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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Sorbonne geräumt - Nationale Koordination aller Jugendlichen, Studierenden, jungen Arbeitenden und Prekären gegen den CPE gegründet Der große Häuptling der Gallier hat also gesprochen. Aber wohl nur die wenigsten überzeugt, die nicht ohnehin die Weisheit seiner Entschlüsse bewunderten. Die Kritiker jedenfalls sind im Nachhinein noch kritischer geworden, die Schwankenden bleiben genauso schwankend. Und die Protestfront, die sich in den Vorwochen abzuzeichnen begann, scheint eher noch in ihren Absichten bestärkt und näher zusammenzurücken. Es geht um den umstrittenen neuen Arbeitsvertrag, den so genannten Contrat première embauche (CPE) oder «Ersteinstellungs-Vertrag», hinter dem sich nichts Anderes verbirgt als eine Etappe unter mehreren beim Abbau des gesetzlichen Kündigungsschutzes. Der französische Premierminister Dominique de Villepin hielt dazu am Sonntag abend eine rund zwanzigminütige Ansprache während der Abendnachrichten des privatisierten ersten Fernsehkanals TF 1. Dies ist in Frankreich, wo die abendlichen Nachrichtensendungen um die 40 Minuten dauern, nicht unüblich. Sein Auftritt nahm die Form eines Gespräch mit der als regierungsnah geltenden, prominenten Ferhsehjournalistin Claire Chazal an, das sich hauptsächlich durch annehmlich präsentierte Gefälligkeitsfragen auszeichnete. An einer Stelle lobte die Journalistin ihn gar explizit: «Vielen Dank, Ihre Bemühungen um Aufklärung waren dringend notwendig, es besteht ein Erklärungsdefizit... » Auch diese Form von Gefälligkeitsinterview gehört zu den recht üblichen Gepflogenheiten, denn Präsident Jacques Chirac, unter dessen Fittichen sich die Karriere de Villepins weitgehend abspielte, lässt sich gerne in ähnlicher Form von diesem Sender interviewen. Den das jetzige Staatsoberhaupt übrigens dereinst selbst als Premierminister (1987) an den Konzernchef und «Betongiganten» Martin Bouygues verkaufen ließ... «Er hat nichts Substanzielles zur Sache geäußert, das neu wäre» lautet die überwiegende Reaktion nach dem Auftritt des Regierungschefs. Rafiq ist etwa dieser Auffassung, ein Angestellter der Universität Paris-III (Censier) und Bibliotheksmitarbeiter. Zusammen mit einigen Studenten harrt er am frühen Sonntagabend in der Kälte vor der durch Bereitschaftspolizisten umstellten und auf unbestimmte Zeit geschlossenen Sorbonne aus. «Das ist nichts anderes als ein schlechter Versuch der 'Kommunikation', in dem Sinne, wie die Unternehmen dies verstehen. Also der Werbung für ein bereits feststehendes Produkt. Zu Veränderungen an seinem Projekt ist der Premierminister nicht bereit. Und sehen Sie mal, wie nervös er jedes Mal reagiert, wenn Nachfragen von Claire Chazal zu seinen persönlichen Ambitionen kommen! Er, der schon von einer Präsidentschaftskandidatur träumte... Hochnervös antwortet er: 'Es geht nicht um mich, stellen wir Personen hintenan. Es geht um das allgemeine Interesse (intérêt général), um das nationale Interesse'. Und auch : 'Ich liebe Frankreich, ich liebe die Franzosen.' Das ist nur lächerliches Pathos!» Auch seitens der Gewerkschaften zeigt man sich zum selben Zeitpunkt wenig überzeugt. «Der Premier hat sich als Brandstifter betätigt, und jetzt ist er nicht dazu fähig, den Feuerwehrmann zu spielen» lautete etwa die Einschätzung von Jean-Claude Mailly, Generalsekretär des drittgrößten französischen Gewerkschaftsbunds FO (Force Ouvrière), der «überparteilich» und populistisch ausgerichtet ist. Der Chef des «postkommunistischen» größten Gewerkschaftsbunds in Frankreich, der CGT, Bernard Thibault, bezeichnete die Forderung nach Rückzug des neuen Sondervertrags als «nicht verhandelbar». Nirgendwo zollt