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Updated: 18.12.2012 15:51
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Frankreichweite Demonstrationen gegen neuen Sonder-Ausbeutungsvertrag für jüngere Beschäftigte

Bernard Schmid (Paris) am 8.2.06

Wenigstens einen Vorteil hat er anscheinend, der umstrittene CPE ( Contrat première embauche , "Ersteinstellung-Vertrag"). Also der neue Typus prekärer Arbeitsverträge für Jugendliche und junge Erwachsene bis 26 Jahre, dessen Einführung die Regierung unter Premierminister Dominique de Villepin in dieser Woche im französischen Parlament durchsetzen möchte. Wie bitte, Vorteile soll er haben? Ja, einen: Denn zumindest lässt sich die ihn bezeichnende Abkürzung in vielfältiger Form auslegen, um seinen wahren Charakter auf den Punkt zu bringen. " Contrat pour esclavage? Cocktail pour émeutes! " (die Anfangsbuchstaben C , p und e jeweils fett kennzeichnend) verkündete gestern ein großes Transparent, das am Rande der Pariser Demonstration in der Nähe des Bastille-Platzes an einem der großen Boulevards aufgehängt worden war; Also sinngemäß: "Vertrag für Sklaverei? Cocktail für Riots/Unruhen!"

Aber noch zahlreichere weitere Deutungsvorschläge für das Kürzel C.p.e. wurden gestern - anlässlich der ersten größeren Mobilisierungswelle gegen den geplanten neuen Vertragstyp, der in das französische Arbeitsgesetzbuch eingeführt werden soll - angeboten: Contrat poubelle embauche (Mülleimer-Einstellungsvertrag), Contrat première exploitation (Erst-Ausbeutungsvertrag), Contrat pour l'esclavage (Vertrag für die Sklaverei), Contrat précaire contre l'émancipation (Prekärer Vertrag gegen die Emanzipation), Contrat profitable aux entreprises (Für die Unternehmen profitabler Vertrag), Contre les patrons esclavagistes (Gegen die Sklavenhalter-Bosse) oder auch Criminelle précarisation de l'emploi (Kriminelle Prekarisierung des Beschäftigungsverhältnisses). Der Fantasie scheinen kaum Grenzen gesetzt, und doch bleibt sie der Wirklichkeit stets bedenklich nahe. In Lille zählte zu den optischen Attraktionen des Protestzugs ein Demonstrant mit Frack, Zigarre und Zylinder, der einen Jugendlichen oder jungen Mann an einer Leine vor sich herführte und in periodischen Abständen symbolisch peitschte.

Zur Mobilisierung und zum Umfang der Demonstrationen

218.000 (laut Polizeizählung) bis 400.000 (nach gewerkschaftlichen Angaben) Menschen demonstrierten am gestrigen Dienstag in insgesamt 187 französischen Städten, größeren und kleineren. Am stärksten war die Mobilisierung in Paris (13.000 DemonstrantInnen laut Polizei; 45.000 der CGT zufolge, deren Zahlen freilich oft übertrieben ausfallebn), in Marseille (je nach Angaben, 5.000 bis 30.000 Teilnehmer), Toulouse (15.000 laut beiden Seiten, die sich ausnahmsweise einig scheinen) und Nantes (von 7.500 bis 18.000 Personen). Unfug verbreitete demnach etwa der "Deutschlandfunk", der noch gestern abend von 100.000 Demonstrierenden frankreichweit gesprochen hat.

Rund die Hälfte der Demonstrierenden waren Jugendliche und jüngere Leute, die unter Oberschülern und an den Universitäten mobilisiert worden waren. Die Tageszeitung "Le Parisien" möchte insgesamt 102.800 Oberschüler/innen gezählt haben, wobei nicht klar wird, ob diese Angabe vor dem Hintergrund der Gesamtzahl an DemonstrantInnen laut Polizei oder laut Veranstalterangaben (beide werden am selben Ort wiedergegeben) gesehen werden will. Die übrigen Teilnehmer waren durch die Gewerkschaften mobilisiert worden waren; frankreichweit hatten insbesondere die Gewerkschaftsbünde CGT, Force Ouvrière (FO) und die christliche CFTC - wobei letztere kaum Gewicht auf die Waagschale bringen konnte - sowie die Bildungsgewerkschaft FSU zur Teilnahme an den Straßenproteste aufgerufen. Neben ihnen waren die Studentengewerkschaft UNEF und die Oberschüler/innen-Union UNL landesweit Aufrufer. Auch außerhalb der unmittelbar hauptbetroffenen Altersgruppe der unter 26jährigen gibt es somit (jedenfalls in Ansätzen) eine Mobilisierung, da vor allem im gewerkschaftlichen Publikum der CPE nur als einer von mehreren Meilenstein auf dem zur generellen Prekarisierung sämtlicher Arbeitsvertrage - durch Abschaffung des unbefristeten Arbeitsverhältnisses und/oder des Kündigungsschutzes - betrachtet wird.

