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Updated: 18.12.2012 16:00 |
Mobilisierung für den 4. Oktober Die französischen Gewerkschaften haben sich, über ihre sonstigen strategischen Divergenzen hinweg, auf ein gemeinsames Mobilisierungsdatum für die „Rentrée“ (den zweiten Jahresbeginn nach der Sommerurlaubsperiode) geeinigt. Am Dienstag, 4. Oktober werden frankreichweit Arbeitsniederlegungen – wohl vor allem im öffentlichen Dienst – und Einheitsdemonstrationen gegen die soziale Kahlschlagspolitik der Regierung unter Dominique de Villepin stattfinden. Das Datum fällt mit dem ersten Sitzungstag des französischen Parlaments nach der Sommerpause zusammen. Der Beitrag "Alle Gewerkschaften mobilisieren für den 4. Oktober" von B. Schmid vom 16.September 2005. Alle Gewerkschaften mobilisieren für den 4. Oktober Die französischen Gewerkschaften haben sich, über ihre sonstigen strategischen Divergenzen hinweg, auf ein gemeinsames Mobilisierungsdatum für die „Rentrée“ (den zweiten Jahresbeginn nach der Sommerurlaubsperiode) geeinigt. Am Dienstag, 4. Oktober werden frankreichweit Arbeitsniederlegungen – wohl vor allem im öffentlichen Dienst – und Einheitsdemonstrationen gegen die soziale Kahlschlagspolitik der Regierung unter Dominique de Villepin stattfinden. Das Datum fällt mit dem ersten Sitzungstag des französischen Parlaments nach der Sommerpause zusammen. Zu den Demonstrationen rufen die fünf gesetzlich als „repräsentativ“ anerkannten Gewerkschaftsverbände zusammen auf: die ehemals KP-nahe CGT; die rechtssozialdemokratische CFDT; die „unpolitisch“-populistische FO; die christliche CFTC; und der Gewerkschaftsbund der höheren Angestellten, CFE-CGC. (Ihr „repräsentativer“ Charakter bedeutet, dass eine Betriebs- oder Branchengewerkschaft, die in einem dieser Dachverbände Mitglied ist, automatisch gesetzlich dazu ermächtigt ist, ein Kollektivabkommen zu unterzeichnen, also eine Art Tarifvertrag. Ein Kollektivvertrag nach französischem Recht bindet alle abhängig Beschäftigten, die in seinen Geltungsbereich fallen, nicht nur die Mitglieder der unterzeichnenden Gewerkschaft. Alle anderen Gewerkschaften, die nicht Mitglied in einem der fünf Dachverbände sind, können zwar auch – gerichtlich – als „repräsentativ“ anerkannt werden, aber sie müssen dann beweisen, dass sie es sind. Etwa durch Offenlegung ihrer Mitgliederzahlen und ihrer Verankerung im Betrieb oder in der Branche.) Neben den fünf Gewerkschaftsbünden haben darüber hinaus auch mehrere „nicht konföderierte“ Lohnabhängigen-Organisationen, d.h. nicht einem der anerkannten Dachverbände angehörende Gewerkschaften, ihre Unterstützung signalisiert. Namentlich die Lehrergewerkschaft FSU, der Verband „Solidaires“ (Zusammenschluss der linken Basisgewerkschaften vom Typ „SUD“) und der sozialdemokratisch-unpolitische Verband UNSA werden sich den Demonstrationen am 4. Oktober ebenfalls anschließen. 100 Tage Villepin Den letzten Anstoß für die verschiedenen Gewerkschaften, sich zum Aktionsbündnis für den 4. Oktober zusammenzuschließen, bildete die „100-Tage-Bilanz“ von Premierminister Dominique de Villepin am 7. September. Der amtierende Regierungschef, der zuvor Außenminister und davor sechs Jahre lang persönlicher Berater von Präsident Jacques Chirac gewesen war, kam Anfang Juni dieses Jahres ins Amt. Vor allem, weil sein Amtsvorgänger Jean-Pierre Raffarin, der aufgrund der neoliberalen „Reformen“ der letzten drei Jahre und seiner dumpf-provinziellen Selbstzufriedenheit extrem unpopulär war, nach dem „gescheiterten“ Reform vom 29. Mai über den EU-Verfassungsvertrag durch Präsident Chirac entlassen worden war. In seiner „100-Tage-Bilanz“ hielt Premierminister de Villepin sich vor allem einen Rückgang der Arbeitslosenzahlen zugute. Doch abgesehen davon, dass dieser Rückgang (um einige zehntausend von fast drei Millionen) sehr relativ ausfiel, hatte sich vor allem auch herumgesprochen, warum die Arbeitslosenstatistik