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"Nicht locker lassen"

Zum Kampf der Beschäftigten bei Pouyet-Rungis

Neben "LU" (Danone), Marks & Spencer oder Valeo mischt in Frankreich derzeit, von der Presse wenig beachtet, eine weitere transnationale Unternehmensgruppe im Monopoly-Spiel des Kaufs und Verkaufs bzw. der Liquidation für sich genommen florierender Werksteile, Betriebe oder Einzelunternehmen mit: Pouyet, französischer Marktführer für Netzwerktechnologie, will seinen Standort in Rungis mit rund 50 Arbeitsplätzen schließen. Nachdem sich Pouyet Mitte der 90er Jahre mit der deutschen Quante AG assoziiert hatte, wurden beide vor kurzem dem US-amerikanischen Mischkonzern 3M Galaxie angeschlossen, der gerade dabei ist, seine Geschäftsfelder neu zu sortieren. Nicht nur der komplette Standort in Rungis ist davon betroffen, weitere 100 Arbeitsplätze sollen in Pontchâteau bei Nantes wegfallen. Außerhalb Frankreichs sind Produktionsstandorte von Quante in England, Österreich und Deutschland in Abwicklung begriffen, die Produktion soll nach Ungarn und Polen verlagert werden. So weit, so gewöhnlich. Ungewöhnlich ist, dass es gerade einer der kleinen französischen Gewerkschaften, der CNT-AIT[1] gemeinsam mit den Beschäftigten gelungen ist, dem Unternehmen einen Strich durch die Rechnung zu machen. Die syndikalistisch orientierte CNT hat, wie bis vor kurzem auch die SUD, keine staatlich anerkannte Repräsentativität auf nationaler Ebene und ist daher gezwungen, Betrieb für Betrieb ihre Vertretungsberechtigung zu erlangen. Aus ihren beschränkten Möglichkeiten hat sie in diesem Fall eine Tugend gemacht und Kontakt aufgenommen zu den Gewerkschaften, die in den anderen Werken vertreten sind – bis nach Deutschland. Wir dokumentieren den Bericht und das anschließende Interview mit dem zuständigen Sekretär von ETPIC[2], dem Ortsverband der CNT.

Bereits seit Februar, also kurz nach Bekanntwerden der Stilllegungspläne für den Standort Rungis, fanden immer wieder und an verschiedenen Orten Aktionen wie diese statt: "Am heutigen Montag, den 26. Februar, treten die von Massenentlassung bedrohten Lohnabhängigen bei Quante-Pouyet erneut im Streik. Im Werk bei Rungis bleibt die Produktion von 8 bis 21 Uhr liegen. Das Personal, das sich dem Vorhaben einer Stilllegung des Produktionsstandortes entgegenstellt, will auf diese Art den etwaigen Abtransport von Material, Werkzeug und Maschinen aus dem Werk verhindern. Die Geschäftsleitung hat zwar erklärt, dass kein Materialtransfer stattgefunden habe, doch Beschäftigte und Betriebsrat haben festgestellt, dass das Unternehmen konkrete Vorbereitungen für den Abtransport getroffen hat." Bereits am 1. Februar hatte anlässlich einer Sitzung des Comité d’Entreprise[3] eine konzertierte Aktion der Beschäftigten in Rungis mit denen bei Pouyet-Pontchâteau stattgefunden, auf der gegen den Transfer der Produktion protestiert wurde. Die Beschäftigten stützten sich bei ihren Arbeitsniederlegungen vor allem auf das Gutachten eines Wirtschaftsprüfers, das der Gesamtbetriebsrat in Auftrag gegeben hatte.[4] Dessen Mitte Februar vorgelegter Bericht entkräftete die wirtschaftlichen Gründe, die das Management für eine Unternehmensschließung angeführt hatte. Angesichts eines Umsatzes von 77 Millionen Francs für das Jahr 2000 sei die Umstrukturierung, so der Prüfer, nicht mit einer finanziell schlechten Unternehmenssituation zu begründen. Pouyet stehe solide da, das Unternehmen habe seit der Übernahme von Pouyet durch Quante im Jahr 1995 sogar in bedeutendem Umfang Dividenden an die Quante-Gruppe abführen können. Die Umstrukturierung habe vielmehr zum Ziel, sich in offensiver Weise auf sich entwickelnde Märkte einzustellen.

