Home > Internationales > Frankreich > Arbeitskampf > Transport > flughafen_bs | |
Updated: 18.12.2012 15:51 |
Französische Flughäfen: Polizei als Streikbrecher gegen Sicherheitsbedienstete eingesetzt. Gesetzentwurf gegen Streikrecht im Flugverkehr wird Ende Januar 12 debattiert werden. Es dürfte wohl ziemlich dicht am Limit des gesetzlich Erlaubten liegen, doch es wird entgegen einem anfänglich Dementi durchgeführt: Polizistinnen und Polizisten ersetzen seit dem Vormittag des heutigen Tages - 22. Dezember 11 - streikende Sicherheitsbedienstete am Pariser Flughafen Roissy-Charles de Gaulle. Die ersten Einheiten von Grenzschutzpolizei, PAF (Police aux frontières), und CRS (d.h. kasernierter Bereitschaftspolizei) trafen am heutigen Morgen dort ein. Am siebten Tag des Streiks von Sicherheitsbediensteten des Großflughafens werden die Sicherheitskontrollen für Flugpassagiere nunmehr durch uniformierte Beamte durchgeführt; vgl. http://lci.tf1.fr/economie/social/aeroports-la-police-et-les-crs-en-place-pour-les-fouilles-a-roissy-6892862.html und http://www.lemonde.fr/societe/article/2011/12/21/pas-d-appel-aux-forces-de-l-ordre-pour-remplacer-les-grevistes-mercredi-matin_1620965_3224.html#ens_id=1620167 Nun könnte man der Auffassung sein, dass dieses Vorgehen illegal sei: Jedem Arbeitgeber ist es in der Tat gesetzlich verboten, bislang nicht in seinem Dienst stehende Personen als Aushilfskräfte einzustellen, um einem Arbeitskampf zu begegnen oder ihn auszuhebeln. Auch öffentliche Arbeitgeber, also staatliche Strukturen, handelten diesem gesetzlichen Verbot in der Vergangenheit zuwider. Die französische Post wurde etwa vor nunmehr einem guten Jahrzehnt gerichtlich verurteilt, weil sie Leiharbeiter/innen in Paris als Streikbrecher eingesetzt hatte. Was aktuell am Pariser Flughafen Roissy praktiziert wird, liegt noch unterhalb der gesetzlichen Verbotsgrenze, aber dicht davor. Denn der Staat ist nicht selbst der Arbeitgeber der seit nunmehr einer Woche streikenden Lohnabhängigen. Historisch war dies zwar der Fall gewesen, doch die Sicherheitskontrollen an den französischen Flughäfen sind just im Jahr 2001 privatisiert worden - und hier liegt just ein Teil der Problemursachen begründet. Zuvor war die Grenzpolizei PAF selbst für die Abwicklung der Sicherheitskontrollen zuständig gewesen. Der Staat kann also, als vermeintlich jenseits der "Arbeitgeber"-"Arbeitnehmer"-Beziehung stehende Ordnungskraft, im Namen der "Aufrechterhaltung des Verkehrs" eingreifen. Dass er jedoch eigene Bedienstete - die im Falle der betroffenen Polizeibeamten und -beamtinnen im Übrigen selbst kein Streikrecht besitzen - als Ersatzarbeitskräfte einsetzt, dürfte rechtlich zumindest Diskussionsstoff liefern und fragwürdig erscheinen. Die Gewerkschaft Force Ouvrière (FO, Profil: verbalradikal-schillernd) hat bereits lautstark die Rolle der Polizei als "Streikbrecher" angegriffen und zu Recht festgestellt, es handele sich "um einen Angriff auf das Streikrecht in privaten Unternehmen"; vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2011/12/21/97002-20111221FILWWW00363-la-police-briseuse-de-greve-fo.php Am gestrigen Mittwoch war aus dem Innenministerium zunächst noch ausdrücklich dementiert worden, dass es dazu kommen werde. Zu dem Zeitpunkt schien der Streik, der Ende vergangener Woche noch an mehreren Orten in Frankreich geführt wurde (Paris-Roissy, Paris-Orly, Lyon, Nizza) und an mehreren Flughäfen zu örtlichen Verspätungen und vereinzelt zum Streichen von Flugbverbindungen führte, abzubröckeln. Am Flughafen von Lyon etwa wurde am gestrigen Mittwoch vermeldet, dass nunmehr alle von dort abgehenden Flüge zu 100 % gesichert seien; http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2011/12/21/97001-20111221FILWWW00472-100-des-vols-assures-jeudi-a-lyon.php - Doch in Roissy wurde gleichzeitig bekannt, dass eine Fortführung des Streiks für den heutigen Donnerstag verlängert worden sei; Es scheint ein - inszenierter oder realer - Wutausbruch von Präsident Nicolas Sarkozy am Kabinettstisch, während der mittwöchlichen Regierungssitz, gewesen zu sein, welcher den Ausschlag für ein unmittelbares staatliches Eingreifen gab; vgl. auch Die Leibes- und Sicherheitskontrollen an französischen Flughäfen sind im Jahr 2001 privatisiert und an mehrere