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Updated: 18.12.2012 16:00 |
Streik bei Reifenhersteller Michelin endet mit Teilerfolg CGT und SUD führten Ausstand gegen Intensivierung der Arbeit und Stellenabbau an. Dabei erprobten sie auch innovative Kampfformen Eine riesige schwarze Rauchsäule kündigt das Ende des Konflikts an. Nach neun Tagen Blockade der Reifenfabrik von Michelin in Roanne (Département Loire, auf halbem Wege zwischen Lyon und Clermont-Ferrand) stimmte am Freitag abend eine Vollversammlung der streikenden Lohnabhängigen für das Ende ihres Ausstands, der landesweit für Schlagzeile in der Presse gesorgt hatte. Seit Dienstag Abend (9. Mai) hatten sie die Eingänge zur Fabrik blockiert und davor Autoreifen in Brand gesetzt, um ein symbolisches, beeindruckendes Hindernis zu schaffen. Am Freitag abend um 20 Uhr nun setzten die den Rest der gebrauchten Reifen, die sie vor der Halle aufgestapelt hatten, in Brand. Nicht weißer Rauch wie bei der Papstwahl, sondern eine ätzende schwarze Rauchkolonne kündete also von der soeben erzielten Einigung. Intensivierte Arbeitshetze und Stellenabbau Aber worum ging es bei dem Streik? In der Fabrik in Roanne arbeiten 930 Beschäftigte, davon rund 600 in der Produktion. Sie produzieren Reifen für großkalibrige Luxusautos vom Typ Ferrari, Porsche, Audi u.a. Ungefähr 30 Prozent der Produktion werden exportiert, «vor allem nach Deutschland» (so die Wirtschaftszeitung 'La Tribune' vom 09. Mai). Bei «ihrer» Fabrik handelt es sich um eine Pilotanlage, die angeblich «vorbildliche» und supermoderne Produktionstechniken erproben soll. Seit nunmehr drei Jahren wurde eine neue Arbeitsorganisation eingerichtet, die den Lohnabhängigen mehr Abwechslung und anspruchsvollere Tätigkeit bringen soll - allerdings ohne höheren Lohn. Im Namen des Interesses der Lohanbhängigen, nicht mehr allein repetitive und monotone Tätigkeiten zu verrichten, erhöhte die Direktion auf diesem Wege die Produktivität. Im Rahmen einer Just-in-Time-Produktion übernehmen die Produktionsarbeiter so vor allem Wartungs- und Reparaturarbeiten und sind für den reibungslosen Produktionsablauf verantwortlich, wobei sie bisherige Aufgaben von Gruppenchefs mit übernehmen. Die Produktionsarbeiter werden selbst für die Einhaltung der Lieferfristen verantwortlich: Jede einzelne zeitliche Verzögerung gegenüber dem vorab geplanten Ablauf muss schriftlich gerechtfertigt werden. Die Produktion läuft an 7 Tagen pro Woche, non stop. «Man nannte uns (innerhalb der Michelin-Belegschaft) 'die Japaner des Konzerns'», berichtet Christian Loro, der zentrale Vertrauensmann der Gewerkschaft SUD Michelin. Traten Probleme auf, dann richtete die Direktion «Arbeitsgruppen» ein, die darüber beraten sollten. Doch diese dienten in Wirklichkeit vor allem dazu, die Gewerkschaften zu umgehen und ausgewählte Personen aus der Belegschaft zu kooptieren, um diesen Vorschlägen zur Verbesserung der Produktionsabläufe zu entlocken. Die Fabrik in Roanne produzierte im zurückliegenden Jahr 2005 insgesamt 4,28 Millionen Reifen. Für das laufende Jahr hatte die Direktion nun das Ziel vorgegeben, die Zahl auf fast 4,6 Millionen zu erhöhen. Dieses höher gesteckte Ziel sollte allerdings mit einem niedrigeren Personalstand erreicht werden, denn gleichzeitig war die Streichung von 46 Arbeitsplätzen geplant (vor allem durch Nichtersetzung altersbedingter Abgänge, und die Nicht-Weiterbeschäftigung von Zeitarbeiter/inne/n). Die Direktion dagegen berief