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Updated: 18.12.2012 16:07
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Arbeitsinspektoren und Jagd auf «illegale» Immigranten 

Premierminister Fillon blafft Protestierende an. « Immigrations- und Identitätsminister » Hortefeux möchte Gangart beim Aufspüren von Sans papiers verschärfen

In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass die Arbeitsinspektoren - die die Einhaltung der geltenden Gesetze, Verordnungen und Kollektivverträge im Arbeitsleben überwachen - im Konflikt mit der französischen Regierung liegen, weil sie nicht zur Jagd auf arbeitende "illegale" Einwanderer eingesetzt werden möchten. Vier Gewerkschaften der Arbeitsinspektoren haben gegen ein entsprechendes Regierungsdekret Klage beim Conseil d'Etat, dem obersten Gerichtshof in Fragen des öffentlichen Rechts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, erhoben. (Vgl. den Artikel im LabourNet) Über diesen Konflikt hat der Radiosender Europe-1 inzwischen auch eine ganz gute Reportage ausgestrahlt, siehe dazu: http://www.europe1.fr/informations/articles/724833/.html externer Link

Inzwischen hat Premierminister François Fillon auf den Protest der Arbeitsinspektoren, die auf diesem Wege ihre gesellschaftliche Veranwortung wahrnehmen, geantwortet. Auf RTL blaffte er die Inspektoren Ende voriger Woche an, das Dekret vom 31. Mai sehe keine dienstrechtliche Veränderung für sie vor, da sie weiterhin dem Arbeitsministerium blieben, auch wenn das frisch eingerichtete Zuwanderungsministerium ebenfalls über sie "verfügen" (disposer) könne. Es stehe ihnen nicht zu, selbst das Ministerium auszuwählen, das die Aufsicht über sie ausübe. Hintergrund ist, dass die Arbeitsinspektoren zwar dienstrechtlich ausschließlich dem Arbeits- und Sozialministerium unterstellt sind (was auch weiterhin so bleiben wird), aber nunmehr das neu eingerichtete "Ministerium für Immigration, Integration und nationale Identität" ebenfalls über sie verfügen kann. "Das ist eine Frage, die die Regierung angeht und nicht die Staatsbediensteten", so wörtlich lautet die autoritäre Antwort von Premierminister Fillon. (Vgl. dazu http://www.lesinfos.com/news6087.html externer Link) Aber vielleicht möchte der Mann sich auch nur zur Abwechslung mal ein bisschen profilieren, nachdem er bisher ziemlich im Schatten des übermächtigen Präsidenten Nicolas Sarkozy stehen musste.

Arbeits- und Sozialminister Xavier Bertrand machte hingegen Anstalten, die ihm untergebenen Arbeitsinspektoren "zu unterstützen", wie es die konservative Tageszeitung ,Le Figaro' formuliert externer Link. Aber im selben Atemzug führte Bertrand, der arrogante Herr im Sessel des "Sozial"ministers, auch aus, dass "der Kampf gegen die illegale Arbeit in allen ihren Formen eine prioritäre Aufgabe für die Arbeitsinspektoren darstellt". Damit trägt er seinerseits dazu, die Grenzen zwischen nicht zusammengehörenden Dingen kräftig zu verwischen. Auf der einen Seite steht die "illegale", d.h. unerklärte Beschäftigung, die in der Mehrzahl der Fälle die Sache von Franzosen ist und darauf beruht, dass die Arbeitgeber (zum Teil auch unbewusste Lohnabhängige) keine Sozialabgaben und sonstigen "Lohnnebenkosten" abführen möchten. Auf der anderen Seite steht die Beschäftigung von ausländischen Staatsangehörigen, die über keine Aufenthaltserlaubnis in Frankreich verfügen. Diese arbeiten in den meisten Fällen NICHT "unerklärt", sondern bezahlen hochoffiziell Steuern, und in den meisten Fällen führen sie Sozialabgaben und Beitragszahlungen zu den diversen Sozialversicherungskassen ab. In aller Regel arbeiten sie gar nicht "schwarz", sondern mit gefälschten Papieren, den Ausweispapieren von Landsleuten, die ihnen ähnlich sehen, usw. Den Unterschied zwischen diesen beiden unterschiedlichen Situationen versucht die Regierung genau zu verwischen.