nach unten zeigt. Der erste Monat, in dem die Kurve nach unten ging, ist der Monat Juni 2005 – doch im Juni ist gleichzeitig auch die Zahl der wieder in Lohn und Brot gekommenen (Ex-)Arbeitslosen gesunken und nicht angestiegen. Geklettert, um rund ein Fünftel, ist dagegen die Zahl der „administrativen Streichungen“, also der Arbeitslosen, die aus der Statistik geworfen und denen die Unterstützung gestrichen worden sind. Denn seit dem Frühsommer hat sich der Druck der Ämter auf die Betroffenen stark erhöht: Zahlreiche Arbeitslose erhielten Briefe, in denen ihnen fiktive Vorwürfe gemacht wurden („Sie haben einer Vorladung nicht Folge geleistet“, „Sie haben seit einem Jahr keinen Gesprächstermin wahrgenommen“...). Wer nicht rechtzeitig antwortet oder auch den Brief auf dem Postweg nicht erhalten, hat Pech gehabt: Weg ist die Unterstützung. Bereits im Juni konnte man in Pariser Arbeitsämtern zahlreiche Betroffene Schlange stehen sehen, die gegen solche Entscheidungen protestieren wollten. Seitdem die Regierung am 2. August neue Verordnungen über den Umgang mit den Erwerbslosen verabschiedete, ist nunmehr geplant, den Druck noch erheblich zu verstärken. Statt, wie bisher, alle sechs Monate sollen die Arbeitslosen nunmehr von „ihren“ Ämtern ein bis zwei mal pro Monat vorgeladen werden, um sie in Atem zu halten. Dabei haben die Arbeitsämter gar nicht genügend Mittel und Personal, um diese Anordnung von Premierminister de Villepin in die Tat umzusetzen: In Paris etwa kommen 11.000 Arbeitslose auf einen Mitarbeiter der ANPE (ungefähres Pendant zur deutschen Arbeitsagentur). Aber erhöhen werden sich ohne Zweifel die Pressionen gegen die Betroffenen. Die Verordnungen vom 2. August haben ebenfalls das Arsenal der zur Verfügung stehenden Sanktionen erweitert: Bisher hatten die ANPE-Agenturen als Sanktionsmittel fast nur die administrative Streichung zur Folge, aufgrund derer ein/e Arbeitslose/r völlig aus der Unterstützung herausfliegt. Aufgrund der Konsequenzen, aber auch der drohenden (Rechts)Streitigkeiten zögerten die ANPE-MitarbeiterInnen bisher eher, dieses Instrument auch einzusetzen. Zukünftig aber haben sie ein abgestuftes Sanktionsinstrumentarium zur Verfügung, so können sie den Betroffenen beispielsweise aus einer Reihe von Gründen die Unterstützung für die Dauer von 2 Monaten streichen. Im Gegenzug sollen sie künftig aber ohne Zögern diese Druckmittel auch einsetzen. Die Hauptentscheidung für die nähere Zukunft, die Premerminister de Villepin in seiner Regierungserklärung vom 7. September traf, besteht aber in einem Bündel von Steuersenkungen, das laut der Presse „vor allem den Mittelschichten“, in Wirklichkeit aber mehr noch den obersten Einkommen zugute kommen wird. Statt bisher 6 Steuergruppen wird es ab dem Jahr 2007 (dem Superwahljahr!, dann werden sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt) nur noch 3 geben. Je höher das Einkommen, desto höher wird die Ersparnis ausfallen. Eine ledige Person, die im Jahr 17.000 Euro verdient, wird etwa jährlich ganze 80 Euro sparen und ein Ehepaar (mit zwei Kindern), das zusammen 34.000 Euro verdient, im Jahr stolze – 10 Euro, ein nettes Taschengeld. Dagegen wird ein Ehepaar (mit zwei Kindern), das im Jahr 100.000 Euro verdient, künftig über 4.000 Euro jährlich an Steuern sparen. „Im Gegenzug“ wird ab 2007 – die „Reform“ greift erstmals für die Versteuerung des Jahreseinkommens von 2006 – der bisherige Abschlag für Lohnabhängige in Höhe von 20 Prozent abgeschafft. Bisher wurden abhängig Beschäftigten pauschal ein Fünftel ihrer Einkommen vor der Versteuerung abgezogen, aus einem nachvollziehbaren Grund: Lohn- und GehaltsempfängerInnen können ihre Einkommen so gut wie gar nicht vor dem Fiskus verbergen, während Selbstständige, Freiberufler und Unternehmer sehr viel leichter einen Teil ihrer Einkünfte verschleiern können. Der pauschale Steuerfreibetrag erlaubte es bisher den niedrigen Einkommen, rund um 10.000 