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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Mindestens jede/r fünfte französische Staatsbedienstete war am gestrigen Donnerstag im Ausstand "Das Ministerium für den öffentlichen Dienst (dessen Angaben über Streikbeteiligungsquoten oft restriktiv ausfallen) erklärte am Nachmittag, 20,3 Prozent der Staatsbediensteten seien nicht zur Arbeit erschienen. Dieser Anteil lag etwas höher als beim letzten Aktionstag deröffentlich Bediensteten im Februar 2006, bei dem 18,2 Prozent an Streiks und Arbeitsniederlegungen in den öffentlichen Diensten oder im Staatsdienst teilnahmen" - so beginnt der Artikel "Mindestens jede/r fünfte französische Staatsbedienstete war am gestrigen Donnerstag im Ausstand" von Bernard Schmid vom 9. Februar 2007. Streik- und Aktionstag der Staatsbediensteten: Mindestens jede/r fünfte französische Staatsbedienstete war am gestrigen Donnerstag im Ausstand Das Ministerium für den öffentlichen Dienst (dessen Angaben über Streikbeteiligungsquoten oft restriktiv ausfallen) erklärte am Nachmittag, 20,3 Prozent der Staatsbediensteten seien nicht zur Arbeit erschienen. Dieser Anteil lag etwas höher als beim letzten Aktionstag deröffentlich Bediensteten im Februar 2006, bei dem 18,2 Prozent an Streiks und Arbeitsniederlegungen in den öffentlichen Diensten oder im Staatsdienst teilnahmen. Auch die Zahlen des Ministeriums verraten allerdings, dass es eine ungleiche sektorielle Verteilung der Zahlen für den gestrigen Tag gibt, und dass die Streikteilnahme in einigen Sparten des öffentlichen Diensts weitaus höher lag. Das “Schlusslicht3 bildete demnach die französische Post (mit 7,8 Prozent), deren Beschäftigte derzeit im Hinblick auf soziale Auseinandersetzungen in die Defensive gedrängt sind. Aber etwa in den Nordquartieren von Paris waren am Donnerstag auch Postämter dicht oder verrichteten mit verringertem Personal nur bestimmte Dienstleistungen, während die Briefzustellung hingegen nicht betroffen schien. Weitaus stärker war die Streikteilnahme etwa bei den Untergebenen des Finanzministeriums (27 Prozent) und im staatlichen Bildungswesen (27,99 Prozent). Die Lehrergewerkschaften registrierten dagegen eine stärkere Beteiligung im Bildungssektor, wobei die Grundschulen jedoch kaum betroffen waren. Die "Hochburg" des Ausstands waren demnach die Mittelschulen mit 54 Prozent, die Oberschulen mit 51 Prozent sowie die Fortbildungszentren mit 63 Prozent. Geographisch führend in Sachen Lehrerstreik war einmal mehr das Département Nummer 93: Seine-Saint-Denis, das die nördlichen Pariser Trabantenstädte umfasst und den höchsten Armutsanteil unter allen französischen Départements aufweisen dürfte. Hier ist die “Krise der Schule" besonders flagrant, zusammengebraut aus fehlender Mittelausstattung für das öffentliche Bildungswesen, sozialen Desintegrationsmechanismen (die auf breiter Front greifen), Bildungsferne vieler Elternhäuser und einer von alltäglicher diffuser Gewalt geprägten Atmosphäre. Das “93er" Département war schon 1998 und 2003 die Speerspitze bei Streikbewegungen im Bildungswesen (die sich im zweitgenannten Fall auf ganz Frankreich ausweitete, kombiniert mit dem Arbeitskampf gegen die “Rentenreform3 im April 03). Am gestrigen Donnerstag waren 65 bis 70 Prozent der Lehrkräfte in Seine-Saint-Denis im Ausstand. 180 der insgesamt 800 Schulen des Verwaltungsbezirks waren geschlossen. Auch imübrigen Pariser Raum und im sonstigen Frankreich waren zahlreiche Schulen für einen Tag dicht. Worum ging es? Anlass für den gestrigen Streik- und Aktionstag waren einerseits die Frage der Kaufkraft, andererseits die über mehreren öffentlichen Diensten (direkt oder indirekt) schwebenden Privatisierungsdrohungen oder die finanzielle Austrocknung durch die öffentliche Hand. Auch die, damit einhergehende, Frage des Abbaus und Vernichtung von Stellen in den öffentlichen Diensten stand im Mittelpunkt. Im laufenden Jahr plant die (bis zu den Wahlen im Frühjahr noch amtierende) konservative Regierung unter Dominique de Villepin, 15.000 Stellen in diesen Sektoren abzubauen: Jeder zweite altersbedingte Abgang soll nicht durch Einstellungen ersetzt werden. Bezogen auf die letzten 5 Jahre, erreicht die Zahl der abgebauten Stellen so fast die 100.000-Marke. Im öffentlichen Bildungswesen, wo zwar die Schülerzahlen stagnieren, das