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Updated: 18.12.2012 16:00
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'FRANCE SOIR' - Streik bei der Boulevardzeitung hält (noch) an. Oder: Entdecken BoulevardjournalistInnen den Klassenkampf ?

Der Übernahmekampf zwischen einem Antisemiten und einem Waffenhändler wurde entschieden

Eine Tageszeitung ohne Politikteil, ohne Kulturseiten und ohne Dokumentationsarchiv: Dieses Vorhaben kann immerhin für sich beanspruchen, konsequent zu sein. Seine Betreiber zeigen damit mehr als deutlich, welchen Stellenwert sie der Information in ihrem Blatt beimessen. Ihr erklärtes Vorbild sind im Übrigen die britische Sun und die deutsche Bild -Zeitung (Quelle externer Link), auch wenn diese nicht in allen einzelnen Punkten nachgeahmt werden sollen.

Der ehemalige Sportjournalist Olivier Rey und der Immobilienmakler Jean-Pierre Brunois haben die, in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckende, Boulevardzeitung France Soir aufgekauft. Am 12. April erhielten sie vom Handelsgericht in Lille den Zuschlag dafür, nachdem der Vorsitzende des Gerichts die sonstigen vorliegenden Übernahmeangebote als unseriös eingestuft hatte. Von 112 Festangestellten der Zeitung und zwanzig «festen freien Mitarbeitern» wollen die beiden nur noch 51 übernehmen, unter ihnen keinen einzigen der bisherigen Beschäftigten der Rubriken Politik, Fotoarchiv und Dokumentation. Ein wahrhaft radikales Programm.

Stattdessen soll es Sport geben sowie Lotterien und Pferdewetten - und vor allem « People -Journalismus», also Klatsch und Tratsch über Prominente. Montag soll es zudem eine Beilage zu Sportthemen geben, am Donnerstag eine Wellness-Beilage, am Freitag eine weitere zum Thema «Banlieue». Vom Kulturteil soll nur noch eine große Fernsehseite übrig bleiben, denn, so Olivier Rey: «Kultur? Ich weiß nicht, was das ist, ich bin Sportjournalist.» Sein Kompagnon Brunois sekundiert, dass er nicht vor habe, jemanden von der Zeitung zum diesjährigen Filmfestival von Cannes zu schicken: «Leute, die zu so etwas motiviert sind, werden sich schon darum kümmern.» Bezüglich der Demonstrationen gegen den Ersteinstellungsvertrag (CPE) im Februar, März und April 2006 erklärte Rey, er hätte dieses Thema ausschließlich abgedeckt, indem er über die «Gewalttäter» und über die Handydiebstähle am Rande der Demonstrationen berichtet hätte.

Sein Übernahmepartner Brunois seinerseits rühmt sich, «mit mehreren Minister auf per Du» zu stehen. Anlässlich einer Redaktionssitzung, wo das Duo Rey/Brunois durch die Redaktionsmitglieder befragt werden konnte, stellte jemand daraufhin listig die Frage: «Dürfte unsere Zeitung dann etwa über die intimen Momente zwischen (Arbeits- und Sozialminister, Anm.) Jean-Louis Borloo und (der Fernsehjournalistin und Ehefrau Borloos, Anm.) Béatrice Schönberg berichten?» Olivier Rey antwortete sofort, ohne zu zögern: «Ja klar!», eine Gelegenheit witternd, Klatsch und Tratsch zu verbreiten. Dagegen zog Brunois schnell die Bremse und merkte an: «So weit würden wir dann doch nicht gehen.» So weit denn doch nicht, weil in diesem Falle unter dem Klatsch und Tratsch immer noch eine Information durchschimmern würde: Borloo ist Minister für Arbeit und Soziales, und die Ministergattin Béatrice Schönberg ist die Haupt-Nachrichtensprecherin des öffentlichen Fernsehsender France 2 (die etwa allabendlich über die Demonstrationen gegen den CPE und die «Bemühungen der Regierung» berichtete). Da könnte man ja dann doch noch potenziell kritische Fragen stellen..., weshalb dies auf jeden Fall besser kein Thema bleiben sollte. Regenbogenjournalismus ja, aber er soll bitte nichts von der gesellschaftlichen Wirklichkeit durchschimmern lassen.  