sich darauf, dass es sich ja nicht um Entlassungen handele, sondern «nur» um die Nicht-Vornahme von Einstellungen auf frei gewordene Stellen. Die entsprechende, vorhandene Arbeit wäre freilich auf die verbleibenden Produktionsarbeiter aufgeteilt worden. Ferner beruft sich die Firmeneleitung zugleich darauf, sie sei «fast die einzige Firma im Département Loire, die Neueinstellungen vornimmt», da sie nämlich die Umwandlung von 20 befristeten Arbeitsverträgen in unbefristete Verträge in Aussicht gestellt hatte. Das ist vielleicht erfreulich für diejenigen, die es betrifft - aber es handelte sich dabei um Personal, das bereits bisher in der Fabrik arbeitete, also keineswegs um zusätzliche Mitarbeiter(innen). Die Gewinne des Reifenherstellers Michelin, dessen Hauptsitz in Clermont-Ferrand ansässig ist, erreichten im Jahr 2005 einen neuen Rekord: 889 Millionen Euro (plus 35,9 % gegenüber dem Vorjahr). Dennoch hatte die Zentrale in Clermont-Ferrand, seit Dezember 05, für das laufende Jahr 2006 nur eine Lohnerhöhung von 01,6 % für das gesamte Personal 'genehmigt' (knapp über dem Inflationsausgleich). Darüber wurde ein Abkommen mit der willfährigen CFDT sowie der CGC, der gewerkschaftlichen Vertretung der höheren und leitenden Angestellten, abgeschlossen. In Roanne hieß es, dass es nicht in Frage komme, über die am Hauptsitz beschlossene «zentrale Lohnerhöhung» hinaus zu gehen. Deshalb nahmen die streikenden Beschäftigten auch die Erhöhung der Löhne in ihre Forderungen auf. Der Konflikt war seit zwei Monaten ausgebrochen Gegen die sich verschärfende Arbeitshetze und Intensivierung der Tätigkeit traten einige Beschäftigte, die Rede ist von ungefähr 30, bereits im März dieses Jahres in den Streik. Der offene Konflikt schwelte also bereits seit zwei Monaten. Zu Anfang dieses Monats kam er erneut zum Ausbruch. Ab dem 02. Mai lief die Produktion verlangsamt ab. Am Donnerstag, 04. Mai traten erneut Lohnabhängige der Fabrik in Roanne in den offenen Arbeitskampf, doch dieses Mal in größerer Zahl. Seitens der Gewerkschaften (SUD Michelin und die CGT riefen zu dem Ausstand auf, nicht dagegen die sozialliberale CFDT) und in den Zeitungen war die Rede von 200 bis 250 Streikenden unter insgesamt circa 600 Produktionsarbeitern. Dagegen sprach die Direktion, die um das Herunterspielen der Situation bemüht war, von 120 bis 130 Streikenden. Im Laufe des Wochenendes (06./07. Mai) gelang es den höheren Angestellten des Konzerns, zwei Schwerlastwagen der Firma mit Reifengummi für die Produktion ins Innere der Fabrik «hinein zu schmuggeln»: Sie schnitten dafür einen Zaun auf und schütteten einen Graben zu, um die Einfahrt durch einen Seiteneingang zu ermöglichen. Kreative Kampfformen Aber ab Dienstag, den 09. Mai verschärfte sich der Streik, und der Rohstoff begann erneut zu fehlen. Nunmehr wurden sämtliche Eingänge blockiert, so dass die Fabrik nicht mehr beliefert werden konnte. Dort gingen alle Vorräte an Rohstoffen (Kautschuk, Reifengummi) zu Ende, so dass nicht weiter produziert werden konnte. Dabei testeten die Ausständischen auch innovative Kampfformen aus. Darüber berichtet die neueste Ausgabe der linksradikalen Monatszeitschrift CQFD (Ce qu'il faut dire, détruire, développer... ; vgl auch ihre Homepage: www.cequilfautdetruire.org ) vom 15. Mai 2006 näher: «Am 9. Mai wurden die Arbeiter, die seit vier Tagen ihre Tätigkeit niedergelegt hatten (...) auf dem Streikposten durch... Nichtstreikende in ihrer Freizeit ersetzt. Diese