unterschiedliche Privatfirmen vergeben worden. Seitdem herrschen dort nicht nur oft schlechte Arbeits- und Lohnbedingungen (circa 1.200 Euro netto bei Nacht- und Sonntagsarbeit, erhöhter Stress durch eine in jüngere Zeit um 20 Prozent erhöhte Anzahl zu kontrollierender Passagiere, daraus resultierende Spannungen mit Fluggästen. - vgl. ausführlich http://actu.orange.fr/une/outre-de-meilleurs-salaires-les-agents-de-surete-reclament-le-respect-afp_386318.html ), sondern noch dazu unterschiedliche Bedingungen je nach Arbeitgeber. Und für Anfang des kommenden Jahres 2012 wurde eine erneute Erhöhung der Anforderungen erwartet, vgl. dazu http://moreas.blog.lemonde.fr/2011/12/21/greve-dans-les-aeroports-la-police-prise-en-otage. / Viele der betroffenen Lohabhängigen kommen aus armen Haushalten des Pariser Umlands und Migrant-inn-enfamilien. Die Lohnabhängigen an den Flughäfen wie in Paris-Roissy und -Orly waren zunächst lediglich in Ausstand getreten, um dieselben Arbeitsbedingungen zu fordern, wie sie die Beschäftigten in Marseille-Marignane bereits aufweisen. Auf ihre Forderungen hin wurde mit einer strikten Verweigerung eventueller Verhandlungen geantwortet. Nur aus diesem Grund weitete sich der Arbeitskampf in der Vorweihnachtszeit aus, statt in etwaige Verhandlungsrunden zu münden. Eine Vertreterin der CGT, Christine Hamiami, erklärte dazu: "Unsere Arbeitgeber machen sich über uns lustig." Die offene Ausübung von Druck durch Regierungspolitikerin - die Haushaltsministerin Valérie Pécresse etwa forderte explizit und ultimativ "die Beendigung des Streiks" und sprach (mal wieder) von einer "Geiselnahme der Fluggäste", vgl. etwa http://www.lefigaro.fr/flash-eco/2011/12/20/97002-20111220FILWWW00321-aeroportspecresse-veut-la-fin-de-la-greve.php - bezeichnete der sozialdemokratische Oppositionspolitiker Michel Sapin hingegen als "Umkehrung der Rollen": "Wo es notwendig wäre, Druck auf die Arbeitgeber auszuüben (um sie zu Verhandlungen zu bewegen) wird stattdessen Zwang auf die Beschäftigten ausgeübt ", erklärte er in Radio Classique. Die linksliberal-grüne Präsidentschaftskandidatin Eva Joly antwortete auf diese Situation daraufhin mit dem Vorschlag, "vor der Eröffnung eines Streiks" eine "Pflicht zu Verhandlungen" einzuführen, vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2011/12/19/97001-20111219FILWWW00291-greve-joly-pour-lobligation-de-negocier.php - Dieser Vorstoß ist jedoch inhaltlich mindestens zweischneidig, da er sich auch in eine faktische Einschränkung des Streikrechts und dessen Umwandlung in eine Ultima Ratio, ein "allerletztes Mittel", wie in der deutschen Rechtspraxis verwandeln könnte. Am 24. Januar 2012 wird das französische Parlament im Übrigen über einen Gesetzentwurf beraten, der die Einführung eines Service minimum - eines auch in Streikzeiten garantierten Mindest-Dienstleistungssolls - im Flugverkehr zum Gegenstand hat; vgl. u.a. http://www.lemonde.fr/election-presidentielle-2012/article/2011/12/20/le-gouvernement-veut-un-service-minimum-dans-les-transports-aeriens_1620700_1471069.html#ens_id=1620167 - Er zielt darauf ab, eine Aufrechterhaltung des Luftverkehrs auch im Falle von Arbeitskämpfen zu garantieren, zwar nicht unmittelbar etwa durch ein Streikverbot, wohl aber durch die Pflicht zu individueller Vorab-Abmeldung einer Streikteilnahme durch jede/n Lohnabhängige/n. Auf diese Weise soll ein Streik zwar nicht repressiv unterbunden, wohl aber umgangen und völlig unwirksam gemacht werden; vgl. dazu auch die Sichtweise des Karikaturisten zum ,Streikrecht minimum": http://vidberg.blog.lemonde.fr/2011/12/21/le-droit-de-greve-minimum/ ("Nein nein, ich möchte ich Ihnen das Streiken nicht verbieten - ich fordere Sie nur dazu auf, sich in die Vorwarnliste für den Zeitraum 2012 bis 2017 einzutragen und darauf zu achten, dass Sie nicht einen Streiktag am selben Tag wie ein Kollege nehmen".) Die Regierung hat bereits ihre Unterstützung für die Gesetzesinitiative angekündigt; vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2011/12/22/le-fantasme-du-service-minimum-dans-le-secteur-aerien_1621247_823448.html#ens_id=1620167 . Wir werden unsere Leser/innen selbstverständlich über den Fortgang dieser, gefährlichen, Debatten auf dem Laufenden halten. Artikel von Bernard Schmid vom 22.12.2011 |