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Updated: 18.12.2012 15:51
Aktuelle Meldungen im neuen LabourNet Germany

Neue Aktionstage der acht Gewerkschaftsverbände aù 26. Mai (ohne zentralen Aufruf) und am 13. Juni beschlossen - Setzen die Gewerkschaftsführungen ihre Schnarch"strategie" auch weiterhin fort?

War das Glas nun halbvoll oder halbleer? Über die "Deutungshoheit" bezüglich dieser Frage wurde nach den diesjährigen 1. Mai-Demonstrationen in Frankreich gerungen. Es ging um die Frage nach Erfolg oder Misserfolg dieser Umzüge, und, im Hintergrund davon, um jene nach dem Fortgang der Sozialproteste in den kommenden Wochen und Monate. Hatten sich doch die Gewerkschaftsapparate im Vorfeld darauf verständigt, dass der 1. Mai 2009 die Fortsetzung in der Reihe der großen Sozialprotest-Demonstrationen (gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Lohnabhängigen) nach dem 29. Januar und dem 19. März dieses Jahres darstellen solle. Dieser Beschluss hatte in der zweiten Märzhälfte den Gewerkschaftsführungen - vor allem den rechteren unter ihnen (bei CFDT, CFTC, CFE-CGC) - auch dazu gedient, einen Aufruf zu Aktionen vor dem 1. Mai zu unterbinden oder jedenfalls ihn bleiben zu lassen.

Gestritten wurde im Grunde nicht oder nur halbherzig, aber jede Seite - Gewerkschaften auf der einen Seite, ein Teil der bürgerlichen Presse und das Regierungslager auf der anderen - versuchte ihre "Definitionsmacht" anzumelden. Die Vision der Gewerkschaftsführungen lautete: "Die Mobilisierung am 1. Mai war erfolgreich, denn sie fiel weitaus stärker aus als in den letzten Jahren am selben Datum." Das ist unstrittig richtig: Laut gewerkschaftlichen Angaben demonstrierten am diesjährigen 1. Mai in ganz Frankreich (in 283 Städten waren Umzüge und Demos angemeldet, eine Rekordzahl) 1,2 Millionen Menschen, lt. Polizeizahlen 460.000.

In der Hauptstadt Paris waren es laut Zahlen der Polizei 65.000, nach gewerkschaftlichen Informationen 160.000 Menschen (wobei gewerkschaftsnahe Quellen behaupten, in diesem Jahr habe die CGT ihre Zahlen "weit weniger übertrieben als sonst, sondern beinahe untertrieben").

Im vergangenen Jahr 2008 waren es zu diesem Datum frankreichweit lt. Gewerkschaften 200.000 Menschen gewesen, in Paris allein rund 30.000. (Vgl. Artikel im LabourNet Germany) Die Anzahl der Demonstrierenden liegt damit in 2009 unbestreitbar höher als im Vorjahr 2008.

Nur, das Problem ist, dass aufgrund des Beschlusses der Gewerkschaften von Ende März - dem zufolge der diesjährige 1. Mai die Reihe der Sozialprotestdemos in der Krise fortsetzen sollte - der diesjährige Umzug den Vergleich nicht nur mit anderen ersten Mais aushalten musste. Sondern auch den mit den deutlich größeren Sozialprotestdemonstrationen vom 29. Januar und 19. März 2009, bei denen lt. gewerkschaftlichen Angaben jeweils rund drei Millionen Menschen (n. realistischen Einschätzungen mutmaßlich rund zwei Millionen) unterwegs waren. Dass die Zahl am 1. Mai niedriger lag, wurde vielfach erwartet und hat mehrere Gründe: Es handelt sich um einen "ritualisierten" Mobilisierungstag; der 1. Mai fiel in diesem Jahr auf einen Freitag, und das solchermaßen "verlängerte Wochenende" veranlasste viele Lohnabhängige zu Kurzreisen und Aufenthalten auf dem Land; zudem hat die Schnarch"strategie" der Gewerkschaftsapparate aus den letzten Wochen und Monaten viele Energien verpuffen lassen. So manche/r Lohnabhängige/r sagte sich nach mehreren Großdemos, die insofern folgenlos blieben, als sie nicht von einem Aufruf zu Streiks und konkreten Aktionen in den Betrieben begleitet warne: "Was soll's, es bringt doch eh nichts.."