Bedürfnis an Lehr- und sonstigem Personal aber aufgrund der sozialen Krisenphänome hoch ist, sollen im Herbst über 3.000 Lehrerplätze abgebaut werden (nach über 5.000 im zurückliegenden Jahr). Der Bedarf an Lehrpersonal soll zudem “künstlich" reduziert werden, indem die “Polyvalenz3 (Vielseitigkeit) der Lehrer/innen eingeführt wird. Unter Berufung etwa auf Deutschland, wo eine Lehrkraft meistens mindestens zwei oder mehrere Fächer unterrichtet, sollen französische Lehrkräfte zukünftig mindestens zwei Fächer unterrichten können. Darüber liebe sich allgemein und abstrakt vielleicht diskutieren -- aber in diesem Falle ist das einzige Ziel, das damit verfolgt wird, die Anzahl der Lehrer/innen noch weiter zu drücken. Zudem soll die Anrechnung von Lehr- und Vorbereitungszeiten zu Ungunsten der Lehrer/innen geändert abwerden. Theoretisch schlägt sich dies in einer leichten Zunahme der wöchentlichen Arbeitszeit um eine bis maximal drei Stunden nieder, praktisch aber eher in Lohnverlusten in Höhe von 8 bis 20 Prozent durch den Wegfall bisherigerÜberstundenzuschläge. Auch die systematische “Doppelbelegung" von Fächern in den Schulen, die dafür sorgt, dass bei krankheitsbedingtem Ausfall immer ein/e Fachlehrer/in vorhanden ist, soll zurückgefahren werden (zukünftig verstärkt dank der “Polyvalenz"). Beinahe egal, wer die kommenden Wahlen gewinnt, wird sich diese Tendenz künftig noch verstärken. Der aussichtsreichste Kandidat für die Präsidentschaftswahlen am 22. April und 06. Mai, der konservative Innenminister Nicolas Sarkozy, hat bereits einen weiteren Rückgang der Beschäftigtenzahlen im öffentlichen Dienst angekündigt. Der Staat solle“schlanker" werden und sich stärker auf seine hoheitlichen Aufgaben (Polizei, Justiz, Armee) konzentrieren. Zugleich versucht er die öffentlich Bediensteten damit zu ködern, dass er verspricht, sie würden künftig“weniger zahlreich, aber besser bezahlt" sein. Die sozialdemokratische Herausforderin Ségolène Royal, die sich bislang eher durch “Pleiten, Pech und Pannen" im Wahlkampf profiliert hat, dürfte kaum als Verkörperung eines entgegengesetzen Versprechens betrachtet werden. Im November 2006, kurz vor der innerparteilichen Urabstimmung bei den französischen Sozis, war ein Videofilm aufgetaucht, der Royal bei einer Veranstaltung in “ihrer" Region Poitou-Charentes (die Dame ist zur Zeit Regionalpräsidentin in Poitiers) zeigt. Dort mokierte sie sich über Lehrer/innen, die nicht genügend Arbeitszeit in der Schule verbrächt, aber nebenher - so behauptete sie pauschal - noch Zeit hätten, bei privaten Nachhilfeinstituten zusätzliches Geld zu verdienen. (Solche privaten Institute, die teures Geld einnehmen, um die Defizite des öffentlichen Bildungswesens auszubügeln, und dafür systematisch dessen Lehrer anzuwerben versuchen, gedeihen tatsächlich prächtig.) Deswegen, so Royal, sollten die Lehrer/innen künftig “real 35 Stunden arbeiten", also so viel Präsenzzeit an den Schulen zur Pflicht haben. Zu der Präsenzzeit im Unterricht, die derzeit real circa 18 bis 20 Stunden beträgt, kommen im Lehrberuf freilich noch Vorbereitungs- und vor allem Korrekturzeiten hinzu. Royals eifernder Vorstoß sorgte damals bei vielen Lehrer/innen für einen Aufschrei, doch schadete ihr dies bei der innerparteilichen Kandidatenkür am 16. November 2006 nicht. In Sachen Lohnpolitik herrscht zur Zeit die Misere. Das Ministerium für denöffentlichen Dienst hat seinen Untergebenen im laufenden Jahr eine Lohn- und Gehaltserhöhung von 0,8 Prozent ab Februar 2007 “zugesagt". Davon waren allerdings 0,5 Prozent (ab Juli) ohnehin seit gut einem Jahr vorprogrammiert, als Inflationsausgleich für 2006. Real hinkt die Lohn- und Gehaltsentwicklung dem Preisanstieg eher hinterher. Nach gewerkschaftlichen Angaben hat der Grundlohn der öffentlich Bediensteten seit 1983 (dem Jahr, in dem unter Präsident François Mitterrand die automatische Anpassung ihrer Bezahlung an die Inflationsrate abgeschafft wurde) um 14,6 Prozent an Kaufkraft verloren. Und im übernächsten Jahr 2009 sollen die öffentlich Bediensteten ein Jahr länger Beitrag in die Rentenkasse bezahlen müssen, 41 Jahre statt momentan 40, um in den Genuss eines vollen Rentensatzes zu kommen. Dies ist eine Konsequenz der Umsetzung jener “Rentenreform", die im Juli 2003 (trotz massiver Widerstände) vom französischen Parlament verabschiedet worden