letzte Änderung am 6.August 2003

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José Bové ist frei ! ­

Vor Bombenerfolg des Widerstandsfestivals auf dem Larzac ?

Dem Sommerloch sei Dank : Selten war derart viel Platz in den Medien für die vielfältigen sozialen Widerstandspotenziale, wie derzeit ­ mal abgesehen natürlich von den Perioden größerer Streikwellen. Der Freilassung des linksalternativen Bauerngewerkschafters José Bové am vorigen Wochenende, sowie der Vorbereitung des (von ihm selbst vor seiner Inhaftierung eingefädelten) Widerstandsfestivals auf dem Hochplateau des Larzac, in Hospitalet-du-Larzac - rund 20 Kilometer südlich von Millau - wird daher zurzeit viel Aufmerksamkeit gewidmet. Neben der Hitze und der Rekord-Trockenheit, die gerade auch das Larzac-Massiv betrifft - ein weiterer passender „Link“ zum Thema ­ gibt es ja sonst für französsische Medien aus dem Inland nicht so viel zu berichten.

Widerstandsfestival in Hospitalet-du-Larzac

Der 30. Jahrestag der ersten Höhepunkte sozialen Widerstands auf dem Larzac fließt mit aktuellen Ereignissen zusammen. Namentlich mit der vorzeitigen Haftentlassung (unter Auflagen) Bovés und auch der Vorbereitung auf die Protestaktivitäten anlässlich des nächsten WTO-Gipfels, der vom 10. bis 14. September dieses Jahres im mexikanischen Cancun stattfindet. Ferner vermischt sich die Mobilisierung für das „30-Jahre-Larzac“-Happening auch mit aktuellen sozialen Kämpfen, namentlich jenen der streikenden Kulturschaffenden und der (bis zum Beginn der Sommerferien vor gut einem Monat) ebenfalls ausständischen LehrerInnen; beide Gruppen werden auch am Wochenende auf dem Larzac stark präsent sein. So wird le réseaudesbahuts , das „Netzwerk-der-bahuts“ (bahut: dieser Begriff bedeutet in der französischen Alltagssprache so viel wie „Penne“ und wird von den LehrerInnen ironisch auf ihre Arbeitsstätten bezogen) einen Stand beim Widerstandsforum unterhalten. Beim réseaudesbahuts handelt es sich um jenen selbstorganisierten (d.h. unabhängig von bestehenden Gewerkschaftsorganisationen oder anderen festen Strukturen) Internet-Informationsdienst, der anlässlich des dreimonatigen Lehrerstreiks im April/Mai/Juni 2003 eine wesentliche Funktion für die Kommunikation und Koordinierung zwischen den verschiedenen bestreikten Schulen wahrnahm. Daneben zählt die größte Lehrergewerkschaft FSU, ebenso wie der Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften SUD und natürlich auch die linke Bauerngewerkschaft Confédération paysanne (kurz Conf‘ genannt), zu den Veranstaltern des Widerstandsfestivals. Jene zählen aber auch die militante Immigranten-Selbstorganisation Mib (Mouvement de l’immigration et des banlieues - Bewegung der Immigranten und der Vorstädte) und das Netzwerk Attac in ihren Reihen. Die seit Juli auf breiter Front streikenden und um ihre soziale Existenz kämpfenden Kulturschaffenden, deren soziale Unterstützung nach einem „sozialpartnerschaftlichen“ Abkommen vom 27. Juni ­ dem die Regierung am gestrigen 5. August nunmehr definitiv Rechtsgeltung zusprach ­ drastisch reduziert werden soll. Bei den Streikversammlungen auf dem Theaterfestival von Avignon, das am 10. Juli dann wegen der massiven Ausstände abgesagt werden musste, war die Mobilisierung auf das Larzac-Plateau Anfang Juli vielfach Thema gewesen. Seitdem wird von vielen Seiten her moblisiert: Aus dem Département von Orléans etwa ruft eine vierseitiges, professionnel gemachtes Faltblatt die KünstlerInnen und Kulturleute zur Teilnahme an dem Widerstandsfestival auf. Aus Chalon-sur-Sâone (bei Dijon) kündigten Straßentheatergruppen ihre Teilnahme an, die auf dem Larzac ihre künstlerischen Ausdrucksformen „einbringen“ werden. Insgesamt ist, laut der Dienstagsausgabe (5. August) der Pariser Abendzeitung „Le Monde“, mit 50.000 bis 100.000 Teilnehmenden zu rechnen. Die derzeitigen Schwierigkeiten, sich von Paris aus noch Mitfahrgelegenheiten zu organisieren ­ mehrere Busse am Donnerstag sowie Freitag abend sowie zahlreiche PKWs mit Mitfahrgemeinschaften starten auf den Larzac ­ vermitteln ein gewisses Bild der Mobilisierung. „Le Monde“ bezeichnet die drei Tage des kommenden Wochenendes bereits als „DIE politische Tribüne dieses Sommers gegen die Reformen der Regierung“. So etwas lässt sich hören… Die meisten TeilnehmerInnen werden auch vor Ort campen, aber unter der Bedingung, gewisse Sicherheitsvorkehrungen aufgrund der Hitze u. starken Trockenheit und der damit erhöhten Waldbrandgefahr einzuhalten. So herrscht notwendigerweise ein striktes Verkaufsverbot für Zigaretten. Nähere Einzelheiten zu Anfahrt u.a.w. bitten wir der extra eingerichteten Homepage (in mehreren Sprachen) www.larzac2003.org zu entnehmen .

