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Updated: 18.12.2012 15:51
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Freispruch - und Anklage

"Nicht ruhen will unterdessen auch die Klassenjustiz. Zwei symbolträchtige, und möglicherweise künftige Weichen stellende, Prozesse gingen in der abgelaufenen Woche zu Ende – im einen Falle fiel am Mittwoch das Urteil, im anderen Falle endeten die gerichtlichen Anhörungen, während das Urteil noch aussteht" - aus dem Beitrag "Aufsehenerregende Prozesse gegen klassenkämpferische Gewerkschafter" von Bernard Schmid vom 01. Juli 2011.

Aufsehenerregende Prozesse gegen klassenkämpferische Gewerkschafter

Freispruch für Xavier Mathieu von ,Conti’ - Anhörung gegen Olivier Besancenot und 15 Postkollegen

Der Klassenkampf in Frankreich macht seit einiger Zeit zwar Pause – zumindest auf überregionaler Ebene, denn örtlich rumort es oft innerhalb der Betriebe, ohne dass dieser Tatsache eine überörtliche Wahrnehmung widerführe. Jüngst wurde ein Artikel publiziert, der 777 (lokale) Streiks in Frankreich während des ersten Halbjahres 2011 auswertet – und auf den wir in Bälde unbedingt zurückkommen müssen.

Nicht ruhen will unterdessen auch die Klassenjustiz. Zwei symbolträchtige, und möglicherweise künftige Weichen stellende, Prozesse gingen in der abgelaufenen Woche zu Ende – im einen Falle fiel am Mittwoch das Urteil, im anderen Falle endeten die gerichtlichen Anhörungen, während das Urteil noch aussteht.

Am Mittwoch, den 29. Juni fiel das Urteil in der Strafsache gegen Xavier Mathieu. Es ging dabei um den früheren CGT-Streikführer und Sprecher der Beschäftigten von Continental in Clairoix (bei Compiègne, circa fünfzig Kilometer nördlich von Paris): Ihm wurde zusammen mit anderen Lohnabhängigen vorgeworfen, im April 2009 die Unterpräfektur (eine juristische Vertretung des Zentralstaats) in Compiègne teilweise demoliert zu haben. Diese Aktion war eine spontane Reaktion der Beschäftigten auf die Nachricht, dass die Justiz (und mit ihr die staatlichen Behörden) den Plan des Continental-Konzerns, das Werk in Clairoix dichtzumachen und 1.120 Arbeitsplätze zu vernichten, genehmigt hatten. Labournet hat damals ausführlich berichtet.

Aufgrund der Kleinholz-Herstellung am Sitz der Unterpräfektur ist Xavier Mathieu bereits im vergangenen Jahr in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe in Höhe von 4.000 Euro verurteilt worden, vgl. u.a. http://www.labournet.de/branchen/chemie/conti/contiurteil2.html - Doch die Prozedur zog und zieht noch einen Rattenschwanz weiterer Rechtsstreitigkeiten hinter sich her. Neben einem zivilrechtlichen „Entschädigungs“prozess (vgl. http://www.labournet.de/internationales/fr/contiurteil3.html ) war auch noch ein Verfahren gegen den Streikführer der „Conti-Leute“ anhängig, weil er sich im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen der Kleinholz-Aktion geweigert hatte, eine Speichelprobe zwecks Ermöglichung einer DNA-Untersuchung abzuliefern.

Genetische Untersuchungen mittels Speichelprobe sind in Frankreich im Zusammenhang mit rund 200 Straftaten rechtlich zulässig. Ursprünglich, um 1994, traf dies nur auf Vergewaltigungsfälle zu (und es wurde eine DNA-Datenbank für Sexualstraftäter eingerichtet). Doch dann wurde die einmal geschaffene Möglichkeit ausgeweitet, und die Liste der betroffenen Straftaten wurde immer lÄnger und länger...

„Gemeinschaftlich begangenen Sachbeschädigung“, so lautete der juristisch formulierte Vorwurf gegen Xavier Mathieu und seine Kollegen, steht auch auf dieser Liste. Deswegen drohte ihm nun bis zu einem Jahr Haft, denn so viel beträgt die Höchststrafe für das Delikt „Weigerung der Teilnahme an einer DNA-Untersuchung“ – dort, wo Letztere rechtlich zulässig ist.