ist. Die Eisenbahner/innen sorgen sich zudem um ihre spezifische Rentenkasse Dieses soll künftig, den Vorgaben der Europäischen Union entsprechend, aus der Rechnungsführung des öffentlichen Unternehmens SNCF (Nationale Gesellschaft der französischen Eisenbahn) herausgenommen und in eine eigenständige juristische Person umgewandelt werden. Bislang erschienen die Renten der Eisenbahner/innen als Fixkosten im Jahreshaushalt der Bahngesellschaft SNCF. Durch die Umwandlung in eine eigenständige Gesellschaft (mit eigener Bilanz) werden sie nunmehr isoliert und als ein reines Kostenproblem wahrgenommen werden. Hintergrund ist, dass die EU die Einberechnung der Renten in die Allgemeinkosten eines öffentlichen Unternehmens wie der SNCF als “Wettbewerbsverzerrung" betrachtet - im Vorgriff auf eine Privatisierung, oder zumindest den verstärkten Einbruch privater Konkurrenz in den Transportsektor. Die Alimentierung der künftig aus der SNCF herausgelösten Rentenkasse wird dann eines Tages als Politikum aufgegriffen und problematisiert werden können. Im Übrigen hat zumindest der Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy schon jetzt angekündigt, im Falle seiner Wahl würden die “spezifischen Rentenregime" (wie das der Eisenbahner und der Elektrizitätswerker), die günstiger ausfallen als die allgemeine Rentenregelung, abgeschafft werden. Das verspricht freilich sozialen Konfliktstoff, aber man darf den Konservativen vertrauen, dass sie es schaffen werden, den Sozialneid gegen die “Privilegierten" im öffentlichen Dienst - die im Gegenzug für ihre Vorteile (Arbeitsplatzsicherheit, Rentenregime) spürbar weniger verdienen als viele Privatangestellten - zu schüren. Früher waren die spezifischen Konditionen im öffentlichen Dienst einmal dazu gedacht, als “Pionier" zu dienen, um als Vorbild für die kommende Verbesserung der Bedingungen aller Beschäftigten zu dienen. Heute läuft die Entwicklung nun genau anders herum...Demonstrationen in Paris und anderswo Im Laufe des gestrigen Streik- und Aktionstages fanden in Paris und zahlreichen anderen Städten auch Demonstrationen statt. In der Hauptstadt gab es einen doppelten Protestzug, da einerseits die Eisenbahner/innen und - von einem anderen Auftaktort aus losziehend - die übrigen öffentlich Bediensteten demonstrierten. Beide Züge, vom Pariser Süden her kommend, vereinigten sich dann sternmarschförmig im innerstädtischen 6. Bezirk. Die Eisenbahner/innen (die nicht zum Streik, sondern “nur" zur Demo aufgerufen waren, um die landesweite Anreise nicht zu behindern) nahmen an einer landesweiten zentralen Demonstration in Paris teil. Hingegen handelte es sich bei den übrigen öffentlich Bediensteten, unter denen besonders die Lehrer/innen und mit Abstrichen die Post stärker vertreten waren, “nur" um eine regionale Demonstration im Pariser Raum. Ihre Kolleginnen und Kollegen im übrigen Frankreich waren jeweils zu regionalen Protestzügen aufgerufen. Die Eisenbahner-Demo in Paris vereinigte nach gewerkschaftlichen Angaben 40.000 bis 50.000 Personen, nach Zahlen der Polizeipräfektur hingegen 15.000. Die andere Hälfte der sternmarschförmigen Demo vereinte laut den Gewerkschaften (von denen sechs zur Teilnahme aufgerufen hatten: CGT, CFDT, FO, die Lehrergewerkschaft FSU, die linken Basisgewerkschaften SUD und die“unpolitisch"-reformistische UNSA) 40.000, aber nach Polizeiangaben 8.000 Personen. Unter den demonstrierenden Eisenbahner/inne/n fanden sich auch internationale Delegationen, die jeweils auch Grußworte sprachen. So waren die britische Transportarbeiter-Gewerkschaft RTM (die “linkeste" unter allen britischen Branchengewerkschaften), die italienische ORSA und aus Deutschland die Initiative “Bahn für alle" vertreten. Alle drei nahmen am Block der linken Basisgewerkschaft SUD Rail (SUD Schienenverkehr) teil. Zahlenmäßig das Gros der Eisenbahner stellten freilich die “Bataillone" der CGT. Ihre Reihen waren zeitweise in dichten Nebel gehüllt, nicht aufgrund des (regnerischen) Wetters, sondern aufgrund der zahlreich abgebrannten roten Signalfackeln aus den Bahndepots. Am Rande des Demonstrationszugs waren bei einigen CGT-Regionen Phänomene zu verzeichnen, die in der Geschichte der Arbeiterbewegung schon vor 100 Jahren diskutiert und angeprangert wurden - unter dem Stichwort “Das Problem des Alkohols in der Arbeiterschaft3. Bernhard Schmid (Paris) |