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Updated: 18.12.2012 16:07 |
Selbstmörder und ihre Jäger... "Die Justiz ermittelt gegen France Télécom - wegen der Verantwortung des Unternehmens für die Selbstmord"epidemie" unter seinen Lohnabhängigen. Bei der französischen Post ruft unterdessen ein Funktionär zur "Jagd auf schlechte Verkäufer" und ihrer "Vernichtung" (sic) auf - und wird erst nach heftigen Protesten versetzt" - so beginnt der aktuelle Beitrag "Mörderische Arbeitsbedingungen bei den Unternehmen der früheren PTT (France Télécom und La Poste)" von Bernard Schmid vom 23. April 2010. Mörderische Arbeitsbedingungen bei den Unternehmen der früheren PTT (France Télécom und La Poste) Die Justiz ermittelt gegen France Télécom - wegen der Verantwortung des Unternehmens für die Selbstmord"epidemie" unter seinen Lohnabhängigen. Bei der französischen Post ruft unterdessen ein Unternehmensfunktionär zur "Jagd auf schlechte Verkäufer" und ihrer "Vernichtung" (sic) auf - und wird erst nach heftigen Protesten versetzt "Wir wussten, was sie dachten - jetzt schreiben sie es (auf)": So kommentiert vergangene Woche eine Diskussions-Webseite von Lohnabhängigen der französischen Post die jüngste Affäre um die vielleicht etwas gar zu deutlichen, oder gar zu deftigen, Worte eines örtlichen Direktors. (Vgl. http://www.postiers.net/actualites-postales-f1/un-cadre-de-la-poste-parle-d-exterminer-ses-mauvais-vend-t4854.htm?vote=viewresult) Am 5. März 10 hatte Rémi Karcher eine e-Mail verfasst, die Anfang April d.J. bekannt wurde, nachdem die französische Nachrichtenagentur AFP eine Kopie davon erhalten hatte. Karcher ist Direktor aller Postbüros im Pariser Süden, d.h. sämtlicher Postbüros auf der westlichen/südlichen Seite der Seine plus jener des 12. und des 16. Pariser Bezirks. (Anekdote am Rande: Ja, man könnte es gar nicht besser erfinden... Der Ausdruck ,karcher' bezeichnet im Französischen die Hochdruckreiniger der deutschen Firma Kärcher - oder Raab-Kärcher -, mit denen der damalige Innenminister und frühe Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy im Juni 2005 die Pariser Trabantenstadtzone "säubern" wollte. Daher resultiert der inzwischen eingebürgerte Ausdruck ,karcheriser'...) In seinem elektronischen Schreiben erklärte der Direktor wörtlich, "die Jagd" auf so genannte "schlechte Verkäufer" sei nun "eröffnet" - und er rief dazu auf, selbige zu "vernichten" (exterminer). Gemeint war damit: Jene Postbediensteten, die nicht mindestens eines der neuen "Produkte" - i.d.R. neue Angebote für Finanzdienstleistungen - im Monat absetzen und mit der Note "Null" sanktioniert werden, sollen verschwinden. Alle Kräfte sollen dafür mobilisiert werden, dass solches Verhalten beim Personal nicht mehr auftaucht. Die französische Post ist seit dem 1. März 2010 zum ersten Mal eine Aktiengesellschaft mit privatrechtlichem Status (auch wenn der Staat bislang noch - noch - 100 Prozent der Anteile daran hält), und wird seit Jahren schrittweise wie ein Privatunternehmen, d.h. bestimmten Rentabilitätskriterien entsprechend geführt. In den letzten Jahren werden die abhängig Beschäftigten zunehmend mit für Postbedienstete neuen Aktivitäten - dem Verkaufen von "neuen Finanzprodukten" - belästigt. Am 12. April