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Updated: 18.12.2012 15:51
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Der Streik bei "Le Monde"

"Beobachter sprechen von einem »historischen Streik«. Mitte April d.J. legten Journalisten und Verlagsmitarbeiter bei der Pariser Abendzeitung Le Monde erstmals ihre Arbeit nieder und verhinderten das Erscheinen der Ausgabe vom Dienstag, 15.April, die normalerweise am Montagnachmittag in den Pariser Kios­ken und Briefkästen hätte sein müssen. Auch die Online-Ausgabe wurde erfolgreich bestreikt. Wenige Tage später konnte auch die Freitagsausgabe (vom 18. April), aufgrund eines erneuten 24stündigen Arbeitskampfs, am Donnerstag Nachmittag nicht erscheinen" - so beginnt der Artikel "Auf verlorenen Posten" von Bernard Schmid vom 8. Mai 2008 (Überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Artikels, der am 24. April - leicht gekürzt - in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World' erschien).

Auf verlorenen Posten

Beim Flaggschiff der französischen Presse, der liberalen Pariser Abendzeitung ,Le Monde', wird gestreikt. Dabei geht es um bedrohte, Arbeitsplätze, aber auch um die publizistische Unabhängigkeit der Qualitätszeitung Anmerkung: Überarbeitete und aktualisierte* Fassung eines Artikels, der am 24. April (leicht gekürzt) in der Berliner Wochenzeitung ,Jungle World' erschien

Beobachter sprechen von einem »historischen Streik«. Mitte April d.J. legten Journalisten und Verlagsmitarbeiter bei der Pariser Abendzeitung Le Monde erstmals ihre Arbeit nieder und verhinderten das Erscheinen der Ausgabe vom Dienstag, 15.April, die normalerweise am Montagnachmittag in den Pariser Kios­ken und Briefkästen hätte sein müssen. Auch die Online-Ausgabe wurde erfolgreich bestreikt. Wenige Tage später konnte auch die Freitagsausgabe (vom 18. April), aufgrund eines erneuten 24stündigen Arbeitskampfs, am Donnerstag Nachmittag nicht erscheinen.

Bei der Pariser 1. Mai-Demo waren die streikenden Mitarbeiter/innen von Le Monde, die in eigenem Block (weit vorne) auftraten und ein gut aufgemachtes vierseitiges Faltblatt zu ihrem Arbeitskampf verteilten, - neben den Sans papiers - die "Stars" des Umzugs.

Zum dritten Mal wurde nun Anfang dieser Woche das Erscheinen einer Ausgabe - jener vom Mittwoch (7. Mai), die im Raum Paris am Dienstagnachmittag hätte erscheinen müssen - vollständig verhindert. Und die darauffolgende Nummer, jene vom gestrigen Donnerstag, erschien am Vorabend mit über dreistündiger Verspätung. Ab dem Dienstag kommender Woche schwebte nun sogar die Drohung eines unbefristeten Streiks - den die Beschäftigten solange geführt hätten, bis ihre Forderung erfüllt worden (oder aber ihre Niederlage besiegelt worden) wären - im Raum. Die Urabstimmung in geheimer Wahl (mit Urnen und Stimmzetteln), die am Mittwoch früh dieser Woche stattfinden sollte, wurde jedoch abgebrochen bzw.vorläufig ausgesetzt. Zuvor hatte die Chefetage der Pariser Abendzeitung und des dazugehörigen Pressekonzerns (Groupe Le Monde) erste Zugeständnisse angekündigt, vgl. dazu unten mehr.

Einmal ist immer das erste Mal...

Es handelte sich um eine Premiere, denn noch nie hat in der Geschichte der 1944 von Hubert Beuve-Méry gegründeten Zeitung ein Arbeitskampf wegen eines Konflikts zwischen den Beschäftigten und der Direktion stattgefunden.

Zwar hat es schon einmal einen Streik gegeben, das war im Jahr 1976. Aber damals handelte es sich lediglich um einen Streik aus Solidarität mit den Kollegen der Tageszeitung France Soir, die gegen einen drohenden Aufkauf durch das damalige Presseimperium von Robert Hersant protestierten. Hersant war ein schwerreicher ehemaliger Kollaborateur während der deutschen Besatzungszeit, der vor zwölf Jahren starb und dem u.a. der seinerzeit noch erzkonservative Figaro gehörte.