verbrannten Reifen, während die 'wirklichen' Streikenden an die Arbeit zurückgingen, 'um zu verhindern, dass wir finanziell erdrosselt werden'. (Anm. d. Verf.: Es sei daran erinnert, dass es in Frankreich kein gewerkschaftliches Streikgeld gibt, und die Lohnabhängigen Streiks aus ihrer eigenen Tasche bezahlen. Dafür werden sie im Gegenzug auch nicht durch einen Apparat entmündigt... Ende d. Anm.) Die Direktion versteht überhaupt nichts mehr. Sie beschließt (...), Gerichtsvollzieher zu Hilfe zu rufen, die eine Expertise über den Wirrwarr erstellen sollen. Also, wer sind die Streikenden und wer die Nicht-Streikenden? Man tastet im Nebel... » Die Fabrikleitung beschloss daraufhin (und aufgrund des Lahmliegens der Produktion durch Rohstoffmangel) am Dienstag Abend, dass die gesamte Anlage ab Mittwoch - zunächst für drei Tage - geschlossen werde. Die Direktion ordnete ab dem Mittwoch, 10. Mai technische Arbeitslosigkeit an. Und kündigte an, auch den Nichtstreikenden drei Urlaubstage abzuziehen, um die «echten» Nichtteilnehmer gegen die Ausständischen aufzuwiegeln. Die Streikposten hielten ihrerseits den Druck aufrecht, und gestanden anlässlich einer außerordentlichen CE- (Betriebsrats-)Sitzung am Dienstag Abend der Direktion lediglich den Wunsch zu, «weniger Reifen und mehr Holzpaletten zu verbrennen» (zitiert aus einem Bericht der Managarzeitschrift 'Usine Nouvelle'). Veränderung der Gewerkschaftslandschaft bei Michelin ermöglichte den kämpferischen Streik Die gewerkschaftliche Landschaft bei Michelin in Roanne hat sich in den letzten Jahren spürbar verändert. Früher existierte in dem Großbetrieb allein die CFDT, die auf nationaler Ebene einen rechtssozialdemokratischen und pro-neoliberalen Gewerkschafts-Dachverband darstellt. Doch seit dem Jahr 2001 hat die CFDT im Betrieb sich nachhaltig diskreditert: Damals schloss die CFDT bei Michelin mit der Direktion ein Abkommen zur Arbeitszeit (zur 35-Stunden-Woche), das durch die Basis großenteils als Skandal betrachtet wurde. Im «Gegenzug» zur Verkürzung der Arbeitswoche nahm die CFDT mit ihrer Unterschrift nicht nur (wie auch in vielen anderen Unternehmen, im Zuge der damaligen Einführung der 35-Stunden-Woche unter einer sozialdemokratischen Regierung, aber unverändert neoliberalen Vorzeichen) «flexible», variable Arbeitszeiten hin. Sie akzeptierte durch ihre Unterschrift auch eine enorme Ausweitung von Samstagsarbeit (an fast jedem zweiten Samstag im Jahr) und Wochenendarbeit. Daraufhin spaltete sich die gesamte CFDT-Sektion. Heute erhält die CFDT bei Michelin in Roanne, wo sie früher alle Sitze im Comité d'entreprise (CE, ungefähre Entsprechung zum deutschen Betriebsrat) besetzte, noch rund 20 Prozent der Stimmen. Und diese erhält sie auch nicht unbedingt bei den Produktionsarbeitern, sondern eher bei den 'weißen Kragen'... Aus einer Abspaltung der CFDT entstand SUD Michelin, ein Ableger des linksalternativen Zusammenschlusses von Basisgewerkschaften SUD-Solidaires. Heute erhält SUD Michelin in Roanne 70 Prozent der Stimmen. SUD leitet das Betriebsäquivalent (Comité d'entreprise) unter dem neuen CE-Sekretär Jérôme Lorton. Gleichzeitig enstand bei Michelin Roanne auch die CGT neu. Am jüngsten Streik waren SUD und die CGT aktiv beteiligt. Die CFDT dagegen rief nicht zur Arbeitsniederlegung auf, und spielte in ihren verbalen Stellungnahmen das Weltkind in der Mitten - denn die Lage ist vertrackt und kompliziert: «Wir sind eingekeilt zwischen zwei Extrempositionen: Solange