begann die linke Basisgewerkschaft SUD PTT (zweitstärkste Gewerkschaft bei der Post und der französischen Telekom), energisch zu protestieren. Zu dem Zeitpunkt berichteten dann die französischen Zeitungen erstmals darüber, und holten Reaktionen seitens der zentralen Postdirektion ein: Diese stufte "die Wortwahl" des Direktors von Paris-Süd als "total ungeschickt" ein, zog aber zunächst jenseits dieser verbalen Distanzierung "keine Disziplinarma?nahmen" (Abmahnung, Strafversetzung...) in Betracht. (Vgl. http://www.usascc.com/blog/2010/04/un-cadre-de-la-poste-parle-d'«exterminer»-ses-mauvais-vendeurs/ ) Kurz darauf wurde er dann doch noch versetzt. Über seine neuen Funktionen verlautbarte, er habe nun "keine Verantwortung mehr für/über Verkaufskräfte" inne. (Vgl. http://www.liberation.fr/economie/0101630210-quand-un-directeur-de-la-poste-veut-exterminer-les-vendeurs-les-moins-performants und http://www.lepoint.fr/actualites-societe/2010-04-15/paris-la-poste-un-directeur-mute-pour-avoir-parle-d-extermination-des/920/0/444338 ) Post und Telekom: Trotz Widerständen privatisiert (oder auf dem Weg dorthin) Stärker noch als ,La Poste' aber hatte die französische Telekom in den vergangenen zwölf Monaten öffentliche Aufmerksamkeit betreffend ihre, nun ja, wahrhaft mörderischen Arbeitsbedingungen erweckt. Im Laufe des Jahres 2009 waren aller Augen auf den ,opérateur des télécommunications' gerichtet, nachdem es zu mehreren Dutzend Selbstmorden unter Lohnabhängigen gekommen waren, die zum Teil offenkundig im Zusammenhang mit Arbeitsstress/arbeitsbedingten Depressionen/dem als unerträglich empfundenen Arbeitsleben standen. Wir berichteten damals ausführlich, vgl. unsere Rubrik http://www.labournet.de/internationales/fr/telecom.html . - ,La Poste' und ,France Télécom' bildeten bis 1990 noch ein einheitliches Unternehmen, das damals in öffentlicher Hand befindliche gemeinsame Unternehmen PTT (Post, Télégraphes, Télécommunications). Die "sozialistisch" geführte Regierung unter dem sozialliberalen Premierminister - und heutigen Berater Nicolas Sarkozys - Michel Rocard, Regierungschef von Juni 1988 bis Mai 1991, hatte dieses Einheitsunternehmen zerschlagen. "Selbstverständlich nicht" im Vorgriff auf eine spätere Privatisierung der neu gebildeten Einzelunternehmen, wie linke Gewerkschafter damals "voreilig" kritisierten - nein nein, nicht doch. Im September 1997 erfolgte die Börseneinführung der französischen Telekom, unter einem anderen Sozialdemokraten als Premierminister, Lionel Jospin. (Welch selbiger noch vor den Parlamentswahlen von Ende Mai und Anfang Juni 1997 versprochen hatte, es werde unter den Sozialisten keine Privatisierung von France Télécom geben. Kurz darauf setzte er dann eine Kommission dazu ein, um die Frage "ernsthaft zu prüfen" - und drei Wochen später, Ende Juli 1997, erfuhr man daraufhin aus der ,Financial Times' in London, dass die Weichen zugunsten einer Privatisierung gestellt seien. So viel zum Thema Glaubwürdigkeit der französischen Sozialdemokratie.) Bei ,La Poste' ging die Entwicklung etwas langsamer. 