Unter diesen Bedingungen kann eine Entlassung aus "wirtschaftlichen Gründen" nicht stattfinden.[5] Bis zum erwarteten Urteil des Inspecteur du Travail galt es für die Beschäftigten, Werkzeug und Maschinen – und damit die Arbeitsplätze – zu erhalten.

Parallel dazu sollen Verhandlungen mit dem Management aufgenommen werden. Die Beschäftigten wollten Abfindungssummen, die von einem unteren Festgeldsatz von 100.000 Francs (für Beschäftigte ohne mehrjährige Betriebszugehörigkeit) plus vier Monatslöhne pro Beschäftigungsjahr (über die Hälfte der Beschäftigten hat eine Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren und ist über 40 Jahre alt) bis zu einem Höchstsatz von 700.000 Francs reichten. Darüber hinaus hatten die Beschäftigten beschlossen, unter keinen Umständen individuelle Abfindungsverträge zu unterschreiben.

Mit diesen Forderungen waren zugleich der Charakter wie auch die Grenzen des Arbeitskampfes deutlich: Von Anfang an waren die Beschäftigten der Auffassung, dass ein Frontalangriff auf das Unternehmen mit dem Ziel der Erhaltung des Standortes zum Scheitern verurteilt sei; so kam es also zu einem Kampf um die Abfindungen, der gleichzeitig über den Instanzenweg (Inspection du Travail) und über den gewerkschaftlichen Weg, d.h. direkte Aktionen der Beschäftigten wie Streiks, Besetzungen, Blockaden bei der Materialanlieferung und Produktionsauslieferung usw., ausgefochten werden sollte.

 

Die Rolle der CNT

Die CNT agierte in dieser Auseinandersetzung auf allen Ebenen: vom Betrieb, in dem sie mit einer Betriebsgruppe vertreten war, über die lokale Ebene, auf der sie mit ihrem Ortsverband ETPIC aktiv wurde, die regionale und nationale Ebene (hier sorgte sie für die Koordination mit den anderen Standorten und Filialen des Unternehmens) bis hin zur internationalen, wo sie u.a. Kontakt zu den Interessenvertretungen in den deutschen Werken der Quante AG herstellte. Ihre Aufgabe sah sie darin, den Beschäftigten Mittel zur Selbsthilfe anzubieten und ihnen beim Aufbau eines Solidaritätsnetzwerkes zu helfen. Vor allem die Betriebsgruppe stand dabei vor der schwierigen Aufgabe, sich von der Gesamtheit der Beschäftigten nicht durch unrealistische Forderungen abzuschneiden und doch ausreichend Druck auf die Geschäftsleitung auszuüben, um diese zu Zugeständnissen zu bringen – angesichts einer Belegschaft, die sich von Anfang an geschlagen gab und sich für den schlichten Erhalt der Arbeitsplätze nicht mobilisieren konnte, nicht ganz einfach. Mit der Losung "Eine Million Francs für jede/n Entlassene/n" gelang jedoch eine Weichenstellung. Während diese von den Beschäftigten begeistert aufgenommen wurde, erklärte die Direktorin der Personalabteilung: "Eine Million Francs zu verlangen, das ist kriminell!" Abhängig Beschäftigte auf die Straße zu stellen, ist dagegen offenbar nicht als kriminell einzustufen.

Zwischen Betriebsgruppe und Ortsverband war man sich jedoch einig, dass diese Strategie angesichts des Kräfteverhältnisses innerhalb des Unternehmens und der sehr begrenzten Möglichkeiten, von außen Einfluss zu nehmen, die richtige war: Für eine Boykottstrategie wie bei Danone schien bei Pouyet kein Ansatzpunkt gegeben. Und während der Auseinandersetzung musste sich die Betriebsgruppe ständig an zwei Fronten schlagen: mit der Geschäftsleitung und mit dem "freien" Betriebrat, dem die Geschäftsleitung ständig Honig um den Bart strich. Die CNT, die ihre Repräsentativität im Betrieb bei den Wahlen um die Personalvertretung (Délégué du Personnel) ausreichend unter Beweis gestellt hatte, hatte sich dagegen nicht an den Betriebsratswahlen beteiligt.[6]

Um die Geschäftsleitung an diesem Punkt in Schach zu halten, startete die Betriebsgruppe der CNT eine umfassende Fragebogenaktion unter der gesamten Belegschaft am Standort Rungis. Das Ergebnis war eindeutig: In den zu 87 Prozent zurückgegebenen Fragebögen antworteten die Beschäftigten auf die Frage, wie sich die Belegschaft bei Verhandlungen mit der Geschäftsleitung vertreten wolle, wie folgt: Erste Wahl war eine Vertretung, die von der Vollversammlung aller Beschäftigten ernannt werden sollte, und die ihre Verhandlungsergebnisse derselben Versammlung vorlegen sollte; zweite Wahl war die Gewerkschaft, das heißt die CNT; und erst an dritter Stelle lag der Betriebsrat.

