letzte Änderung am 13. Februar 2004

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Frankreich: Ein Überblick über die Positionen zur Kopftuch-Verbotsdebatte ­ Von Links bis Rechts

Und ein paar Nebenbemerkungen zur (auch deutschen) Debatte allgemein

Im folgenden soll es vor allem darum gehen, die unterschiedlichen Positionen aufzuzeigen, die sich (besonders innerhalb der Linken und im Umfeld der sozialen Bewegungen) rund um das Kopftuch-Verbotsgesetz der französischen Regierung herausgeschält haben.

Vorab möchte ich zwei wichtige Vorbemerkungen bezüglich dieser Debatte, und der strukturell ähnlichen Debatte unter deutschen Linken und GewerkschafterInnen um die famose "Kopftuchdebatte", treffen.

Die erste: Dem guten Beispiel von Mag Wompel folgend, habe auch ich mich nunmehr den (Erst-)UnterzeichnerInnen des Aufrufs "Kein Berufsverbot für Frauen" gesellt. Ähnlich wie Mag, möchte auch ich dies mit einer kleinen persönlichen Erklärung versehen: Das Anliegen dieses Aufrufs finde ich richtig, weshalb ich ihn auch unterschrieben habe; die Begründung im Text des Aufrufs selbst dagegen ist mir zu schwach und zu eindimensional.

Tatsächlich hätte ich es wichtig und richtig gefunden, gleichzeitig unsere Ablehnung jedweden (auch indirekten, gesellschaftlichen) Zwangs gegen die Frauen, ihren Kopf zu bedecken, festzustellen. Ich denke, diese Ablehnung wird von den allermeisten, ja allen UnterzeichnerInnen geteilt werden; deswegen konnte ich den Aufruf auch unterschreiben. Anders wäre es gewesen, wenn es sich etwa um einen Appel von Islamisten gehandelt hätte, deren Ziele ich klar ablehnen würde. Dennoch sollte man im Auge behalten, dass die Durchsetzung des Rechts auf (frei gewähltes) Kopftuchtragen für die Einen unter Umständen - vor dem Hintergrund der sozialen Krise und der Zunahme reaktionärer Bestrebungen auch unter nationalen Minderheiten - indirekt den Druck auf andere Frauen vielleicht mit erhöhen kann.

In Gruppen oder Familien, wo die Frauen vielleicht besonders ungünstige Kräfteverhältnisse vorfinden, könnten unter Umständen reaktionäre Identitätspolitiker oder auch Familienmitglieder dieses "Recht" als Bresche benutzen, um ihren Zwang durchzusetzen. Das muss man zumindest im Hinterkopf behalten. Dennoch denke ich, dass man nicht mit der "Fernwirkung" auf andere Personen die Ausgrenzung von Menschen aus dem Berufsleben rechtfertigen kann. In menschlicher wie juristischer Hinsicht finde ich es schockierend, jemanden (etwa eine Kopftuchträgerin) wegen des Verhaltens Anderer, statt aufgrund ihres eigenes Verhaltens zu sanktionieren. Deswegen kann auch m.E. der Hinweis auf diese "Fernwirkung" nicht den Hinauswurf aus dem Arbeitsleben rechtfertigen. Und noch weit weniger die Ausgrenzung von Schülerinnen durch die staatliche Institution ­ denn im französischen Falle dreht die aktuelle Debatte sich nicht um den Ausschluss von Lehrerinnen, sondern von Schülerinnen!

Die zweite Bemerkung betrifft die Art und Weise, wie die Debatte allgemein, und jene auf Labournet im besonderen geführt wird. Ich bin der Auffassung, dass man sich auf gewisse argumentative und politische "Mindeststandards" einigen sollte, bei deren Unterschreitung keine Debatte mit dem oder der Betreffenden möglich ist. Es dürfte bekannt sein, dass es unterschiedliche Motive gibt, aus denen heraus (deutsche oder europäische) Menschen das Kopftuchtragen ablehnen. Und wo die Einen redliche Motive haben mögen ­ der Gedanke an die Rechte der Frauen -, da geht es Anderen darum, zu beweisen, dass ihre "eigene" Religion die viel bessere sei, was schon einmal nichts mit Antiklerikalismus und Aufklärung zu tun hat. Dritten wiederum ist es ein Anliegen, gegen die "Überflutung" Deutschlands oder Europas durch Einwanderer aus der "barbarischen Dritten Welt" (für welche "der Islam" nur eine Chiffre darstellt) zu agitieren, wie etwa im Fall der berüchtigten Agitationsschrift von Oriana Fallaci.

Mit denjenigen, die aus dem ersten der genannten Motive heraus handeln, möchte ich gern diskutieren ­ wenn dabei die Frage im Mittelpunkt steht, wie man am besten die Rechte der zuerst betroffenen Frauen (aus der moslemischen Einwanderungsbevölkerung) durchsetzt. Diese Frage ist allemal einer Diskussion wert, wobei ich selbst nur nicht an eine Form der staatliche Zwangsemanzipation über die Köpfe der Betreffenden hinweg glaube.