Diesmal aber bekommt der Aufsichtsrat der liberalen Abendzeitung Le Monde die geballte Unzufriedenheit der eigenen Leute zu spüren. Und damit nicht genug, denn am 17. April traten auch die Beschäftigten der Filialen des gleichnamigen Pressekonzerns (Groupe Le Monde) in den Streik - darunter die bei Linksliberalen sehr beliebte Fernseh- und Kulturzeitschrift Télérama sowie die internationale Presseschau Le Courrier international und andere Presseerzeugnisse, darunter zwölf Jugendmagazine.

Den Unzufriedenen geht es darum, gegen den geplanten massiven Abbau von Arbeitsplätzen zu protestieren. Denn die Leitung plant, bei der Traditionszeitung (von jetzt insgesamt 590 Stellen) 129 Arbeitsplätze, darunter 90 Journalistenstellen, zu streichen. Nimmt man die Filialen noch hinzu, dann kommt man auf rund 300 bedrohte Arbeitsplätze. Die streikenden Mitarbeiter fordern, dass es keine Zwangskündigungen geben darf, lediglich Stellenstreichungen.

Die Beschäftigten der dem Konzern gehörenden Magazine nahmen in einer Vollversammlung am 10. April eine Resolution an, in der von einem »Plan von beispielloser Brutalität« die Rede ist. Sie fordert ferner, dass die Gehälter und sonstigen Vergünstigungen der Angehörigen der Direktion offengelegt werden.

Ganz neue Töne für eine Mediengruppe, deren Flaggschiff (die gleichnamige Pariser Abendzeitung) für seinen betont sachlichen Stil bekannt ist und deren Redaktion als eine Art "Aristrokratie des französischen Journalismus" gilt.

Dabei gibt es sehr unterschiedliche politische Standpunkte bei Le Monde. Die Positionen reichen von denen des thatcheristischen Wirtschaftsredakteurs Eric Le Boucher bis zu denen des, der radikal linken LCR nahe stehenden Gewerkschaftsspezialisten Rémi Barroux. In Leitartikeln wird allerdings von der Chefredaktion eine bürgerlich-linksliberale Linie vorgegeben. Diese Mischung funktioniert, weil offene Konflikte vermieden werden. Zumindest in den Artikeln im Blattinneren sind vorwiegend nur überprüfte Informationen zu finden, man hält sich aber in der Regel mit Kommentierungen und deutlichen Sympathien oder Antipathien - außer in Leitartikeln und ausgewiesenen Kommentaren - eher zurück.

Selten wagte sich die Zeitung in der Vergangenheit offen mit identifizierbaren Positionen in die Politik vor. Allerdings unterstützte ihre Leitung im Vorjahr erkennbar die Präsidentschaftskandidatur der rechtssozialdemokratischen Bewerberin Ségolène Royal.

Rückgang des Personalbestands bei (vielen) Zeitungen

Dass es bei größeren Zeitungen zu Entlassungen kommt, ist in jüngster Zeit nichts Ungewöhnliches. Der französische Zeitungsmarkt befindet sich in einer Krise, die aus dem Bedeutungsgewinn des Internet, der zunehmenden Präsenz von Gratistageszeitungen sowie der schwindenden Zahl von Kiosken resultiert.

Erst im Februar gab die konservative Tageszeitung Le Figaro, die sich bester Kontakte zur Wirtschaft und einer viel gelesenen Wirtschaftsbeilage erfreut, die Kündigung von 60 Mitarbeitern »aufgrund von Einsparerfordernissen wegen roter Zahlen« bekannt.

Im vorigen Jahr hatte die sozialdemokratische Tageszeitung Libération 120 Mitarbeiter entlassen. Allerdings hatte der Le-Monde-Konzern im März dieses Jahres eine Atempause für alle wichtigen Zeitungen verkündet, da die Auflagen im Jahr 2007zumindest vorübergehend wieder gestiegen seien.