Aber gleichzeitig versuchen die Führungen der großen Gewerkschaftsorganisationen die jetzt anlaufende Mobilisierung auch unter ihren engen Kontrolle zu behalten und zu verhindern, dass sie "aus dem Ruder läuft". Die sozialdemokratische Parlamentsopposition wiederum, die jetzt - 14 Monate vor den kommenden Präsidentschaftswahlen, denen in einem Monat Abstand die Parlamentswahlen folgen werden - mal wieder ein bisschen "Wir opponieren" spielen möchte (und muss), hatte sich ihrerseits um starke Präsenz in der Pariser Demonstration bemüht. 7 von 8 sozialistischen "Kandidaten für die Kandidatur", d.h. Bewerber(inne)n um die Präsidentschaftskandidatur des Parti Socialiste (PS), nahmen wenigstens für ein Stündchen an der Demonstration in der französischen Hauptstadt teil.

Zu den herausragenden Punkten gehört, dass die "Gewerkschaftsunion der parlamentarischen Mitarbeiter", der die Angestellten der Abgeordneten aller Couleur - Stenotypisten, Sekretärinnen, wissenschaftliche Mitarbeiter - angehören, durch Teilnahme an der Pariser Demo oder auch durch Tragen eines Streikarmbands (in den Räumen der Nationalversammlung) ihre Opposition gegen das debattierte Gesetzesprojekt manifestierte. Die Union fordert alle Abgeordneten auf, sich freiwillig selbst zu verpflichten, keinen CPE oder "Ersteinstellungs-Vertrag" für junge Mitarbeiter/innen zu unterzeichnen, wenn in naher Zukunft diese gesetzliche Möglichkeit geschaffen sein wird.

Einige Beobachter, die mit einer stärkeren Teilnehmerzahl rechneten oder aber hinterher so tun "als ob", bezeichnen die Mobilisierung am gestrigen Dienstag als eine "halbe Niederlage". Oft tun sie dies freilich aus durchsichtigem politischem Interesse, wie die konservative und seit einiger Zeit unverhüllt die Regierung unterstützende Tageszeitung " Le Figaro ", die ihre Mittwochsausgabe mit der Überschrift "Misserfolg der Mobilisierung gegen den CPE" übertitelt. Aber auch die moderate Boulevardzeitung " Le Parisien " spricht von einem "halben Misserfolg" und titelt im Blattinneren: "Die schwache Mobilisierung beruhigt den Premierminister". Die linksliberale " Libération ", die in der Sache eher positiv über die Proteste schreibt, gibt zwar ebenfalls an, es sei "nicht die (Teilnehmer-)Masse der großen Demonstrationserfolge da gewesen", aber benennt wenigstens die mutmaßlichen Hauptursachen: Schulferien und Zwischenprüfungen (" les partiels ", d.h. Semesterabschlussklausuren zur Halbzeit des Studienjahres) an den Hochschulen.

Tatsächlich befinden sich die SchülerInnen der ersten von drei Ferienzonen - zu welcher der Großraum Paris gehört - bereits in den Schulferien, die anderen werden in Bälde folgen. Die Studierenden an den Universitäten haben ihre Jahres-Zwischenprüfungen soeben hinter sich, oder aber stecken mancherorts noch mittendrin.

