letzte Änderung am 6. Mai 2003 | |
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Paris/ Frankreich:
1. Teil: Le Pen mobilisiert seine Anhänger vor die Pariser
Oper
2. Teil: Gewerkschaftliche und Demonstrationen in ganz Frankreich
Aus gegensätzlichen Motiven wurde auch in diesem Jahr am 1. Mai demonstriert. Ähnlich wie in den Vorjahren marschierte am Vormittag ab 9.30 Uhr der rechtsextreme Front National (FN) auf, dessen engere Parteigänger teilweise aus ganz Frankreich herangekarrt worden waren. Gegen Mittag endete die rechtsextreme Parade, einmal mehr, mit einer rund einstündigen Rede von Parteichef Jean-Marie Le Pen auf dem Vorplatz der Pariser Oper.
Auch in diesem Jahr blieb die Zahl der Teilnehmer an diesem Aufmarsch deutlich hinter jenem an der nachmittäglichen Demonstration von Linken und Gewerkschaften zurück. Auf Paris bezogen, lag das Verhältnis in diesem Jahr bei 1 zu 10. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nachmittagsdemo nur eine regionale ist, denn in weiteren Städten (Marseille, Strasbourg...) fanden ebenfalls bedeutende Maidemonstrationen statt. Somit bleibt die extreme Rechte nach wie vor kilometerweit von ihrem Ziel entfernt, am Arbeiterfeiertag auch nur entfernt die Straße zu dominieren.
Seit 1988 marschiert der Front National (FN) jährlich am 1. Mai zu Ehren seiner "Nationalheiligen" Jeanne d`Arc, zu deutsch Johanna von Orléans, durch Paris. Eigentlich liegt der Gedenktag für die Nationalpatronin, die seit dem späten 19. Jahrhundert durch die äußerste Rechte als Symbol entdeckt wurde (sie hatte im 15. Jahrhundert gegen die englische Invasion gekämpft, jedenfalls der Legende zufolge), auf dem zweiten Sonntag im Mai.
Doch im Jahr 1927 lancierte der französische Faschist Georges Valois als Erster die Idee, die extreme Rechte solle den internationalen Arbeiterfeiertag für sich besetzen, um der sozialistischen Arbeiterbewegung auch auf der Straße den Rang abzulaufen. Er schlug vor, das Gedenken an Jeanne d`Arc auf den - bei den Linken bereits üblichen - Demotag am 1. Mai zu verlegen. Valois war der Chef einer Partei, die sich Les Faisceaux (die Bündel) nannte, unter Anlehnung an die altrömischen Fasci (Rutenbündel), nach denen sich die italienischen Faschisten benannt hatten. Es handelt sich um die erste offen faschistische Partei auf französischem Boden, die damals noch unbedeutend blieb und Ende der 20er Jahre scheiterte. Freilich sollte sie später Nachahmer finden.
Der Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen lancierte exakt die gleiche Idee in den späten 80er Jahren. Wie andere rechtsextreme Organisationen, Gruppen und Sekten auch, hatte der FN bis dahin am zweiten Maisonntag "für Jeanne d`Arc" paradiert. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass einige der Vordenker der Partei - die sehr geschichtsbewusst ist, was die Kenntnis der historischen faschistischen Bewegungen betrifft - diese Vorgeschichte kannten. Zugleich war der praktische Nutzen im Jahr 1988 evident: Damals, wie in jedem Präsidentschafts-Wahljahr, liegt der 1. Mai genau in der Mitte zwischen den beiden Wahlgängen. Le Pen, der 1988 zum ersten Mal ein bedeutendes Ergebnis (14,4 Prozent) erhielt, konnte durch einen öffentlich beachteten Aufmarsch so besonders starken Einfluss auf die Stichwahl nehmen.
Ende der 90er Jahre kamen zwischen 6.000 und 10.000 Anhänger dazu zusammen, besonders 1996 war der Aufmarsch erfolgreich. Hingegen brachen die Teilnehmerzahlen nach der Parteispaltung von 1999 ein, und fielen auf nurmehr knapp 3.000. Seinerzeit war auffällig, dass der FN die Parade bewusst auseinander zog, und manchmal riesige Löcher zwischen den Blöcken klaffen ließ - um die Schwäche der (landesweiten) Mobilisierung zu überdecken.
Eine Ausnahme bildete der 1. Mai 2002. Zehn Tage davor war es Le Pen überraschend gelungen, in den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl zu ziehen. Deswegen musste jetzt, vor der Stichwahl, Mobilisierungsfähigkeit bewiesen werden. Kostenlose Busse wurden, auch für entferntere Sympathisanten, aus allen Teilen Frankreichs zur Verfügung gestellt. Das Ergebnis (10.000 bis 12.000 Teilnehmer) schien jedoch hinter die Erwartungen der Organisatoren zurückzufallen. Deren Sprecher Martial Bildt kündigte damals von der riesigen Tribüne herab mehrfach an, weitere Busse seine noch eingetroffen, deren Insassen noch auf den Platz drängen würden - von jeglichem Neuzugang auf die Kundgebung war jedoch weit und breit nichts zu sehen... Fantasievoll gab die Partei die Mobilisierung später mit 120.000 an, was jedoch offensichtlich unsinnig war.