2,3 bis 2,4 Millionen Menschen stimmten bei einer inoffiziellen, durch Linksparteien und Gewerkschaften organisierten "Bürger-Abstimmung" am 30. Oktober 2009 zu 98 Prozent gegen eine Privatisierung der französischen Post und gegen ihre Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Vgl. http://www.politis.fr/La-Poste-les-resultats-de-la,8221.html und http://fr.wikipedia.org/wiki/Votation_citoyenne_pour_la_poste oder zu den Ergebnissen: http://www.bureaudevote.fr/votationposteresultats.htm ) Trotz massiver Proteste - wobei freilich ein Streik innerhalb des Unternehmens, wo eher Resignation vorherrschte, im September 09 nur geringen Erfolg hatte - beschloss die konservativ-wirtschaftsliberale Regierung, ihr Statut als "öffentliches Dienstleistungsunternehmen in Staatshand" in jenes einer Aktiengesellschaft abzuändern. Nicht etwwa, um dieselbige, die bislang noch zu 100 Prozent dem Staat gehört, später dem Privatkapital zu öffnen - nein nein, nicht doch. Der Gesetzentwurf passierte ab dem 20./21. Oktober 09 die französische Nationalversammlung und Anfang den Senat, das "Oberhaus" des Parlaments. Am 1. März dieses Jahres trat er in Kraft. Justiz ermittelt gegen France Télécom Puh, da sind wir gerade noch einmal erleichtert: "Es gibt kein Komplott bei France Télécom" erklärte der - seit einigen Wochen, infolge eines Rücktritts des früheren Direktors und Vizedirektors aufgrund der Selbstmordwellen-Affäre, amtierende - "Präsident" von France Télécom, Stéphane Richard, am 12. April in einem Radiointerview bei ,Europe 1'. Uff, gerade noch einmal gerettet! Und wir hatten schon eine finstere internationale Verschwörung gewittert! Stéphane Richard fügte hinzu, France Télécom "beschränke sich nicht" (,ne se résume pas à') auf Selbstmorde von Lohnabhängigen. Puh, auch da sind wir noch mal schwer erleichtert! Aber nein, nicht doch, so war es auch wieder nicht gemeint. Denn Monsieur Richard fügte hinzu, es gebe in seinen Augen "kein Komplott innerhalb von France Télécom, um zu erreichen, dass die Leute Selbstmord begehen." (Quelle: http://abonnes.lemonde.fr/societe/article/2010/04/12/suicides-a-france-telecom-le-pdg-refute-la-these-d-un-complot_1332045_3224.html ) Soll so viel bedeuten wie: Niemand kann etwas dafür, und die Hierarchie des Unternehmens trägt keinerlei Verantwortung dafür. Denn zwar ist Kritik an Verschwörungstheorien (denn solche gibt es, oft antisemitisch grundiert) grundsätzlich richtig. Aber im Neusprech von Konservativen, Wirtschaftsliberalen oder Unternehmensführungen bezeichnet der Ausdruck "Verschwörungstheorie" heutzutage auch leicht jegliche Form von - schärferer - Kritik an Eliten, Kapitelentscheidungen, Staatsführungen. 32 bis 35 mit dem Arbeitsleben in Zusammenhang stehende Selbstmorde von Lohnabhängigen, je nach Angaben, fanden in den Jahren 2008 bis 2009 bei France Télécom statt. Darüber sind sich Direktion und Gewerkschaften im Prinzip einig geworden - was die Bilanz für die Vergangenheit betrifft. Doch seit Jahresanfang 2010 und bis Anfang April d.J. sind laut der "Stress-Beobachtungsstelle" für Unternehmen bereits elf weitere Fälle neu hinzugekommen (vgl. http://www.observatoiredustressft.org/index.php?option=com_content&view=article&id=1847:recensement-des-suicides-a-france-telecom&catid=67&Itemid=56 ). Die unpolitische Boulevardzeitung ,France Soir' - ein rechtsbürgerliches Käseblatt, das vor kurzem durch eine russischen Oligarchen aus der Umgebung Wladimir