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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Frankreichweit : Studentische Proteste gegen CPE Den Orden für die beste Titelschlagzeile des Tages verdient heute unbestritten ' Libération' . Die französische linksliberale Tageszeitung überschrieb ihre heutige Seite Eins, anlässlich des Konflikts über den CPE ( Contrat première embauche ), mit folgenden Worten: « CPE: Fac off! » Klingt (nicht unabsichtlich) wie ' Fuck off ', bedeutet aber in Wirklichkeit so viel wie «Uni aus», da ' la fac ' (von faculté) im Französischen immer noch die Universität bezeichnet... [1] Nach dem Hauptgebäude Sorbonne, der historisch ältesten Hochschule in der Pariser Innenstadt, ist nun am Montag noch eine zweite Universität «auf unbestimmte Zeit» hin dicht gemacht worden. An der Universität Paris-X in Nanterre (5 Kilometer vor den Toren von Paris in nordwestlicher Richtung gelegen) beschloss der amtierende Rektor Olivier Audéoud am Montag, die Hochschule zu schließen. Seit dem 22. Februar wird dort das Gebäude für Gesellschaftswissenschaften durch einen Streik paralysiert. Und die Eingänge zum Gebäude F (Jura), wo man im allgemeinen dem Regierungsprojekt zum CPE positiver gegenüber steht als anderswo (mit Ausnahme des Unterfachbereichs Arbeitsrecht!) sind mit Tischen und Stühlen verbarrikadiert. Natürlich wollte man aus Sicht der Hüter der (universitären und/oder staatlichen) Ordnung keinen ' Trouble spot ' dulden, der zum Anziehungspunkt und Treffort unterschiedlicher protestwilliger Element hätte werden können. Aus ähnlichen Gründen wurde auch das Hauptgebäude der Sorbonne geschlossen; um dieses herum ist mittlerweile die Spannung spürbar abgefallen. Anders sieht es wiederum in Tolbiac aus, einer hochhausförmigen Außenstelle der Sorbonne im südlichen Paris, wo überwiegend Gesellschaftswissenschaftler studieren: Dort war am Montag die studentische Vollversammlung rappelvoll, und auch die Lehrkräfte dort haben mittlerweile ihren Streik ausgerufen. Die ganze Situation hat gleichzeitig eine starke Symbolkraft, denn (zunächst) Nanterre und (später) das Hauptgebäude der Sorbonne waren im Frühjahr 1968 just jene Universitäten, die als «Unruheherde» geschlossen wurden... Nanterre: Urabstimmung fiel aus Ursprünglich sollte am heutigen Dienstag eine Urabstimmung aller Studierenden von Paris-10 über den Fortgang des Streiks und vor allem der Blockaden stattfinden. Auf diesem Wege erhoffte die Universitätsleitung, die Dinge wieder in den Griff zu bekommen. Denn ein solches in geheimer Abstimmung vorgenommes Referendum verspricht aus ihrer Sicht, die passive «schweigende Mehrheit» zu mobilisieren, die au b erhalb der Vollversammlungen bleibt. Dieser Plan ist nun durch die Führung der Universität selbst annulliert worden; vielleicht fürchtete man, dass er nicht aufginge, oder aber dass sich der «Tumult» dennoch nicht eindämmen lasse. Doch die protestierenden Studierenden spielten bei dem Schließungsplan nicht mit, und okkupierten spontan den großen Hörsaal D1. Zunächst fanden sich 138 Freiwillige dazu bereit, in dem Hörsaal zu bleiben und dort auch zu übernachten. Für den späten Abend wurden weitere Studierende und auch DoktorandInnen als Verstärkung herbeigerufen. Dies alles bedeutet nicht, dass die Leitung der Universität selbst das CPE-Projekt der Regierung unterstützen würde: Ihr Rektor Olivier Audéoud gehört neben den Universitätspräsidenten (so lautet die französische Terminologie) im westfranzösischen Nantes und in Toulouse-III zu den ersten drei Hochschulleitern, die Premierminister Dominique de Villepin seit dem Wochenende öffentlich dazu aufriefen, den CPE zurückzuziehen. Am gestrigen Montag