In diesem Jahr war an eine Wiederholung davon nicht zu denken. Einen ähnlichen Finanzaufwand konnte der FN nicht verkraften, zumal er erst 12 Tage davor einen aufwendigen Parteikongress in Nizza organisiert hatte. Daher blieb es beim Aufmarsch der engeren Parteigänger. Rund 4.000 kamen dabei zusammen, darunter einige hundert auffällig rechtsradikal gekleidete jüngere Teilnehmer (einige Skinheads in schwarzem Outfit mit Blood & Honour-Aufschrift mitgezählt). Normalerweise muss diese, aus Sicht der Älteren schwer zu kontrollierende - die Presse sieht zu! - Jugend ganz hinten marschieren. Dieses Mal war sie jedoch nach vorn an den Demo-Anfang geschoben worden. Denn die Demo benötigte dringend die großmäuligen Sprechchöre der jungen Ultras, um überhaupt ein bisschen animiert zu wirken - auch wenn man an der Parteispitze die bekleidungsmäßige ³Floklore² nicht immer schätzt, jedenfalls wenn sie schadet.
Auffällig war dabei vor allem, dass keine einzige der "sozialen" Vorfeld- oder Satellitenorganisationen des FN mehr vertreten war, die in früheren Jahren auf sich aufmerksam machten, etwa als rechtsextreme "Gewerkschaften" oder Arbeitslosenfronten. Einzige Ausnahme war der FN-Veteranenverband CNC, dessen alternde Militaristen im Gänsemarsch paradierten (früher marschierten sie in Blöcken). Das sah eher lächerlich aus, auch wenn es ihre Reihen verlängerte. Ansonsten defilierten ausschließlich Kreisverbände der Partei.
Das soziale Frage, die die Rechtsextremen noch in den 90er Jahren offenkundig besetzen wollten, wird durch sie heute offenkundig vernachlässigt. Ein einziges mitgeführtes Transpartent war "sozialen" Inhalts ("Garantiert unsere Renten"). In seiner knapp einstündigen Rede - die etwas weniger langatmig ausfiel als in den Vorjahren - betonte Le Pen, Kapital und Arbeit stünden sich in einem nationalen Rahmen nicht als Gegner gegenüber. Hingegen sei das vaterlandslose Kapital von Übel, das der Arbeit die Grundlagen entziehe. Die nationale Rechte müsse den Mut haben, zu sagen, dass die Probleme nur gelöst werden könnten, indem man mehr und länger arbeite. Das war Le Pens Beitrag zur aktuellen Debatte um die Renten"reform". Wahrscheinlich keine gute Voraussetzung, um in der aktuellen Konfrontation zwischen neoliberaler Regierung (die Renten senken und Beitragszeiten verlängern will) und gegen die rückschrittliche "Reform" kämpfenden Gewerkschaften zu punkten. Eher macht er gerade die jahrelangen Versuche der extremen Rechten in den Neunzigern zunichte, als die "wahre soziale Alternative" neben liberaler Regierungspolitik und "Systemgewerkschaften" zu erscheinen.
Zu den gewerkschaftlichen Protesten in der Renten-Sache merkte Le Pen nur an: "Wenn es schlecht geht, dann geht die Linke demonstrieren - so, als ob sie mit den Füßen denkt. Morgen wird sie dann vielleicht gegen andere Dinge demonstrieren: gegen die asiatische Grippe, gegen den Hagel, gegen den Brustkrebs." Das brachte ihm zwar Heiterkeit bei seinen Anhängern an. Über deren Reihen hinaus dürften das aber nicht alle so komisch finden, wenn es nun bald ganz konkret um die Verteidigung sozialer Errungenschaft gegen neoliberale Abrisspläne geht.
Im Anschluss auf die Rede konnte man auf dem Vorplatz der Oper, der nicht allzu überfüllt wirkte, seinen Bedarf an rechtsextremen Zeitschriften, Plakaten, CDs oder Neonazi-Devotionalien decken. Besonders von jungen Anhängern umringt war ein Stand, an dem beispielsweise schwarze T-Shirts mit der Aufschrift "NSDAP München" vertickt wurden. Andere, die am gleichen Stand zu haben waren, trugen Abzeichen (Keltenkreuz) und Schriftzug der verbotenen rechtsextremen Schlägertruppe GUD, wieder andere zeigten Saddam Hussein mit einem Offiziersberet, das vom Keltenkreuz geschmückt wurde. Nebenan fand sich das betagtere Publikum ein, dort gab es etwa "nette" Postkarten, die anscheinend vom Zeichner - er nennt sich "Ignace" - persönlich verkauft wurden. Auf einer der Postkarten sieht man Paul Touvier, den Anfang der 90er Jahre verstorbenen Chef der Miliz des Vichy-Regimes, mit einem Engel (seinem Schutzengel) - der ihm versichert, sein Urteil vor dem Jüngsten Gericht werde positiv ausfallen, "weil der Oberste Richter keine Verbindung zu Freimaurern und Judentum hat". Auf einer anderen wird man aufgefordert, "weder Pest noch Cholera" gut zu finden. Dargestellt sind dazu die Karikatur eines Kommunisten (Stalinbart, Outfit eines Politkommissars) und jene eines Freimaurers (mit dem berühmten Zirkel-Emblem) ) - die Weltverschwörung lässt schön grüßen.
