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Updated: 18.12.2012 15:51
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Auch in Frankreich: Rente mit 67?

Nicolas Sarkozy gibt sich bonapartistisch-"volkskapitalistisch", mit einem gigantischen Projekt für eine "Staatsanleihe" beim Volk zwecks Plebiszit für seine Wirtschaftspolitik. Aber die nächste soziale Regression ist in Planung. Die Vorbereitung für die Erhöhung des Renten(eintritts)alters läuft auf vollen Touren, wie Präsident Sarkozy in seiner spektakulären Parlamentsansprache zu Anfang der Woche im Schloss von Versailles bestätigt hat

Alle Welt spricht an diesem Mittwoch von der neuen Regierung unter Präsident Nicolas Sarkozy, sowie von seiner Ansprache vom Montag dieser Woche vor den versammelten Parlamentariern im Schloss von Versailles. Dort warf Sarkozy sich in die Pose des republikanischen Monarchen, während das Versailler Schloss "Allüren von Fort Knox annahm: Scharfschützen, GIGN (Anm.: Elitekommando der französischen Polizeikräfte, vergleichbar mit der deutschen GSG 9), Polizisten und Gendarmen auf Lauerposten, Kontrollen und Leibesvisitationen, Fahrverbote..." - soweit die Schilderung in der Mittwochs-Ausgabe der Pariser Abendzeitung ,Le Monde'. Das absolut martialische Sicherheitsaufgebot, das ansonsten in diesem Ausmaß auch bei Sondersitzungen des Parlaments wie dieser nicht üblich ist, war vom Elysée-Palast bestellt worden. Nicolas Sarkozy scheint sich wichtiger denn je zu fühlen, auch wenn es für einen Platz im Zentrum der Weltpolitik leider nicht ganz ausreicht, da Barack Obama ihm dort ein bisschen die Show stiehlt.

In der Sache versuchte Sarkozy, seiner Politik Aspekte eines "Volkskapitalismus" mit "populärer Unterstützung" (= Volksunterstützung) zu verleihen. Eine seiner wichtigsten Ankündigungen lautet, dass er eine riesige "(Staats-)Anleihe" bei der Bevölkerung tätigen möchte, um Großinvestititionen etwa in Infrastrukturprojekte zu finanzieren, ohne auf eine neue externe Staatsverschuldung über die Finanzmärkte zurückgreifen zu müssen. (Dabei sind die Staatsanleihen bei der Bevölkerung - die Anteilsscheine zeichnen kann - allerdings, da längerfristig angelegt, auf Dauer eher teurer, wie "Experten" warnen.) Ausdrücklich erwünschter Nebeneffekt: Die Teilnahme aus der Bevölkerung, die durch die Planer als rege vorgestellt wird, an der Anleihe soll als "Plebiszit" zugunsten der Wirtschafts- und Krisenbewältigungspolitik unter Nicolas Sarkozy (dem Ersten) wirken. Genau so malte es sich jedenfalls der Sonderberater und Redenschreiber des französischen Präsidenten, Henri Guaino - seines Zeichens ein schwülstiger Patriot und Spät-Bonapartist, der vom Glauben an die gestaltende Kraft des starken (republikanischen) Nationalstaats durchdrungen ist -, in lebhaften Farben aus. Allerdings konnten die sonstigen Berater im Umfeld Sarkozys, die ihrerseits eher neoliberal-nüchtern veranlagt sind, ihn gerade noch bremsen, bevor er die in ihren Augen gigantische Summe von "80 bis 100 Milliarden Euro" für die Anleihe verkünden konnte. Und so bleibt es bei einer nicht näher bezifferten Summe, die laut Auffassung anderer Protagonisten vor allem "ein Symbol" eher denn eine real wirkungsmächtige Größe darstellen soll. Unterdessen droht Frankreich aber bereits Ärger mit der EU-Kommission und Deutschlands Finanzminister Peer Streinbrück, die sich ob dieser Pariser "Ausgabenwut" bereits in die Rolle des finanzpolitischen Zuchtmeisters aufschwingen.

Unterdessen versucht Sarkozy, der frühere neoliberale Einpeitscher, sich ganz konsensmäßig zu geben. So zitierte der Präisdent in seiner Rede ausdrücklich den ,Conseil national de la Résistance' alss wichtige Referenz, der sowohl Gaullisten als auch Kommunisten umfasste und 1944 ein Programm für eine antifaschistische Nachkriegsordnung (mit recht umfassender Sozialprogrammatik) vorgelegt hatte. Im Herbst 2007 hatte der Chefideologe des Arbeitgeberverbands MEDEF, Denis Kessler, noch öffentlich getönt, es gelte just dieses "Programm des Nationalen Widerstandsrats" von 1944, als ursprüngliche Folie für die Nachkriegs-Republik mit relativ hohem Staatsanteil an der Wirtschaft, "zu überwinden" respektive zu zerstören.