Mit den VertreterInnen der zweiten, vor allem aber der dritten Position dagegen mag ich nichts zu schaffen haben und auch keine Diskussion führen; sie mögen sich bitte anderswo in ihrem rechten Sumpf suhlen. Ähnlich, wie in der politischen Debatte über den Nahostkonflikt, vor allem unter deutschen Linken, bestimmte Argumente zu disqualifizieren und aus dem Verkehr zu ziehen sind (bspw. jede Gleichsetzung zwischen israelischer Politik und NS-Deutschland; jede Ethnisierung oder Essenzialisierung der Kritik an einer konkreten Staatspolitik, die dort offenkundig wird, wo bspw. das Wörtchen "alttestamentarisch" benutzt wird; usw.) Auch beim hier diskutierten Thema haben bestimmte Diskursmechanismen nichts in einer linken Diskussion zu suchen. Ich bin gern dazu bereit, darüber zu diskutieren, ob oder wie eine Zunahme von Kommunitarismus in der moslemischen Einwanderungsbevölkerung oder eine islamisch unterlegte Identitätspolitik gefährlich für die Angehörigen dieser Bevölkerungsgruppe (und vor allem die Frauen unter ihnen) sind. Wer mit aber weismachen will, dass "wir" (Deutsche, Franzosen, Europäer) vom Islam bedroht seien, der "uns" zu erobern drohe, der oder die soll bitte ihren Dreck woanders abladen und mich in Ruhe lassen.

Insbesondere denke ich dabei an jenen besonders schrillen Beitrag, den eine gewisse Gunild Feigenwinter vor wenigen Tagen ­ im Rahmen der Debatte auf Labournet ­ hier veröffentlicht hat. Vor Schaum triefend, zieht die Autorin tatsächlich gegen nichts anderes als eine angebliche "Invasion" und "Überflutung" Europas zu Felde.

Das wird offenkundig bei Formulierungen wie etwa, im Zusammenhang mit der Säkularisierung der Türkei: "Dass das nicht gelungen ist, dass sie (Anm.: die islamische Religion) nun wiederum Einlass in Europa begehrt, nachdem die ersten früheren Eroberungsversuche abgewehrt wurden (...)".

Oder auch an dieser Stelle: "Dass die weibliche Vorhut des radikalen Islam (...) von den blauäugigen rotgrünen Frauen weder erkannt noch benannt wird als das, was sie sind und was sie vorhaben unter dem Banner des Islam, nämlich die Einführung des islamischen Rechts im Westen." Schließlich ist auch noch die Rede vom Islam in Deutschland als der "Macht von morgen" (Originalton: "...zum ignoranten Toleranzgeschwätz unserer Dhimmis, die (...) der Macht von morgen in vorauseilendem Kotau ihren Gehorsam erweisen"). Ich denke, das genügt! Wenn die Dame dann auch noch versucht, die Vorzüge des Christentums gegenüber den finsteren Zügen des Islam herauszustreichen ("Mohammed nahm an Steinigungen teil, Jesus verhinderte sie"), dann ist das Maß wohl endgültig voll ­ mit Aufklärung und Religionskritik hat das offenkundig überhaupt nichts mehr zu tun. Die Geschichte des europäischen Christentum (mit dessen Hilfe u.a. eine Menge kolonialer Raubzüge und die Begründung der heutigen "Weltordnung" legitimiert wurden) hätte der Autorin Anlass zur Kritik genug geben können ­ ein jede/r kehr' vor seiner Tür...

Hingewiesen sei nur ferner darauf, dass dieselbe Gunild Feigenwinter an anderem Ort auch bereits energisch etwa gegen Anti-Rassismus-Gesetze und Strafbestimmungen gegen rassistische Hetze, wie sie etwa in der Schweiz existieren, mit Schaum vor`m Munde zu Felde zog. (Siehe dazu: http://medienkritik.typepad.com/blog/2003/08/auch_die_nzz_fl.html) Der zitierte Link entstammt einer Internet-Publikation namens "Medienkritik", die mit Vehemenz den Standpunkt der härtesten Pro-Bush-Kriegstreiberfraktion verficht und auf alles einprügelt, was dem entgegen steht, sei es aus sympathischen (kriegsgegnerischen) oder weit weniger sympathischen (deutschnationalen, euro-chauvinistischen) Motiven. So wurde sogar die Springerzeitung "Die Welt" am selben Ort des "Antiamerikanismus" geziehen, mit der bemerkenswerten Begründung, dass in einem Bericht zum ­ angespannten - Verhältnis von US-Präsident Bush zu Journalisten und Medien "für Bush nur schlechte Nachrichten" vorkommen (sic) ­ also hat man, um dem Vorwurf zu entgehen, gefälligst Positives über Bush und seine Kriege zu berichten. (Vgl. dazu: http://medienkritik.typepad.com/blog/2003/10/antiamerikanisc.html)

Kurz und gut, bzw. kurz und schlecht: Deswegen möchte ich dafür plädieren, dass eine eifernde und geifernde Rassistin wie die gnädige Frau Feigenwinter doch bitte künftig ihren Schmutz andernorts abladen möchte. Der Gewinn beim Lesen ihrer Rundumschläge erschließt sich in meinen Augen leider nicht so richtig.