Putins aufgekauft worden ist, um Sympathiewerbung in Frankreich zu betreiben - titelte am 14. April 10 dazu: "Sterben auf der Arbeit! Ein Suizid alle neun Tage bei France Télécom." Im Blattinneren interviewt die Zeitung dazu die beiden AutorInnen Marin Ledun und Brigitte Font Le Bret, von denen die Zahlenangabe stammt (die beiden kommen auf insgesamt "46 Selbstmorde seit 2008") und deren Buchtitel ,Pendant qu'ils comptent les morts' - ,Und während sie die Toten zählen" - am 15. April erschienen ist. Ein Auszug aus dem auch sonst Aufmerksamkeit verdienenden Buch, den ,France Soir' dazu als Vorabdruck veröffentlicht, trägt den Titel: "Alles, was vorfiel, zeugt von einer unerhörten/vorher ungekannten Gewalt" (,Tout ce qui s'est passé est d'une violence inouïe'). Beobachter/innen warnten seit längerem vor den u.a. psychisch verheerenden Auswirkungen der Arbeitsbedingungen, die bei ,France Télécom' Einzug hielten. Ende November 2009 trat eine bei der französischen Telekom als Arbeitsmedizinerin beschäftigte Ärztin von ihrer - mutma?lich gut dotierten - Stelle in Grenoble zurück. In ihrem Kündigungsschreiben (als Faksimile abgedruckt in der besseren Boulevardzeitung ,Le Parisien' vom 28. 11. 2009) begründet sie ihren Schritt damit, sie könne "nicht länger ihre Arbeit verrichten" und nichts gegen "das Leiden der abhängig Beschäftigten" ausrichten. Schon zuvor hatte es allerdings Rücktrittsfälle von Arbeitsmediziner/inne/n bei France Télécom gegeben. Im Juni 2009 hatten laut Zahlen der Gewerkschaft SUD-PTT "mindestens acht von insgesamt 70 Arbeitsmediziner/inne/n" des Unternehmens bereits ihren Rücktritt eingereicht. (Vgl. dazu http://www.humanite.fr/2009-06-22_Politique_A-France-Telecom-des-medecins-du-travail-jettent-l-eponge ) Auch die französische Justiz ermittelt nun gegen das Unternehmen. Am 8. April dieses Jahres wurde durch eine Bericht des Radiosenders ,France Info' (vgl. http://www.france-info.com/france-justice-police-2010-04-08-un-juge-va-enqueter-sur-les-suicides-chez-france-telecom-427685-9-11.html ) publik, dass die Staatsanwaltschaft Paris ein Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen in 35 Suizidfällen eingeleitet habe. Nun wird ein Untersuchungsrichter dafür eingesetzt werden. Die Tatvorwürfe lauten auf Mobbing (französisch ,harcèlement moral', ein Straftbestand seit einem Gesetz vom 17. Januar 2002) und fahrlässige Tötung, ,mise en danger de la vie d'autrui'. Zuvor hatte die linke Basisgewerkschaft SUD-PTT jene Strafanzeige erstattet, die dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegt. Der durch die Justiz angeordneten Untersuchung liegt auch ein Bericht einer Arbeitsinspektorin - die französische "Arbeitsinspektion" (inspection du travail) ist entfernt mit den deutschen Gewerbeaufsichtsämtern zu vergleichen und wacht über die Einhaltung geltender Schutzgesetze für Lohnabhängige - zugrunde. Diese Untergebene des französischen Arbeits- und Sozialministeriums kommt darin zu der Schlussfolgerung, die Leitung des Unternehmens habe es sich zum Ziel gesetzt, zu schaffen, mindestens 22.000 abhängig Beschäftigten (von derzeit insgesamt 102.000 bei France Télécom) zum Abgang zu bewegen. Der Bericht - in voller Länge an dieser Stelle veröffentlicht: http://eco.rue89.com/2010/04/09/suicides-a-france-telecom-la-justice-sinteresse-aux-dirigeants-146774 - war am o4. Februar dieses Jahres der Staatsanwaltschaft übergeben worden. Die liberale Pariser Abendzeitung ,Le Monde' schreibt dazu in einem Leitartikel vom o9. April 2010, France Télécom sei "zum Symbol für Stress und Leiden im Arbeitsleben geworden. Ja sogar, darüber hinaus, für das tiefe Unbehagen (profond malaise), das durch destabilisierende und krank machende Arbeitsorganisation sowie Managementmethoden hervorgerufen wurde." Ein Abkommen der so genannten "Sozialpartner" - Arbeitgeberverbeinigungen und Gewerkschaftsdachverbände - vom 26. Februar dieses Jahres wird mit den Worten charakterisieren: "Es enthält nur Verhaltensempfehlungen und bleibt also von begrenzter juristischer Tragweite"; dennoch entlaste es "nicht völlig, wie es (der Haupt-Arbeitgeberverband) Medef wünsche, die Managementmethoden und Organisationsformen der Unternehmen von ihrer Verantwortung in Mobbing-Situationen". Um zu dem Schluss zu kommen: "Nach zwei Jahrzehnten schrankenloser Jagd nach erhöhter Arbeitsproduktivität und wachsendem, ja blindem Druck auf die abhängig Beschäftigten muss sie (die Entscheidung der Pariser Staatsanwaltschaft) zu einer tiefgreifenden und ehrlichen Infragestellung der Abläufe in dem Unternehmen führen." (Vgl. den Leitartikel: http://abonnes.lemonde.fr/opinions/article/2010/04/09/les-suicides-a-france-telecom-devant-la-justice_1331212_3232.html#ens_id=1268114 und den begleitenden Artikel > http://abonnes.lemonde.fr/societe/article/2010/04/08/le-parquet-va-ouvrir-une-enquete-sur-les-suicides-a-france-telecom_1330932_3224.html#ens_id=1268114 ) Am o2. April 2010, einige Tage zuvor, hatte dieselbe Zeitung auf einer vollen Seite einen ausführlichen Bericht über das Unternehmen France Télécom - einige Wochen nach dem Führungswechsel an dessen Spitze - veröffentlicht. Dessen Tenor lautete: Noch immer herrscht depressive Stimmung unter den Lohnabhängigen vor (,Blues toujours', vgl. http://abonnes.lemonde.fr/economie/article/2010/04/01/france-telecom-blues-toujours_1327421_3234.html#ens_id=1268114 ) Ein paar kleine Auszüge aus diesem höchst interessanten, doch niederschmetternden Dokument zur Kostprobe: "(...) Aber es ist nichts zu machen: Auch weiterhin bringen sich Lohnabhängige um, und man verzeichnet fast einen Selbstmordfall pro Woche. Und in Annecy, Nancy oder Paris überschneiden sich die Augenzeugenberichte (aus dem Unternehmen): Die Moral bleibt tief unten. Im besten Falle ist man ungeduldig (Anm.: bezüglich erwarteter Veränderungen), im schlimmeren sieht man schwarz. Sicherlich, einige Dingen haben sich verändert. (...) Zwangsversetzungen wurden aufgegeben, wie in Donges (an der Atlantikküste). (...) Für die ,schwierigen Anrufe' - zornige Kunden - wurde eine Fortbildung gegeben. ,Dies gab es vorher nicht, das war nützlich' sag dazu Sonia Aoufa, eine Arbeitskollegin (der zuvor zitierten SUD-Gewerkschafterin) Danielle Rochet. (...) Für die Arbeitsmedizinerin Monique Fraysse ,hat der Druck nachgelassen. (...) In Grenoble haben die Manager aufgehört, in den Verkaufsstellen/Geschäften von Orange-Télécom jeden Tag die individuellen Ergebnisse der Verkäufer auszuhängen.' Und der CGT-Vertrauensmann in Paris, Jean-Marc