die Direktion nicht über die Forderungen diskutiert, will SUD die Fabrik weiterhin blockieren. Und so lange SUD blockiert, will die Direktion nicht diskutieren.» (Originalton Jacky Banse, CFDT-Vertreter im CE, laut 'Libération' vom 11. Mai.) Hach, was ist doch alles so schrecklich kompliziert, da weiß man ja gar nicht ein noch aus... Im Übrigen müsse man ja auch die Leute von der Unternehmensleitung verstehen, denn für die seien die Dinge ja auch nicht einfach: «Der Direktor wurde vor zwei Monaten ausgewechselt, der Leiter der Personalabteilung Anfang Mai. Man muss ihnen ein wenig Zeit lassen. Wir haben dem Dialog den Vorzug gegeben.» (Originalton Jean-Daniel Beal, CFDT) Und was kam dabei 'raus? Und was kam nun bei dem Streik heraus? Zunächst rief die Direktion die Richter an, und erhielt am Mittwoch ein ihr wohlgefälliges Urteil (im Eilverfahren) des Zivilgerichts von Roanne. Darin wird die Blockade für illegal erklärt und «allen unbefugten Personen untersagt, das Herein- oder Herausfahren der Schwerlastwagen der Fabrik zu verhindern, unter Androhung eines Ordnungsgeldes von 200 Euro pro festgestellte Ordnungswidrigkeit». Doch zugleich wollte die Direktion, wohl aus Furcht vor einer Eskalation oder weiteren Radikalisierung, nicht die Polizei herbei rufen. Am Donnerstag stimmten die Streikenden ihrerseits in einer Vollversammlung für die Fortführung der Blockade. Am Freitag dann wollte die Direktion zu einem raschen Abschluss kommen, um eine Störung der im (nicht weit entfernten) zentralfranzösischen Clermont-Ferrand tangenden Aktionärsversammlung zu verhindern. Die Gewerkschaften ihrerseits führten eine Kundgebung in Clermont-Ferrand durch. Im Laufe des Freitag wurde ein «Kompromissvorschlag» der Direktion bekannt. Die blockierten Löhne sollen örtlich erhöht werden, indem die bisher an einzelne Beschäftigte ausgezahlten Leistungsprämien an das gesamte Personal bezahlt werden. Die Lohnerhöhung soll also indirekt durch die Prämien aufgefangen werden. Und was «die Fragen der Arbeitsbedingungen» (Produktivität, Leistungshetze usw.) betrifft, sollen «Reflexionsgruppen» eingerichtet werden, in denen alle Forderungen der abhängig Beschäftigten im Hinblick auf ihre Arbeitsbedingungen aufgelistet und untersucht werden sollen. Das ist (was den zweiteren Punkt betrifft) noch nichts wirklich Greifbares, auch wenn die Firmenleitung die Lohnabhängigen wohl kaum total leer wird ausgehen lassen können. Aber angesichts der Drohung, die technische Arbeitslosigkeit am Produktionsstandort Roanne auch in der kommenden Woche fortzuführen und allen Beschäftigten (ob Streikenden oder nicht) ihren Lohn zu verweigern, lenkten die Gewerkschaften auf diesem Stand schlussendlich ein. Eine Vollversammlung, an der rund 100 Beschäftigte teilnahmen, stimmte der Einigung am Freitag zu. Gleichzeitig verkündete der Firmenerbe Edouard Michelin auf der Aktionärsversammlung in Clermont-Ferrand, bei der Erreichung der Profitziele («eine steigende Umsatzzahl und eine Gewinnspanne in gleicher Höhe wie in 2005») könnten sich die Dinge im laufenden Jahr schwieriger gestalten. Explizit führte er dabei vor allem die gestiegenden Erdöl- und Treibstoffkosten an. Am Freitag abend verlor die Michelin-Aktie, bei Abschluss der Pariser Börse, dort um 8,40 Euro an Wert und fiel auf 54,55 Euro. Am Samstag früh um 5 Uhr, zum Ende der durch die Direktion angeordneten «Zwangsurlaubs»periode, öffnete die Fabrike ihre Tore wieder. Bernhard Schmid (Paris), 16.05.2006 |