schlossen sich ihnen der Präsident der Universität Marc-Bloch in Strasbourg, die Vorstandsmitglieder der Universität François-Rabelais im zentralfranzösischen Tours und die beiden Dekane der Teiluniversitäten Paris-6 und Paris-7 (beide auf dem Campus von Jussieu, nahe am Pariser Zentrum). Die Hochschulleitungen scheinen auf diesem Wege zur Beruhigung der Lage beitragen zu wollen; andererseits ist es durchaus plausibel, dass sie selbst wenig Positives vom CPE-Projekt der konservativen Regierung halten. In manchen Fällen denken sie vielleicht auch an die Auswirkungen auf «ihre» Studierenden. Auch an der Universität Rennes-2, die seit nunmehr fünf Wochen ununterbrochen im Streik steht (denn von dort nahm die studentische Protestbewegung im Februar ihren Ausgang), probierte es die Hochschulleitung mit einer Urabstimmung in geheimer Wahl. Seit Mittwoch hatte ihr Präsident Marc Gontard ein solches Referendum in Aussicht gestellt. Doch dies gelang nicht, angesichts der Dynamik der Streikbewegung: Am gestrigen Montag war es erneut eine Vollversammlung inklusive abschließender Abstimmung mit erhobenern Händen, die für die Fortführung des Ausstands und auch der Blockade der Hochschule votierte. Es gibt aber erste Anzeichen, die nicht ausschließen lassen, dass es allmählich zum (leichten) Abbröckeln der studentischen Streikfront kommt. Fünf Wochen durchzuhalten, ist tatsächlich bereits beachtlich, und manche nicht zu den Aktiven zählenden Studierenden fangen an, es «lang» zu finden. Tatsächlich wird die nähere Zukunft der ganzen Protestbewegung - auf nationaler Ebene - wohl insgesamt davon abhängen, ob sie aktive Unterstützung durch die abhängig Beschäftigten erfährt und auch anderswo Streiks ausbrechen. Die Blockade der Hochschulen würde zumindest diese Regierung (das ist ihr zuzutrauen) eventuell noch «aussitzen». Aber wehe, wenn mal irgendwo wirklich die Mehrwertproduktion gestört oder lahm gelegt wird... Der bürgerlich-konservative Diskurs versucht, die Legitimität der studentischen Protestbewegung anzukratzen, indem der Eindruck erweckt wird, dass stets nur Minoritäten von StreikbefürworterInnen an den Vollversammlungen teilnähmen. Doch auch den Presseberichten ist inzwischen eindeutig zu entnehmen, dass auch Anhänger eines Streikabbruchs hier und dort in den Vollverammlungen zu Wort kommen, aber in der Minderheit bleiben. Der Vorwurf, eine aktivistische Minderheit handele völlig abgelöst von der «Masse» der Studierenden, trifft auf jeden Fall nicht zu und gehört ins Reich der Demagogie. Nichtsdestotrotz darf man sich auch nicht darüber hinweg täuschen, dass zumindest im Großraum Paris die aktive Teilnahme an den Ausständen bisher noch minoritär ist. Die Mehrzahl der Studierenden ist weder in aktivistischer Form beteiligt, noch prinzipiell gegen die Protestbewegung und ihre Aktionsformen eingestellt. Die konservativen und karrieristischen Streikgegner sind ihrerseits eine klare Minderheit, wie jene ultrarechten Elemente, die am Sonntag nachmittag kurzzeitig vor dem (durch Polizisten abgeriegelten) Hauptgebäude der Sorbonne auftauchten, wo eine kleinere Anzahl von Streiksympathisanten sich seit Freitag quasi permanent versammelt hatte. Aktionen Nebenbei kam es am Montag auch zu ein paar netten Aktiönchen. In Lyon gelang es rund 60 Studierenden kurzfristig, das örtliche Büro(gebäude) der Regierungspartei UMP in der Innenstadt zu besetzen. Dabei kam es zu acht Festnahmen. Alle Verhafteten kamen aber im Laufe des Nachmittags wieder auf freien Fuß. In Paris zogen mehrere hundert streikende Studierende und Streiksympathisanten durch das Quartier Latin, das (ehemalige, da inzwischen durch großbürgerliche Anwohner geprägte) Studentenviertel