Nun aber, endlich, zu Frankreich und der französischen Diskussion! Der Überblick wird verständlich machen, dass das Thema komplex genug ist, um sämtliche politischen Parteien und Strömungen entlang dieser Frage zu spalten.

Kopftuch-Verbotsgesetz in erster Lesung verabschiedet

Nachdem das Thema zwei Monate lang die innenpolitische Debatte dominiert und fast alle anderen Themen völlig überlagert hatte, war es jetzt am 10. Februar soweit. Die französische Nationalversammlung, das "Unterhaus" des Parlaments (das im Streitfall gegenüber dem Senat das letzte Wort hat), verabschiedete in erster Lesung das Gesetz zum "Verbot des Tragens auffälliger religiöser Symbole" in öffentlichen Schulen an.

Die Annahme erfolgte mit überwältigender Mehrheit: 494 Abgeordnete stimmten dafür, 36 enthielten sich der Stimme, 31 votierten dagegen. Denn die beiden wichtigsten staatstragenden Parteien ­ die konservative UMP und die Sozialdemokratie ­ hatten sich zuvor in der derzeit wichtigsten innenpolitischen Streitfrage geeinigt.

Faktisch besteht der Gegenstand des neuen Gesetzes darin, künftig den Unterrichts- oder Schulausschluss von Kopftuch tragenden Schülerinnen moslemischer Konfession auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Zwar bezieht sich der Gesetzestext in der Theorie auf alle "ostensiblen", d.h. "auffällig getragenen" religiösen Symbole, also etwa auch Kreuze und Kippas. Doch Jugendliche aus orthodoxen jüdischen Familien, die eine Kippa tragen, besuchen ohnehin meist konfessionelle Privatschulen. Und für die Sprößlinge aus streng katholischen Familien gibt es die nach wie vor katholisch geprägten Privatschulen. Diese sind in den letzten Jahrzehnten zugleich zu einem Art Elitezweig des gesamten Schulsystems mutiert, die von ungefähr 20 Prozent eines Jahrgangs besucht werden - während sie sogleich immer noch öffentliche Subventionen erhalten. Das gehört zu den Widersprüchen des laizistischen Anspruchs, den die französische Republik erhebt.

Dass es bei dem Gesetz vor allem, wenn nicht ausschließlich, um eine sichtbare Präsenz des Islam in Form von Mädchen mit verhülltem Haupthaar geht, das hat auch Bildungsminister Luc Ferry deutlich gemacht. Vor der Gesetzeskommission des Parlaments, wo er die Vorlage Mitte Januar dieses Jahres vorstelle, führte er aus: "Ich sage zu den Vertretern des Islam: Wollen Sie, dass unsere Kinder sich in den Schulen schlagen?" Diese Vision von Schulkindern, die sich verprügeln, falls das Gesetz nicht schnell angenommen wird, resultiert auf der Feststellung, dass es zunehmende "kommunitaristische Konflikte" zwischen Jugendlichen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen gebe. Als Beispiel zieht Ferry die verbalen und teilweise physischen Aggressionen gegen französische Juden heran, die seit dem Herbst 2000 ­ parallel zum Aufflammen des israelisch-palästinensischen Konflikts ­ von Jugendlichen aus einem Teil der "moslemischen" bzw. arabischen Einwanderungsbevölkerung begangen wurden. Die Tendenz zum Rückzug auf ihre (vermeintlichen) Partikularinteressen ist tatsächlich bei vielen Bevölkerungsgruppen real. Sie ist vor dem Hintergrund der sozialen Krise und der brutalen Enttäuschung, die auf die Versprechen bezüglich mehr sozialer Gleichheit unter den vergangenen Linksregierungen jäh erfolgte, zu verstehen.

Bildungsminister Luc Ferry meint, durch das neue Verbotsgesetz für Kopftücher könne Abhilfe geschaffen werden. Bedeutet das nicht: Das Thermometer zerbrechen, um das Fieber zu senken?


Gesetzgebungsverfahren und Wahltermine

Ein anderer Beweggrund für die Eile, welche die neokonservative Mehrheit im Gesetzgebungsverfahren an den Tag legte ­ erst am 17. Dezember vorigen Jahres hatte Präsident Jacques Chirac seine große Ansprache zur Neudefinition des staatlichen Laizismus gehalten, mit der das künftige Gesetz angekündigt wurde ­ liegt aber auch in der Nähe zu den kommenden Wahlterminen begründet. Am 21. und 28. März werden sämtliche französischen Regional- und ein Teil der Bezirksparlamente neu gewählt. Es handelt sich, neben den Europawahlen im Juni dieses Jahres, um die letzten landesweiten "Testwahlen", bevor 2007 sowohl der Präsident als auch das Parlament neu gewählt werden. Den Zusammenhang zu den Wahlen allgemein, und dem Abschneiden der extremen Rechten im Besonderen haben zahlreiche konservative Politiker in den letzten Wochen hergestellt ­ die damit drohten, der Front National werde noch besser abschneiden, falls die Gesetzesvorlage nicht schnell verabschiedet werde.

