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Updated: 18.12.2012 15:51
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SAINT-NAZAIRE: Demonstranten zu Haftstrafen (ohne Bewährung) verurteilt

Im Allgemeinen blieben die Demonstrationen gegen die drohende "Reform" der Renten in Frankreich bis jetzt ziemlich brav. Es bleibt abzuwarten, ob sich das mit der - sich perspektivisch abzeichnenden - Radikalisierung von Teilen der Protestbewegung (vgl. nebenstehenden Artikel) andern könnte. Doch mitunter kommt es nach größeren Demonstrationen in dieser oder jener Stadt noch zu einer etwas weniger braven "After-Demo". Beispielsweise dann, wenn in der Euphorie des Tages und der ebenso festlichen wie protestgewillten Strömung eine genügende Anzahl von Leuten einfach noch länger auf dem Platz bleiben möchten, während die Gewerkschaftsorganisationen ihr Material abbauen und von dannen ziehen. Und/oder auch schlicht, wenn die Einsatzkräfte der Polizei es erkennbar zu eilig haben, die Leute vom Platz zu bringen, und dies nicht bei allen noch anwesenden Demo-Teilnehmer/inne/n auf Einverständnis stößt. Dann kann es zu Reibereien, kleinerem Feuerwerk oder zum Fliegen einiger leerer Flaschen, Dosen usw. - gegen die i.d.R. behelmten und mit Schildern ausgestatteten - Einsatzkräfte kommen. Die uniformierten Ordnungshütern zögern selten, von Schlagstöcken oder Tränengas Gebrauch zu machen.

Im westfranzösischen Saint-Nazaire wollte die Staatsmacht, im Anschluss an die Demonstrationen gegen die Renten,reform" vom vergangenen Donnerstag (23. September) und der entsprechenden After-Demo, ein hartes Exempel statuieren. Sechs an den Protesten beteiligte Personen wurden nicht nur vom Fleck weg verhaftet, sondern im Blitzverfahren - das nur bei festgestellten oder behaupteten Flagrantidelikten (d.h. "auf frischer Tat Ertappten") möglich ist - den Richtern vorgeführt.

Drei von ihnen wurden auch auf dem Blitzweg verurteilt. Es handelt sich bei ihnen um:

  • einen Angestellten der französischen Bahngesellschaft SNCF, also einen Eisenbahner;
  • einen Arbeiter der Werft STX (Saint-Nazaire ist die Stadt der Atlantikwerften, und STX ist ein seit 2008 nunmehr südkoreanischer Konzern mit Europa-Sitz in Oslo und mehreren Beteiligungen in Frankreich, darunter 50 % an den Atlantikwerfen);
  • und einen derzeit erwerbslosen Rohrarbeiter ( tuyautier ).

Zwei von ihnen bestritten die "Tatvorwürfe"; der dritte hingegen räumte ein, zum fraglichen Zeitpunkt angetrunken gewesen zu sein und anlässlich der Reibereien mit den Ordnungskräften eine Flasche geworfen zu haben.

Unter den Angeklagten erhielten nun, schon am Freitag, zwei mehrmonatige Haftstrafen (davon je zwei Monate o h n e Bewährung) aufgebrummt - und wurden sofort aus dem Verhandlungssaal weg, direkt nach Verkündung des Urteilsspruchs, eingeknastet. Auf der Mailingliste zu Anti-Repressions-Themen ,Résistons rezo' heißt es dazu: "Die Polizei, die (die beiden) sogleich mit Blaulicht und Trara abtransportierte, schien hier ihre Rache üben zu können". Der dritte (ohne Vorstrafe) erhielt eine einmonatige Haftstrafe ohne Bewährung, die jedoch in seinem Fall nicht sofort vollstreckt wird.

Auch die CGT protestierte gegen dieses Urteil, das zusätzlich dadurch Empörung hervorrief, dass es offenkundig durch die Richter ohne Nachdenken und Überlegen verhängt wurde: Der Rückzug der amtierenden Richter zur Beratung am Ende der Verhandlung, bevor der Urteilsspruch verkündete wurde, dauerte nur fünf Minuten (ungewöhnlich kurz). - Da fällt einem doch glatt der Staatsanwalt bei Gerhard Seyfried ein: "Wir haben Meinungsfreiheit in diesem Land - und meine Meinung lautet: Schuldig! Rübe 'runter!" Nun, so drastisch lautet das Urteil auch wieder nicht, aber offenkundig sollte an dieser Stelle "im Sarkozy-Staat", wie die CGT formuliert, ein abschreckendes Exempel statuiert werden.

Die CGT stellt den Beschuldigten einen Rechtsanwalt, und ging durch ihn bereits in Berufung gegen die Urteile.

Bislang hat dieses Urteil wenig publizistische Spuren hinterlassen, und man sucht in weiten Teilen der französischen Presse (bis jetzt noch?) vergeblich nach Hinweisen darauf.

Siehe jedoch dazu:

Bernard Schmid, Paris, 28.09.2010


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