Am Mittwoch dieser Woche sprach die Strafkammer des Gerichts von Compiègne nun Xavier Matthieu dennoch frei. Es berücksichtigte in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich, dass die fragliche Aktion – die den Kollegen vorgeworfen worden war – „im Rahmen einer gewerkschaftlichen Aktion“ gegen die Vernichtung von ArbeitsplÄtzen stattgefunden habe. Deswegen, so lautete die Begründung sinngemäß, habe es sich auch nicht um einen kriminellen Akt gehandelt. Rund 200 Personen hatten Xavier Mathieu zu der Gerichtsverhandlung begleitet und ihn sicht- & hörbar unterstützt. Verschiedene linke Parteien, wie die Französische Kommunistische Partei (der PCF) und die ,Neue Antikapitalistische Partei’ (der NPA), reagierten auf das Urteil. So begrüßte PCF-Vorsitzender Pierre Laurent es als ein Stoppsignal für „die systematische Kriminalisierung von Lohnabhängigen, die um ihre Arbeitsplätze kämpfen“. (Vgl. http://www.lepoint.fr/fil-info-reuters/un-syndicaliste-des-conti-relaxe-de-refus-de-prelevement-d-adn-28-06-2011-1346839_240.php , und zur Reaktion des NPA: http://www.npa2009.org/content/communiqué-du-npa-victoire-xavier-mathieu-relaxé )

Unterdessen musste ab dem 20. Juni und noch bis Montag dieser Woche (27. 06.) in Nanterre der frühere NPA-Sprecher und –Präsidentschaftskandidat sowie Gewerkschafter der Basisgewerkschaft SUD-PTT, Olivier Besancenot, zusammen mit fünfzehn weiteren Postbediensteten vor Gericht antanzen. Den 16 Postbeschäftigten und Mitgliedern von SUD-PTT sowie CGT-PTT wird vorgeworfen, bei einer Aktion gegen Umstrukturierungspläne ihrer Direktion am 10. Mai 2010 insgesamt dreizehn Führungskräfte und (meistens leidende, pardon: leitende) Angestellte des Unternehmens La Poste für zwei Stunden angeblich in ihren Büros festgehalten zu haben. Die relative Prominenz Olivier Besancenots (welcher für das kommende Jahr erklärt hat, keinen Bock mehr auf eine Wahlkandidatur zu haben, da er lieber in sozialen Bewegungen agiere) sorgte dafür, dass das Verfahren hohe Aufmerksamkeit in den Medien fand. Auch hier hatten sich rund 200 Personen, unter ihnen linke Prominenz, vor dem Gerichtsgebäude versammelt.

Diese Aktion der sechzehn Postbediensteten wird durch die Staatsanwaltschaft als „gemeinschaftlich begangene Freiheitsberaubung“ charakterisiert. Dafür drohen den Angeklagten theoretisch bis zu fünf Jahre Haft und/oder eine Geldstrafe bis zu einer Höhe von 75.000 Euros. In ihrem Plädoyer vom Montag dieser Woche gab die Staatsanwaltschaft nochmals ordentlich Zunder und behauptete, „die Grenzen einer gewerkschaftlichen Aktion“ seien in diesem Falle „klar überschritten“ worden. (Vgl. dazu http://www.lepoint.fr/societe/proces-pour-sequestration-olivier-besancenot-fixe-aujourd-hui-27-06-2011-1346250_23.php und http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2011/06/27/97001-20110627FILWWW00640-besancenot-mon-proces-fera-date.php oder http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5hJioEuPaTsz2e8GRgOuUnoNqbKcA?docId=CNG.e112b0ffd685817ab7286dfc4b12dac9.121 ) Die Staatsanwaltschaft fordert darum die Verurteilung der 16 und hielt sogar „verschärfende Umstände“ fest, die das Strafmaß theoretisch verdoppeln können, vgl. auch http://lci.tf1.fr/filnews/france/sequestration-le-procureur-demande-la-condamnation-des-16-postiers-6552345.html

Das Urteil im letzteren „Fall“ steht bislang noch aus. Wir werden unsere Leser/innen natürlich darüber unterrichtet halten.

Artikel von Bernard Schmid vom 01. Juli 2011


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