Der Ortsverband der Gewerkschaft war unterdessen ständig präsent: zunächst physisch durch die Präsenz vor den Werkstoren, dann durch die Kontaktaufnahme zur CFDT[7], der einzigen bei Pouyet-Pontchâteau vertretenen Gewerkschaft, und zu den Streikenden von "LU" (Danone), zur CGT[8], die bei 3M Galaxie die Vertretung hat, zu Gewerkschaftern bei Quante in Wuppertal und der IGM Hattingen und natürlich zur CNT in Nantes, die Kontakt mit den Beschäftigten von Pontchâteau herstellte und Flugblätter an diesem Standort verteilte.

 

Ein symbolträchtiges Bild

Mittlerweile ist die Auseinandersetzung beendet: Die Beschäftigten erhalten zwischen 50.000 (ohne mehrjährige Betriebszugehörigkeit) und 280.000 Francs. Das ist das 10- bis 35-fache dessen, was laut Tarif gezahlt werden muss. Hinzu kommen die gesetzlichen Abfindungen. Zum Abschluss noch ein Schlaglicht aus der Hochphase des Arbeitskampfes: Anlässlich einer Sitzung des Gesamtaufsichtsrates in Rungis kamen Mitte März auf Initiative der CFDT-Pontchâteau die Beschäftigten aus dem 500 km entfernten Nantes mit dem Bus, um die Forderungen zu unterstützen – der CFDT-Boss kam allerdings erst später. Der Empfang der KollegInnen aus Pontchâteau durch ihre KollegInnen aus Rungis war freundlich, ja herzlich. Nach einiger Zeit nahm sich dann auch ein Vertreter des Betriebsrates von Rungis-Delta die Zeit, aus den Büros der Geschäftsleitung heraus- und herunter auf die Straße zu kommen, um vor den versammelten Beschäftigten eine Ansprache ganz eigener Art zu halten: Sie hätten einen gewaltigen Fehler in ihrem "Timing" gemacht, indem sie am Tag der Aufsichtsratssitzung gekommen seien, ihre Aktion würde absolut nichts bringen usw. Kurz: Es sprach die Stimme seines Herrn – hier die der Geschäftsleitung. Hätten die Beschäftigten ihr vertraut, wären diese Abfindungen nie so hoch ausgefallen.

Aimé (ETPIC 94)
Übersetzung: Ulrich Stark
Bearbeitung: Kirsten Huckenbeck

Erschienen in: express - Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 5/2001

Anmerkungen

1) Confédération Nationale du Travail – Association Internationale des Travailleurs lässt sich übersetzen mit "Nationale Konföderation der Arbeit – Internationale Arbeiterassoziation". Der – historische – Bezug auf die Internationale, der die CNT nicht mehr angehört, wird auch in Abgrenzung zur extremen Rechten weitergeführt, da der alleinige (und ebenso historisch begründete) Bezug "national" für das heutige Verständnis irreführend ist. Etwa so wie in Deutschland "Union" Assoziationen wachruft, die eher an rechte als an "unionistische" oder syndikalistische Prinzipien denken lassen.

2) Employés, Travailleurs et Précaires de l’Industrie et du Commerce ("Angestellte, Arbeiter und Prekarisierte in Industrie und Handel", d.h. im Privatsektor). Die französischen Gewerkschaften folgen der Unterteilung in Départements (94 steht hier für das Département Val de Marne).

3) Das Comité d’Entreprise, häufig fälschlich mit "Betriebsrat" wiedergegeben, ist ein paritätisch besetztes Gremium aus Unternehmer- und Arbeitervertretern, den délégués au Comité d’Entreprise. Letztere sind ganz überwiegend keine freigestellten Funktionäre, nur in ganz wenigen Großbetrieben des Privatsektors, so etwa in der Automobilindustrie, gibt es permanent freigestellte "Betriebsräte". Ein Comité d’Entreprise könnte eher mit der Struktur eines deutschen Aufsichtsrats verglichen werden, existiert jedoch in Frankreich auf Werksebene genauso wie auf der Ebene des Gesamtunternehmens.

