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Updated: 18.12.2012 15:51
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Die drohende "Gesundheitsreform", nächste Stufe beim Sozialkahlschlag

Kapitel:

In den letzten zwei Monaten hat das französische bürgerliche Regierungslager in einigen sozial- und wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen verloren. So musste sie die Sparpolitik im Bereich der öffentlichen Forschung ­ während jene bei privaten Konzernen gefördert werden sollte - umstandslos zurücknehmen, nachdem im März zwei Drittel der Direktoren staatlicher Forschungseinrichtungen aus Protest zurückgetreten waren. Auch die Arbeitslosen haben in einem konkreten Kampf, vorläufig, gewonnen: Die Sparmaßnahmen auf Kosten der Erwerbslosen, die am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten waren, mussten zurückgenommen werden. Damit kam die Regierung allerdings nur ihrer gerichtlichen Annullierung zuvor. Denn seit einem viel beachteten Urteil eines Gerichts in Marseille vom 15. April, das Arbeitslose in ihre "verlorenen" Rechte wieder einsetzte, hat eine Serie von Urteilen die Sparbeschlüsse der Arbeitslosenkasse für klagende Betroffene aufgehoben. Die fraglichen Entscheidungen waren im Dezember 2002 im Aufsichtsrat der Arbeitslosenkasse durch eine Koalition aus den Arbeitgeber-Vertretern und der rechtssozialdemokratischen Gewerkschaft CFDT angenommen worden. Daraufhin hatte eine Regierungsverordnung sie für rechtsverbindlich erklärt. Doch die Beschlüsse wiesen erhebliche Form- und Rechtsmängel auf. Am 11. Mai dieses Jahres hat der Conseil d¹Etat, das oberste Verwaltungsgericht, sie denn auch insgesamt für rechtswidrig erklärt und annulliert.


Die nächste Etappe beim Abbau des Sozialsystems

Doch die sozialen Bewegungen und die linke außerparlamentarische Opposition sollten sich nicht auf diesen Teilerfolgen ausruhen. Denn die Serie antisozialer, neoliberaler "Reformen" geht unterdessen weiter. Auch das Herannahen der Europaparlamentswahlen am kommenden Sonntag sorgt dabei nicht für eine Pause, da die Regierungsparteien ihre Erfolgschancen bei dieser Wahl wohl ohnehin "abgeschrieben" haben. Sie setzen freilich alles daran, damit das Desinteresse an den EU-Wahlen möglichst stark und die Wahlbeteiligung möglichst niedrig bleibt. Aber das "Reformieren" muss erbarmungslos weitergehen. Das "Zeitfenster" muss genutzt werden, weil nach dem 13. Juni keine weiteren Wahltermine für die nächsten drei Jahren in¹s Haus stehen. Da es politisch ungeschickt ist, unpopuläre Entscheidungen in den letzten anderthalb bis zwei Jahren vor wichtigen Wahlterminen ­ Präsident und Parlament werden voraussichtlich im Frühjahr 2007 wieder gewählt ­ zu treffen, sollen jetzt in den kommenden Monaten noch möglichst viele "soziale Grausamkeiten" über die Bühne gebracht werden.


Die Privatisierung von EDF und GDF ­ und die Reaktionen

Zwei größere "Reform"-Baustellen hat die Regierung derzeit in Angriff genommen. Die erste betrifft die Privatisierung der beiden Energieversorgungs-Unternehmen EDF (Electricité de France) und GDF (Gaz de France). Laut Vorstellung der Pläne von Wirtschafts- und Finanzminister Nicolas Sarkozy sollen die bisher öffentlichen Betriebe mit Sonderstatus "lediglich" in privatrechtliche Unternehmen umgewandelt werden ­ "aber nicht privatisiert", so behauptet die Regierung, da ja weiterhin der Staat größter Anteilseigner bleibe. Das freilich ist Augenwischerei, denn erstens handelt es sich dabei lediglich um ein Übergangsstadium, und zweitens kommt es auf die Funktionslogik der Energieversorgungsbetriebe (Rentabilitätskriterien oder öffentliche Dienstleistungen?) an und nicht darauf, wem nominell die Eigentumstitel gehören.