Aber selbst beim Sport könnte es inhaltlich ziemlich eng werden, denn, so wiederum Rey: «Wir werden doch nicht ein Fußballspiel abdecken, um zu erzählen, dass Juninho in der 73. Minute einen Freistoß ins Tor bekommen hat. Das haben die Leute längst im Fernsehen verfolgt. Mich interessiert, in welche Disko die Spieler nach dem Match ausgegangen sind, und ob Juninho sich eine Nutte genommen hat.» Und weil's so schön war, führt er bei anderer Gelegenheit gleich noch mal aus: «Ich will wissen, wer Juninho einen geblasen hat.»

Dabei hätte Olivier Rey zumindest in Sachen Sport eine journalistische Vita vorzuweisen: Von 1977 bis 79 war er bereits einmal für die Sportseiten von France Soir tätig. Später, 1989, kaufte er für umgerechnet 300.000 Euro das Fußballmagazin But! (Tor!) auf, das er dann 2003 für nunmehr 1,8 Millionen verscherbelte. In der Zeit dazwischen bändelte er mit dem windigen Geschäftsmann und Millionenpleitier Bernard Tapie an, dem zeitweiligen Besitzer des Fußballclubs OM (Olympique de Marseille). Doch im Laufe der Jahre scheint Olivier Reys Interessenschwerpunkt sich vom eigentlichen Kern des Sports entfernt zu haben - zugunsten des Business' drumherum.

Die Geschichte eines Niedergangs

Tief ist France Soir gesunken. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die Zeitung durch Teilnehmer der Résistance gegründet und zunächst durch Pierre Lazareff geleitet worden, 1949 wurde sie jedoch verkauft. Anfang der sechziger Jahre erreichte die Zeitung über eine Million, zeitweise sogar fast zwei Millionen Auflage. France Soir war damals eine große «volkstümliche» Zeitung: politisch eher rechts orientiert, gleichzeitig verständlich geschrieben und tendenziell populistisch. Die Zeitung kippte aber auch damals nie in ein derartiges Genre um, wie es die britische Boulevardpresse und die westdeutsche Bild -Zeitung prägte und prägt, aber in Frankreich im Grunde nie wirklich Fuß fassen konnte. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Einer davon dürfte im aus der Aufklärung herübergeretteten Bildungsideal der französischen Bourgeoisie liegen, die lange Zeit großen Wert auf Allgemeinbildung und Wissen legte. Bezogen auf France Soir kommt als spezifischer Grund hinzu, dass das Blatt zur Mitte der sechziger Jahre eine andere Zeitung schluckte, Paris-Presse unter Philippe Barrès. Diese stand zwar politisch deutlich rechts und vertrat etwa während des Algerienkriegs betont militaristische Positionen (vgl. zu diesem Punkt http://www.stratisc.org/Faivre_9.htm externer Link), stand aber jedem primitiven Populismus in der Form feindlich gegenüber, und sei es aus einem elitären Anspruch heraus.

In Frankreich wurde das Entstehen einer erfolgreichen Regenbogenpresse zunächst auch dadurch verhindert oder erschwert, dass ein Pressegesetz aus dem Jahre 1970 den Schutz der Privatsphäre in den Vordergrund stellte. Die Zeitungen wurden eine Zeit lang effektiv daran gehindert, intime Berichte über das Privatleben von Prominenten zu veröffentlichen, die durch die Entwicklung der Fototechniken erleichtert worden wären. Schließlich nahm, vor allem seit den neunziger Jahren, dann doch eine Schmuddelpresse ihren Aufschwung, in Gestalt der schmierigen Magazine Voici oder Gala oder des Revolverblatts Le Nouveau Détective. Hinzu kommt, mit etwas höherem Anspruch und einer längeren Tradition als buntes Reportageblatt ausgestattet, noch Paris Match . Aber diese Regenbogenpresse, die heute auch immerhin auf eine Gesamtauflage von 2,5 Millionen kommt, entwickelte sich stets außerhalb und getrennt von der «Informationspresse» der Tageszeitungen und Wochenmagazine.