Lassoutanie, versichert: ,Wenn Lohnabhängige eine Krise bekommen, versuchen unsere Vorgesetzten eine Lösung zu finden. Vorher hätten sie das nie akzeptiert. Jetzt haben sie Angst, dass es zu Selbstmorden kommt und sie dafür verantwortlich gemacht werden.' Vor allem ,wurde es nunmehr möglich, Dinge offen auszusprechen', sagt (die Ärztin) Fraysse. ,Man spricht wieder über die Arbeit. Die abhängig Beschäftigten können sagen, dass sie es satt haben, Kunden schlecht zu behandeln oder ihnen manchmal (unnütze) Dinge aufzuschwätzen, nur um ihre Soll-Verkaufsziffern erfüllen zu können.' Das Problem ist, dass dieses Ermöglichen des offenen Aussprechens eine enorme Hoffnung erweckt hat. Und, im Anschluss daran, eine fette Enttäuschung bei denen, die sich wirklich eine radikale Veränderung erhofften und eine solche nicht verspürten. ,Wir wurden angehört, aber wir wissen nicht, ob man unsere Botschaft gehört hat', fasst (die SUD-Gewerkschafterin) Danielle Rochet zusammen. (...) Es kam (im Call-Center von Annecy) auch zur Einrichtung von Mittagessen im Team, um wieder irgend eine Bindung zwischen hyper-individualisierten Beschäftigten zu schaffen. Bei der Logisitik der Handy-Abteilung von Orange/Télécom in Bagneux (einer Vorstadt südlich von Paris), wo die CGT-Vertrauensfrau Margaret Corvington-Guerlais arbeitet, ,haben wir wieder begonnen, Geburtstage von Kollegen zu feiern. Einmal pro Monat. Aber solche Dinge kann man nicht vorschreiben. Das müsste von selbst kommen.' Der gleiche Unglauben (Anm.: über reale positive Veränderungen) herrscht bei Jean-Claude, der seinen Familiennamen nicht nennen möchte, in einem Verkaufsgeschäft von Orange/Télécom in Nancy: ,Eines Morgens brachte man uns Croissants und Orangensaft. Aber wir (die Kollegen) hatten einander nichts zu sagen. Das ist normal, denn wir sprechen seit Jahren nicht mehr miteinander.' (...) In Wirklichkeit, meint Philippe Dillier von SUD, der bei der Abteilung Dienstleistungen für Unternehmen Ostfrankreich arbeitet, ,sind wir höchstens zu einem früher bestehenden oder zum gesetzlichen Zustand zurückgekehrt. Beispielsweise werden erstmals Instanzen wie (die französische Entsprechung zum Betriebsrat) respektiert. Oder es wird darauf geachtet, dass Ehepartner/innen - wenn beide Eheleute im Unternehmen arbeitet - nicht allzu weit auseinander versetzt werden. Früher gab es dieses Prinzip, und es funktionierte ziemlich gut. Aber mit der Privatisierung in den neunziger Jahren war es verschwunden.' Manche beklagen das Fortdauern alter Praktiken. ,Wir funktionieren nach wie vor mit Challanges (Wettbewerben unter Arbeitskollegen) im Call-Center. Und zwar für lächerliche Summen, 150 Euro, die man sich zu zwölft teilen soll', bedauert Danille Rochet. Manchmal findet sie sogar, es sei schlimmer als zuvor: ,Die Direktion hat nun kollektive (Anm.: statt, wie vorher, individuelle) Ziele festgeschrieben, die jedoch unerreichbar sind. Da manche Verkäufer nunmehr bis zu 40 Prozent ihres variablen Entgelts (- Anm.: das zuvor an der Erreichung individueller Verkaufsziele hing -) verloren haben, werden nun denjenigen, die Schwierigkeiten beim Verkauf haben, Schuldgefühle gegenüber ihren Kollegen eingetrichert.' (...) Undsoweiter unsofort..." B.Schmid, 23. April 2010 |