Dagegen stellt der Chefredakteur der Pariser Abendzeitung Le Monde, Jean-Marie Colombani, diesen Zusammenhang in anderer Weise her. Seiner Ansicht nach, die er in einem Leitartikel vom 9. Januar 2004 kundtat, öffnete die jetzige Gesetzesdebatte eine "wahrhafte Büchse der Pandora". Der Editorialist unterstreicht: "Alle haben gesehen, wie der extremen Rechten (bei der Präsidentschaftswahl 2002) das Ausweiden des Themas <Innere Sicherheit> genutzt hat. Sie wird erneut an Legitimität gewinnen, weil jetzt die Frage der <kulturellen Identität> in den Mittelpunkt der innenpolitischen Debatte gerückt wird." (Man möchte hinzufügen, dass natürlich auch einige islamistisch motivierte Reaktionen auf das Verbotsgesetz, die es gegeben hat, zu dieser Ethnisierung oder Kulturalisierung der gesellschaftlichen Debatte mit beigetragen haben.)

Colombani erblickt darin ein politisches Kalkül: Bleibe die extreme Rechte als einzige starke Alternative übrig, dann könne das die Konservativen über die Wahlen retten, wie bereits vor zwei Jahren Chirac. Alles in allem ein Spiel mit dem Feuer.


Die extreme Rechte

Was die Positionen der extremen Rechten selbst betrifft, sei kurz ausgeführt: In einer ersten Phase (als die Debatte um das Verbotsgesetz im Spätherbst 2003 begann) nahm die vermutliche künftige Parteichefin und "Modernisiererin" Marine Le Pen eine Position ein, die eher immanent zur Logik des Verbotsgesetzes erschien. (Ja, Marine Le Pen ist die Tochter von...) Sie argumentierte damit, welche Symbole ihrer Auffassung nach als "auffällig" zu gelten hätten und welche nicht, was eher an eine "konstruktive" Position zugunsten des Verbotsgesetzes denken ließ. Alsbald aber "radikalisierte" die rechtsextreme Partei ihre Positionen erheblich, und ging auf Abstand zum Vorhaben der Regierung.

Dieses löse ohnehin keinerlei Problem, tönte der alternde Noch-Parteichef Jean-Marie Le Pen. Vielmehr erinnere ihn die Debatte darum, was nun zu verbietende "auffällige" Symbole seien und was nicht, daran, "wie im Reich von Byzanz die wichtigsten Würdenträger theologische Haarspalterei betrieben ­ welches Geschlecht haben die Engel? ­ während gleichzeitig die Invasion der Türken in Vorbereitung war". Jean-Marie Le Pen wandte sich in der Folgezeit gegen das Verbotsgesetz zu Kopftüchern an der Schule, das nur dafür sorge, dass man "die Gefahr" (jene der "Überflutung" mit Immigranten) nicht mehr sehe. Man solle ruhig die Differenz sichtbar erkennen, so lautet die Philosophe, die den Argumenten Le Pens zugrunde liegt. Ihm ist nämlich nicht an der, in gewissem Sinne, "kleinen Trennung" (dem Schulausschluss) gelegen, sondern an der Vorbereitung der "großen Trennung", jener zwischen der europäischen Bevölkerung und den Immigranten aus moslemischen Ländern.

Mit dieser Position konnte der Front National weiterhin als "radikale Anti-System-Opposition" erscheinen, während er zugleich die Hetze gegen die Einwandererbevölkerung verschärfte.


Auch die bürgerliche Rechte ist sich uneins

Auch innerhalb der regierenden bürgerlichen Rechten kam es im Vorfeld der Abstimmung vom 10. Februar zu Kontroversen. Für die UMP-Abgeordneten hatte ihr Vorsitzender Jacques Barrot in dieser Fraktion die Fraktionsdisziplin aufgehoben. Deswegen konnten auch einige Konservative und Liberale ihre abweichenden Positionen zum Ausdruck bringen.

So wollte ein Teil der konservativen Spitzenpolitiker, allen voran der Parlamentspräsident und ehemalige Innenminister Jean-Louis Debré (UMP), die neue Verbotsregel ausweiten. Nicht nur "plakative" oder "auffällige" religiöse Symbole, wie es nunmehr in der definitiven Fassung der Gesetzesvorlage hieß, sondern überhaupt alle "sichtbaren" Symbole ­ religiöser wie übrigens auch politischer Natur ­ wollte etwa Debré untersagt wissen. Auch ein Teil der sozialdemokratischen Abgeordneten, etwa der ehrgeizige Nachwuchspolitiker Malek Boutih, früher Vorsitzender der staatsnahen Antirassismusgruppe SOS Racisme (und ein unerträglicher Karrierist), plädierten in diese Richtung.

Das war aber innerhalb der großen staatstragenden Parteien nicht durchsetzbar. So fürchteten viele, eine zu rigide Formulierung des Verbots werde in der Praxis wesentlich mehr Konflikte auslösen, als es Probleme löse. Zwar juckte es viele Konservative in den Fingern, insbesondere auch politische Symbole unter Schülern zu verbieten. Doch letztendlich überwog die Angst, der dadurch ausgelöste Widerspruch könne eher zu einem Politisierungsschub unter Jugendlichen führen und somit gegenteilige Wirkung entfachen.