Auch die beiden größeren Boulevardzeitungen hielten Jahrzehnte hindurch ein Niveau aufrecht, das um Lichtjahre von dem der Titten-, Sensations- und Hetzblätter wie The Sun , Daily Mirror oder Bild entfernt blieb. Da gab und gibt es erstens Le Parisien: Diese vor allem in der Pariser Region verbreitete Zeitung, die im übrigen Frankreich unter dem Titel Aujourd'hui erscheint, hatte ursprünglich ein bürgerliches Profil, gewann aber in den achtziger Jahre einige Leser der früheren kommunistischen Parteipresse aus der Arbeiterschaft hinzu. Dies zunächst aus dem banalen Grund, dass die KP-Tageszeitung L'Humanité aus drucktechnischen Gründen am Freitag keine Lottozahlen enthielt. Doch damals, und noch bis Mitte der neunziger Jahre hinein, war diese Zeitung derart dogmatisch und parteihörig, dass die LeserInnen - einmal entwöhnt - in der Folgezeit dann eher beim Parisien blieben... Aus diesem Grunde nimmt letztere Tageszeitung bis heute auf unterschiedliche politische Empfindlichkeiten in ihrer Leserschaft Rücksicht, und nimmt daher keine zu scharfen Positionen ein. Gleichzeitig ist ihre Berichterstattung zu sozialen Themen ziemlich ausgeprägt und eher kritisch. Daneben kann sie auf den Vorteil verweisen, relativ einfach geschrieben zu sein und die Leserschaft häufig in Form von 'Micro-trottoirs' genannten Spontanumfragen, mit Namen und Foto, zu Wort kommen zu lassen. Daher kann die Zeitung immer noch Leser aus unterschiedlichen politischen Richtungen anziehen. Ab und zu gibt es dann noch ein Gefälligkeitsinterview mit dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen, das weitgehend umkommentiert abgedruckt wird wie zuletzt am 8. April dieses Jahres - denn Le Pen hat gerade in den sozialen Unterschichten ein solides Sympathisantenpotenzial. Die Zeitung selbst macht sich dessen Thesen aber nicht zu eigen. Auch das zweite Boulevardblatt, der selbst weiter rechts angesiedelte France Soi r, hatte - bisher jedenfalls - immerhin noch ein Niveau, das sich positiv von dem der britischen oder deutschen Gossenpresse abhob.

Der Niedergang setzte für France Soir in den späten siebziger Jahren ein. Damals, der konservative Pressemagnat Robert Hersant ( Le Figaro ) hatte die Zeitung 1976 aufgekauft, wurde ihr Erscheinen über mehrere Jahre hinweg durch aufeinanderfolgende und länger andauernde Streiks beeinträchtigt. Die Auflage sank zunächst auf rund 400.000. Später dann geriet das Blatt durch die Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien wie des Internet, wo man sich ebenfalls schnelle Information «auf einen Blick» besorgen kann, und das Auftauchen der Gratiszeitungen wie 20 minutes und Métro in die Enge. Eingekeilt zwischen dem Fernsehen, dem Internet und den kostenlos verteilten Zeitungen, konnte France Soir nicht mehr so einfach mit relativ anspruchslosen Informationsartikeln trumpfen. Vor zwei Jahren dümpelte die Tageszeitung bei einer Auflage von nur noch 60.000 herum. Im Oktober vorigen Jahres kam dann auch noch ein heftiger Konflikt mit den Druckereien in Südfrankreich hinzu, so dass das Blatt in der südlichen Landeshälfte nicht mehr ausgeliefert wurde. Seit Monaten wurden daher nur noch 35.000 Exemplare verkauft.

Auf der Suche nach Übernahmekandidaten

In dieser Situation traten mehrere Übernahmekandidaten auf den Plan. Bereits seit Jahren wechselte France Soir mehrfach den Besitzer: Zunächst kaufte der italienische Pressekonzern Poligrafici das Blatt, 2004 wurde es an den ägyptisch-christlichen Geschäftsmann Raymond Lakah weiter veräußert. Ende Oktober vorigen Jahres musste die Zeitung dann ihre laufenden Zahlungen einstellen, am 31. Oktober 2005 wurde das Konkursverfahren eröffnet. Ein neuer Übernehmer wurde verzweifelt gesucht. Es gab ein paar Kandidaten, von denen der eine France Soir in eine Zeitung für - seiner Auffassung nach anscheinend schlecht Französisch sprechende - Immigranten, der andere in eine Regionalzeitung verwandeln wollte. Aber es keimte der Verdacht auf, vielen der Kandidaten gehe es nur darum, sich die in absehbarer Zeit fällige Verkaufssumme für das frühere Redaktionsgebäude von France Soir (in Höhe von 22 Millionen Euro) unter den Nagel zu reißen und sich dann aus dem Staub zu machen.