man dem Prremierminister zusätzlichen Kredit nach seiner Ansprache. De Villepins «neue Garantien» Dieser sprach zwar von «neuen Garantien» für die abhängig Beschäftigten, die künftig in Form eines Sondervertrags vom Typ CPE eingestellt werden. Deren Natur ließ er aber im Wesentlichen offen, denn ihre Aushandlung solle «den Sozialpartnern» überlassen bleiben. Letzteren wird freilich nicht die Entscheidung über die Einführung oder Nichteinführung des neuen Sondertyps von Arbeitsvertrag überlassen, sondern sie sollen lediglich am Rande neue, zusätzliche Bestimmungen hinzufügen können. Ansonsten kündigte de Villepin vor allem Dinge an, die am Bestehenden oder am Geplanten nichts ändern. So soll der CPE, also der neue Arbeitsvertrag für Jugendliche und junge Erwachsene, bei dem der Kündigungsschutz während der ersten beiden Jahre entfällt, zwar ohne Abstriche eingeführt werden. Aber künftig soll alle sechs Monate eine «Bilanz» seiner Anwendung gezogen werden, so de Villepin. Auf diesem Wege wurde freilich bisher noch keine soziale Verschlechterung eingeschränkt oder verhindert. Auf der Grundlage des Gesetzes über die Einführung des CPE können die Hauptbetroffenen, die in Form dieses Vertrages eingestellt werden, künftig während zweier Jahre nach Eintritt in ihr Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen entlassen werden. Dies ist die zentrale Bestimmung der neuen Gesetzgebung, die demnächst in Kraft treten soll, nachdem die parlamentarischen Debatten darüber am 9. März abgeschlossen worden sind. Jedenfalls sofern sich nicht allzu starke soziale Widerstände dagegen manifestieren und dies noch verhindern. An dieser absolut im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stehenden Regel will Premierminister de Villepin derzeit auch nichts ändern. Denjenigen, die tatsächlich auf der Basis dieser neuen Bestimmung «gefeuert» werden, möchte der Regierungschef lediglich hinterher eine neue Garantie in Aussicht stellen: Während dreier Monate sollen sie durch die Arbeitsagentur (französisch ANPE) Fortbildungsmaßnahmen finanziert bekommen. Das ändert an ihrer Lage freilich nicht viel, jedenfalls gegenüber einer Situation, in der die Hauptbetroffenen ohnehin arbeitslos gewesen wären. Eine gewisse Verbesserung bedeutet dieser Schritt lediglich für jene, die vor dem Abschluss «ihres» CPE noch nie in einem anderen Arbeitsverhältnis standen und daher bislang kein Anrecht auf einen formellen Arbeitslosenstatus mit entsprechender Unterstützung hatten. Aber für sie könnte sich die Existenz des neuen Sondervertrags als zusätzliche Hürde erweisen, die sich zwischen sie und das Erreichen eines angestrebten «Normalarbeitsverhältnisses» schiebt. Auch nichts an der strukturellen Prekarität, die mit dem Verschwinden des Kündigungsschutzes während der ersten beiden Jahre einher geht, wird ein anderer Vorschlag de Villepins ändern: Er möchte einen référent schaffen, also eine institutionalisierte «Bezugsperson», an die sich der oder die junge Beschäftigte während der kündigungsschutzlosen Phase ihres Arbeitsverhältnisses wenden kann. Zu denken wäre etwa an eine spezielle Ansprechperson in den Arbeitsagenturen. Doch was soll dies bewirken? Solange der Arbeitsverträg hält, würde ihr Rat nicht benötigt. Und sobald er durch den Arbeitgeber aufgekündigt wird, was er auf der Basis eines Contrat première embauche jederzeit und vor allem ohne Angabe von Motiven können wird, steht der oder die Hauptbetroffene kaum anders dar als jeder andere Arbeitslose auch. Neue Mobilisierungstermine Die mit Abstand größte der insgesamt fünf oder sechs französischen Studentengewerkschaften, die sozialdemokratisch dominierte «Nationale Studentenunion» UNEF (Union nationale des étudiants de France), reagierte