letzte Änderung am 18. Nov. 2002 | |
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Die Gewerkschaft SUD Rail ist Mitunterzeichner eines Aufrufs des Réseau
Sortir du Nucléaire (Netzwerk Ausstieg aus der Atomenergie) gegen
die Castor-Transporte.
SUD Rail ist, mit 13 Prozent der Stimmen bei den Personalrats-Wahlen im März
2002, die drittstärkste Gewerkschaft bei der Bahngesellschaft SNCF. Die
Gewerkschaft wurde Anfang 1996, infolge der Herbststreiks aller öffentlichen
Dienste - die durch den Dachverband CFDT verurteilten wurden - durch eine Abspaltung
der CFDT-Transportsektion begründet. Heute kommen ein Drittel ihrer Mitglieder
aus der alten CFDT, ein Drittel aus der CGT, und ein Drittel sind "neue" Gewerkschaftsmitglieder.
(Die Fragen stellte : Bernhard Schmid, Paris)
Frage : Vergangene Woche rollte einmal mehr ein Transport mit Castor-Atommüllbehältern
vom französischen La Hague aus in¹s niedersächsische Gorleben. Erneut
fanden auf der deutschen Seite eine Reihe von Protestaktionen statt. Welche
Bedeutung hatte dieser Transport für die atomkritische Öffentlichkeit
in Frankreich ?
D.M. : Es handelte sich um einen der größten Atommülltransporte,
weil eigentlich zwei Transportzüge zusammen gelegt worden waren. Eine deutsch-französischen
Vereinbarung zwischen den damaligen Regierungschefs Lionel Jospin und Gerhard
Schröder von vor zwei Jahren sieht vor, alle sechs Monater eine Rückkehr
von Atommüll, der aus abgebrannten Brennstäben deutscher Atomkraftwerke
stammt, in die Bundesrepublik zu organisieren. Im Gegenzug sollten auch die
Transporte deutschen Atommülls in Richtung La Hague wieder aufgenommen
werden. Aber im Juni dieses Jahres war der Transport für das erste Halbjahr
2002 in Richtung Gorleben abgesagt worden. Der Grund dafür waren nicht
nur technische Probleme, sondern auch die damals stattfindenden Parlamentswahlen.
Im Dezember dieses Jahres läuft die Betriebsgenehmigung mehrerer französischer
Atomkraftwerke aus, die dann ihre Altersgrenze erreichen. Dann wird die Entscheidung
getroffen werden müssen, ob man - als Ersatz für die auszumusternden
Anlagen - neue AKWs errichten wird oder nicht. Auch in der französischen
Öffentlichkeit wird ein Beschluss zum Neubau von Atomkraftwerken heute
auf wenig Gegenliebe stoßen. Daher sollte um jeden Preis vermieden werden,
dieses Thema zum Gegenstand politischen Streits vor den Wahlen zu machen. Deswegen
fanden jetzt zwei gewissermaßen zwei Atommülltransporte in einem
statt.
Frage : Welche Bilanz ziehen sie aus diesem jüngsten Transport ?
D.M. : Zuerst einmal folgende : Nach wie vor werden die Hauptbetroffenen nicht
über mögliche Gefahren informiert. Das betrifft die Mitarbeiter der
Eisenbahn - der Atommüllzug durchquert hunderte von Bahnhöfen, irgendwo
könnte ein Zwischenfall passieren, und Eisenbahnern hätten Arbeiten
an dem Güterzug vorzunehmen. Sie wären in keiner Weise über die
möglichen Verseuchungsrisiken informiert. Ich bin - noch bis im Dezember
- Mitgliied im Ausschuss für Hygiene und Arbeitssicherheit der Bahngesellschaft
SNCF. Unser Gremium wurde eine Stunde vor Abfahrt offiziell per Fax informiert.
Auch die betroffenen Bevölkerungen, die an der Transitstrecke wohnen, sind
nicht hinreichend informiert. Ferner erinnere ich daran, dass die Polizeibeamten
in Deutschland angehalten sind, mindestens sieben Meter Distanz zu denn Waggons
mit Atommüll zu halten und sich nicht weiter anzunähern. Sie sind
entlang der Strecke positioniert. In Frankreich dagegen fahren die Polizisten
auf dem Zug mit, und befinden sich damit mitunter in größerer Nähe
zu den Strahlungsquellen, wenn sie sich im Waggon nebenan befinden.
Frage : Besteht keine kritische Öffentlichkeit zu den Risiken radioaktiver
Verseuchung in Frankreich ?