Das Blatt versuchte sich durch journalistische «Coups» über Wasser zu halten, mit Sensationsberichterstattung während der Unruhen in den französischen Banlieues im November 2005 etwa. Auch durch den frühzeitigen Abdruck der umstrittenen Mohammed-Karikaturen aus Dänemark, zu Beginn der heftigen internationalen Polemik im Januar und Februar dieses Jahres, versuchte die Tageszeitung nochmals die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch es fehlte immer noch an einem Geldgeber.

Der Waffenhändler und der Antisemit

Dann fand sich doch noch einer, aber ihm haftete ein ziemlich übler Geruch an. Der Geschäftsmann Arkadi (oder Arcadi) Gaydamak hatte bis dahin in Frankreich vor allem durch seine Rolle in einem illegalen Waffendeal, die im Jahr 2000 aufflog, Aufmerksamkeit gewonnen. Der Geschäftsmann Pierre Falcone hatte damals in großen Mengen Waffen in das afrikanische Bürgerkriegsland Angola geliefert, wo er gleichzeitig einen Anteil an der Erdöl- und Diamantenproduktion erwarb. Im Hintergrund standen der ehemalige nationalkonservative französische Innenminister Charles Pasqua und dessen rechte Hand Jean-Charles Marchiani - Pasquas politische Karriere ist mittlerweile beendet, und Marchiani wurde aufgrund verschiedener Affären im Dezember zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Aber auch der Präsidentensohn Jean-Christophe Mitterrand hatte bei Falcone die Hand aufgehalten und bekam in der Folgezeit mächtige Scherereien mit der Justiz und dem Finanzamt.
(Vgl. http://www.lexpress.fr/info/france/dossier/financement/dossier.asp?ida=425365 externer Link)

Gaydamak war damals der wichtigste Mitarbeiter von Pierre Falcone. In Frankreich wurde und wird er wegen seiner Beteiligung an dem Waffendeal polizeilich gesucht, seit dem Jahr 2000 liegt ein internationaler Befehl des Richters Philippe Courroye gegen ihn vor. Ferner wurde der Geschäftsmann zur größten Steuernachzahlung aufgefordert, die es je in der französischen Geschichte gegeben hat, rund 80 Millionen Euro. Daraufhin flüchtete er nach Israel, dessen Staatsbürgerschaft er neben jener Russlands, Kanadas und Angolas besitzt. Die dortige Justiz weigerte sich, Gaydamek nach Frankreich auszuliefern, aber auch, ihn im Amtshilfeverfahren zu vernehmen. Denn, so ein Schreiben der israelischen Staatsanwaltschaft vom 02. Mai 2001 (vgl. http://fr.wikipedia.org/wiki/Arcadi_Gaydamak externer Link), gegen das ihm vorgeworfene Delikt des Waffenhandels gebe es keine spezielle Gesetzgebung in dem Land - dessen High-Tech-Industrie eine wichtige Rolle auf den internationalen Rüstungsmärkten spielt. Und Geldwäsche sei dort zwar auch strafbar. Aber das Gesetz dagegen wurde erst nach der «Angolagate-Affäre» verabschiedet, so dass, wie in allen Demokratien, das Rückwirkungsverbot des Strafrechts greift. Doch später wollte Gaydamek sich dem Militärdienst entziehen und ging zurück nach Moskau, wo er geboren worden war.