Am Montag dieser Woche meldete sich dann auch der unvermeidliche Brice Hortefeux, der das neu gegründete "Ministerium für Einwanderung und (..) nationale Identität" besetzt, zu Wort. (Vgl. http://abonnes.lemonde.fr/web/article/0,1-0@2-3224,36-940224@51-928941,0.html externer Link) Er forderte eine neue Offensive gegen "illegale Arbeitsverhältnisse" (oder wörtlich: ,le travail clandestin', also "heimliche Arbeit") und kündigte an, ihre Bekämpfung werde eine der künftigen Prioritäten seines Ministeriums darstellen. Nach den Gesetzen der Logik kann damit wiederum nur die ("illegale") Arbeiter von Sans papiers oder illegalisierten Zuwanderern gemeint sein, denn für andere Personenkreise außer Einwanderern und Eingewanderten ist der Minister Hortefeux nun mal nicht zuständig.

Brice Hortefeux fügte hinzu, seit dem 1. Juli dieses Jahres seien die Arbeitgeber nunmehr verpflichtet, aus eigener Initiative die Präfekturen (d.h. die zum Zentralstaat gehörenden Ausländerbehörden) in ihrem Département einzuschalten, wenn es darum geht, die Gültigkeit der Aufenthaltstitel von Bewerbern um eine Arbeitsstelle zu überprüfen. "Nunmehr gibt es keine Entschuldigung für die Arbeitgeber mehr", tönte Hortefeux, von der (im Prinzip richtigen) Vermutung ausgehend, dass Arbeitgeber mitunter ein Auge zudrücken, wenn ein Aufenthaltstitel offenkundig gefälscht ist, sie aber dringend eine Arbeitskraft benötigen. "Ausländer ohne gültige Aufenthaltstitel sind dazu berufen, in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt zu werden", betonte Hortefeux.

Um folgenden Satz hinzuzufügen, den meistzitierten seines Interviews (das am Montag dieser Woche in der Boulevardzeitung ,Le Parisien' erschienen ist): "Die ersten Opfer der illegalen Einwanderung sind die Ausländer, jene, die die gesetzliche Prozedur zur Integration durchlaufen haben. (...) Ihre Arbeitslosenquote beträgt über 20 Prozent. Für sie müssen wir kämpfen." Natürlich abstrahiert der neue Minister in seinen Ausführungen völlig von den bestehenden Diskriminierungn auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, die den Zugang für Personen ausländischer Herkunft oftmals erschweren.

Die linksliberale Wochenzeitung ,Charlie Hebdo' von diesem Mittwoch lässt Hortefeux dazu, in ihrer Karikatur, zu Recht sagen: "Meine Strategie: Die ausländischen Arbeiter gegeneinander aufstacheln. Mein Traum: Das die Schmutzarbeit der Jagd auf die Sans papiers durch Ausländer durchgeführt wird! Welche bessere Art, um sich zu integrieren, gibt es für einen Ausländer, als einen Ausländer zu denunzieren? Denunzieren war schon immer ein französischer Wert..." Bitterböse, aber in diesem Falle treffend!

DOKUMENTIERT:

Artikel über das neue "Ministerium für Immigration, Integration und nationale Identität", der exklusiv für die August-Ausgabe der Zeitschrift KONKRET verfasst wurde. Der Text erschien, leicht gekürzt, in KONKRET. Hier die ursprüngliche Langfassung

