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Updated: 18.12.2012 15:51 |
Vorsicht vor falschen Freunden Beim Referendum über die EU-Verfassung versucht auch die extreme Rechte zu fischen Alles, was rechts ist, wird wach: Im Vorfeld des französischen Referendums über den EU-Verfassungsvertrags, das am 29. Mai 05 stattfinden wird, macht auch die nationalistische, rassistische und extreme Rechte aller Schattierungen mobil. Einige Kräfte dieses Spektrums sehen in der Abstimmungskampagne sogar eine Gelegenheit, ihre Organisationen zu neuem Leben zu erwecken oder vor dem bis dahin sicheren Niedergang zu erretten. Um Missverständnisse auszuschließen: Es ist keineswegs das nationalistische bis rechtsextreme Spektrum allein, das sich an der Debatte um den Verfassungsvertag beteiligt, bei der seit circa einem Monat das "Nein" klar in Führung liegt (derzeit würden 55 Prozent den Vertragstext ablehnen). Und die Gegenstimmen, die dazu aufrufen, bei der Abstimmung mit Nein zu votieren, kommen zahlenmäßig mehrheitlich aus dem linken und gewerkschaftlichen Bereich; der mit Abstand größte Gewerkschaftsverband des Landes (die CGT) beschloss etwa am 2. Februar mit über 82prozentiger Mehrheit, eine "Nein"-Kampagne zu führen. Deren Motive sind völlig anderer Natur als jene der Rechtsextremen. Dennoch ist die Abstimmungskampagne auch für letztere eine günstige Gelegenheit, erneut an das Licht der Öffentlichkeit zu treten. Dabei versucht die extreme Rechte, dem Referendums-Wahlkampf inhaltlich ihren eigenen Stempel zu verpassen. Denn die Themen, an denen sie ihre Ablehnung des Verfassungsvertrags festmacht, sind schwerpunktmäßig andere als die der sonstigen Gegner des Verfassungsvertrags. Die Frage des türkischen EU-Beitritts: Brennglas für Ressentiments Vollkommen im Vordergrund steht dabei die Frage eines zukünftigen türkischen EU-Beitritts. Diese Frage steht in Wirklichkeit überhaupt nicht zur Abstimmung, doch lässt sie sich besonders gut instrumentalisieren, um Ressentiments zu entfachen und zu mobilisieren. Besonders deutlich wird dies beim Mouvement national républicain
(MNR, National-republikanische Bewegung) unter Bruno Mégret. Der
MNR, der aus der Spaltung des Front National der dominierenden rechtsextremen
Partei von 1999 hervor ging und damals die Mehrzahl der Parteifunktionäre
und Intellektuellen mitnahm, ist in der Folgezeit aufgrund schlechter
Wahlergebnisse in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Zur Zeit versucht
er, die Aufmerksamkeit während der Abstimmungskampagne zu nutzen,
um ein Comeback einzuläuten. Am 18. März stellte Bruno Mégret
bei einer Pressekonferenz die Kampagne seiner Partei vor, die unter dem
Motto: "Für Doch nicht nur die faschismusähnliche extreme Rechte, sondern auch die Nationalkonservativen und rechtsbürgerlichen EU-Skeptiker rund um Graf Philippe de Villiers versuchen derzeit die Debatte um den Verfassungsvertrag weitgehend auf die "Türkei-Frage" zuzuspitzen und zu polarisieren. Dadurch wurde auf der Rechten ein derartiger Wirbel verursacht,
dass auch die konservative Regierungspartei UMP unter ihrem neuen Parteichef
Nicolas Sarkozy jetzt in ihrer Abstimmungskampagne explizit das Ja zum
Verfassungsvertrag mit einem Nein zur Aufnahme der Türkei verbindet.
(Siehe dazu ausführlich: http://www.blaetter-online.de/artikel.php?pr=2012
)
. Dem entgegen steht jedoch die bisher explizit geäußerte Zustimmung
von Staatspräsident Jacques Chirac (UMP) zugunsten eines Beitritts
der Türkei. Die nationalistische und extreme Rechte sucht daher dieses
künstlich hochgepuschte Thema weiterhin bis zum Gehtnichtmehr auszuweiden.
In seinem Fernsehauftritt vom Donnerstagabend, 14. April ging Präsident
Chirac darum sogar ausführlich auf dieses Thema und kam den Ressentimentträgern
dabei weit entgegen: Einerseits erklärte er, es sei "nicht das
Problem, dass die Türkei ein moslemisches Land" ist, und begründete
ihre mögliche künftige Aufnahme damit, "dass Europa bevölkerungsreicher
und größer" werden müsse. Andererseits adressierte
er aber auch "den Türken" die Aufforderung: "Es liegt
an Euch, Europäer zu werden, Euch zu reformieren". Und er setzte
ausdrücklich hinzu: "Heute sind die Werte, die Lebensweise und
die Funktionsweise der Türkei mit unseren Werten unvereinbar."