Heute ist Gaydamak, dessen Privatvermögen auf 800 Millionen bis eine Milliarde Euro geschätzt wird, unter anderem Besitzer der Nachrichtengesellschaft Moscow News. Diese wiederum bot sich zu Anfang dieses Jahres an, sechs Millionen Euro in France Soir zu investieren, aber auch die Schulden der Zeitung - in bisher unbekannter Höhe - zu tilgen und ihre sämtlichen Mitarbeiter weiter zu beschäftigten. Allerdings wollte Gaydamek, der selbst aufgrund der Strafverfolgungen gegen ihn nicht nach Frankreich einreisen kann, sich über seine Firma nur für ein Jahr festlegen. Da Gaydamak als einziger Übernahmekandidat die Bewahrung aller Arbeitsplätze versprach, bildete die Perspektive seines Einstiegs dennoch für die Mehrzahl der Beschäftigten bei France Soir die rettende Planke, an die sie sich verzweifelt klammerten. Die Mitarbeiter der Zeitung und ihre Personalvertreter favorisierten vor dem Handelsgericht den Aufkauf durch den russischen Mafiosi. Allerdings vergeblich, denn die Richter wollten die Bürgschaft durch eine russische Bank - die United Regional Bank, angeblich die 33. Bank Russlands in der Rangfolge ihrer Bedeutung - nicht gelten lassen und forderten eine französische Bürgschaft von Gaydamak.

Das Duo Rey und Brunois dagegen war der Belegschaft von Anfang an verhasst, da die beiden nur kaum die Hälfte der Belegschaft zu übernehmen versprachen. Gleichzeitig sorgten ihre Sprüche aber auch für einen handfesten Skandal in der Öffentlichkeit. Olivier Rey hatte sich Ende vorigen Jahres in der Redaktion mit den Worten angepriesen: «Ich, ich bin Savoyarde, kein Jude. Ich bin kein Dieb.» Damit hatte er sich wohl mit dem denkbar schlechtesten aller Argumente gegeüber Gaydamak zu profilieren versucht, nicht das kritisierend, was Gaydamak in seinem Leben tat und wofür er verantwortlich war, sondern auf seine Herkunft abzielend. So standen nunmehr der Waffenhändler auf der einen Seite, der Rassist und Antisemit auf der anderen Seite zur Auswahl.

Seine skandalträchtigen Äußerungen wurden erstmals durch die von den France Soir -Beschäftigten gedruckte Streikzeitung «France Soir - Résistance » am 14. April veröffentlicht. Dort blieben sie zunächst eher unbemerkt, wurden dann aber durch die linksliberale Wochenzeitung Charlie Hebdo aufgegriffen und ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Damit bekam das Plädoyer von Jean-Pierre Brunois einen ekligen Beigeschmack, nachdem dieser vor Gericht für sein Projekt mit den Worten geworben hatte: «Man muss eine noble und notwendige Form von Populismus moralisch rehabilieren». Da half dann auch die Begründung nicht mehr, Rey beleidige ohnehin allen und jeden: «Er setzt (das Wort) 'Depp' statt eines Kommas, und 'Dummkopf' statt eines Ausrufezeichens», stand dazu in der Streikausgabe von France Soir ...

Verbindungen zur extremen Rechten?

In diesem Zusammenhang wurde auch über mögliche Verbindungen von Olivier Rey zur extremen Rechten gemunkelt (vgl. http://www.francesoirenlutte.com/2006/04/26/enfin-quelquun-qui-defend-olivier-rey/ externer Link). Einige Journalisten von France Soir wurden in der Öffentlichkeit mit den harschen Worten zitiert: «Mit Rey werden wir zur ersten rechtsextremen Tageszeitung». Das ist aber unrichtig, denn mit der 1982 gegründeten Présent verfügt zumindest eine Fraktion innerhalb der extremen Rechten - ihr ultrakatholischer Flügel - bereits seit längerem über eine eigene Tageszeitung, die freilich aufgrund ihres religiösen Sektierertums ein Schattendasein führt. Es überschätzt auch die Stringenz der Ideen eines Olivier Rey: Dieser greift zwar durchaus Topoi auf, die zur Hetze der extremen Rechten gehören, wäre aber kaum in der Lage, eine ideologisch kohärente Tageszeitung zu machen, die den Ideenbedarf einer politischen Strömung - und sei sie rechtsextrem - bedient.

