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Updated: 18.12.2012 15:51
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EDF und die modernen Sklaven der Atomindustrie

Das Image von Electricité de France - EDF- ist ramponiert. Der Stromversorger ist seit Anfang 2005 (teil)privatisiert worden (Labournet berichtete ausführlich, vgl. u.a. Artikel) und wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Derzeit gehören 85 % der Anteile noch dem Staat. Was nicht verhindert, dass das Unternehmen nach (privat)kapitalistischen „Rentabilitäts“kriterien und unter dem Gesichtspunkt des Profits geführt wird. Ansonsten könnte es auch überhaupt keine Privat-Aktionäre anziehen. (In der Vergangenheit war das Unternehmen noch eher nach bürokratischen Kriterien geführt worden, und aus dem Milliardenbudget seines Betriebsrat wurden u.a. der Dachverband der CGT und die französische KP noch bis in die 1990er Jahre hinein - illegal - finanziert. Diese Zeiten sind längst vorüber. Doch das Wissen darum begründet eine Erpressbarkeit der CGT, die dem entsprechend in Konflikten und bei der Arbeitskampfführung „ihre Grenzen kennt“. Eine polizeiliche Durchsuchung beim Betriebsrat von EDF am 27. April 2004, wenige Monate vor der definitiven Verabschiedung des Privatisierungsbeschlusses im französischen Parlament und während dieser sich in Vorbereitung befand, hatte die CGT an diese „ihre Grenzen“ erinnert…)

Geschäftspolitik von (pardon:) Drecksäcken

Die privatkapitalistische Wirtschaftsführung von EDF macht sich bemerkbar. Am vergangenen Wochenende lösten Presseberichte einen Skandal in Teilen der französischen Öffentlichkeit aus, denen zufolge der Stromkonzern derzeit aktiv Bemühungen um Energieeinsparung bekämpft. Am vergangenen Freitag hatte die CRE - eine Regulierungskommission für den Energiesektor - das kleine Unternehmen Voltalis „schuldig“ daran gesprochen, spezielle Vorrichtungen zur Energieeinsparung erfunden und entwickelt zu haben. Die 2007 gegründete Firma bot (und bietet noch) einen Stecker an, den man zwischen die Stromsteckdose und die elektrischen Geräte im Haushalt platzieren kann. Dieser Zwischenschalter drosselt den Stromverbrauch, indem er bspw. in Momenten des Überkonsums - oder wenn die Geräte auf vollen Touren laufen und bereits ohne weitere Stromzufuhr ihre maximale Wirkung entfalten - eine Heizung oder Klimaanlage vorübergehend ausschaltet.

Welch eine Sauerei!, befindet nun EDF. Denn das drosselt den Profit! (Der Stromkonzern hat im zurückliegenden Geschäftsjahr 2008 rund 3,5 Milliarden Euro Gewinn erzielt. Und konnte nochmals 3,6 Milliarde Euro als Anleihe beim französischen Publikum einsammeln, um künftige Investitionen - etwa in den Neubau von Atomkraftwerken auf den britischen Inseln - zu finanzieren.) Der Schiedsspruch der „Regulierungskommission“ CRE spricht nun dem Stromversorger das „Recht“ zu, den entgangenen Gewinn als „Entschädigungszahlung“ bei dem Unternehmen Voltalis einzusammeln. Dies bedeutet, bei ihm 70 bis 80 % seiner gesamten Einnahmen zu holen - und die Zukunft der kleinen Firma ernsthaft zu bedrohen. (Vgl. u.a. ‚Le Parisien’ vom Samstag, 18. Juli 09)

Dazu lässt sich nur sagen: Drecksäcke! Schon in den vergangenen Jahrzehnten hatte EDF sich als Vorreiter einer wahnwitzigen Energieverbrauchspolitik profiliert, etwa durch den systematisch favorisierten Einbau von verschwenderischen Elektroheizungen (die die Energie buchstäblich in die Luft blasen) in möglichst vielen Wohnungen. Seine beschissenen Atomkraftwerke sollten sich schließlich „rechnen“!

