) an Reibereien mit Einsatzkräften der Polizei beteiligt gewesen sein soll. Vorgestern ordnete Präsident Nicolas Sarkozy an, sämtliche blockierten Treibstoffdepots zu räumen, um - im Angesicht des Streiks in allen zwölf Raffinerien auf französischem Boden, der zu rund 90 Prozent der dort beschäftigten Lohnabhängigen befolgt wird - gegenüber der Ausbreitung der Benzinkrise Zeit zu gewinnen. Am Mittwoch Abend war (etwa beim Newsportal Orange.fr) vermeldet worden, inzwischen seien 5.000 Tankstellen völlig oder teilweise „trocken“ - teilweise bedeutet i.d.R., dass ihnen entweder Benzin oder Dieselkraftstoff ausgingen, oder dass mehrere Stunden Wartezeit bis zum Eintreffen von Nachschub vergingen. Von der Treibstoffknappheit betroffen sind vor allem der Raum Paris (schon zu Anfang dieser Woche lagen dort über 28 Prozent der Tankstellen trocken), die nordfranzösischen Regionen Normanie und Picardie, die nordostfranzösische Region Champagne-Ardennes. Mit etwas zeitlicher Verzögerung breitet die Benzinknappheit sich inzwischen auch in Westfrankreich aus. Insgesamt existieren in Frankreich rund 12.500 Tankstellen. Laut Zahlen vom gestrigen Donnerstag (vgl. die populistische Boulevardzeitung ,France Soir’ vom heutigen Tag) hatten gestern 2.790 Tankstellen geschlossen. Bei „mehreren Hundert“ war demnach einer von beiden Treibstoffen, entweder Benzin oder Diesel, vollständig ausgegangen. Zudem wurden Preissteigerungen um circa zehn Prozent laut einigen Autofahrern - doch drei Prozent laut Wirtschaftsministerium - an vielen Zapfsäulen verzeichnet. Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde hat Tankstelleninhaber jedoch vor Sanktionen gewarnt, falls sie auf überzogene Weise ihre Preise anhöben und dadurch die Krise noch verstärkten. Zwar findet nach wie vor eine Versorgung der Tankstellen statt, doch fällt diese u.a. aufgrund von Streikbewegungen bei den LKW-Fernfahrern unregelmäßig aus. Einige durch Streikende oder ihre Sympathisanten blockierte Treibstoffdepots wurden, etwa am gestrigen Donnerstag, wieder geöffnet. Am Donnerstag Abend waren noch 14 von insgesamt 219 Treibstoffdepots in Frankreich blockiert. Eines, in Donges, war kurz nach seiner Räumung durch die Polizei am Vormittag erneut durch Streikaktivisten blockiert worden. Durch die Räumungsaktionen wird die Regierung aber lediglich einige Zeit gewinnen, da die Raffinerien nicht davor zu stehen scheinen, ihre Arbeit wiederaufzunehmen. Aus Italien, Spanien, Belgien und Deutschland wurde zwar Treibstoff importiert (und Flugzeuge tanken Kerosin u.a. in Berlin statt an den Pariser Flughäfen auf), das wird aber auf Dauer nicht genügen. Am Freitag früh wurde, nach den Worten des (zuständigen) Umweltministers Jean-Louis Borloo, eine „langsame Verbesserung“ der Versorgungssituation an den Tankstellen verzeichnet. Laut einer Meldung der Agentur Reuters erklärte er, derzeit funktionierten „20 bis 21 Prozent der Tankstellen nicht normale Weise“. Er fügte demnach hinzu: „Drei Viertel der Tankstellen sind offen, nur, wir wissen nicht welche.“ Auf Anordnung der Behörden hin, die sich auf „Notwendigkeiten der Landesverteidigung“ berufen, wurde die bestreikte und besetzte Raffinerie in Grandpuits (in der Nähe von Rouen) - von der zum Großteil die Treibstoffversorgung des Raums Paris abhängig ist - durch Sicherheitskräfte geöffnet und geräumt. Allerdings beinhaltet die Anordnung, diese Raffinerie zu öffnen, laut Angaben der Regierung keine Dienstverpflichtung für das streikende Personal. (Aus Gründen der Anlagen-Sicherheit kann ein Teil des Personal, in der Regel 15 bis 20 Arbeiter pro Raffinerie, zur Überwachung u.a. des Brandschutzes in Streikdiensten zum Dienst verpflichtet werden.) Unterdessen hat ein Regierungsmitglied - Benoist Apparu - erstmals die geplante Renten"reform" explizit als "eine Form des sozialen Rückschritts" bezeichnet. Er äußerte dies anlässlich einer Debatte im TV-Sender France-24. Doch er fügte hinzu, dieser Rückschritt sei "notwendig" und "gerecht" (im Sinne einer gerechten Verteilung der Lasten auf alle Schultern). Artikel von Bernard Schmid, Paris, 22.10.2010 |