ihrerseits prompt auf die Rede de Villepins, indem sie einen neuen «Aktionstag» ankündigte. Am Dienstag dieser Woche ruft sie daher zu neuen Straßenprotesten auf. Dieser neue Mobilisierungstermin fügt sich in einen Aktionskalender ein, in dem ohnehin größere Mobilisierungstermine im Laufe der Woche geplant waren: Am Donnerstag wird ein weiterer Protest- und Demonstrationstag der Studierenden gemeinsam mit den Oberschülern hinzukommen. Und am Samstag dieser Woche folgt ein Aktionstag der abhängig Beschäftigten des öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft, zu dem die unterschiedlichen Gewerkschaftsbünde (von der sozialliberalen CFDT über die ex-kommunistische CGT bis hin zu den linksalternativen Basisgewerkschaften SUD-Solidaires) gemeinsam aufrufen. Dies beschloss eine gemeinsame Runde der Gewerkschaftsführungen am Donnerstag voriger Woche am Hauptsitz der CFDT. Prominente CFDT-Vertreter wie Michel Jalmain erklärten freilich im Anschluss an die Beratungen offen, sie fühlten sich durch die Teilnahme an einem gemeinsamen Protest aller Gewerkschaften nicht dergestalt «gebunden», dass sie nicht im Alleingang mit dem Premierminister verhandeln dürften. Dass die CFDT erneut, als einzige «Partnerin» von Gewicht, einen die Regierungspläne unterstützenden «Kompromiss» unterzeichnet (wie während des Konflikts um die «Rentenreform» 2003, nach 45 Minuten Unterredung beim damaligen Premier Raffarin und zwei oder mehr als lächerlichen, kosmetischen Zugeständnissen) ist jedoch im Moment nicht zu erwarten. Denn die CFDT hat im Juni dieses Jahres einen Kongress anstehen, auf dem ihre Führung unter François Chérèque wiedergewählt werden möchte. Allzu offenkundige Peinlichkeiten wird man also im Augenblick wohl zu vermeiden suchen. Die Sorbonne geräumt Ein wichtiges Symbol bildete in der Nacht zum Samstag die polizeiliche Zwangsräumung der Sorbonne. Zum Zeitpunkt der Räumung, die kurz vor 4 Uhr früh begann, befanden sich rund 200 Besetzer/innen im Inneren des Hauptgebäudes der historisch ältesten Hochschule von Paris. Diese ist nunmehr erst einmal auf unbestimmte Zeit durch Bildungsminister Gilles de Robien geschlossen worden. Angeblich wegen der «durch die Besetzer angerichteten Schäden», über die auch bestimmte Presseorgane ausführlich berichteten, die jedoch auch auf den publizierten Fotos lächerlich geringfügig wirkten. (Es sei denn, mit Schäden wäre gemeint, dass manche Aktiven sich mal kurzfristig ein bisschen im Weinkeller des Rektors bedient hatten...) Bereits zu Anfang voriger Woche hatte ihr Rektor Maurice Quénet die Tore dicht gemacht, sie jedoch am vorigen Mittwoch wieder geöffnet, möglicherweise auf politischen Druck hin. Daraufhin befanden sich seit der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag stets Besetzer/innen, bis zu 400 am höchsten Punkt, in einem Hörsaal des Hauptgebäudes der Sorbonne. (Zum Angucken und Anhören dazu u.a.: http://www.lemonde.fr/web/portfolio/0,12-0@2-734511,31-749751,0.html ) Das Wochenende über sammelte sich ständig eine kleinere Anzahl von Personen, meistens um die 100 bis 200, vor den abgeriegelten Zugängen zur Sorbonne. Zu keinem Zeitpunkt kam es zu einer größeren Zusammenballung von Leuten, aber zählt man alles in allem die «mal vorbei gekommenen» Personen zusammen, dürfte man auf eine stattliche Anzahl kommen. Darunter auch «historische» Aktivisten, wie jener über 50jährige Aktivist, der die Örtlichkeiten gut zu kennen schien und gut ausgerüstet vor der Sorbonne ausharrte: In einer Plastiktüte hatte er von der Spezialschutzbrille gegen Tränengas bis zur Schutzhaube alles dabei, was nützlich hätte sein können... Das Symbol der besetzten und geräumten Sorbonne ist nicht unwichtig, da dies zum allerersten Mal überhaupt