Beinahe müsste die Pariser Abendzeitung Le Monde dem jetzigen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy also nahezu dankbar sein: Wie die liberale Zeitung Mitte März dieses Jahres berichtete, stieg die Auflage aller größeren französischen Printmedien - auch die eigene - im Vorjahr 2007, nach Jahren des scheinbar unaufhaltsamen Niedergangs der Verkaufszahlen. Die letztjährige Präsidentschaftswahl, vor allem aber die damalige Polarisierung um die Frage "für oder gegen Sarkozy?" verschafften ihnen zumindest einen Aufschub gegenüber der Dauerkrise, die aus dem Bedeutungsgewinn des Internet als Informationsquelle vieler Bürger, der zunehmenden Präsenz von Gratistagszeitungen sowie der schwindenden Zahl von Kiosken resultiert.

Die wirtschaftliche Bedrohung lastet jedoch weiterhin auf dem Zeitungsmarkt. Erst im Februar 2008 gab die konservative Tageszeitung Le Figaro, die sich bester Kontakte zur Wirtschaft und einer viel gelesenen Ökonomie-Beilage erfreut, die Entlassung von 60 Mitarbeitern "aufgrund von Einsparerfordernissen wegen roter Zahlen" bekannt. 

Sparplan mit harschen Einschnitten

Nun hat es aber auch Le Monde erwischt: Am Freitag, den 14. März o8 stellte der neue Vorstandsvorsitzende des gleichnamigen Pressekonzerns - das ein Dachunternehmen für die Pariser Abendzeitung, mehrere Regionalblätter und Zeitschriften (unter ihnen die viel gelesene Télérama) bildet - , Eric Fottorino,  im Aufsichtsrat einen "Aktionsplan 2008 bis 2010" vor.

Zunächst wurden nähere Einzelheiten dazu nicht publik, später wurde aber präzisiert, dass 129 Stellen bei der Pariser Abendzeitung und 300 bei der Mediengruppe gestrichen werden sollten. Der Pressekonzern zählt insgesamt 1.600 Beschäftigte. Bislang sind diese Streichungen noch nicht "personalisiert", also in individuelle Personalentscheidungen umgesetzt worden. Es ist aber beispielsweise bekannt, dass in der Kulturredaktion sieben von acht Stellen abgebaut werden sollen.

Der erst seit einigen Wochen amtierende Vorstandschef des Presseunternehmens - Eric Fottorino - argumentiert damit, dass die Pariser Abendzeitung sich bereits seit 2005 oder 2006 dazu entschieden habe, "nicht mehr die gesamte Aktualität abzudecken, sondern das schnelle Reagieren auf/die kurzfristige Berichterstattung über aktuelle Ereignisse der Webpage ,Le Monde Interactif' zu überlassen". Dort werden heute in 15- oder 20minütigem Abstand ausgewählte unter den jeweils aktuellsten Agenturmeldungen veröffentlicht. Bei besonders gravierenden Ereignissen werden per E-Mail aktuelle Alerts an Abonnenten verschickt.

Die Zeitung, so die Argumentation Fottorinos, habe sich (in ihrer Papierausgabe) künftig verstärkt auf das Kerngeschäft zu beschränken, und das bedeute "Analyse und Herausarbeiten gesellschaftlicher Tendenzen sowie Leitartikel von (hoher) Qualität". Und dazu benötigt man anscheinend weniger Personal; den Rest erledigt dann das Internet, wo sich die Leser/innen schon selbst im Informations-Selbstbedienungsladen bedienen werden... (Noch lässt sich daraus allerdings nicht schlussfolgern, dass die Breite der mittels Le Monde verfügbaren Informationen über das nationale und internationale Geschehen eingeschränkt worden sei. Bislang jedenfalls ist dies nicht sichtbar der Fall. Aber in naher Zukunft könnte freilich alles anders ausfallen.)