D.M. : Doch, seit einigen Jahren sind die Atommülltransporte Gegenstand
erhöhter Aufmerksamkeit und Kritik. In den Jahren 1996/97 war es zunächst
das Pariser Büro des atomenergiekritischen Instituts WISE (World Information
Service on Energy), das allein durch die Auswertung offizieller Berichte der
COGEMA - der Betreibergesellschaft der Wiederaufbereitungsanlage WAA in La Hague
- heraus bekommen hatte, dass 35 Prozent der dort ankommenden Atommüllbehälter
aus den AKWs nach außen radioaktive Strahlung abgeben. Die Tageszeitung
Libération veröffentlichte ihrerseits im Mai 1998 einen Aufsehen
erregenden Bericht über die radioaktive Verseuchung von Transportbehältern
im Verladebahnhof von Valognes in der Nähe der WAA La Hague, wo sie von
Zügen auf LKWs umgeladen werden. Die Jospin-Regierung hatte damals beschlossen,
alle Transporte von Castor-Behältern mit abgebrannten Brennstäben
zu untersagen, bis eine wirksame Kontrolle stattfinde. Andere Transporte gingen
allerdings kontinuierlich weiter, wie die von Uranil-Nitrat - einem flüssigen
Produkt der Wiederaufbereitung - aus La Hague.
Frage : Was war das Ergebnis dieser Unterbrechung der Atomtransporte ?
D.M. : Daraufhin wurde die so genannte doppelte Kontrolle eingeführt. Vorher
war nur beim Eingang in La Hague eine Kontrolle erfolgt, während beim Abtransport
aus den AKWs keine Vorsichsmaßnahmen exisitierten. So kamen die Verseuchungen
auf der Außenseite der Behälter zustande : Mitarbeiter der Atomanlagen
benutzten die gleichen Handschuhe und Arbeitsgeräte wie im strahlenden
Reaktor-Inneren, um mit den Waggons zu hantieren, Sicherheitsventile wurden
nicht geschlossen... Auch bei der Arbeit in einem Risikobereich wie der
Atomenergie greift ebene irgendwann eine gewisse Arbeitsroutine, man wird nachlässiger,
und (die Betreibergesellschaft) EDF hat die Kontrollen schleifen lassen.
Nachdem die Aufregunng sich gelegt hatte, wurde 1999 die Doppelkontrolle wieder
abgeschafft. Man muss zugeben, dass damals die Verseuchung der Waggons deutlich
zurückgegangen war - von 35 Prozent der in La Hague ankommenden Züge
auf ein Prozent. Seither aber sind die Ausgangskontrollen bei den AKWs wieder
eingestellt worden. Als besonders problematisch betrachten wir auch, dass an
den französischen Grenzen keine Kontrollen der eingehenden Atommüllzüge
stattfinden, obwohl niemand uns garantiert, dass in Deutschland oder Belgien
vergleichbare Kontrollen in den dortigen Atomanlagen stattfinden - während
La Hague zur internationalen Atommüllkippe gemacht worden ist. Deutschland
kontrolliert alle eintreffenden Züge an seinen Außengrenzen auf Verseuchung
am Äußerungen der Waggons. Großbritannien tut dasselbe mit
den Zügen, die seine Grenzen passieren, um die WAA in Sellafield zu erreichen.
Nur an den französischen Grenzen passiert nichts dergleichen, da die atomare
Lobby hierzulande noch sehr stark ist und suggiert, es besteht keinerlei Risiko.
Frage : Was sind die Positionen Ihrer Gewerkschaft zu den Atommülltransporten
?
D.M. : Unser Ausgangspunkt war es, zur Gefährdung der Eisenbahn-Beschäftigten
Stellung zu beziehen. Wir haben gesagt, dass es nicht in Frage kommt, Eisenbahner
einem vergleichbaren Strahlungsrisiko wie die Mitarbeiter von Atomanlagen auszusetzen.
Für AKW-Beschäftigte beträgt die zulässige Strahlungsdosis
50 Millisivert pro Jahr, aber ihre Strahlenbelastung wird konstant gemessen,
und bei Erreichen der Jahreshöchstdosis werden sie von strahlungsgefährdeten
Orten entfernt. Ferner wird ihre medizinische Situation systematisch verfolgt.
Für Eisenbahner ist dies nicht der Fall, daher muss für sie dieselbe
Risikoregelung wie für die Gesamtbevölkerung gelten - das bedeutet
: ein Millisivert pro Jahr. Diese Strahlendosis ist innerhalb von einer Stunde
erreicht, wenn man sich direkt neben einem Waggon mit Atommüllbehältern
aufhält. Früher waren die Eisenbahner darüber nicht informiert,
und hielten sich oft stundenlang neben einem solchen Waggon auf - unter dem
sie sich etwa bei Regen unterstellten.
Als Eisenbahner-Gewerkschaft haben wir eine Reihe von Aktionen mit den Beschäftigten
durchgeführt, um das gesetzlich verankerte Recht auf Arbeitsverweigerung
in Leben oder Gesundheit gefährdenden Situationen geltend zu machen. So
kam es vor allem in Ostfrankreich zu einer Serie von Arbeitsniederlegungen.