Ein Mann hält Wort: Im Wahlkampf hatte Nicolas Sarkozy lautstark versprochen, sich um die "nationale Identität" zu kümmern. Sein Schutzversprechen für die bedrohte Identität ging zwar eine merkwürdige Mischung mit einem anderen Diskurs des Kandidaten Sarkozy ein - dem wirtschaftsliberalen Register der "Öffnung zur Welt", das in Wirklichkeit vor allem auf die Herstellung nationaler Wettbewerbsfähigkeit für den Standortstaat Frankreich abzielte -, war aber durchaus ernst gemeint. Vor Arbeitern im Krisenbezirk der Ardennen versprach Sarkozy im Dezember Schutz vor den bedrohlichen äußeren Mächten und den Gefahren, die der französischen Identität drohten - und vor jungen Aufsteigern französischer Herkunft in London, die dort Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten im Paradies der neoliberalen Deregulierung nachjagen, beschwor er im Februar die Notwendigkeit der wettbewerberischen "Weltoffenheit". Dieses Amalgam machte die Erfolgsgrundlage des Präsidentschaftskandidaten Sarkozy aus.

Es blieb nicht bei leeren Versprechen. Bei der Regierungsbildung im Mai dieses Jahres, unter dem frisch ernannten Premierminister François Fillon, wurde ein eigenes Ministerium geschaffen, das laut amtlicher Bezeichnung für "Zuwanderung, Integration, nationale Identität und co-développement " - unter letzterem Begriff, wörtlich "gemeinsame Entwicklung", werden die Beziehungen zu den Herkunftsländern von Einwanderern gefasst - zuständig ist. Der offizielle Titel ist ein Bandwurmname, doch real hat sich in den Medien und im Politikerjargon längst die kürzere Bezeichnung "Ministerium für Immigration und nationale Identität" zuständig. Besetzt wurde es mit dem konservativen Hardliner Brice Hortefeux, seit 30 Jahren ein persönlicher Freund Nicolas Sarkozys und sein früherer Berater im Innenministerium.

Die Benennung des neu geschaffenen Ministeriums sorgte von Anfang an für eine Polemik. Sarkozy hatte den Namen erstmals am 8. März, während des Vorwahlkampfs, lanciert. In seinen Augen verkörpert der Titel die doppelbödige Aussage, dass einerseits Einwanderung die "nationale Identität" berühre und potenziell gefährde - andererseits aber jene Zuwanderer, die "dazu berufen sind, in Frankreich zu bleiben" und sich legal dort aufhalten, längerfristig "mit dazu beitragen, die Identität des Landes zu formen".

Nicolas Sarkozys Herangehen an die Einwanderung ist vor allem von Utilitarismus geprägt, also von der Fragestellung, wessen Aufenthalt in Frankreich aus Sicht des Staates und der nationalen Wettbewerbsfähigkeit nützlich ist - und wer umgekehrt kein Lebensrecht auf französischem Boden haben soll. Der Mann hält sich nicht lange mit Blut und Boden-Schimären auf, auch wenn er deren Anhänger mit seinen markigen Sprüchen und seinem angeblich "politischen Voluntarismus" ausstrahlenden Auftreten ebenfalls - überwiegend - für sich gewonnen hat. Stimmten doch bei den insgesamt vier Wahlgängen der Präsidentschafts- und der Parlamentswahlen in diesem Frühjahr annähernd drei Viertel der früheren Wähler Jean-Marie Le Pens nunmehr für Sarkozy und die Kandidaten seiner UMP. Der konservative Haudraufpolitiker hat es also erfolgreich geschafft, das Wählerpotenzial der extremen Rechten anzuzapfen. Diese Wähler spricht er damit an, dass er ihnen verspricht, die Staatsmacht notfalls rücksichtslos gegen jene einzusetzen, deren Anwesenheit nicht im nationalen Interesse sei. So fixierte er als Zielsetzung für seinen neuen Minister Hortefeux für das laufende Jahr eine feste Abschiebequote von 25.000 Personen, die es bis zum Ende 2007 au ß er Landes zu schaffen gelte - egal, um welche Menschen es dabei in den kommenden Monaten konkret gehen wird, wie ihr Schicksal aussieht und was die Gründe für ihren Aufenthalt in Frankreich sind. Ansonsten aber teilt Sarkozy nicht die ideologischen Grundlagen der Nationalistenromantik, sondern teilt die Menschen knallhart nach ökonomischem Nutzen ein.