Dieser Hinweis auf die "Lebensweise" in dem Land am Bosporus
hat eine klar kulturelle Komponente. Und sie hat nichts mit einer (nur
zu berechtigten) Kritik an der dort noch immer verbreiteten Folter oder
den jüngsten pogromartigen Massenausschreitungen gegen Kurden und
Linke in verschiedenen Landesteilen, nachdem 12jährige in der kurdischen
Stadt Mersin eine Nationalfahne angezündet hatten, zu tun. Damit
kommt Chirac den chauvinistisch-religiösen Der Front National: Sozialdemagogie und Profilierung als "Protestpartei" Andere Akzente setzt der Front National. Im Unterschied
zum MNR, der neben der Nation auch die "europäische Zivilisation"
und "regionale Identitäten" positiv besetzt, ist der FN
ideologisch weitgehend auf die Verteidigung des klassischen Nationalstaats
festgelegt. Und anders als der MNR, der immer wieder bisher vergeblich
an potenzielle Bündnispartner im konservativen Die sozialen und wirtschaftlichen Fragen, die ansonsten
die Referendumskampagne beherrschen, da die linke und gewerkschaftliche
Kritik vor allem das im Verfassungstext festgeschriebene "neoliberale
Wirtschaftsmodell" betrifft, spielen bei der extremen Rechten im
allgemeinen Ausblick: Vorsicht vor falschen Freunden! Wenn sich am 29. Mai eine Mehrheit für die Ablehnung ausspricht, dann wird das keineswegs nur an der extremen Rechten liegen. Sehr viele "Nein"-Stimmen werden aus ganz anderen Richtungen kommen, und dafür gibt es im übrigen ausgezeichnete gute Gründe. Beispielsweise den Artikel I-41, der eine Militarisierung der EU vorsieht (er schreibt die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten fest, ihre Rüstungsausgaben zu erhöhen) und zudem noch die Union an die NATO ankoppelt. Im wirtschaftlichen Bereich sind die Bestimmungen des Vertragstexts (aus dem dritten Kapitel), die von progressiver Seite angeprangert werden, Legion. Doch umgekehrt wird die extreme Rechte versuchen, dieses
Resultat als ihren Erfolg auszugeben und auf diesem "Verdienst"
aufzubauen - zu ihren eigenen Gunsten. Bereits im Februar 05 (als freilich
noch kaum die Vorgeplänkel des Abstimmungskampfs begonnen hatten)
wurde eine Umfrage durchgeführt, in der die Wahlbürger erklären
sollten, welche politische Persönlichkeiten in ihren Augen am besten
die Ablehnung des Verfassungsvertrags verkörpern. An erster Stelle
wurde der sozialdemokratische Ex-Premierminister Laurent Fabius (23 %)
genannt, der aber dicht von Jean-Marie Le Pen (21 %) gefolgt wurde. Erst
an dritter Stelle folgte der nationalkonservative Rechtskatholik Graf
Philippe de Villiers (14 %), der freilich bisher real auf der Rechten
am aktivsten gegen die EU-Verfassung gewesen ist. Dabei hatte Le Pen sich
in der Öffentlichkeit fast gar nicht zur bevorstehenden Abstimmung
geäußert, zumal er im Februar 2005 mehrere Wochen lang im Krankenhaus
lag. Aber gegebenenfalls wird er sich sicherlich ohne Zögern auch
mit fremden Federn Die konservative Regierung versucht im Übrigen, die
Debatte in den letzten Wochen vor der Abstimmung in einer Weise zu kanalisieren,
die es quasi erlauben soll, die nationalistisch motivierte Ablehnung von
rechts zur einzigen Opposition aufzubauen: In der 14-tägigen offiziellen Auf der anderen Seite wird die "Ja"-Kampagne auf
alle wichtigen staatstragenden Parteien des Establishments verteilt: die
konservative Regierungspartei UMP, die christdemokratische (und mit einem
Bein dem Regierungslager angehörende) UDF, die französische
Sozialdemokratie und die Dabei zwang nichts und niemand die Regierung zu einer solchen
Aufteilung. Jedenfalls sprechen keinerlei logische Gründe dafür.
Man hätte im Prinzip zwei unterschiedliche Kriterien festhalten können:
Entweder die Frage, ob eine Partei im nationalen Parlament (das nach dem
Mehrheitswahlrecht bestimmt wird) vertreten ist oder nicht; oder aber
die Wahlergebnissen beim Das Resultat des ganzen Vorgang ist jedenfalls, dass das
sozial motivierte (und nicht nationalistische) "linke Nein"
zur EU-Verfassung im offiziellen Abstimmungskampf allein durch die KP
vertreten wird, die aber in einem Drei-zu-Eins-Verhältnis durch die
rechten bis rechtsextremen Vertragsgegner übertönt werden wird.
Die französische KP hat nun ihrerseits ihre Absicht Deswegen gilt es, einerseits nicht die falsche Alternative,
welche die konservative Regierung aufbauen will ("Entweder seid Ihr
für den Verfassungsvertrag, oder Ihr müsst auf der Seite Le
Pens stehen") zu akzeptieren und sich darin einschließen zu
lassen. Die Raffarin-Regierung Bernhard Schmid (Paris), 15. April 2005 |