Beinahe keynesianisch klingende Töne spuckend, rechtfertigte Sarkozy eine Politik der "Ausgaben zum Zweck der Krisenbewältigung", die er freilich strikt von den unnützen "Ausgaben" in Zeiten kapitalistischen Normalbetriebs unterschieden wissen mochte. Dennoch enthält seine Rede von Versailles bereits die Abkündigung für die nächste, tiefe Regression auf sozialpolitischem Gebiet: die geplante nächste "Rentenreform" (schon wieder!). in ihrer Donnerstags-Ausgabe kündigt ,Le Monde' sie bereits als zur Jahresmitte 2010 feststehende Planung an.

Dazu in den folgenden Absätzen ein Manuskript, das ursprünglich am Dienstag zum Thema verfasst wurde. Aufgrund der am selben Tag vollzogenen Regierungsumbildung musste jedoch erst einmal abgewartet werden, was nun folgen würde. Doch in der Sache passierte nicht viel, es gibt keine Richtungsänderung. Einziger Punkt, an dem das Manuskript seit vorgestern überholt ist: Brice Hortefeux amtiert seit dem gestrigen Mittwoch nicht mehr als Sozialminister (er blieb nur fünf Monate in diesem Amt), sondern übt nun seinen Traumjob als Innenminister und Chef der Polizei aus. Sein Nachfolger wurde Xavier Darcos, der in den letzten zwei Jahren als Bildungsminister einige regressive "Reformen" durchgepeitscht, an wenigstens einer anderen (jener der Oberstufe) sich jedoch die Zähne ausgebissen hat.

Es folgt das Manuskript vom Dienstag zur drohenden nächsten Renten"reform", in seiner ursprünglichen Fassung.

Sarkozy plant Rente ab 67

Mit 67 Jahren, da fängt (künftig) das Leben an und hört die Maloche auf. Demnächst auch in Frankreich? Die Wasserträger und Minenhunde des Nicolas Sarkozy waren in den letzten anderthalb Wochen bereits kräftig vorgeprescht, um die "Anpassung" des Rentenalters - u.a. unter Berufung auf das deutsche "Vorbild" - anzuregen. Nun hat der französische Alles-will-ich-selber-machen-Präsident es in seiner Ansprache von diesem Montag vor dem "Kongress", d.h. den beiden vereinigten Kammern des französischen Parlaments, in Versailles bekräftigt: Das Dossier ist auf dem Tisch. Und im kommenden Jahr, 2010, soll abschließend darüber entschieden werden.

Am vorletzten Sonntag, den 15. Juni hatte der amtierende Arbeits- und Sozialminister Brice Hortefeux die "Debatte" eröffnet; wobei er sich den Anschein geben mochte, als äußere sich nur quasi rein zufällig zum Thema, und sei es nun-wirklich-überhaupt-rein-gar-nichts dazu in Planung oder in den Schublande der Regierung.

An jenem Sonntag Abend war Hortefeux (seit Januar 2009 Sozialminister, zuvor noch Minister für Ausländerhatz, pardon: "für Immigration, Integration und nationale Identität") in der Fernsehsendung ,Dimanche soir politique' zu Gast. Dort ließ er seinen ersten Versuchsballon steigen: "Meines Erachtens gibt es nicht unendlich viele Möglichkeiten (für die Zukunft der Renten): Es gibt ihrer drei. Die Senkung der Renten - aber glauben Sie, dass in diesem Lande die Leute massenhaft sagen werden: Senkt unsere Pensionen? Zweite Lösung: die Zahl der Beitragsjahre (zur Rentenkasse) erhöhen. Und dritte Lösung: das Alter des Renteneintritts hinausschieben, so wie es die Deutschen getan haben."

Es sei dazu präzisiert, dass die Anhebung der Zahl erforderlicher Beitragsjahre ohnehin im Gange ist: Die "Rentenform" von François Fillon - damals Arbeits- & Sozialminister, inzwischen Premierminister - vom Juli 2003 programmierte die Anhebung der erforderlichen Beitragszeiten zur Pensionskasse von früher einmal 37,5 (in den öffentlichen Diensten) bzw. 40 Beitragsjahren (seit 1993 im privaten Wirtschaftssektor) über 40 auf künftig bis zu 42,5 Beitragsjahre. Die obligatorischen 40 Beitragsjahre "für Alle" sind derzeit erreicht worden. Und im vergangenen Jahr 2008 wurde - bei der "Etappenbilanz" der so genannten Reform - beschlossen, die Zahl der erforderlichen Beitragsjahre bis 2012 auf dann 41 weiter anzuheben. Der ursprüngliche Fahrplan der "Reform" v. 2003 sieht vor, dann bei einer weiteren Etappe die erforderlichen Beitragsjahre bis im Jahr 2020 auf dann 42,5 anzuheben.