4) Die Arbeitnehmervertretungen können aus der Sitzung des Comité d’Entreprise heraus auf Kosten des Unternehmens Gutachter bestellen und zu Rate ziehen. Im Fall von Pouyet mussten die gewählten Vertreter im Comité d’Entreprise von der Gewerkschaft über dieses Recht informiert werden, von dem sie schließlich auch Gebrauch gemacht haben.

5) Die Frage der "Entlassung aus wirtschaftlichen Gründen" ist aus drei Gründen für die Betroffenen Beschäftigten von Bedeutung: erstens wäre das Unternehmen von bestimmten Verpflichtungen bei den Entlassungsbedingungen und Abfindungssummen entbunden; zweitens greift der Staat, wenn es um Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen geht, über den Inspecteur du Travail direkt ein, womit staatliche Maßnahmen (Beihilfen) verbunden sind; drittens ist damit eine andere Verhandlungsstrategie (gegenüber Staat wie Kapital) für die Gewerkschaft gegeben.

6) Die Délégués du Personnel werden gerne mit den deutschen Vertrauensleuten gleichgesetzt, sie sind jedoch in Frankreich nicht notwendig Gewerkschaftsmitglieder. Abgesehen vom staatlichen Sektor (z. B. Bildungswesen) und Unternehmen, die dem öffentlichen Dienst gleichgestellt sind (wie etwa die Post), stellt sich die Ausgangslage für Gewerkschaftsarbeit in der "freien" Wirtschaft, also im Privatsektor, durchaus kompliziert dar: Die CNT gehört nicht zu den fünf "offiziellen" Gewerkschaftsverbänden, die in Frankreich den Status "auf nationaler Ebene repräsentativ" besitzen. Bei Mitgliedschaft in einer dieser staatlich anerkannten und privilegierten Verbände ist jede weitere Anerkennung auf Betriebsebene durch den Patron überflüssig. Andernfalls, und für die CNT trifft das häufig zu, kann der Arbeitgeber der Gewerkschaft die Anerkennung verweigern. Diese muss nun ihre "Repräsentativität" innerhalb des Betriebes nachweisen. Dies kann auf zwei Wegen geschehen. Einmal durch Richterentscheid: Die Gewerkschaft muss nachweisen, dass ihre Betriebsgruppe sich unabhängig vom Arbeitgeber finanziert und dass sie im jeweiligen Betrieb eigene Aktionen durchführt und Forderungen aufstellt. Sie kann also dem Richter ihre Flugblätter vorlegen, nebst einer Liste ihrer zahlenden Mitglieder aus dem Betrieb. Auf Wunsch und nach Befinden des Richters kann diese Liste dem Arbeitgeber in dem Verfahren vorenthalten werden, muss aber nicht. Die andere Möglichkeit, die "Repräsentativität" nachzuweisen, geht über die Anzahl der abgegebenen Stimmen bei Wahlen zum Délégué du Personnel oder Comité d’Entreprise. Im Fall von Pouyet wählte die CNT den Weg des richterlichen Verfahrens und wies nach, dass sie von zwölf der 50 Beschäftigten regelmäßig Mitgliedsbeiträge erhalte. Dies entspricht 24 Prozent der Beschäftigten – ein Organisationsgrad, der im privatwirtschaftlichen Sektor Frankreichs Rekorde bräche. Alle Gewerkschaftsverbände einschließlich der "national repräsentativen" zusammen gerechnet sind dort zwei Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert.

7) Confédération Française Démocratique du Travail, urprünglich christlicher, heute überwiegend moderat und sozialpartnerschaftlich eingestellter Verband. Wo er nicht durch Spaltung (SUD – Syndicat Unitaire et Démocratique) geschwächt wurde, ist er noch zweitstärkste Kraft unter den französischen Richtungsgewerkschaften.

8) Confédération Générale du Travail, stärkster und kämpferischster Gewerkschaftsbund in Frankreich; unter kommunistischem Einfluss und gegenwärtig in einer schweren Zerreißprobe zwischen Reformern und stalinistisch orientierten Kräften in der politischen Leitung einerseits sowie der unruhigen, unzufriedenen und vor Ort teilweise sehr aktiven Basis andererseits.


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