Zu den jüngst (vorgestern) durch den vor zwei Minuten frisch gekürten Vorstandschef Fottorino in Aussicht gestellten Zugeständnissen zählt nun, dass sich "über die (genaue) Anzahl von abgebauten Arbeitsplätzen noch reden lasse", und dass die angekündigte Zahl von 129 Stellenverlusten bei der Pariser Abendzeitung "kein Dogma" darstelle. Das bedeutet aber konkret nur, "dass wenn unter den Abgängen eine stärkere Zahl von Beschäftigten mit hohen Löhnen ist, man dann eventuell insgesamt weniger Stellen abbauen" könne. Etwas weniger. Auch soll "freiwilligen Abgängen", etwa verbunden mit Abfindungen, Frühverrentungen oder Stellenwechsel zu anderen Presseorganen, sofern möglich "Vorrang vor erzwungenen Entlassungen (licenciements secs) eingeräumt werden". Alles in allem aber ein magerer Trost für jene, die ihre Arbeitsstellen bedroht sehen.

Bruder Sarkozys im Aufsichtsrat

Am selben Tag wie der Sparplan wurden (ebenfalls am 18. März) neue Personenbesetzungen im Vorstand bekannt. Dort hält nunmehr ein gewisser Guillaume Sarkozy seinen Einzug. Er ist niemand anders als der Bruder des amtierenden Staatspräsidenten, und selbst der ehemalige Chef des Textil-Unternehmerverbands UIT. Im Aufsichtsrats des Medienunternehmers wird er die "äußeren Aktionäre" aus der Privatwirtschaft repräsentieren. Neben dem ebenfalls neu benannten Vorständler Pierre Leroy - einem Führungsmitglied des Medien- und Rüstungskonzerns Lagardère, der dort den bislang persönlich im Vorstand sitzenden Chef seines Konzerns, Arnaud Lagardère, einen Duzfreund Nicolas Sarkozys, ablöst. 

Die Familie Sarkozys lässt Le Monde also anscheinend nicht los, auch wenn die Zeitung voriges Jahr offen dessen rechtssozialdemokratische Gegenkandidatin - Ségolène Royal - unterstützte, nachdem sie zuvor deren politische Karriere massiv mit  aufgebaut hatte.

Mit den eigenen Chefs, zumindest, hat die Abendzeitung unterdessen kein Glück. Zwei mal hintereinander haben sich in jüngster Zeit zwei Angehörige ihrer Führung an ihre Sessel gekrallt, obwohl sie zuvor klare Abstimmungsniederlagen kassiert hatten.

Im Sommer 2007 weigerte sich zunächst der damalige Vorstandsvorsitzende Jean-Marie Colombani wochenlang, zu gehen und zuzugeben, dass er verloren hatte. Dann machte im Januar und Februar dieses Jahres der damalige Chef des Aufsichtsrats, der wirtschaftsliberale Intellektuelle und frühere Regierungsberater Alain Minc (Autor eines schrecklichen, aber unheimlich modisch daherkommenden Büchleins unter dem Titel "Capialisme.com"), erhebliche Schwierigkeiten, seinen Abgang zu akzeptieren.   Beider Argumentation ähnelte einander bis in den Wortlaut hinein: Zwar habe die Société des Rédacteurs - die Mitarbeitergesellschaft, die bis jetzt laut den Statuten als gewichtigste Aktionärin (43 % der Stimmenanteile, die zusammen mit den anderen Mitarbeitergesellschaften einen Mehrheitsblock bilden) firmieren muss, auch wenn ihr nicht die Mehrheit der Kapitalanteile gehört - gegen sie votiert. Gleichzeitig hätten sie jedoch die Unterstützung der Aktionäre aus der Privatwirtschaft. Dadurch entstand im Falle von Alain Minc eine scheinbare Pattsituation, da es 10 gegen 10 Stimmen stand - die Repräsentanten der Mitarbeiter votierten gegen ihn, die Aktionärsvertreter für ihn. Laut den Statuten war es jedoch klar, dass für einen Abstimmungssieg mindestens 11 Stimmen erforderlich waren, was Minc jedoch beharrlich anzuerkennen verweigerte. Dieses Votum (zu seinen Ungunsten) sei - so Minc, ähnlich wie vor ihm schon Colombani - im Kern unvernünftig, blockiere die Zukunft, und "so wird das Unternehmen kein neues Geld akquirieren". Kurz, wirtschaftliche Erpressung diente als Argument, um sich am Sessel festzuklammern, im Namen einer "Vernunft", kraft derer man allein wissen könne, was gut für die Zeitung sei. (Eine Form von Markt-Stalinismus, haben Sie gesagt...?) 