Am Nachmittag demonstrierten 40.000 Personen in Paris mit verschiedenen Gewerkschaften, linken Organisationen und Immigrantenvereinigungen. Im übrigen Frankreich waren, meist schon am Vormittag, bereits an die 300.000 Menschen in verschiedenen Städten auf die Straße gegangen. Zu den größten Zügen zählte jener von Marseille, mit wahrscheinlich rund 25.000 Teilnehmern (die Polizei gibt die Zahl mit 8.000 an, die VeranstalterInnen hingegen mit 50.000...). Fast überall stan die drohende ³Reform² der Renten im Vordergrund, gegen die am 13. Mai frankreichweit gestreikt wird (siehe Beitrag vom 30. April).
In Paris stand der Demonstrationszug daneben sehr stark im Zeichen des Streiks in den Schulen, der sich seit Ende März vom Vorstadt-Département Seine-Saint-Denis aus ausgeweitet hat. Am 30. April wurden bereits 150 Schulen im Ausstand verzeichnet, davon unterstehen 111 der Schulaufsichtsbehörde von Créteil (das bedeutet, sie liegen in den Pariser Umland-Bezirken Seine-Saint-Denis oder Val-du-Marne). Sechs Tage davor waren es noch insgesamt 48 gewesen.
Seit vorgestern ist nunmehr auch Paris von der Streikwelle erreicht. Diese richtet sich aktuell gegen das Dezentralisierungs-Programm der rechten Regierung, das nur ein Einfallstor für sozialen Rückbau im Bildungswesen darstellt (siehe Beitrag vom 30. April). Zugleich stellen die Streikenden selbst einen klaren Bezug zur aktuellen neoliberalen Offensive im Rentenbereich her. Auf allen Fronttranspartenen der streikenden Schulen wurde explizit zur Rentenreform Bezug genommen, und zum allgemeinen Streik am 13. Mai aufgerufen.
Um vom Sammelplatz auf der Place de la République aus nach vorn im Demozug zu gelangen, konnte man fast einen Kilometer lang durch ein ³Spalier² von - meist sehr jungen - LehrerInnen aus den verschiedenen Streikkomitees laufen, die sich am Rand der breiten Boulevards aufgestellt hatten. Später reihten sich die schulischen Streikkomitees - die aus Mitgliedern unterschiedlicher Gewerkschaften zusammen gesetzt sind - zwischen der CGT und der Lehrergewerkschaft FSU ein. Die Fronttransparente mit den Namen der verschiedenen Schulen waren mehrere hundert Meter hintereinander gereiht. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Realschulen und Gymnasien, die in so genannten ³sozialen Problemzonen² der Trabantenstädte liegen und täglich mit voller Wucht die Auswirkungen der gesellschaftlichen Verwerfungen - Arbeitslosigkeit der Eltern, Diskriminierung und Rassismus, soziale Zukunfts- und Perspektivlosigkeit - abbekommen.
Quantitativ machte ansonsten die CGT rund 70 Prozent des Pariser Zuges aus, sie trat aber defensiv und kraftlos auf. Ihre Blocks schienen - im Vergleich zu voran gegangenen Demos wie jener vom 3. April gegen die neoliberalen "Reformen" - eher wenig animiert. Ausnahmen bildeten jene Teile, in denen beispielsweise die Sans papiers ("illegalen" Immigranten) sich eingereiht hatten, die durch ihre Trommelmusik für Stimmung sorgten. Befragt nach dem eher trüben Auftreten, kommentierten einige CGT-DemonstrantInnen dies mit den Worten, man wolle sich seine Energien für die Kraftprobe am 13. Mai, dem Aktionstag, aufsparen. Es bleibt schwer zu hoffen, dass dies die richtige Erklärung ist.
Seitens der sozialdemokratischen CFDT hatte fast nur die interne Linksopposition mobilisiert. Hingegen schien der - ansonsten eher unpolitisch-rechte - Verband der unabhängigen sektoralen Gewerkschaften UNSA (mit rund 1.500 DemonstrantInnen) weit besser in Form zu sein, als gewöhnlich. Die hohe Zahl - auch streikender - LeherInnen in seinen Reihen scheint ihm neuen Schwung verpasst zu haben. Sehr motiviert für einen "Generalstreik", den sie als einzige Gwerkschaftsorganisation auch offiziell auf ihr Fronttransparent geschrieben hatte, schien dagegen die linksalternative Basisgewerkschaft SUD.
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