In der zweiten Juliwoche forderte der neue Präsident etwa, dass Zuwanderungskandidaten künftig vor der Einreise stärker nach ökonomischem Nutzen gefiltert werden. Zur Zeit sind der größte Teil der legal Einreisenden Familienangehörige und Ehegatten von Franzosen oder "legal" in Frankreich lebenden Ausländerinnen. Nur 5 Prozent der neu erteilten Aufenthaltserlaubnisse hängen mit einer Arbeitsaufnahme zusammen. Präsident Sarkozy hat nun die Priorität aufgestellt, diese Proportionen müssten umgekehrt werden. Mindestens 50 Prozent der legalen Einreisen müssten an eine Arbeitsaufnahme gekoppelt sein, wobei ausschließlich für "Mangelberufe" und besonders gesuchte Qualifikationen Arbeitskräfte rekrutiert werden sollen. Im Umkehrschluss sollen sowohl die Aufnahme von Familienangehörigen als auch von Asylsuchenden begrenzt und zu diesem Zweck kontingentiert, d.h. nach einer jährlich vorab festgelegten fixen Quote bemessen werden. Die Gesamtzahl der aufgenommenen Zuwanderer soll dabei nicht wachsen, sondern kontinuierlich bleiben. Nicht so sehr Menschen sollen künftig kommen, sondern vorzugsweise nur Träger rarer Qualifikationen.

Die Idee eines Ministeriums "für Einwanderung und nationale Identität" sorgte unterdessen schon frühzeitig für Polemiken. Im März kam es anfänglich zu heftigen Abwehrreaktionen aus unterschiedlichen politischen Richtungen. Die KP-Politikerin Marie-George Buffet warf Sarkozy aufgrund der Verkoppelung der beiden Begriffe vor, "den ausländerfeindlichen und rassistischen Thesen Nahrung zu liefern". Aber auch der christdemokratische Kandidat François Bayrou distanzierte sich und argumentierte: "Die nationale Identität ist keine Angelegenheit für ein Ministerium. Wenn man ein paar Erinnerungen aus der französischen Geschichte hat, wenn man möchte, dass dieses Land zur Ruhe kommt, dann betreibt man keine Vermengung zwischen diesen beiden Begriffen." Er fügte hinzu: "Das Erste, was man tun müsste, ist, die Leute nicht gegeneinander aufzuhetzen, indem man glauben macht, die Nation sei bedroht."

In einem Leitartikel für die linksliberale Pariser Abendzeitung Le Monde vom 20. März erinnerte deren Zuwanderungsexperte, Philippe Bernard, an historische Lehren. Nachdem er feststellte, die Rede von der nationale Identität verweise allein noch keineswegs automatisch auf das Vichy-Regime, fügte er hinzu: "In Wirklichkeit hat allein Vichy administrative Strukturen entwickelt, um eine bestimmte Konzeption der ,nationalen Identität' zu verteidigen. Das im März 1941 geschaffen Generalkommissariat für Judenfragen entsprach, bevor es (später) zum Instrument der Vernichtungspolitik wurde, zunächst eher dem Ziel einer Reinhaltung der französischen Nation. (...) Das heutige Frankreich ist selbstverständlich nicht jenes von 1940, und die nationale Identität in der politischen Debatte von heute zu zitieren, ist nicht automatisch frevelhaft. Aber es ist auch nicht unschuldig. Dem Staat den Umgang mit einem wandelbaren Begriff anzuvertrauen, der niemandem im Besonderen gehört (...), die Nation auf die Zuwanderungsfrage zu reduzieren (...) bedeutet, das Risiko der Ausgrenzung und Willkür einzugehen. Denn das Organ, das Ministerium der Identität, wird die Funktion hervorbringen: das Sortieren zwischen den ,guten' und den anderen Einwanderern.  Der Karikaturist der liberalen Pariser Abendzeitung, ,Plantu', zeichnete um jene Zeit Nicolas Sarkozy regelmä ß ig in einem Hemd mit der Armbinde ,IN' (für , Identité nationale '), das verdächtig an jenes Braumhemd mit der Armbinde ,FN' erinnert, mit dem er den Chef des Front National schon vor 20 Jahren darstellte.