Einem anderen Teil der Bürgerlichen dagegen ging die Gesetzesvorlage bereits zu weit. Insbesondere Christdemokraten und Wirtschaftsliberale stimmten gegen den Entwurf oder enthielten sich zumindest der Stimme. Bei den Einen herrschte die Befürchtung, ein neues Gesetz zum Laizismus werde auch den Einfluss der christlichen Kirchen auf den sozialen Alltag noch stärker zurückdrängen, als das ohnehin der Fall ist. Das erklärt die Enthaltung in einem Großteil der christdemokratischen UDF-Fraktion, aber auch die Gegenstimme der ultrakatholischen Abgeordneten Christine Boutin (das ist die, die 1998 die Bibel im Parlament schwenkte, um gegen den PACS ­ eine eingetragene Lebensgemeinschaft für Homosexuelle ­ zu agitieren).

Wirtschaftsliberale in den Reihen der UMP, wie Alain Madelin, sind ihrerseits misstrauisch gegenüber allen etatistischen Vorstellungen, die in ihren Augen das gesellschaftliche Leben zu sehr regulieren. Ihnen schwebt eher eine Regelung wie in den USA vor, wo alle Religionsgruppen sich weitgehend frei betätigen können, sofern sie die staatliche Ordnung nicht bedrohen. In einem Gastbeitrag für Le Monde übte Madelin dezidierte Kritik an dem neuen Gesetz. Auch er stimmt mit "Nein".


Die Spaltungslinien innerhalb der Linken

Aber auch innerhalb der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Linken und im Milieu der sozialen Bewegungen rief die Debatte um Laizismus und Kopftuchdebatte Spaltungen hervor. Die Furcht vor einer Stigmatisierung der Einwanderungsbevölkerung, feministische und antiklerikale Traditionen, antirassistische Essentials (und in manchen Fällen auch eine Art verklärender Dritte-Welt-Romantik) trafen dabei aufeinander.

Doch überwog bei der KP, bei den Grünen und der trotzkistisch-undogmatischen LCR die Ablehnung der Gesetzesvorlage der Regierung. Dagegen befürwortete die traditionalistisch-klassenkämpferische Partei Lutte Ouvrière (LO, Arbeiterkampf) grundsätzlich Verbotsmaßnahmen für Kopftücher an staatlichen Schulen. Zwar wollte sie nicht auf die konservative Regierungspartei vertrauen, doch erklärte sie, in Wirklichkeit habe der Druck der kämpferischen Basis unter der Lehrerschaft die Regierung dazu getrieben, gesetzgeberisch aktiv zu werden. Tatsächlich hatten bei jüngeren Streitfällen an öffentlichen Schulen Lehrer, die LO-Mitglieder sind, in den Disziplinarausschüssen für Ausschlüsse und Schulverweise bei Kopftuch tragenden Mädchen gestimmt.

Die LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) dagegen einigte sich, nach heftigen inneren Kontroversen, auf die Mehrheitsposition: "Weder Kopftuch noch Verbotsgesetz". Einigkeit herrscht allein bei der Ablehnung der Gesetzesvorlage der neokonservativen Regierung. Die von 75 Prozent des "Parlaments" der Organisation, der "nationalen Leitung" (des früheren Zentralkomitees) getragene Erklärung schließt hingegen in Einzelfällen Schulausschlüsse durch das Lehrerkollegium nicht aus, wo keine Konfliktlösung im Dialog mit Schülerinnen unter familiärem oder islamistischem Einfluss möglich sei. Doch wendet sie sich gegen ein Gesetz, das als eskalationsfördernd und "stigmatisierend" betrachtet wird.

Eine Minderheitsposition, hinter der ein Viertel bis ein Drittel der Organisation steht, dagegen lehnt Schulausschlüsse als Mittel grundsätzlich ab. (Dabei existieren innerhalb der Minderheit selbst unterschiedliche Grundsatzpositionen zur Frage des Islam oder des Islamismus, wobei die Spannbreite der Positionen von klarer Ablehnung des Islamismus bis hin zu relativ platten, antiimp-ähnlichen Positionen reicht.) Vor allem die Minderheit drängt auf eine aktiviere Teilnahme an den Protestdemonstrationen gegen das Verbotsgesetz. Die Jugendorganisation, JCR, steht weitgehend auf der Minderheitsposition und ist ­ anders als die "Erwachsenenorganisation", die Partei LCR selbst ­ Unterzeichnerin von Demo-Aufrufen gegen das Gesetz.

Die am breitesten angelegte Demonstration findet ürigens am morgigen Samstag, 14. Februar in Paris statt. Im Gegensatz zu früheren Demos (am 21. Dezember 03 sowie am 17. Januar dieses Jahres) rufen dieses Mal nicht Islamisten, sondern ein breites Spektrum von vorwiegend linken, halblinken und laizistischen Organisationen dazu auf.