In den Bahnhöfen von Lyon und Marseille haben wir Transporte des flüssigen
nuklearen Abfallprodukts Uranil-Nitrat verhindert, da die Beschäftigten
nicht über potenzielle Risiken informiert waren. Ferner haben wir die Unterrichtungspflicht
gegenüber der betroffenen Bevölkerung thematisiert. So durchqueren
die Transporte, die aus Deutschland oder Belgien kommend nach La Hague rollen,
den bevölkerungsreichen Ballungsraum Paris. Normalerweise umfahren sie
die Hauptstadt. Aber während der Eisenbahnstreiks im März/April 2001,
als viele Strecken blockiert waren, rollten Atommüllzüge durch die
Stadt Paris, ohne dass die Anwohner über die Gefahren aufgeklärt waren.
Erinnern wir daran, dass zwei Castor-Behälter so viel radioaktives Potenzial
entrhalten wie ein Reaktorblock eines AKWs - und was dies im Fall eines Unglücks
bedeutet.
Ferner haben wir gefordert, Kontrollschleusen einzuführen, die auf radioaktive
Strahlung reagieren. Die Bahngesellschaft SNCF hat das bisher verweigert.. Aber
manche Kunden haben solche Kontrollschleusen, die Strahlung messen. Wenn etwa
eine Firma, die Metallschrott verarbeitet und die per Bahn beliefert wird, unter
ihren Kundenfirmen Unternehmen der Lebensmittelindustrie hat - wenn sie etwa
Kühlschränke herstellt -, dann wird sie durch die Kunden zur Messung
von Strahlungsgefahren verpflichtet. Und siehe da, in einigen Fällen hat
sich herausgestellt, dass die Kontrollschleusen bei Waggons der SNCF Radioaktivität
anzeigten. Manchmal handelte es sich um radioaktive Partikel, die sich beim
Beladen von Atommüllbehältern außen an den Waggons angesetzt
hatten. Manchmal waren es aber auch die Waggons selbst, die Strahlung abgaben.
Was wir bisher noch nicht durchgeführt haben, aber gern machen würden,
das wäre die Blockade eines Atommüllzugs durch uns, Eisenbahner.
Frage : Sie nehmen also eher unter dem Gesichtspunkt der Beschäftigten-Sicherheit,
als allgemein zur Atomenergie-Nutzung Stellung ?
D.M : Zu Anfang sind wir wir vor allem vom Interesse der Beschäftigten
der Eisenbahn ausgegangen. Aber im Laufe der Zeit sind wir zu einer allgemeineren
gesellschaftlichen Position gelangt. Im Zusammenhang mit den Atommülltransporten
haben wir viel mit dem ³Netzwerk Ausstieg aus der Atomenergie² und Greenpeace
zusammengearbeitet. Nach einer Diskussionsveranstaltung mit diesen Partnern,
an denen alle Gewerkschaftssekretäre von SUD Rail teilnahmen, im Juni 2002
haben wir als Gewerkschaft eine allgemeine Position zur Atomenergie eingenommen.
Seitdem erklären wir öffentlich, dass die beste Lösung des Problems
der Transportgefahren darin bestünde, aufzuhören, weiterhin Atommüll
zu produzieren. In einem Faltblatt von SUD Rail, das im Oktober 2002 veröffentlicht
und verteilt wurden, heißt es etwa : "Wäre es nicht das Einfachste,
um das Problem der Anhäufung von Atommüll zu lösen, zuerst mal
aufzuhören, welchen zu produzieren ?" Und : "Die WAA-Anlagen in Marcoule
und La Hague haben es Frankreich erlaubt, das Plutonium für seine Atomwaffen
herzustellen - aber sie haben im Hinblick auf den Atommüll nichts gelöst
oder auch nur erleichtert."
Frage : Werden solche Positionen von den anderen Gewerkschaften bei der Eisenbahn
geteilt ?
D.M. : Nein, nicht von allen. Die CFDT - deren Transportarbeiter-Sektion (FGTE)
linker als die Führung des Dachverbands CFDT, und der Opposition innerhalb
der CFDT angehört - nimmt Positionen zu den Atomtransporten ein, die den
unseren ähneln. Allerdings ist sie nicht besonders aktiv, um sie auch zu
vertreten. Die stärkste Gewerkschaft CGT - die bei der Eisenbahn nicht
sehr oppositionell ist, immerhin kam der Transportminister Jean-Claude Gayssot
(1997 bis 2002) aus ihren Reihen - und die Weiße Kragen-Gewerkschaft CGC
hingegen sind der Ansicht, dass man die Atomtransporte nicht zu laut kritisieren
solle. Sonst drohe das Unternehmen SNCF Aufträge zu verlieren.
Allerdings sind die Positionen der örtlichen Gewerkschaften, auch bei der
CGT, oftmals viel kritischer als die offiziellen Positionen der Verbände.
Wenn wir eine Aktion bezüglich der Risiken atomarer Transporte machen,
dann sind die Mitglieder etwa der CGT vor Ort durchaus sensibel für die
Gefahren, denen sie selbst ausgesetzt sein könnten.
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