Bei EDF hat die mit Abstand stärkste Gewerkschaft, die CGT, ein handfestes Problem. Denn die Organisation war hier Jahrzehnte lang derart tief in einen dichten Filz (unter anderem auch Atomfilz!) eingesponnen, dass sie nunmehr tendenziell erpressbar ist. So wurde im April dieses Jahres der zentrale Betriebsrat von EDF ­ der ein Milliardenbudget an sozialen und anderen Dienstleistungen verwaltet - polizeilich durchsucht. Die Ermittlungsbehörden waren auf der Suche nach Dokumenten zu vermuteten Mittelhinterziehungen und "fiktiven" Beschäftigungsverhältnissen. Das Problem ist, dass es unter LinksgewerkschafterInnen seit längerem ein offenes Geheimnis ist, dass es tatsächlich massive Hinterziehungen u.a. mittels Schein-Beschäftigungsverhältnissen über den EDF-Betriebsrat gegeben hat. Auf diesem Wege wurde die französische KP finanziert, vor allem auch, nachdem diese, spätestens mit ihrer Regierungsbeteiligung ab 1997, massiv an Mitgliedern verlor. (Der frühere Chef der CGT Energie, Denis Cohen, erhielt 1999 einen Listenplatz bei der KP zur Europaparlamentswahl.) Das war natürlich auch in Regierungs- und anderen Kreisen bekannt. Die polizeilichen Durchsuchungen jetzt können als eine Art Warnschuss vor den Bug gelten.

Dennoch zeigt sich die CGT, die unter massivem Druck ihrer Basis steht, bisher zur scharfen Ablehnung und zum Protest gegen die geplante EDF- und GDF-Privatisierung bereit. Nach erfolgreichen Großdemonstrationen, zuletzt am 27. Mai in Paris (rund 80.000 Beschäftigte), haben viele CGT-Angehörige und andere EDF-Mitarbeiter weitere Protestaktionen unternommen. So kam es zu "wilden" Stromabschaltungen während der Demonstration am 27. Mai. Aber auch am Montag dieser Woche (7. Juni) schalteten Beschäftigte von der CGT-Energie zur Warnung an mehreren Orten den Strom ab. Dabei kam es zu Stromausfällen in mehreren Pariser Bahnhöfen (Gare du Nord, Gare de Lyon, Gare Saint-Lazare).

Insbesondere kam es von 3.30 bis 8.30 Uhr zu einem Totalausfall der Stromversorgung an der Gare Saint-Lazare, über die u.a. der Pendlerverkehr in alle westlichen und nordwestlichen Vorstädte und Vororte von Paris (sowie der Fernverkehr in einen Großteil Westfrankreichs) läuft. Dadurch waren allerdings 500.000 Fahrgäste überraschend blockiert, die teilweise nicht begeistert davon waren. Die Boulevardpresse nutzt dies zum Anlass für pauschale Hetze, insbesondere das rechte Boulevardblatt "France Soir" tobt und geifert. Am Dienstag machte es mit dem Titel "Sévice public" (ungefähr: Öffentliche Quälerei, statt "service public" für öffentlichen Dienst) auf, und an den Zeitungskiosken konnte man die Käufer dieses Hetzblatts über diese "ewig streikenden, privilegierten Öffentlich-Bediensteten" schimpfen hören. Möglicherweise war es taktisch unklug, dass die EDF-Gewerkschafter "statt dem Direktion oder auch den (Arbeitgeberverband) MEDEF den Strom abzustellen, die Bahnbenutzer ausbaden lässt", wie "France Soir" genüsslich feststellt. (Nicht, dass es den Redakteuren deswegen einfiele, es richtig zu finden, den MEDEF zu bekämpfen.... Aber die Stoßrichtung ist vielleicht dennoch nicht falsch.)

Amüsanter dagegen ist, dass EDF-Beschäftigte am selben Montag im südfranzösischen Bezirk Lot in die Residenz des Abgeordneten der konservativen Regierungspartei UMP, Michel Roumegoux, eindrangen und ihn vom Stromnetz abkoppelten. In einem Interview mit "France Soir" schäumt der arme Parlamentarier herum.

Bis zum 15. Juni, an dem das Gesetz zur Änderung des EDF-Statuts in¹s Parlament eingebracht werden soll, hat die derzeit federführende CGT (und mit ihr andere Gewerkschaften und Beschäftigte) weitere "Nadelstich"- und andere Aktionen versprochen. Wirtschafts- und Finanzminister Nicolas Sarkozy, der am Dienstag (8. Juni) das EDF-Hochhaus in der Pariser Geschäftsvorstadt La Défense besuchte, wurde dort ein heißer Empfang bereitet. Von der ersten Minute an war er mit Sprechchören gegen die Privatisierung konfrontiert.   