Prüft man genauer nach, dann stellt sich heraus, dass der Vorwurf der Beziehungen zur extremen Rechten daraus resultiert, dass Olivier Rey in den neunziger Jahren Geschäftsbeziehungen zu einem gewissen Nicolas Miguet unterhielt. Rey hatte um die Mitte des vorigen Jahrzehnts zunächst versucht, eine eigene neue Sonntagszeitung unter dem Titel ' Votre dimanche'(Ihr/Euer Sonntag) zu lancieren. Das Projekt scheiterte jedoch finanziell, und Rey verkaufte es an den Geschäftsmann Nicolas Miguet weiter. Es handelt sich um denselben Investor, der 1995 die bankrott gegangene Tageszeitung ' Le Quotidien de Paris ' aufkaufte und ein gutes Jahr lang heraus brachte. In jener Zeit versuchte Miguet auf sehr offensichtliche Weise, die ehemals bürgerliche Tageszeitung wieder flott zu machen, indem er auf die Wählerschaft der extremen Rechten (immerhin 15 Prozent) als Leserpublikum spekulierte: In fast jeder Ausgabe wurden ständig Parteistatements und Stellungnahmen des rechtsextremen Front National übernommen und abgedruckt, dessen Prominente wurden interviewt. Die Spekulation, dessen Wähler zu Lesern machen zu können, ging jedoch nicht auf. Und die Kader des Front National betrachteten Miguet in der Regel als Hochstapler und windigen Geschäftsmann. ' Le Quotidien de Paris ' ging ebenso pleite, wie ' Votre dimanche ' sich als Rohrkrepierer erwies. Nicolas Miguet versuchte sich in der Folgezeit in der Politik, als bürgerlicher Kandidat mit rechtspopulistischen Parolen; seine Liste 'Weniger Steuern jetzt' erhielt bei den Europaparlamentswahlen 1999 gut 1,5 % der Stimmen und verschwand dann wieder in der Versenkung. Heute gibt er mehrere Börseninformationsdienste für ein gutgläubiges Publikum von Kleinanlegern heraus.

Sollte Olivier Rey nun eines Tages gelingen, woran Miguet de facto scheiterte, indem er auf die Konkursmasse einer größeren Tageszeitung wie France Soir zurückgreifen kann? Zumindest bei den Kadern der extremen Rechten dürfte er mit dem Anspruch, eine Zeitung ohne Politikteil herzustellen, keine größeren Sympathien ernten. Aber als nützlichen Idioten könnten sie ihn vielleicht betrachten, sofern er Erfolg haben sollte.

Boulevardjournalisten entdecken den Klassenkampf

Am 12. April hat das Handelsgericht im nordfranzösischen Lille in erster Instanz zugunsten des Duos Rey/Brunois entschieden. Der Prozess war hierher, in die Nähe der belgischen Grenze, verlagert worden, weil vor dem zunächst eingeschalteten Pariser Handelsgericht ein Befangenheitsantrag erhoben worden war: Der dortige Vorsitzende Richter ist in einer anderen Rechtssache Partei, bei der es um die Fluggesellschaft Euralia geht - diese steht im Besitz des vormaligen Eigentümers von France Soir , Raymond Lakah. Kaum war das Urteil von Lille bekannt geworden, ging ein Aufschrei durch die Redaktion.

Seitdem sie in Eigenregie ihre mit 'Résistance' übertitelte «Notausgabe» vom 14. April heraus gaben, befinden sich die Beschäftigten von France Soir im Streik, die Zeitung ist seither nicht mehr erschienen. Und dabei sind plötzlich in France Soir , zumindest in dieser auch auf den Demonstrationen vom 1. Mai verteilten Streikausgabe, völlig neue Töne zu vernehmen. Hetzte die Tageszeitung bis dahin regelmäßig gegen Streikbewegungen, die schon mal öfter durch Terminologie, Wortspiele und Assoziationen in die Nähe islamistischer Terroristen gerückt wurden, so wird nunmehr der Kampf für soziale Rechte als eine prima Sache dargestellt. Die Streikausgabe publiziert auf einer Doppelseite Aussagen von Unterstützern: Aus dem politischen Bereich sind, von der KP-Chefin Marie-George Buffet über mehrere sozialdemokratische Politiker bis zum undogmatischen Trotzkisten Olivier Besancenot, fast ausschließlich prominente Linke vertreten. Diese kritisieren zwar zum Teil explizit die bisherige Berichterstattung von France Soir , geißeln jedoch das Übernahmeprojekt von Rey/Brunois und üben vernichtende Kritik an der Idee einer Zeitung ohne Politik und ohne Kultur. Natürlich kritisieren sie auch die drohende Vernichtung der Arbeitsplätze.