Die Reputation des Stromkonzerns in der Öffentlichkeit hatte in den letzten Monaten ohnehin bereits beträchtlichen Schaden genommen, u.a. nachdem der Selbstmord eines EDF-Ingenieurs im Frühjahr 2009 erstmals durch ein Gericht als „berufsbedingt“ (und damit das Unternehmen zu Schadensersatz gegenüber den Angehörigen verpflichtend) eingestuft worden ist. (Vgl. Artikel externer Link) Und nachdem EDF in den ersten Jahresmonaten 2009 dabei ertappt worden ist, wie der Konzern Atomkraftgegner/innen aus der Ferne bespitzeln ließ, indem etwa ein „Spionagevirus“ in das Computerprogramm der französischen Organisation von Greenpeace eingeschleust wurde. ( Vgl. Libération vom 01. 04. 2009, es handelt sich trotz des Datums mitnichten um einen Aprilscherz, und vgl. zahlreiche Verlautbarungen des ‚Réseau Sortir du nucléaire’ oder „Netzwerks Atomausstieg“). 

In den allerjüngsten Tag nun sorgte eine Ankündigung von EDF-Boss Pierre Gadonneix für Unmut beim Publikum. Er hatte am o9. Juli im Sender RTL angeregt, da die französischen Strompreise im Augenblick günstiger seien als im Durchschnitt der Europäischen Union („dank unserer Atomkraftwerke“), möge das Unternehmen seine Energiepreise für die Privatverbraucher/innen und Haushalte doch in den kommenden Jahren „schrittweise“ um 20 Prozent anheben. Und dies, während das Unternehmen einen relativ fetten Gewinn abwirft und zudem noch über eine Anleihe beim Publikum 3,6 Milliarden Euro für Investitionen erwerben konnte... Die Tageszeitung ‚Libération’ zerpflückt an diesem Donnerstag (16. Juli) genüsslich die durch Gadonneix beruhigend nachgeschobene Feststellung, dies mache doch für jeden Haushalt nur circa drei Euro zusätzlicher Kosten pro Monat aus: Ja, schon, präzisiert die Zeitung, nur spricht Gadonneix einer Serie von über drei bis vier Jahre hinweg gestreckten Tariferhöhungen das Wort. Und JEDE einzelne dieser Erhöhungen würde die Haushalte, in seiner Rechnung, um durchschnittlich (!) drei Euro zusätzlich belasten – bis wohin? Und die liberale Pariser Abendzeitung ‚Le Monde’ kündigt in ihrer Ausgabe vom Donnerstag Abend an, „der Elysée-Palast“ (also Präsident Nicolas Sarkozy) sei über diese Ankündigung des EDF-Präsident jetzt „ungehalten“: Allzu viel soziale Unzufriedenheit kann die Staatsspitze im Augenblick nämlich nicht gebrauchen... Der Stuhl von EDF-Chef Gadonneix soll, laut Presseberichten, inzwischen wackeln.

Moderne Sklaven für die Radioaktivität: Die „Nuklearnomaden“  

Das Schlimmste aber spielt sich im Hintergrund, und relativ fernab von den Augen der Öffentlichkeit, ab. Es kam in den letzten Monaten durch den, seit April 2009 andauernden, Streik von abhängig Beschäftigten in den Kraftwerken von EDF - insbesondere mehrere seiner Atomkraftwerke - zum Vorschein. (Frankreich besitzt 19 Atomkraftwerke mit insgesamt 58 Reaktorblöcken, die im Betrieb befindlich sind. Sechs von diesen AKWs waren Ende Juni noch vom Streik berührt. Seit dem 16. 06 2009 hat EDF am AKW-Standort Dammepierre, bei Orléans, und in vier weiteren Atomkraftwerken zu Dienstverpflichtungen von Streikenden „aufgrund drohenden Notstands“ gegriffen - Labournet berichtete. Just aus Dammepierre vermeldete das „Netzwerk Atomausstieg“, ‚Réseau Sortie du Nucléaire’, am Wochenende einen Störfall mit Austritt von Radioaktivität.)

Worum geht es bei dem Arbeitskonflikt konkret? In den letzten 30 Jahren ist der Rückgriff auf Subunternehmen bei dem früheren Staatskonzern (und noch immer zu 85 % in den Händen des staatlichen Aktionärs befindlichen Unternehmens) explosionsartig angewachsen. Der frühere EDF-Präsident Marcel Boiteux wird jetzt in der Presse mit den Worten zitiert: „Zu meiner Zeit wurden nur die Putzfrauen über Subfirmen eingestellt. Jetzt ist es exzessiv (überzogen, völlig übertrieben) geworden.“

