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Updated: 18.12.2012 15:51
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Kinder der Kolonisierten wehren sich - Aber ihre Initiative enthält auch einige strittige Punkte

Nicht nur in Ostasien wird zur Zeit heftig um Schulbücher gestritten: Auch in Frankreich sorgen vom Staat vorgeschriebene Geschichtsdiskurse für Konflikte.

Am 23. Februar 2005 wurde vom französischen Parlament eine äußerst fragwürdige gesetzliche Bestimmung verabschiedet. Das Brisante daran blieb zunächst unbemerkt, da es in einem Text zur Verbesserung der Situation ehemaliger Soldaten der Kolonialkriege »versteckt« ist. Ein Absatz des Gesetzes verpflichtet zukünftig Lehrer, Hochschuldozenten und Forscher ausdrücklich dazu, in ihrem Unterricht und ihren Schriften den »positiven Beitrag der französischen Präsenz in Übersee, und insbesondere in Nordafrika« hervorzuheben.

In Wirklichkeit hat die französische Kolonisierung vor allem dazu geführt, die Algerier, die auch nach Aussagen von Generälen, die an der Invasion teilnahmen, vor der Kolonialisierung mehrheitlich lesen und schreiben konnten, in eine Bevölkerung von Tagelöhnern und Analphabeten zu verwandeln. Auch ein Teil der französischen Öffentlichkeit bestreitet das nicht.

Deswegen laufen derzeit Menschenrechts- und Antirassismusgruppen Sturm, und viele Historiker und Lehrer protestieren heftigst gegen die Gesetzesbestimmung.

Das Gesetz bestärkt auch die Initiatoren einer neuen Bewegung, die im Februar dieses Jahres mit einem Gründungsaufruf unter dem ironisch-provokativen Titel »Wir sind die Eingeborenen der Republik« auf sich aufmerksam machten.

In dem Aufruf ziehen Nachkommen von Migranten, Mitglieder der Grünen oder von antirassistischen Initiativen eine Verbindungslinie zwischen dem Kolonialrassismus und der heutigen Behandlung der Einwanderer, von denen viele aus früheren Kolonien stammen.

Am 8. Mai wollen die »Eingeborenen der Republik« eine Demonstration veranstalten und im Juni einen Kongress. Die Demonstration am Gedenktag zur Befreiung vom europaweiten Faschismus soll auf den dialektischen Charakter dieses Datums im französischen Kontext hinweisen. Der Jahrestag des Kriegsendes in Europa ist in Frankreich ein offizieller Feiertag. Zugleich ist der 8. Mai 1945 aber auch jener Tag, an dem die französische Regierung rund 45 000 Menschen in mehreren algerischen Städten wie Sétif und Guelma massakrieren ließ, Menschen, die auf die Straße geströmt waren, um den Siegüber den Faschismus zu feiern. Am Krieg hatten hunderttausende Nordafrikaner als Fußvolk der französischen Armee teilgenommen.Die Urheber der Petition beziehen sich zugleich explizit positiv auf die französische Résistance und ihr Erbe.

Zu den sonstigen, absoluten Stärken ihres Textes gehört die sehr ausdrucksvolle Passage über Dien Bien Phu - in dieser vietnamesischen Stadt wurde 1954 das letzte Kontingent der französischen Kolonialarmee im Indochinakrieg besiegt: "Dien Bien Phu ist keine Niederlage, sondern ein Sieg für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit", und dies "für die gesamte Menschheit".

Dennoch ist die Petition, die von nationalistischer Seite heftig angefeindet wird (die "links"-patriotische Wochenzeitschrift "Marianne" machte etwa eine Titelstory dazu mit beispielloser Hetze auf, unter der Schlagzeile: "Jene, die ethnischen Krieg wollen"), auch in der linken französischen Öffentlichkeit umstritten. So verweigerte die undomgatisch-trotzkistische LCR bisher mehrheitlich ihre Unterstützung, da in dem Aufruf auch"feministische und laizistische Diskurse" als postkoloniale Herrschaftsinstrumente bezeichnet werden.

Auf einem Treffen Mitte April in der Pariser Trabantenstadt Nanterre, auf dem der Kongress im Juni vorbereitet werden sollte, wurde über diese Einschätzung gestritten. Auf dem Podium waren vorwiegend migrantische Frauengruppen wie Les Blédardes sowie die »Feministinnen für Gleichheit« vertreten, Ton angebend war ferner der Soziologe Said Bouamama aus Lille, der vor allem als Buchautor mit seiner scharfen Kritik am algerischen Islamismus bekannt wurde. Sie kritisierten keineswegs Laizismus und Feminismus als solche, sondern explizit nur jene Varianten, die - wie die vor zwei Jahren entstandene und mittlerweile zur klaren Satellitenorganisation der sozialdemokratischen Partei gewordene Frauenorganisation Ni Putes ni Soumises (Weder Huren noch Unterwürfige) - sich vor allem positiv auf die republikanischen Ideale des Staates beziehen, die Mehrheitsgesellschaft weitgehend beschönigen und ihre Kritik fast allein auf Frauenfeindlichkeit bei Moslems und in Unterschichtsvierteln fokussieren. Sie wurden etwa als "gutes Gewissen der weißen Mehrheit" bezeichnet, und dies nicht wirklich zu Unrecht.

Dennoch werden Klärungsprozesse und Abgrenzungen nötig bleiben, denn auch kommunitaristisch-religiöse Gruppen wie das Collectif des musulmans de France saßen zwar nicht auf dem Podium, aber im Publikum. Deren Kritik am Feminismus, den sie ebenfalls als postkoloniale Erscheinung betrachten, fällt dagegen weitaus genereller aus als jene der migrantischen Frauengruppen. In anderem Zusammenhang wurden erforderliche Trennungsstriche bereits gezogen. So wiesen die Initiatoren die Unterschrift des schwarzen französischen Theatermachers Dieudonné explizit wegen dessen antisemitischer Ausfälle zurück. Eine solch, inhaltlich begründete und notwendige Trennlinie ist begrüßenswert.

ANMERKUNG: EIne Kurzfassung erschien in "Jungle World" vom 27. April 05. Die in der redaktionellen Überschrift "Eingeborene auf Irrwegen" zum Ausdruck kommende Sichtweise teilt der Autor, trotz punktueller Kritik an dem Aufruf, jedoch nicht.

B.Schmid


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