Die "Gesundheitsreform" und ihre Rechtfertigung

Die zweite angedrohte "Reform" betrifft die gesetzliche Krankenversicherung. Ebenso wie der bisherige Status der Energieversorgungsunternehmen, ist auch die herkömmliche Sécurité sociale ein Erbe jener Periode unmittelbar nach der Befreiung 1944, in der die KP an der Regierung beteiligt war und ein relativer antifaschistischer Konsens herrschte.

Am Abend des 17. Mai verkündete der konservativ-liberale Gesundheitsminister Philippe Douste-Blazy ­ den einige Medien bereits auf "Douste-Blabla" getauft haben ­ im Fernsehen einige Grundzüge des Reformpakets. Dabei darf man allerdings getrost davon ausgehen, dass man noch nicht alles kennt, sondern dass vielmehr im Sinne einer Salamataktik vorgegangen wird. Für "Mitte Juni", also kurz nach den Europaparlamentswahlen, ist die Vorstellung des Gesetzesentwurfs zur "Gesundheitsreform" im Kabinett angekündigt; bis zur Sommerpause Ende Juli soll es dann im Parlament verabschiedet werden. Aber viele Einzelmaßnahmen werden in den kommenden Jahren hinzu kommen.

Gerechtfertigt wird die Notwendigkeit, zu "reformieren", dass es raucht, mit dem angehäuften Defizit der Krankenkasse. Dieses Defizit von derzeit 13 Milliarden Euro ist allerdings größtenteils durch künstliche Zurückhaltung von Mitteln verursacht, und vor allem dadurch, dass der Staat als besonders säumiger Zahler seine Schulden bei den Sozialkassen nicht begleicht. Auch die Nachlässe an Sozialabgaben für die Unternehmen, die seit den frÜhen Neunziger Jahren 100 Milliarden Euro erreichen, haben zur Verknappung der Ressourcen der Krankenkasse beigetragen. Nur zum Vergleich: Als im April dieses Jahres dem französischen Pharmakonzern Sanofi-Synthélabo die Übernahme des größeren Konkurrenten gelang, blätterte er 55,3 Milliarden Euro auf den Tisch. Davon verfügte er über 23 Milliarden in Euro in bar, der Rest kommt aus Bankkrediten. Die für solche Übernahmen verfügbaren Profite der Pharmaindustrie sind offenkundig ­ bei einem einzelnen Konzern! - um ein mehrfaches höher, als das gesamte "Loch" der gesetzlichen Krankenversicherung.


Die bisher bekannt gegebenen Eckpunkte der "Reform"

1990 hatten die damalige sozialdemokratische Minderheitsregierung, zusammen mit den Konservativen und gegen die Stimmen der KP, eine "CSG" (contribution sociale généralisée) genannte Sondersteuer eingeführt. Darüber sollten die Steuerpflichtigen, und nicht mehr nur die Beitragzahler ­ um nämlich die Betriebe zu entlasten ­ zur Finanzierung der Sozialversicherung herangezogen werden. Im Laufe der folgenden Jahre wurde die CSG sukzessive erhöht, vor allem durch die konservative Regierung von Alain Juppé 1995/96. Jetzt steht eine erneute Erhöhung in¹s Haus. Nach dem, was Douste-Blazy im Fernsehen ankündigte, soll sie allerdings nicht Lohn- und Gehaltsempfänger treffen, sondern die steuerpflichtige Hälfte der Rentner, die künftig stärker zur Kasse gebeten wird. Zwei Tage nach seinem Fernsehauftritt kündigte der Minister dann allerdings an, dass doch auch Lohnabhängige mehr zu bezahlen haben. Zwar wird die nominelle Höhe der CSG nicht angetastet, dafür aber ihre Bemessungsgrundlage erweitert: Bisher wurde die Sondersteuer auf 95 % des Lohns erhoben, künftig auf 97 %. Das soll eine Milliarde Euro pro Jahr einbringen.

Eine neu zu begründende "Hohe Gesundheitsbehörde" soll einen "Arzneimittel-Warenkorb" definieren; was nicht hinein fällt, soll künftig durch die gesetzlichen Krankenversicherungen nicht mehr erstattet werden. Das wird damit gerechtfertigt, dass der medizinische Nutzen bestimmter Arzneimittel nicht erwiesen sei; deswegen vom Markt genommen werden sollen sie allerdings nicht. Die Mitglieder des Gremiums sollen in Bälde von Präsident Jacques Chirac ernannt werden.