Die rechte Hälfte der Presselandschaft stürzte sich selbstverständlich sofort auf die Gelegenheit, ein Absinken der Mobilisierung herbeizuschreiben. Auf der Titelseite der konservativen Tageszeitung ,Le Figaro' grinste einem/r am Wochenende Arbeits- und Sozialminister Brice Hortefeux entgegen, der in die Runde verkündete: "Ich konstatiere, dass die Mobilisierung am 1. Mai schwächer ausgefallen als an den beiden vorausgehenden Aktionstagen." Und die rechte Boulevardzeitung ,France Soir' verkündete auf ihrem Titel am Wochenende gar frech: "Enttäuschend." (,Décevant!') Eine Unverschämtheit, denn wie könnte sie von einer Mobilisierung "enttäuscht" sein, die diese Zeitung nie unterstützt und von denen sie also auch nichts erwartet hat?

Unterdessen gehen auf lokaler Ebene die Einzelaktionen, wie etwa die - inzwischen in ganz Frankreich rund ein Dutzend betragenen - Bossnapping-Vorfälle, weiter. Allerdings können solche Aktionen, die örtlich begrenzt sind und sich nur auf der Ebene je eines Betriebes oder eines Unternehmens durchführen lassen, eine breitere Solidarität nicht ersetzen. Gewerkschaftliche Aktionen mit einem Aufruf zum Streik, die über die Betriebsgrenzen hinausreichen, könnten zweifellos noch höheren Druck entwickeln. Das Problem liegt hierbei in der Gewerkschaftsstrategie: Seit Anfang des Jahres fahren die acht Gewerkschaftsdachverbände und -zusammenschlüsse, die ihre Aktionen regelmäßig untereinander abstimmen, insgesamt eine reichlich defensive Strategie. Bislang führten sie gemeinsam jene drei Demonstrationen durch, bei denen am 29. Januar und 19. März dieses Jahres je über zwei Millionen, am diesjährigen 1. Mai rund eine Million Menschen auf die Straßen gingen. Aber diese "quantitativen" Mobilisierungserfolge blieben folgenlos und ohne Perspektive für "danach": Sie waren nicht oder kaum durch Streikaufrufe in den Unternehmen begleitet, und waren nach einem 24stündigen "Aktionstag" ohne Fortsetzungsaktionen beendet. An der Basis der Gewerkschaften erklären inzwischen viele in mehr oder minder ohnmächtigem Zorn, ein folgenloser "Spaziergang alle zwei Monate" werde das soziale Kräfteverhältnis im Lande wohl kaum zugunsten der Lohnabhängigen verändern. Vor diesem Hintergrund kommt es zum starken Auseinanderklaffen der zwei Handlungsebenen: mehr oder weniger "radikale" Aktionen vor Ort in einzelnen Betrieben einerseits, eine in breiten Kreisen als "schlapp" empfundene - breite - Mobilisierung auf nationaler Ebene andererseits. Es bleibt jedoch problematisch, wenn beide "Etagen" zusammenhanglos nebeneinander stehen.

Am gestrigen Montag Nachmittag und Abend trafen nun acht Gewerkschaftsverbände erneut zusammen, um über den Fortgang ihrer Aktionen zu beraten. Und hier die Entscheidungen (vgl. ihr Kommuniqué externer Link)

Neue Aktionstage: einmal "dezentral" (d.h. ohne Anstrengung durch die Dachverbände), einmal zentral

Dabei beschlossen sie, am 26. Mai, einem Wochentag, "dezentralisierte Aktionen" durchzuführen, für die es jedoch keinen gemeinsamen Streik- oder Demo-Aufruf gibt, sondern "je nach Lage vor Ort" entschieden werden soll. Was aber auch bedeutet, dass die zentralen Gewerkschaftsverbände sich nicht auf höchster Ebene anstrengen, um dafür zu mobilisieren.

Und am 13. Juni, einem Samstag, soll es erneut auf frankreichweiter Ebene zu Demonstrationen kommen. Dieser Beschluss stellt einen Kompromiss zwischen der "moderaten" und vor allem auf Verhandlungen mit der Regierung abzielenden Haltung vieler Gewerkschaftsapparate (CFDT, auch die CGT-Spitze) und der "radikaleren", einen Streikaufruf fordernden Position (SUD-Gewerkschaften, Teile der CGT-Basis, z.T. auch die populistische FO und die Lehrer/innen/gewerkschaft FSU) dar. Dabei verkündete die FO-Führung im Nachhinein, ein Streik wäre ihr lieber gewesen . (Vgl. Artikel externer Link)

Ob er allerdings die Kluft zwischen "harten Konflikten" in manchen Betrieben und einem eher lauen Auftreten auf frankreichweiter Ebene überbrücken kann? Dies erscheint im Augenblick eher unwahrscheinlich.

Bernard Schmid, 05.05.2009


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