Redaktionelle Unabhängigkeit... bedroht?

Bislang noch garantiert eine ziemlich einmalige juristische Konstruktion der Zeitung ihre redaktionelle Unabhängigkeit. Die Beschäftigten sind in mehreren Mitarbeitergesellschaften organisiert, die notwendig bestimmte Stimmenblöcke im Aufsichtsrat halten müssen. An vorderster Front stehen dabei die Redakteure.

Doch dieses Modell ist unter Druck geraten, seitdem Colombani das Presseunternehmen ab 2003 tief in die roten Zahlen gefahren hat. Just im Namen der "Verteidigung unserer journalistischen Unabhängigkeit gegenüber dem Zugriff mächtiger Wirtschaftsinteressen" hatte er den ehemaligen Kleinbetrieb Le Monde zum Multikonzern ausgebaut. Nach dem Motto "friss, um nicht gefressen zu werden" kaufte er mehrere Regionalzeitungen und kleinere Presseverlage zusammen. Dabei hatte er jedoch die wirtschaftliche Kraft des Unternehmens "überdehnt" und einen Schuldenberg in dreistelliger Millionenhöhe aufgehäuft. Nun erfolgte dann doch  noch der Ruf nach dem Eintritt von Großkonzernen als Aktionäre in das Eigenkapital von Le Monde, um das Unternehmen wirtschaftlich zu retten. Mit der bis dahin viel beschworenen "journalistischen Unabhängigkeit als oberste(r) Leitlinie" dürfte es aber in naher Zukunft vorbei sein. 

Colombani dürfte der letzte (von seiner beruflichen Herkunft her) "pure Journalist" gewesen sein, der es leitete. Sein Ende Januar 2008 - nach mehrmonatiger, tiefer Führungskrise - bestellter Nachfolger an der Spitze des Vorstands, Eric Fottorino, gilt zwar ebenfalls als Vertreter des Journalistenberufs in den Leitungsstrukturen des Konzerns. Doch ursprünglich trat er, vor zwanzig Jahren, als "Spezialist für Rohstoffe und für Afrika" in die Redaktion ein, spricht: als Experte für wirtschaftliche Interessen, und dies gerade auf dem Kontinent, wo Frankreichs Ökonomie besonders skrupellos waltet.

Inzwischen hat  Fottorino zwar auch, mit seiner Kurzrubrik auf der letzten Seite, ein echtes journalistisches Talent bewiesen. Doch dies wird nicht die wichtigste Qualität sein, die er in seinem neuen Amt unter Beweis stellen dürfte. Im Aufsichtsrat wiederum trat, am 11. Februar 08, der frühere Renault-Chef Louis Schweitzer an die Stelle des nun endlich doch noch geschassten Alain Minc. Schweitzer ist offenkundig ein langjähriger Vertreter der Privatwirtschaft, gilt jedoch auch gegenüber Politik und "Zivilgesellschaft" als relativ "konsensfähig", da er seit 2004 eine französische Antidiskriminierungs-Behörde namens HALDE leitet. 

"Die Ära der Journalisten geht bei geht bei Le Monde zu Ende, und jene der Manager beginnt" schätzt der Publizist Jacques Bertoin, unter Bezugnahme auf die Zusammensetzung der Führungsspitze. "Warten auf Lagardère" umschreibt die medienkritische Initiative Acrimed die neue Situation kurz und knapp. (Vgl. http://www.acrimed.org/article2830.html)

Der Medien- und Rüstungskonzern Lagardère, derzeit der größte Zeitschriftenverleger im Lande, hält im Augenblick 17 Prozent der Kapitalanteile an Le Monde. Über ein Geflecht von strategischen Allianzen arbeitet der Konzern jedoch daran, zusammen mit der spanischen Mediengruppe Prisa - ebenfalls einer der Hauptaktionäre von Le Monde - die Kontrolle über das Presseunternehmen zu übernehmen.