"Wenn der Staat sich in die Identität einmischt, ergibt das erschreckende Resultate, die mit der Demokratie unvereinbar sind" schätzt seinerseits der Historiker Gérard Noiriel, der soeben ein Buch über "Einwanderung, Rassismus und Antisemitismus in Frankreich" publiziert hat. "Dem Staat die Aufgabe anzuvertrauen, eine nationale Identität zu definieren, die nicht definierbar ist, bedeutet, einen gefährlichen Schritt zu unternehmen, der an Vichy erinnert", kommentierte ihrerseits die emeritierte Juraprofessorin (in Nanterre) Danièle Lockak.

In Gestalt der liberalen Zentrumspolitikerin - und Auschwitz-Überlebenden - Simone Veil kritisierte schon früh auch eine Repräsentantin des bürgerlichen Lagers, die die Kandidatur Nicolas Sarkozys zum höchsten Staatsamt unterstützte, diesen Vorschlag des Politikers. Veil bezeichnete ihn als "mehr denn unvorsichtig". Als sie am 16. März im Elysée-Palast vom scheidenden Präsidenten Jacques Chirac eine Auszeichnung entgegennahm, zeigte sie sich laut Medienberichten ziemlich verärgert über die Auslassungen Sarkozys über das von ihm geplante Ministerium. "Immerhin, ich glaube, er benutzt dieses Wort nicht mehr", erklärte sie aus diesem Anlass, nachdem die beiden bürgerlichen Politiker -- die sich später demonstrativ miteinander versöhnten -- am Tag zuvor eine Aussprach gehabt hatten. Und sie erklärte dabei: "Einwanderung und Integration hätte mir viel besser gefallen." In den folgenden Tagen schlug sie Nicolas Sarkozy vor, er möge seine neue Schöpfung doch lieber auf den Titel "Ministerium für Immigration und republikanische Integration" taufen. Doch nichts half: Auch nachdem Veil ihm ihre Meinung gegeigt hatte, fuhr Sarkozy in seinem Unternehmen fort. Am Abend des 15. März, wenige Stunden nach ihrer gemeinsamen Aussprach, hatte der Kandidat in seinem Redemanuskript die Formel vom "Ministerium für Einwanderung und republikanischen Identität" stehen. Doch bei seinem Live-Auftritt legte Sarkozy bei dieser Redepassage eine melodramatische Pause ein - und sprach dann doch wieder von der "nationalen Identität". Zwar versuchte Sarkozy, wie auch schon bei seinen vorangegangenen Auftritten, seinen Begriff der "nationalen Identität" mit bestimmten demokratischen Inhalten und Werten zu füllen: Die französische Identität, führte er etwa aus, seien die Republik oder die Gleichberechtigung der Frau, und wer diese bedrohe, "der hat in Frankreich nichts zu suchen". Aber diese semantische Operation konnte kaum täuschen, denn dabei handelt es sich durchaus nicht um das Spezifische einer bestimmten Nation, sondern eben weitaus eher um universelle Werte. Umgekehrt gibt es auch Franzosen, die Antidemokraten sind oder ihre Frau prügeln - und dieses Problem wird kaum durch Abschiebungen, die bei gebürtigen Franzosen rechtlich nicht möglich sind, in den Griff zu bekommen sein. 