Zwar hatte es bereits vor der gestrigen Demonstration einen ersten Beginn von Mobilisierungen an Oberschulen und Hochschulen gegeben. So hatten am 31. Januar in mehreren Städten kleinere Protestmärsche stattgefunden (zu den größten zählten Brest mit 1.200 und Paris mit 1.000 Teilnehmern), mit Beteiligung vor allem aus dem Oberschüler/innen- und Studierenden-Bereich. Doch die momentane Periode blieb aus den o.g. Gründen ungünstig für eine bessere Mobilisierung, zumal das Demonstrationsdatum vom 7. Februar erst seit der (vor)letzten Januarwoche bekannt gewesen war. Ferner steckt manchen OberschülerInnen wohl noch die lähmende Nachwirkung der teilweisen Demobilisierung, die auf das faktische Auseinanderprügeln der Pariser Oberschüler-Demo vom 8. März 2005 durch kriminelle Gangs folgte, in den Knochen - nebst den insgesamt 40 Strafprozessen gegen Oberschüler, die auf die Welle von Besetzungen durch Oberschüler/innen folgte und die teilweise noch am Laufen sind.

Bereits am Freitag dieser Woche, dem 9. Februar, wollen die Aufrufer der gestrigen Demonstration sich jedoch treffen, um über die Frage des Fortgangs der Mobilisierung zu beraten.

Worum geht es in der Sache?

Hauptsächliches Merkmal des CPE ist die Abschaffung des Kündigungsschutzes während der ersten beiden Jahre des Beschäftigungsverhältnisses - analog zu dem, was bereits seit dem Hochsommer vorigen Jahres durch den CNE ( Contrat nouvelle embauche , "Neueinstellungs-Vertrag") ermöglicht worden ist. Mit dem Unterschied, dass der per Regierungsdekret vom 2. August 2005 eingeführte CPE die Beschäftigten in kleinen und mittelständischen Unternehme mit weniger als 20 Mitarbeitern abgeschlossen werden kann - hingegen betrifft der derzeit in der parlamentarischen Gesetzesdebatte befindliche CPE die unter 26jährigen Lohnabhängigen, die künftig in Unternehmen beliebiger Größe und Mitarbeiterzahl eingestellt werden.

Bemerkenswert ist, dass Premierminister Dominique de Villepin es anscheinend zu seiner Regierungsmethode erhebt, grundsätzlich Urlaubs- und Ferienperioden auszunutzen und durch kurzfristige Ankündigungen, die von einem beschleunigten Gesetzgebungsverfahren gefolgt werden, möglichst schnell Fakten zu schaffen. So hatte er den Hochsommer ausgenutzt, um die Dekrete vom 2. August 05 (die die Schaffung des oben beschriebenen CNE einerseits, und neue Schikanen gegen Arbeitslose andererseits zum Gegenstand hatten) durchzudrücken. Nunmehr sind es die Schulferien. "Libération" vom Mittwoch fragt bereits sarkastisch, ob der Regierungschef jetzt dringend auf die Osterferien warte.

Dabei handelt es sich bei den neuen, spezifischen Vertragstypen möglicherweise nur um Vorstufen zu einer generellen Abschaffung des Kündigungsschutzes und/oder Schleifung des Arbeitsverhältnisses. Den Kritikern, die genau dies befürchten oder anklagen, gab Premier Dominique de Villepin jedenfalls am 26. Januar 2006 implizit Recht. Nachdem er zuvor Pläne für eine Ausweitung der Verträge ohne Kündigungsschutz (jedenfalls während zweier Jahre) auf andere Situationen bzw. Beschäftigungsverhältnisse noch dementiert hatte, berichtete die Pariser Abendzeitung "Le Monde" in ihrer Ausgabe vom 26. Januar, Matignon (= das Amt des Premierministers) plane "eine grundlegende Überarbeitung des Arbeitsrechts" und "eine Neudefinition des CDI (= unbefristeten Arbeitsvertrags)". An diesem Tag publizierte das Wochenmagazin " Le Nouvel Observateur " ein Interview mit dem Premier, der darin erklärte: "Alles ist offen" - nämlich das Wettrennen zwischen den Varianten (erstens) einer Ausweitung der "differenzierten Verträge", nämlich des Prinzips von CPE und CNE (zwei Jahre ohne Kündigungsschutz, angeblich um in besonderen Sektoren oder für prekarisierte Gruppen Beschäftigung zu schaffen) auf unterschiedliche Arbeitsverhältnisse und (zweitens) eines "Einheitsvertrags ( contrat unique ), der den bisherigen befristeten Vertrag (CDD) und unbefristeten Vertrag (CDI) miteinander fusioniert".