Das Ganze spielt sich im Kontext einer fortschreitenden Konzentration im Pressesektor ab: Drei Mischkonzernen gehören heute über zwei  Drittel des französischen Pressemarkts. Das wären neben Lagardère auch der Flugzeug- und Rüstungskonzern Dassault (welcher u.a. Le Figaro herausgibt, nachdem er 2003 das frühere Hersant-Imperium Socpresse übernommen hatte, von dem er Teile inzwischen weiter veräußerte) sowie die Bolloré-Gruppe - die einen Gutteil des französischen neokolonialen Afrikahandels kontrolliert und etwa Eigentümerin wichtiger Häfen in Westafrika. Lagardère selbst hält sogar einen Minderheitsanteil an der kommunistischen Tageszeitung L'Humanité, die seit 2001 ihr Eigenkapital Aktionären aus der Privatwirtschaft öffnen musste, um nicht bankrott zu gehen.   

Vor diesem Hintergrund konnte es aus Sicht der wirtschaftlichen Entscheidungsträger nicht angehen, dass ausgerechnet Le Monde ein weißer Fleck auf der Landkarte der Großkonzerne bleibt (bzw. versucht, ihnen durch eine Expansionsstrategie mit ihren eigenen Mitteln Konkurrenz zu machen, ohne ihnen einen Anteil am Kuchen zu gewähren).

Denn einerseits ist die linksliberale ausgerichtete Qualitätszeitung, die sich mit dem konservativen Figaro um den Platz des auflagenstärksten Blatts - wenn man die Sportzeitungen und die Regionalblätter mit Mantel- und mehreren unterschiedlichen Lokalteilen ausnimmt - streitet, auf nationaler und internationaler Ebene "das" Flaggschiff der französischen Presse. Ihren Informationen wird Glauben geschenkt, und ihre Themensetzung am frühen Nachmittag - wenn die Abendzeitung in der Hauptstadt erscheint - entscheidet oft über die Gewichtung der Schlagzeilen in den Abendnachrichten des französischen Fernsehens. Ihre Redaktion kann also Agenda-setting auch für andere Medien betreiben.

Zudem ist Le Monde andererseits, obwohl selbst eine "Bezahlzeitung", auch auf dem expandierenden Markt der Gratiszeitungen präsent. Dort unterhält die Abendzeitung zusammen mit dem Bolloré-Konzern eine eigene Filiale in Gestalt der am frühen Morgen erscheinenden kostenlosen Zeitung Direct Matin, die das qualitätsvollste unter den Gratisblättern darstellt. Auf den ersten Blick erscheint es zwar absurd, dass eine kostenpflichtige Zeitung selbst eine Gratiszeitung aushält. Aber Le Monde ging es darum, potenziellen Konkurrenten auf diesem Markt das Wasser abzugraben und das Geld aus den anfallenden Werbeannoncen lieber sich selbst zuzuführen. 

Alain Minc wird nachgesagt, er habe monatelang die im Sommer 2007 mit dem Abgang Colombanis ausgebrochene - und durch seine eigene Verweigerung bzw. Hinauszögerung eines Rücktritts, trotz Abstimmungsniederlage, verlängerte - Krise in der Führung von Le Monde am Kochen gehalten, um am Schluss dann Lagardère als "Retter aus der Not" präsentieren zu können. Die Lösung laut Minc hätte demnach darin bestanden, dass Lagardère seine Anteile am Zeitungskapital stark erhöht. (Vgl. http://www.marianne2.fr/Comment-Minc-veut-vendre-Le-Monde-a-Lagardere_a82729.html) Durch die  - vorläufige oder gelungene? -  Auflösung der Krisensituation und die Übernahme des Ruders durch das Führungsduo E. Schweitzer (Aufsichtsrat) scheint dieser brüske Plan nun vorerst nicht aufgegangen zu sein. Aber auf sanfterem Wege dürfte Lagardère seinen Weg zur, schrittweisen, Kontrolle über Le Monde alsbald noch finden.

Bernard Schmid, Paris


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