Ähnlich verläuft die Debatte auch bei den Grünen und der KP, wobei es in einem Teil des KP-Umfeld ­ vor dem Hintergrund etatistischer Traditionen ­ Sympathien für das Verbotsgesetz der Regierung gibt. Von 22 KP-Abgeordneten in der Pariser Nationalversammlung stimmten letztendlich 7 für das Verbotsgesetz. 14 stimmten dagegen (darunter Parteichefin Marie-George Buffet und der Fraktionsvorsitzende Alain Bocquet). Und der "orthodoxe" kommunistische Abgeordnete Georges Hage verweigerte seine Teilnahme an der Abstimmung; er wandelte zugleich demonstrativ durch die Reihen des Parlaments, in Begleitung einer Kopftuch tragenden jungen Frau aus einem Protestkollektiv in seiner Heimatstadt Lille.

Bei den Grünen, die derzeit nur drei Abgeordnete im französischen Parlament haben, stimmten zwei gegen die Vorlage (der Halblinke Yvec Cochet und der "Realo" Noël Mamère), während eine Parlamentarierin, Martine Billard, sich der Stimme enthielt.


Argumente der KritikerInnen

Die KritikerInnen befürworten nicht in allen Fällen das Kopftuchtragen als solches. Im Gegenteil betonen linke Kritiker in der Regel ihre Opposition zum Kopftuch oder zumindest gegen jede Form von Zwang - möge er von den Familien oder, in einem anderen politischen und gesellschaftlichen Kontext, von islamistischen Regimen und Gesetzen ausgehen. Zugleich erklären sie, Maßnahmen wie Schulverweise lösten keinerlei Probleme, sondern könnten die Probleme auch vom Standpunkt der Emanzipation aus nur vergrößern.

So sei es absurd, Mädchen und Frauen als Opfer geschlechtsspezifischer Unterdrückung im Namen des Islam darzustellen - gleichzeitig aber eine spezifische Ausschlussmaßnahme zu befürworten, die allein Frauen und nicht Männer treffen könne. Ferner sorge ein Schulverweis gerade dafür, dass junge Frauen, sofern man sie als Opfer ihrer Familie betrachte, noch viel stärker auf ihre "natürliche Gruppe" zurückgeworfen würden, da der Kontakt mit der Gruppe der Gleichaltrigen unterbrochen werde.

Tatsächlich bietet sich den betreffenden Schülerinnen als Alternative an, von zu Hause aus Fernunterricht beim "Zentrum für Unterricht auf Distanz" CNED zu belegen ­ was aber bezahlt werden muss ­ oder sich in eine religiöse Privatschule einzuschreiben. Bisher gibt es nur wenige islamische Privatschulen, aber auch katholische Privatschulen akzeptieren Kopftuch tragende Schülerinnen, da auf sie die laizistischen Spielregeln keine Anwendung finden. Ob das als Sieg der Emanzipation zu betrachten ist, darf bezweifelt werden.

Dagegen wird von Kritikerinnen betont, Emanzipation könne nur von den Betreffenden selbst kommen, niemals aber ihnen staatlich verordnet werden. So schreibt die anarchosyndikalistische CNT unter anderem: "Misstrauen gegenüber jedem Herrschaftsapparat, der sich zum Verteidiger der individuellen Rechte" ­ gemeint sind hier jene der Frauen ­ "aufschwingt, ist geboten. (...) In Wirklichkeit kann die Befreiung der moslemischen Frauen nur das Werk dieser Frauen selbst sein, oder es wird sie nicht geben. Wo sie dagegen stattfindet, werden wir uns bedingungslos mit dieser Emanzipation solidarisieren." (http://cnt-ait.info/article.php3 ?id_article=861)

Das Kollektiv "Eine Schule für alle"

Am 5. Februar 2004 stellte sich bei einer Saalveranstaltung in Paris, an der mehrere hundert Menschen ­ darunter mehrheitlich Einwandererkinder ­ teilnahmen, das Kollektiv "Eine Schule für alle" (Une école pour tous et toutes) einer breiteren Öffentlichkeit vor. Daran nehmen unter anderem die Antirassismusorganisation MRAP, die Pariser Grünen, die LCR-Jugendorganisation JCR und das "feministische Kollektiv für die Gleichheit" (Collectif féministe pour l¹égalité) teil. Ferner saß Hamida Ben Sadia mit auf dem Podium, die der Pariser Sektion der französischen Sozialdemokratie angehört, in dieser Frage allerdings in Opposition zum PS-Mainstream steht. Allerdings gehört sie daneben auch einer algerischen Partei an, der populistischen Berberpartei FFS, die Mitgliedspartei der so genannten "Sozialistischen Internationalisten" ist (und in den Neunziger Jahre eine kritikwürdige Bündnispolitik mit algerischen Islamisten betrieb).

Aber auch der komunistische algerische Buchautor Saïd Bouamama (der Verfasser des bemerkenswerten Buches "Les racines de l¹intégrisme", "Die Wurzeln des Fundamentalismus" ­ Brüssel 2000), der in Algerien zum äußersten laizistischen und anti-islamistischen Pol des politischen Spektrums zählt, hielt einen energischen Vortrag auf der Veranstaltung. (Bouamama unterrichtet derzeit Soziologie an der Universität Lille.) Auch er kritisierte die "Stigmatisierung der Einwanderungsbevölkerung" durch das Verbotsgesetz heftig und betonte, in Algerien kämpfe er gegen den Kopftuchzwang ­ was aber in Frankreich auch die Freiheit des Kopftuchtragens ohne Zwang einschließe. Bei Leuten wie Bouamama kann man die Hand dafür in¹s Feuer legen, dass sie keinerlei Sympathien für den Islamismus empfinden.