So sehr weit her scheint es mit dem urplötzlichen Linksruck unter den Mitarbeitern der Boulevardzeitung dennoch nicht zu sein. Am 1. Mai nahm zwar ein Block aus der Belegschaft an der Pariser Maidemonstration der Gewerkschaften teil, wo man bisher vermutlich vergeblich nach Mitarbeitern von France Soir gesucht hätte, von den Druckern vielleicht abgesehen. Aber der Selbstversuch des Verfassers dieser Zeilen beweist: Auf dort verteilte Flugblätter gegen die derzeit von Innenminister Nicolas Sarkozy betriebene drastische Verschärfung der Ausländergesetzgebung (der Gesetzentwurf wurde am vorigen Mittwoch, 17. Mai, in erster Lesung durch die französische Nationalversammlung angenommen) reagierten manche Mitarbeiter eher allergisch. Während einige weibliche Mitarbeiterinnen von France Soir sich verständnisvoll und offen zeigten, wollten mehrere männliche Beschäftigte der bedrohten Zeitung von Solidarität in dieser Hinsicht überhaupt nichts wissen.

Eine Minderheit von «Arbeitswilligen» aus der Belegschaft - an die zwanzig laut Olivier Rey, nur fünf nach Angaben der streikenden Redaktion - versuchten Ende April vorübergehend, die Absperrungen der Streikposten zu überwinden und eine Ausgabe von France Soir in Druck zu geben. Sie konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Daraufhin klagten die «Arbeitswilligen» lautstark, sie würden durch die streikende Mehrheit «als Geisel genommen». Diese dumme Begrifflichkeit, also die Bezeichnung eines Streiks als «Geiselnahme», war bisher bei jedem Streik in den öffentlichen Diensten auf der Titelseite von France Soir benutzt worden, um die Arbeitsniederlegung anzuprangern. Sollte sie jetzt zum Boomerang geworden sein?`

Das Ende vom Lied

Am vorigen Dienstag, 16. Mai entschied das Berufungsgericht im nordfranzösischen Douai in zweiter Instanz, dass dem Übernahmeangebot des Duos Rey/Brunois der Zuschlag zu erteilen sei. Die Belegschaft und ihre Anwälte konnten sich nicht durchsetzen. Nicht zuletzt deshalb, weil Gaydamak seiner Ankündigung, eine größ ere Summe auf ein Sperrkonto in Frankreich zu überweisen und dadurch eine finanzielle Garantie bereit zu stellen, nicht nachgekommen war.

Einige Journalistinnen und Journalisten haben nun bereits begonnen, ihre Sachen zu packen und den derzeitigen Sitz der Radaktion in der Parisier Vorstadt Aubervilliers zu räumen. Auch einige derjenigen Mitarbeiter, die Rey und Brunois für die neue Redaktion übernehmen möchten, erklären, sie seien nicht bereit, an einem solchen Projekt mitzuwirken. Sie werden ihre «Tendenzschutzklausel» (clause de conscience, wörtlich 'Gewissensklausel') wirken lassen, die es im französischen Recht allen JournalistInnen erlaubt, im Falle einer Änderung der Orientierung ihrer Zeitung das Arbeitsverhältnis aufzukündigen - und dabei durch die Arbeitslosenversicherung so behandelt zu werden, als seien sie entlassen worden. (Normalerweise hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer selbst aus freien Stücken gekündigt hat.)

Brunois seinerseits möchte jetzt «so schnell wie möglich» die Zeitung wieder herausbringen. Demnächst soll sie an einem neuen Standort produziert werden, der statt in der Arbeitervorstadt Aubervilliers - wohin die Redaktion aufgrund der günstigen Mieten gezogen war - im prestigereicheren und teureren Pariser Westen liegen soll. Doch der neue Sitz ist noch nicht bezugsfertig, so dass Brunois plant, vielleicht schon ab der laufenden Woche neue Ausgaben in Aubervilliers zu erstellen. Falls er denn genügend Leute findet, die überhaupt nocht mitmachen.

Bernard Schmid, Paris, 22.05.2006


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