Jene Mediziner, die zu oft krank schreiben, sollen künftig vom Gesundheitsministerium direkt bestraft werden können. Lohnabhängige, die zu gerne krank feiern, sollen ihrerseits dazu verpflichtet werden, ihre Lohnerstattung den Krankenkassen zurückzuzahlen. Das Bild könnte in naher Zukunft dadurch abgerundet werden, dass der Arbeitgeberverband MEDEF derzeit mit der Regierung über seine Rückkehr in den von den "Sozialpartnern" besetzten Aufsichtsrat der Krankenkasse ­ den er vor einigen Jahren verlassen hatte ­ verhandelt. Als Bedingung möchte der MEDEF für sich aushandeln, dass er künftig den für die Anerkennung von Arbeitsunfällen und Berufskrankenheiten zuständigen Zweig der Krankenkasse kontrollieren kann. Dann könnte an allen Fronten zur Jagd auf "Faulenzer und Simulanten" geblasen werden.

Eine ähnliche Philosophie scheint die Regierung im übrigen zu teilen, denn Douste-Blazy hat im Fernsehen angekündigt, einen neuen fälschungssicheren Sozialversicherten-Ausweis einzuführen. Die bisher gültige grüne Plastikkarte, die "Carte vitale", soll durch einen neuen Plastikausweis mit Foto ersetzt werden. Die dahinter stehende Logik: Es würde zu viel Missbrauch betrieben, und zu viele Leute würden sich Leistungen durch gefälschte Karten erschleichen. Nach den bisher vorliegenden Untersuchungen wären allerdings die Kosten für die Einführung des neuen Dokuments, 200 Millionen Euro, erheblich höher als die paar Millionen, die tatsächlich an Leistungen "erschlichen" werden. Es kommt offenkundig nicht auf die tatsächliche Wirkung an, die in diesem Fall weniger zu Einsparungen als zu Geldverschwendung führt, sondern auf eine Logik der Verdächtigung.

Bei jedem Arztbesuch soll künftig eine höhere Eigenbeteiligung anfallen. Pro Arztvisite soll spontan eine, nicht erstattete, Eigenbeteiligung in Höhe von einem Euro anfallen. Soweit jedenfalls, was Douste-Blazy im Fernsehen ankündigte. Denn im Laufe der Diskussionen mit den "Sozialpartnern" über die Reform kündigte der Staatssekretär im Gesundheitsministerium, Xavier Bertrand, in der Nacht vom 24. zum 25. Mai an, die Summe werde lediglich auf das Jahr 2005 auf einen Euro festgelegt. Danach wird der künftig durch die Regierung zu ernennende Direktor der Krankenkasse, der nicht mehr ­ wie bisher ­ an die Vorgaben der "Sozialpartner" im Aufsichtsrat gebunden sein wird, die Höhe der Eigenbeteiligung frei ansetzen können.

Mehr bezahlt werden soll auch für einen Krankenhausaufenthalt. Davon hatte Douste-Blazy bei seinem Fernsehauftritt am 17. Mai nicht gesprochen, doch am 20. Mai waren nähere Details dazu aus der Presse zu erfahren. Demnach wird die Eigenbeteiligung pro Tag im Krankenhaus von derzeit 13 auf künftig 14 Euro erhöht. Man muss dazu aber wissen, dass dieselbe Beteiligung bei Amtsantritt der jetzigen Regierung, im Frühjahr 2002, noch bei 10,65 Euro pro Tag gelegen hatte.

Und die Widerstände dagegen?

Die nächste antisoziale "Reform" ist angekündigt - damit ist klar, dass potenziell auch mit Widerständen und Protesten zu rechnen ist. Dabei muss allerdings das Gewicht der Niederlage vom Frühsommer 2003, als die Regierung trotz zwei Millionen DemonstrantInnen auf der Straße die regressive "Reform" des Rentensystems rücksichtslos durchgezogen hat, berücksichtigt werden. Berücksichtigung finden muss ferner, dass keine größere Gewerkschaft bisher Interesse daran zeigt, zu einem tatsächlichen Massenprotest wie im vorigen Jahr aufzurufen oder gar zu einem Generalstreik (den die großen gewerkschaftlichen Dachverbände auch 2003 nicht wollten, der aber damals aus einem Teil der sozialen Bewegung heraus massiv gefodert wurde).

Das gilt auch für die Führung der CGT: Einerseits will diese keine tiefe politische Krise auslösen, solange die Parlamentsopposition ­vor allem die Sozialdemokratie, welcher sich die CGT seit 2001/02 spürbar angenähert hat ­ nicht vorbereitet erscheint, um als "realistische Alternative" bereit zu stehen. Andererseits vertritt die CGT, wie manch andere Gewerkschaften, Eigeninteressen in den "mutuelles" ­ das sind aus dem gewerkschaftlichen Genossenschaftswesen hervor gegangene Zusatzversicherungen. Der Rückbau der gesetzlichen Krankenversicherung, den die Regierung plant, wird teilweise die Rolle dieser "mutuelles" verstärken. Aber sie wird eben gleichzeitig auch Tür und Tor für private Versicherungskonzerne öffnen, was (neben anderem) Sinn und Zweck der ganzen Übung ist.