Den Vorschlag zur Schaffung des CPE brachte die Regierung de Villepin erst nach den Weihnachtsferien von Ende 2005 auf. Angeblich handelt es sich dabei um eine Antwort auf die Krise in den französischen Trabantenstädten (Banlieues), deren brutal zu Tage tretende Probleme - extrem hohe Arbeits- und Perspektivlosigkeit, vielfältige Diskriminierungen - dadurch durch die Regierung immerhin als solche explizit anerkannt werden. Nur dient die angebotene "Lösung", das angebliche Schaffen von Beschäftigung durch eine radikale Prekarisierung jüngerer Beschäftigter (die während der ersten zwei Jahre ihres Arbeitsverhältnisses beispielsweise null Chancen haben würden, den Respekt ihrer gesetzlichen Arbeitszeiten einzufordern und durchzusetzen), dazu, die Lage noch weiter zu verschlimmern. Die vom CPE Betroffenen werden enorme Probleme haben, etwa einen mittelfristigen Kredit - etwa zur Begründung einer eigenen Wohnung oder einer Familie - aufzunehmen oder auch nur eine Wohnung anzumieten. Ein Vertreter eines nationalen Zusammenschlusses von Wohnungsmaklern wird etwa in der Wochenzeitung "Le Canard enchaîné" (vom 1. Februar) mit den Worten zitiert, von den Beschäftigten in CNE und CPE - deren Arbeitsverträge ja bereits morgen schon wieder flöten sein können - werde systematisch ein Garant oder Bürge gefordert, ohne den sie kein Mietverhältnis eingehen können. Die Regierung behauptet, durch eine Mietgarantie der öffentlichen Hand werde dem Abhilfe geschaffen - doch deren maximale Laufzeit beträgt 18 Monate und liegt damit also unter dem Zeitraum absoluter Unsicherheit für die CPE-Beschäftigten über die Fortdauer ihres Arbeitsverhältnisses.

Es handelt sich also um eine, nun ja, elegante Form, sich über ganze Bevölkerungsgruppe lustig zu machen oder dieselben (mit Verlaub) zu vera..en, die jetzigen Pläne als Abhilfe für die drängenden sozialen Probleme der Banlieuejugend zu verkaufen. Wird es vielleicht gerade deswegen in Bälde wieder rappeln, wie etwa der Soziologe Gérard Mermet in "Le Parisien" vom 30. Januar (im Rahmen einer Serie über die Banlieues drei Monate nach den Unruhen vom vergangenen Herbst) als Möglichkeit angibt? (Originalzitat: "Ja, es ist sehr wahrscheinlich, dass sich Ereignisse solcher Natur erneut abspielen, in den Banlieues oder anderswo. Es gibt derart viel angestaute Frustrationen in allen sozialen Gruppen. Falls der CPE den Jugendlichen schlecht erklärt wird und sich das Klima des Unmuts in den Mittel- und Oberschulen weiter verschärft, dann können größerer soziale Bewegungen aufkommen.") Eine Vorstellung, die zumindest potenziell verspräche, die im Herbst 2005 ohnmächtig und "ohne soziale Trennschärfe zwischen Oben und Unten" zum Ausbruch gekommene Wut mit einer sozialen Bewegung zusammenzubringen. Noch sind wir aber nicht so weit, Wunschträumen ist dagegen erlaubt.

Der CPE wird voraussichtlich noch in dieser Woche durch die Nationalversammlung angenommen werden, die deswegen - unter Hinausschiebung des Beginns der Parlamentsferien - noch bis einschließlich Sonntag tagen soll. Bis Ende Februar soll das ihn einführende Gesetz dann auch im Senat, dem parlamentarischen "Oberhaus", und durch das nötige gemeinsame Votum beider Kammern verabschiedet sein. Falls die Parlamentsopposition - die Linksparteien, aber auch die christdemokratische UDF als halboppositionelle Partei der bürgerlichen "Mitte" lehnen die Schaffung des CPE ab - zu viel "Obstruktion" durch Einreichung von Änderungsanträgen betreibt, wird Dominique de Villepin möglicherweise, wie er ankündigte, auf den Artikel 49-3 zurückgreifen. Es handelt sich dabei um ein autoritäres Instrument, bei dem der Regierungschef eine Sachfrage mit der Vertrauensfrage verknüpft und dadurch jede Sachdebatte mit den Abgeordneten unterbindet. Und danach darf er dann nur auf die nächste Ferienperiode hoffen.


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