Unter dem jetzigen Minister Hortefeux wird es nun in naher Zukunft realpolitisch vor allem eine Verschärfung der Regeln für den Familiennachzug von Einwandern gehen. Ein Entwurf dazu ist bereits am 13. Juni vorgestellt worden, im Laufe der sommerlichen Sondersitzung des Parlaments soll er - zusammen mit der ersten Welle der von Nicolas Sarkozy vorangetriebenen "Reformen" - verabschiedet werden. Demnach soll ein "legal" in Frankreich sich aufhaltender Zuwanderer seine Familienmitglieder (Ehepartner und Kinder) nur dann auf gesetzlichem Wege nach Frankreich holen können, wenn diese bereits im Herkunftsland ausreichende Französischkenntnisse und den "Respekt der Werte der Republik" nachweisen können. De facto dreht es sich hauptsächlich darum, zusätzliche Hürden zu errichten. Die beschworene Erfordernis der "Integration in die französische Gesellschaft" wird dazu benutzt, um das Gegenteil zu betreiben - nämlich eine Ausschlussma ß nahme, dergestalt, dass man eine wachsende Zahl von Personen gar nicht erst kommen lässt und ihnen damit  auch keine "Integrationschance" erteilt.

Aber die Schaffung des Ministeriums und seine Politik stö ß t nach wie vor auch auf erhebliche Widerstände, im akademischen und intellektuellen Milieu ebenso wie im Bereich der Selbstorganisationen von Immigranten und der Solidaritätsinitiativen. In wenigen Wochen soll, nach mehrfacher Verschiebung, im ehemaligen Kolonialmuseum an der Pariser Porte Dorée - einem Überbleibsel der Weltausstellung von 1931, bei der noch das Werk des französischen Kolonialismus gefeiert wurde und man ausgestellte "lebendige Kannibalen" bewundern konnte - eine Museums-, Forschungs- und Begegnungsstätte zur Geschichte der Immigration in Frankreich eingeweiht werden. Diese Cité nationale de l'histoire de l'immigration wird seit nunmehr zwei Jahren vorbereitet und soll die bisherigen offiziellen Institutionen des historischen Gedächtnisses entstauben und modernisieren helfen. Pech nur für die neue Regierung, dass unmittelbar nach der Schaffung des neuen Ministeriums unter Brice Hortefeux gleich acht von zwölf wissenschaftlichen Leitern des Projekts mit Pauken und Trompeten zurückgetreten sind, da sie die nunmehr staatsoffiziell gewordene Konzeption für untragbar halten. Ihr wichtigster Kopf ist Gérard Noiriel.

Am 27. Juni versammelten sich etwa mehrere Hundert Personen in der Ecole des hautes études en sciences sociales (EHESS), der intellektuellen Kaderschmiede für Sozialwissenschaftler im südlichen Pariser Zentrum. KONKRET war dabei. Aktivisten von Solidaritätsinitiativen mischten sich mit Akademikern, die zu Migration oder Postkolonialismus und verwandten Themen forschen, und politisch kampfwilligen Studenten. Debattiert wurde vor allem über einen Boykott zukünftiger Forschungsaufträge, die von dem Ministerium ausgingen, dessen Existenz viele schlechthin als illegitim betrachten. Erste Ausschreibungen haben übrigens bereits begonnen, die nach Auffassung der Kritiker einen Geist des Misstrauens und der Verdachtsschöpfung gegenüber in Frankreich niedergelassenen Einwanderern ausströmen. So soll eine ausgeschriebene Forschung die Bedingungen für die Ausreise abgelehnter Asylbewerber zum Gegenstand haben. Eine andere soll ergründen, warum Zuwanderer ausgerechnet einen Antrag auf die Übernahme der französischen Staatsbürgerschaft - und nicht einer anderen - stellen. Viele Debattenteilnehmer sehen in solcher Auftragsforschung einen Beitrag zur Erarbeitung von Herrschaftswissen, das später zur besseren Sortierung der erwünschten und der unerwünschten Einwanderer eingesetzt werden solle. Unter den Teilnehmern an der zehnstündigen Versammlung in der EHESS war die Boykottforderung daher höchst populär - fraglich nur, ob das in einem Kontext allgemeinen Mangels an Forschungsaufträgen längerfristig auch für die Mehrzahl ihrer Kollegen gilt.

Bernard Schmid, Paris, vom 02.08.2007


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