Die Zuschauer/innen, und besondere die Gewerkschaften, übersetzten denVorstoß sofort ins Konkrete: Die Regierung plane, das Renteneintrittsalter - wie es in Deutschland passiert ist - auf 67 Jahre hinauszuschieben. Bis vor kurzem war in Frankreich der Renteneintritt (abgesehen von Frühverrentungen aufgrund besonderer Regelungen) ab 60 Jahren - auf freiwilliger Basis - möglich; wer früher gehen wollte, konnte keine Rente beantragen, sondern nur Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. Und er sollte, nach derselben Regelung, mit spätestens 65 (dann obligatorisch) erfolgen. Doch ein im Herbst 2008 im Handstreich und per Überraschungscoup angenommene gesetzliche Neuregelung hebt die Obergrenze - das spätestens Renteneintrittsalter - auf 70 Jahre an. Bis dahin kann, "auf freiwilliger Basis", das Pensionsalter hinausgeschoben werden. (Vgl. Artikel im LabourNet) Gleichzeitig bleibt der Renteneintritt ab 60 möglich, aber sofern jemand noch nicht die volle Zahl der erforderlichen Beitragsjahre erreicht hat, gibt es erhebliche Abzüge bis zum 65. Rentenalter. (Auch danach noch im Falle fehlender Beitragsjahre, aber sie fallen nach dem "Stichalter" 65 dann geringfügiger aus.)

Angesichts der Tatsache, dass "auf freiwilliger Basis" das Höchstalter von 70 Jahren für den Renteneintritt bereits erreicht worden ist, geht es bei der "Anregung" Brice Hortefeux' offenkundig nicht darum, eine Höchstgrenze zu definieren. Vielmehr lautet die Planung entweder, das Mindestalter für den Renteneintritt hinauszuschieben - der Arbeitgeberverband MEDEF fordert dafür ein Minimalalter von 63, statt 60 Jahren - , oder aber das Stichalter (ab dem die Abzüge aufgrund fehlender Beitragstrimester geringfügiger ausfallen) anzuheben.

Aber nein, aber nein, beruhigte der Minister bei jenem sonntäglichen Auftritt, es sei aber überhaupt nichts in der Planung. Wirklich nicht. Es sei lediglich vorgesehen, "dass der ,Conseil d'orientation des retraites' (Anm.: COR, ein paritätisch ,sozialpartnerschaftlich' besetztes Gremium zur Rentenpolitik) im Februar 2010 ein paar Hinweise abgebe", darüber, wie das Rentensystem zukünftig gestaltet werden soll.

Am darauf folgenden Montag meldete sich auch der UMP-Abgeordnete Frédéric Lefebvre zu Wort, der immer wieder gern den Mann fürs Grobe im Auftrag von Nicolas Sarkozy abgibt. "Es sei normal, dass die Debatte stattfindet" befand er lediglich, auch wenn natürlich auch er nichts in Vorbereitung befindlich wissen mochte.

Am gestrigen Montag (22. Juni) hielt Präsident Sarkozy seine angekündigte Ansprache vor den beiden Parlamentskammern, die zur Feier des Tages in ihrer gemeinsamen Formation als "Kongress" in Versailles vereinigt worden war. Es handelte sich um die erste Präsidialrede vor dem Parlament überhaupt, seitdem im vergangenen Jahr die Verfassung der Fünften Republik - an diesem Punkt und an anderen - abgeändert worden ist, um eine solche direkte Ansprache des Staatsoberhaupts vor den Abgeordneten zu ermöglichen. Zuvor war diese nicht im Verfassungstext vorgesehen gewesen.

In seinem Redetext (vgl. Artikel externer Link) ging Nicolas Sarkozy unter anderem auf die "Reformen" ein, die "fortgesetzt" werden müssen - es werde "keine Rückkehr zu den ,Trente Glorieuses' geben", also zu den "30 glorreichen Jahren", wie die Periode des relativ <sozial regulierten> Kapitalismus von 1945-75 auch bezeichnet wird.

Dabei spielte er auch auf das Thema Rentenpolitik an, und unterstrich noch einmal deutlich, dass für das kommende Jahr dazu Planungen in Vorbereitung befindlich sind: "2010 wird ein Termin von kapitaler Bedeutung sein. Es wird Alles auf den Tisch gelegt werden müssen: das Renten(eintritts)alter, die Zahl der Beitragsjahre, die Schwere der Arbeit (Anm.: Anspielung auf die Idee einer eventuellen Einführung unterschiedlich langer Beitragsdauern je nach Berufsmerkmalen). Die Sozialpartner werden Vorschläge machen. Ich habe nicht die Absicht, die Debatte abzuschließen, bevor sie eröffnet ist. Aber wenn die Zeit der Entscheidung kommen wird, um die Jahresmitte 2010, dann werde ich meine Verantwortung wahrnehmen."

Bernard Schmid, Paris, 25.06.2009


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