Innerhalb der CGT gibt es aber eine erhebliche Bereitschaft, an der Basis und auch seitens ganzer Branchengewerkschaften, an Aktionen gegen die "Reform" teilzunehmen. Eine Reihe von CGT-Sektionen nehmen an stadtteil- oder bezirksweit organisierten "Kollektiven gegen die Krankenkassenreform" teil. An ihnen sind daneben i.d.R. auch die Lehrergewerkschaft FSU, die linken Basisgewerkschaften SUD, die KP und die trotzkistisch-undogmatische LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) beteiligt. Auf politischer Ebene sind letztere beide Partei an Bemühungen, die regressive "Reform" zu kritisieren und Alternativen aufzuzeigen, beteiligt. Am 2. Juni hielten die KP, die LCR, die Grünen sowie die linke Stiftung "Fondation Copernic" eine gemeinsame Pressekonferenz zum Thema ab. Die Sozialdemokraten dagegen zogen es vor, sich fernzuhalten.

Am vorigen Samstag hatte die CGT, im Zusammenspiel mit der FSU und dem sonst eher "unpolitischen" Gewerkschaftsverband UNSA, eine Demonstration gegen die "Reform" angesetzt. Das Datum war freilich problematisch, denn für denselben Nachmittag war seit mehreren Monaten eine linke Demo gegen den Staatsbesuch von George W. Bush angesetzt. "Zum ersten Mal fallen eine <gewerkschaftliche> und eine <politische> Demonstration von höchster Bedeutung auf einen Tag", verwunderte sich auch die Pariser Abendzeitung "Le Monde". Manchem Gewerkschaftsfunktionär war diese drohende Terminkonkurrenz wohl ganz recht... Die Anti-Bush-Demonstration wurde dann aber von ihren Initiatoren auf den frühen Abend verschoben, während die Demo zur Krankenkasse auf 14 Uhr angesetzt war.

Im Endeffekt nahmen dann tatsächlich auch viele Gewerkschafter der CGT und SUD an beiden Demos teil, und marschierten mit ihrer symbolisch angesteckten Carte Vitale (das ist der grüne Plastikausweis der Sozialversicherten; eine leicht abgewandelte Fassung findet derzeit reißenden Absatz als Protest-Anstecker) auch gegen Bush. An beiden Demonstrationen beteiligten sich je 15.000 bis 20.000 Menschen, wobei der Altersdurchschnitt der Anti-Bush-Demo sehr viel jünger und ihr Charakter sehr viel dynamischer ausfiel.

An gewerkschaftlichem Publikum waren bei der Demo für das Gesundheitssystem vor allem die CGT (zu über 70 Prozent), die FSU und SUD stärker vertreten. Dagegen brachten die teilweise rechtspopulistische Force Ouvrière (FO) und die eher "pro-reformerische" CFDT höchstens 500 Personen auf die Beine. Für FO ist das peinlich, da diese Organisation fast drei Jahrzehnte lag die Krankenkasse verwaltete (von 1967 bis 1996, bevor ihr die Leitungsposition im paritätisch besetzten Aufsichtsrat durch eine "Pro-Reform"-Koalition aus Arbeitgeberverbänden und sozialliberaler CFDT entzogen wurde und an die CFDT ging), aber stark beim Personal der Krankenkasse verankert bleibt. Unter verbalradikalem Anstrich hatte FO stets bei der Krankenkasse vor allem auch ihre Apparat-Eigeninteressen verteidigt, da in den Jahrzehnten zwischen 1967 und 1996 faktisch ein bedeutender Teil des FO-Hauptamtlichenapparats durch die Krankenkasse bezahlt worden ist - dank Personalidentität zwischen tatsächlichen FO-Funktionären und "nominalen" leitenden Angestellten der Krankenkasse. Anscheinend kann Force Ouvrière jetzt nicht mal mehr gegen eine drastische "Reform" der Krankenkasse, die eines ihrer traditionellen Hauptthemen betrifft, vernünftig mobilisieren.  

Zu handfesten Auseinandersetzungen kam es am Rande der Demo zwischen der anarcho-syndikalistischen CNT und dem Ordnerdienst der CFDT.

Bernhard Schmid (Paris)


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