Anlässlich der Saalveranstaltung vom 5. Februar meldete die Antirassismusorganisation MRAP (gesprochen in einem Zug: Mmrapp), die 1951 im Umfeld der KP gegründet wurde und die seit den Siebziger Jahren vor allem die maghrebinischen Rassismusopfer vertritt, zugleich ihre Vorbehalte gegenüber religiösen Verhaltensvorschriften an. Ihr Vorsitzender Mouloud Aounit bezeichnet sich öffentlich als Atheist, was auf Islamisten wirkt wie das Weihwasser auf den Teufel. Allerdings integrierte der MRAP die explizite Ablehnung des Kopftuchs nicht in sein Kommuniqué gegen das Verbotsgesetz. Zur Demonstration vom 14. Februar ruft der MRAP mit einem eigenen, spezifischen Aufruftext auf.

Die Liga für Menschenrechte (LDH), deren Gründung 1898 eine Folge der Dreyfus-Affäre war ­ genauso wie die Annahme des französischen Gesetzes zur Trennung von Kirche und Staat 1905, nachdem die Sozialisten aus Gegnerschaft zu den Antisemiten in die Regierung eingetreten waren ­ nahm ebenfalls an der Veranstaltung im Pariser Trianon vom 5. Februar teil. Die LDH unterstützt die Proteste und Demonstrationen gegen das Verbotsgesetz, nimmt aber nicht selbst am "Kollektiv eine Schule für alle" teil. Am 5. Februar schickte der LDH-Vorsitzende und linke Rechtsanwalt Michel Tubiana seinem Redebeitrag voraus, dass seine Vereinigung auch das Kopftuch (als geschlechtsspezifisches Symbol) "an sich" ablehne. Seinen Worten zufolge hätte die LDH diese Position gern in den verschiedenen Aufruftexten zum Protest und der Demo schärfer formuliert gesehen.

Unterrichts- und Schulverweise dagegen lehne man unzweideutig ab, deswegen zählt die LDH zu den offiziellen Aufruferinnen der Demo am 14. Februar.

Neben den erwähnten laizistischen Organisationen ruft allerdings auch das softcore-islamistische "Collectif des musulmans de France" zur Teilnahme auf, das mit dem Schweizer Prediger Tariq Ramadan sympathisiert. Letzterer, der einen "europäischen Islam innerhalb der Republik" propagierte, allerdings die Einwanderungsbevölkerung auf einer spezifisch kommunitaristisch-religiösen Basis zu organisieren sucht, steht seit seiner Teilnahme am Europäischen Sozialforum (ESF) im Mittelpunkt einer heftigen Kontroverse, die die gesamte Linke durchzieht.


Bei den Lehrergewerkschaften geht es rund

In der zweiten Februarwoche entschied sich auch eine Mehrheit auf dem Kongress der größten Lehrergewerkschaft FSU, die verschiedene Strömungen von linksradikal bis in die linke Mitte umfasst, in Perpignan für eine explizite Ablehnung des Verbotsgesetzes. Dem Beschluss gingen allerdings heftige Konflikte voraus, da es an der Basis der Lehrerschaft teilweise laute Rufe nach einem Verbot gibt; die FSU-Gewerkschaft der Oberstufen-Lehrer (der SNES-FSU) etwa war tendenziell eher für eine Befürwortung von Schulverweisen. Dabei werden Erfahrungen angeführt, die ein Anwachsen kommunitaristischer Strömungen bezeugen, vom Geltendmachen von Partikularinteressen bei Kleidung und Kantinenessen bis zur Ablehnung der Darwin¹schen Evolutionslehre im Biologieunterricht oder zum Bestreiten der Shoah im Geschichtsunterricht durch Angehörige anderer Communities. Nach Ansicht der Mehrheit läuft das Kopftuchverbot dabei eher darauf hinaus, ein Thermoter zu zerbrechen, um das Fieber zu senken. Hintergrund dieses Erstarkens von Ideologien, die auf "ethnischen" oder religiösen Besonderheiten der eigenen Minderheit bestehen, seien vor allem die fortgeschrittene soziale Krise im Land. Hinzu kommt Schwäche der fortschrittlichen Kräfte in den maroden und von sozialer Perspektivlosigkeit geprägten Trabantenstädten, nachdem der früher dominierende Einfluss von KP und Gewerkschaften eingebrochen ist.

Dagegen sind die Bildungsgewerkschaft der sozialliberalen CFDT (der SGEN-CFDT) und die eher etatistisch-autoritäre Lehrergewerkschaft von Force Ouvrière (FO) klar für ein Verbotsgesetz. Die linksradikale Gewerkschaft SUD Education dagegen wurde von heftigen Konflikten über diese Frage erschüttert, da die dort starken "anarcho-nahen" Strömungen eine starke antiklerikale Tradition geltend machen, welche sie auf die Kopftuchfrage übertragen.