An den französischen AKW-Standorten arbeiten über 20.000 Lohnabhängige, die formell keine Beschäftigten des Stromkonzerns EDF sind, sondern bei mehr oder minder kleinen Subfirmen oder als Scheinselbständige beschäftigt sind. 80 % der Wartungsarbeiten an den französischen Atomkraftwerken werden durch diese Arbeitskräfte durchgeführt. Diese nehmen zugleich drei Viertel der jährlichen Radioaktivitätsdosis, denen alle Beschäftigten an den AKW-Standorten insgesamt ausgesetzt sind, durch ihre Körper auf. Viele von ihnen ziehen, auf der Suche nach Jobs, den Wartungsarbeiten von Standort zu Standort hinterher; da sie zu schlecht dafür bezahlt sind, um in Hotelzimmern zu wohnen, siedeln sich viele dieser „Nomaden der Atomindustrie (nomades du nucléaire)“ in Wohnwagen auf den Kraftswerksgeländen an oder übernachten in ihren Autos. Dabei legen sie bis zu 60.000 Stra b enkilometer jährlich zurück. (Vgl. ‚Le Canard enchaîne’ vom 15.07.2009) 

Theoretisch gilt auch für diese mehr oder minder prekär Beschäftigten ein Gesundheitsschutz, nach denselben Vorschriften, die auch für Festangestellte Anwendung finden. In der Praxis „vergessen“ die so genannten Nuklearnomaden jedoch oftmals, ein Strahlenmessgerät bei „dringenden Arbeiten „an ihrem Körper mitzuführen – da das Erreichen der jährlichen Höchstdosis an Radioaktivität für sie gleichbedeutend mit dem Verlust des Jobs und des Broterwerbs ist. Schon mehrfach hat es gewerkschaftliche Kampagnen gegen dieses „Nuklearnomadentum“ gegeben: Im Januar/Februar 1997 forderte etwa die CGT, dass solche Tätigkeiten nur durch fest angestelltes Personal - unter ständiger Aufsicht betreffend Gesundheit und Strahlenschutz – verrichtet werden dürften. Damals wurde seitens von EDF versprochen, dass ein Teil der prekären Arbeitskräfte „absorbiert“, also in fest angestelltes Personal überführt werde. Bislang waren die Kämpfe zu dieser Frage jedoch insgesamt weitgehend vergeblich: Im Zuge der (Teil-)Privatisierung, und des damit auf höherer Ebene neu eröffneten Wettlaufs um „Rentabilität“ (d.h. Gewinnträchtigkeit für die Aktionäre, seien sie nun Mehrheits- oder Minderheitseigner), hat sich der Rückgriff auf Subfirmen und die Auslagerung von Tätigkeiten nur noch ausgeweitet. 

Aktuell wird der Streik darum geführt, die Löhne der Betroffenen zu erhöhen (die nicht zum EDF-Personal gehörenden Lohnabhängigen in der Nuklearindustrie verdienen einen Tagelohn von circa 50-60 Euro und kommen monatlich auf Löhne in der Nähe des gesetzlichen Mindestlohns für Vollzeitkräfte, d.h. rund 1.000 Euro netto). Und auch darum, dass möglichst viele Tätigkeiten wieder „eingelagert“, d.h. in d as Unternehmen EDF – mit seinen besseren Standards für das Personal – zurück übernommen werden müssen. 

Seitens der EDF-Direktion ist man „natürlich“ der Auffassung, man habe kein Geld dafür. Allerdings hat das Unternehmen im zurückliegenden Jahr 2008 einen Gewinn von 3,4 Milliarden Euro erwirtschaftet, der jedoch im laufenden Jahr zu stolzen zwei Dritteln an die Aktionäre (den Staat inklusive) ausgeschüttet worden ist. Für die Lohnabhängigen fiel bislang kaum etwas davon ab, während gleichzeitig beim privaten Energiekonzern Suez (der sich ebenfalls auf Expansionskurs befindet) die Löhne um 5 % erhöht wurden, und zusätzlich eine Sonderprämie in Höhe von 1.500 Euro an das Personal ausgeschüttet wurde. Dies trug nun in den allerletzten Tagen zum Unmut des Publikums erheblich mit bei, nachdem EDF-Präsident Pierre Gadonneix seinen Plan verkündet hat, nunmehr die Stromtarife für die Haushalte in den kommenden drei Jahren um 20 % erhöhen (siehe oben)…

Bernard Schmid, 20.07.2009


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