Euro jährlich, noch steuerfrei auszugehen. Die kommende Abschaffung des Abschlags wird also Lohnabhängige, vor allem in den unteren Lohngruppen (unter 1.500 Euro monatlich) bestrafen und die mittleren, vor allem aber höchsten Einkommen belohnen. Diese Regierung weiß eben ziemlich genau, welche Klientel sie bedient Im Mittelpunkt: Schleifung des Kündigungsschutzes Im Zentrum der geplanten gewerkschaftlichen Proteste wird aber der so genannte „Neueinstellungsvertrag“ (contrat nouvelle embauche) stehen, der ebenfalls durch eine Verordnung vom 2. August eingeführt worden ist – Labournet berichtete. Dieser neue Vertragstyp, der bisher auf die kleinen und mittleren Betriebe bis zu 20 Beschäftigten beschränkt ist, erlaubt es dem Arbeitgeber, innerhalb von 2 Jahren nach Aufnahme des Arbeitsverhältnisses den/die Beschäftigte/n ohne Angabe von Rechtfertigungsgründen loszuwerden. Premierminister de Villepin überlegt nach eigenen Angaben derzeit, „wie man, ohne mechanisch den neuen Vertragstyp auf die Großbetriebe übertragen zu wollen, mit den Sozialpartnern über andere Instrumente für andere (d.h. größere, Anmerkung B.S.) Unternehmen reden kann“. Die CGT hat bereits am 8. August eine Klage gegen die Notverordnung (Labournet berichtete), mittels derer der neue Vertragstyp eingeführt worden ist, erhoben. Deswegen rief sie den Conseil d’Etat, also das oberste Gericht im öffentlichen Recht (vergleichbar dem Bundesverwaltungsgericht) gegen die Verordnung an, um zu erreichen, dass diese für illegal erklärt und abgeschafft wird. Am 26. August reichten dann die CFDT, die CFTC und die CFE-CGC von ihrer Seite her eine gemeinsame Klage gegen die Verordnung ein. Ihrerseits hat Force Ouvrière (FO) erklärt, die Affäre bei der ILO (Internationale Arbeitsorganisation), mit der dieser Dachverband eng verflochten ist, zur Sprache zu bringen. Forderungsbündel Ansonsten wird am 4. Oktober vor allem eine Erhöhung der Löhne gefordert werden. Derzeit lasten vor allem die dramatische Erhöhung der Mieten (frankreichweit: plus 14,2 Prozent in den Jahren 2001 bis 04, voraussichtlich plus 4,7 % im laufenden Jahr 2005) sowie der Erdölpreise und damit der Heiz- und Tankkosten auf den einkommensschwachen Haushalten. Im Hinblick auf die Benzinpreiserhöhung hat die Regierung jetzt den Haushalten einen Sonderbonus von 75 Euro gewährt, der jedoch das Problem der allgemein kletternden Preise und (proportional) schrumpfenden, da in absoluten Zahlen weitgehend stagnierenden, Einkommen kaum lösen wird. Die CGT wollte von ihrer Seite her auch noch „die Verteidigung der öffentlichen Dienste“ in den Forderungskatalog aufgenommen wissen. Doch dagegen sperrte sich die CFDT, die angab, „stets gegen disparate Forderungsbündel“ (sinngemäß: im Kaufhauskatalog-Stil) zu sein. Derzeit läuft namentlich die Privatisierung des Energieversorgungsunternehmen EDF, Electricité de France, sowie der französischen Autobahnen. Im letzteren Fall wird der Staat nur circa ein Viertel der Einnahmen, die für die nächsten 30 Jahre erwartet werden, von den Übernahmekandidaten kassieren. Auch Dissidenten im bürgerlichen Lager sprechen von „Verschleuderung“. Eine kurze Diskussion gab es auch über das Datum: Die CFDT favorisierte im Grunde einen Samstag als Mobilisierungsdatum, wie sie erklärte, „um auch den Beschäftigten aus kleinen und mittleren Betrieben, die von dem ,Neueinstellungsvertrag’ hauptsächlich betroffen sind, die Teilnahme zu ermöglichen“. Dagegen insistierte vor allem die CGT auf einem Wochentag als Mobilisierungsdatum. Vor allem in den Bereichen, wo die Gewerkschaften noch relativ günstige Kräfteverhältnisse aufweisen, insbesondere in den öffentlichen Diensten, erleichtert ein Werktag als Datum die Mobilisierung. Ferner lässt sich so die Mobilisierung mit Warnstreiks verbinden. Wird der Test am 4. Oktober erfolgreich für die Mobilisierung ausfallen? Labournet wird berichten. Bernhard Schmid (Paris), 16. September 2005 |