Unterschiedliche Positionen unter Feministinnen

Auch die feministische Bewegung ist an diesem Punkt vollkommen gespalten. Das Spektrum der Positionen reicht auf der einen Seite bis zur Position der Zeitschrift ProChoix um Fiametta Venner und Caroline Fourest. Sie gehen von einer gemeinsamen, koordinierten Offensive von "christlichem, jüdischem und islamischem Fundamentalismus" gegen die Rechte der Frauen in der modernen Gesellschaft aus. Andere dagegen sehen das als eine zu einfache Position an, welche die Widersprüche zwischen den einzelnen Kulturen oder Ideologien mit jeweiligem Hegemonialanspruch unterschätze und einen neuen "Hauptwiderspruch" aufmachen wolle. Auf dem Gegenpol finden sich Feministinnen, die davon ausgehen, dass es notwendig unterschiedliche Wege zur Emanzipation gebe. So Christine Delphy, eine einstige Weggefährtin von Simone de Beauvoir, vom Collectif féministe pour l¹égalité. Ihr zufolge sei ein "Feminismus im Islam" am Entstehen, so wie es seit langem jüdische und christliche Feministinnen gebe. Zwischen beiden entgegen gesetzen Polen finden sich eine Reihe von Zwischenpositionen.

Nicht zuletzt opponieren jene feministischen Gruppen, die vorwiegend Frauen aus der Einwandererbevölkerung vertreten, wie etwa die Vereinigung Rebelles Voix d¹Elles (Rebellinnen, Weibliche Stimmen) in Saint-Denis, oft scharf gegen den Gesetzentwurf. Sie befürchten, dass der von vielen Moslems so erlebte "Stigmatisierungseffekt" durch das Gesetz eher Solidarisierungen auslöse, die den reaktionären Strömungen Rückendeckung durch andere Teile der Immigrantenbevölkerung verschaffen. Ähnliche Stimmen aus der migrantischen Mittelklasse wurden kurz vor Weihnachten in einem Hintergrundbericht in Le Monde zitiert.

Allerdings äußern nicht organisierte junge Frauen und Mädchen aus der maghrebinischen Community umgekehrt mitunter Sympathien für das geplante Verbotsgesetz, da sie es als eine Art Schutzwall gegenüber eventuellen Ansprüchen ihrer Väter oder Familien betrachten. Mit dieser "Fernwirkung" eines Verbots nicht auf die unmittelbar von Schulverweisen betroffenen Mädchen, aber auf die anderen Schülerinnen rechtfertigen auch viele - linke und andere ­ Befürworter ihre Position zu dem Gesetz.


Zwang oder "Differenz"suche?

Jüngste Untersuchungen von Einzelfällen scheinen zu zeigen, dass die jungen Kopftuchträgerinnen, die unter Druck und Zwang seitens ihrer Familie handeln ­ wie es bei den ersten "Kopftuch-Affären" 1989 anscheinend der Fall war ­ nur noch einen kleinen Teil der verzeichneten "Fälle" darstellen. Vielfach werden umgekehrt heute die Eltern, die eher Anpassung und Konzentration auf ihre schulische oder berufliche Zukunft von ihren Kindern fordern, von einer Form der Radikalisierung der jungen Generation überrannt. Jungen und Mädchen werfen ihrer Eltern vor: "Ihr seid 40 Jahre lang stumm gegenüber allen Benachteiligungen geblieben und habt nur gearbeitet, weil ihr immer mit der Perspektive der Rückkehr ins Herkunftsland gelebt habt. Wir dagegen wollen offen zeigen, dass wir uns nicht mehr gefallen lassen."

Das zentrale Problem dabei ist aber, dass diese Haltung sich in den 80er Jahren noch vorwiegend mittels der Forderung nach Gleichheit ausdrückte, etwa anlässlich des "Marschs für die Gleichheit" ­ ein spektulärer Fußmarsch arabischstämmiger Einwandererkinder von Marseille nach Paris ­ im Dezember 1983. Angesichts des vielfachen Scheiterns dieser Perspektive, aufgrund der Verschlimmerung der sozialen Situation in den Banlieues und der enormen Enttäuschung der Einwandererkinder durch mehrere Linksregierungen, drückt sich die Frustration der nachwachsenden Generation dagegen oft eher im Verlangen nach Ausdruck von "Differenz" aus. Eine emanzipatorische Perspektive ist das nicht, zumal wenn islamistische oder andere Identitätsideologien mit in¹s Spiel kommen. Dennoch müssen die Gründe dafür ernst genommen werden.

Ob das neue Verbotsgesetz daran irgend etwas ändern wird, wird von den Kritikerinnen angezweifelt. Selbst einige konservative Abgeordnete, die am Dienstag für das Gesetz stimmten, vertraten allerdings die Ansicht, dass sich de facto nicht viel ändern werde. Wie Bildungsminister Luc Ferry vor dem Gesetzesausschuss des Parlaments bei der Vorstellung des von ihm mitverfassten Gesetzentwurfs anmerkte, würden jetzt eben neue Symbole gesucht.

Bernhard Schmid (Paris)

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