seit dem Pariser Mai 1968 vorkommt. Auch die autoritär verfügte Schließung der gesamten Sorbonne ist nicht «ohne», da auch dies haargenau an jene historischen Ereignisse erinnert. Ansonsten aber wird das Geschehen in der und rund um die Sorbonne (unter Mithilfe der Medien, die fieberhaft nach historischen Parallelen «an den Originalschauplätzen von damals» suchen, die dann notgedrungen ernüchternd ausfallen) gnadenlos überwertet. Denn die soziale Zusammensetzung des Stadtviertels rund um die Sorbonne, das im Mai 1968 zusammen mit der Sorbonne in Aufruhr geriet, hat sich seitdem radikal verändert. Alle ärmeren oder auch nur «normal verdienenden» Bewohner/innen, die es damals gab und die in Hülle und Fülle herbeiströmten, sind größtenteils längst an die Stadtränder oder in die Banlieues abgedrängt. An anderen Hochschulen, vor allem Jussieu (naturwissenschaftliche Fakultät innerhalb der Pariser Innenstadt) und solchen außerhalb des historischen Stadtkerns, ist die Mobilisierung zur Zeit wesentlich stärker. Es waren auch zu nicht unbedeutenden Teilen Studierende von anderen Hochschulen, die am Donnerstag abend gegen 21 Uhr in größerer Zahl (maximal waren aber rund 1.500 Personen gleichzeitig versammelt) an die Sorbonne herbeiströmten. Im Übrigen ist die studentische Protestbewegung momentan auch außerhalb des Großraums Paris, also in der «Provinz», noch stärker als in der Hauptstadtregion. Im Raum Paris zählen die studentischen Vollversammlungen oft mehrere hundert Teilnehmer, an manchen Orten wurde auch die 1.000er-Grenze überschritten. So in Tolbiac (Außenstelle der Sorbonne für Gesellschaftswissenschaftler, in einem Hochhaus im 13. Pariser Arrondissement unweit von «Chinatown», eher von progressiven Kampftraditionen geprägt als das historische Hauptgebäude), in Jussieu und in Nanterre. Dagegen verzeichnet man an westfrenzösischen Hochschulen oft mehrere tausend Teilnehmer/innen an den Vollversammlungen, so in Poitiers, wo 3.000 Leute kamen und die studentische Vollversammlung aus den Hörsäalen heraus in das Rugbystadion der Stadt verlagert werden musste. Und die gute Nachricht... Und die beste Nachricht von allen zum Schluss: Anlässlich der jüngsten Versammlung der «Nationalen Streikkoordination der Studenten gegen den CPE», die an diesem Wochenende just in Poitiers tagte, beschloss die Koordination eine Namensänderung. Sie besiegelt die Umwandlung in die «Nationale Koordination aller Jugendlichen, Studierenden, jungen Arbeitenden und Prekären gegen den CPE». Im selben Zeitraum sind in den vergangenen Wochen auch die intermittents du spectacle, die prekären Beschäftigten des Kulturbetriebs, mal wieder sehr aktiv geworden. Denn die regressive «Reform» von 2003, die ihnen den Zugang zu sozialer Absicherung verengt und teilweise abschneidet, wird derzeit neu verhandelt und soll so bis 2008 fortgeschrieben werden. Seit Wochen wurden mehrere Theater etwa auch in Paris besetzt, Vorführungen abgesagt, Demos und Aktionen durchgeführt. Die Studierenden rufen nunmehr ausdrücklich die intermittents zur wechselseitigen Unterstützung herbei. Ferner scheinen auch andere prekäre Beschäftigtengruppen derzeit, im Zuge der Anti-CPE-Bewegung, in Bewegung gekommen zu sein. Aus Marseille verlautet, dort sei es nach einem Konflikt um eine Kündigung im größten Quick-Restaurant der Stadt zu Arbeitsniederlegungen gekommen. (Quick ist eine ekelhafte Fastfood-Kette, die in Abgrenzung von McDonalds für sich mit dem Argument wirbt, sie sei «europäisch»; und dabei einen noch übleren Drecksfraß serviert.) Eine Streikwelle erfasst demnach zur Zeit sämtliche Quick-Niederlassungen von Marseille. Artikel von Bernhard Schmid (Paris) vom 13.3.06 Siehe auch Videos zur Sorbonne-Besetzung bei indymedia |