rund um das Hauptgebäude der Sorbonne, die abgeriegelt blieb. Mehrere hundert Personen zogen die rue des Ecoles hoch, wo mehrere Elitehochschulen liegen, und besetzten spontan das prestigereiche Collège de France. Dort halten Koryphäen der Geisteswissenschaften ihre Vorlesungen ab, Bourdieu etwa hielt dort seine letzte Abschiedsvorlesung. Rund 100 Personen blieben daraufhin in dem Gebäude, die jedoch zumindest zum Teil politisch höchst minoritären Strömungen angehört zu haben scheinen. Daraufhin hängten sie ein Transpart mit dem linksradikalistischen Dummspruch auf, gegen den sich viele protestierende Studierende spontan aussprachen : «CDI ou CPE, c'est toujours du STO». (STO oder 'Service de travail obligatoire' hieß der Zwangsarbeitsdienst im durch die Nazis besetzten Frankreich, der ab 1942 eingerichtet wurde, um Arbeitskräfte «ins Reich» zu verfrachten.) Das bedeutet also: «Ob unbefristeter Vertrag/Normalarbeitsverhältnis oder CPE, es bleibt Zwangsarbeitsdient.» Dieser dämliche Klospruch, der jegliche Form von Lohnarbeit (die ja das Grundprinzip des Kapitalismus, ob in seinen liberalen oder autoritären Formen, bildet; natürlich muss man über die Abschaffung des Kapitalismus als solchem diskutieren, dann aber vernünftig...) mit der spezifischen Form von Zwangsarbeit unter dem Nazifaschismus gleichsetzt, wurde auch durch viele Medien aufgegriffen. So organisiert man keine Unterstützung... An der Universität Toulouse-III hat sich auch eine Vollversammlung des Personals (Lehrkräfte und sonstige Angestellte) nicht nur solidarisch mit den streikenden Studierenden erklärt, sondern auch selbst den eigenen Streik ausgerufen. Ihr Streikaufruf gilt vorläufig für diese Woche. Alle Vorlesungen an der gesamten Hochschule fielen aus - bis auf eine Veranstaltung über «Die Geschichte der sozialen Bewegung», die von einem selbst streikenden (und daher nicht bezahlten) Hochschullehrer gehalten wird... Und noch ein bescheidener Hinweis... ! Nun zum Abschluss noch ein kleiner sparsamer Hinweis an alle, die vielleicht in irgendeiner Form zur Unterstützung beitragen möchten. Wer sich auf den französischen Suchmotor Google.fr begibt und dort als Suchbegriff das Kürzel «CPE» eingibt, stößt in der rechten Bildschirmhälfte unweigerlich auf die Aufforderung, eine «Petition für den CPE» zu unterschreiben. Im Namen von Nicolas Sarkozy, Innenminister, konservativer Präsidentschaftskandidat und Chef der Regierungspartei UMP, soll man dort seine Unterstützung kundtun. Diesen unübersehbar platzierten Hinweis verdankt das freudig gestimmte Publikum einem kommerziellen Abkommen, das die UMP mit dem Anbieter von Google.fr abgeschlossen hat. Sein klitzekleiner Nachteil: Bei jedem Anklicken des Links, der zur UMP und ihrer Petition führt, kostet dies den Urheber der Homepage 0,25 Euro. (Ähnliches gilt für die Petition der politischen Studentenorganisation UNI, die einen konservativen und einen rechtsextremen Flügel aufweist und ebenfalls aktiv für das CPE-Projekt wirbt.) Nun kann man natürlich auch beispielsweise 8 mal oder 20 mal pro Tag diesen Link anklicken, ohne daraufhin die Petition zu unterschreiben. Das ist nicht verboten... Artikel von Bernhard Schmid (Paris) vom 14.3.06 Manchmal kann die ehemals linksradikale Tageszeitung, die längst mit ihrer allzu sichtbaren Nähe zum rechten Flügel der Sozialdemokraten nervt, noch richtig gut sein. 'Libération' gilt als so etwas wie die große Kusine der 'taz', die 1979 nach ihrem Vorbild gegründet wurde. Nur, dass (neben manchen anderen Unterschieden) die Berichterstattung der Berliner 'tageszeitung' über die Anti-CPE-Bewegung im Moment eher ziemlich mies, da langweilig ist und noch dazu sachliche Fahler aufweist... |