30 Jahre Bewegung auf dem Larzac

Die erste massive Demonstration mit mehreren Zehntausend TeilnehmerInnen fand im August 1973 statt ­ ihr dreißigster Jahrestag ist es, der an diesem Wochenende gefeiert wird. Fast zehn Jahre lang sollte noch demonstriert werden: mit und ohne Traktoren, mit und ohne Schafherden, auf dem Land und in Großstädten ­ in Millau, der Bezirkshauptstadt Rodez und auch in Paris. 1973 besiegelte die Anwesenheit der Arbeiter aus der Uhrenfabrik Lip im ostfranzösischen Besançon, die damals in ihrem ein Jahr währenden Kampf um „Selbstverwaltung“ standen (die Fabrik war vom Eigentümer geschlossen und im Anschluss durch die Arbeiter besetzt worden, die sie in Eigenregie weiter betrieben), wie es in der Sprache jener Zeit hieß, „das Bündnis von Arbeitern und (kämpfenden) Bauern“.

Die gesellschaftlichen Mentalitäten auf dem Larzac wurden dadurch völlig umgekrempelt. Viele städtische Linksradikale oder Intellektuelle ließen sich auf dem Larzac nieder und versuchten sich ihrerseits in der Schafzucht ­ am Anfang mit Tieren, die ihnen die ortsansässigen Bauern geschenkt hatte. Einer von ihnen war ein 1973 ankommender, junger Philosophiestudent aus Bordeaux, der nebenbei noch Sohn eines prominenten Genforschers war: ein gewisser José Bové.

In der Folgezeit wurde viel mit Formen kollektiver Landbewirtschaftung experimentiert, auch seitens der alteingesessenen Landwirte ­ um überhaupt die intensiven Aktivitäten (mindestens drei Versammlungen pro Woche…) durchhalten zu können. Im Juni 1981 hielt der frisch gewählte „sozialistische“ Präsident François Mitterrand eine ­ angebrachte - innenpolitische Frontbegradigung für geboten, und gab bekannt, der Plan zur Errichtung des Armee-Testgeländes auf dem Larzac werde aufgegeben. In der Folgezeit gab die Militärverwaltung die zuvor aufgekauften oder enteignenten Ländereien zurück. Sie wurden durch die kollektiv im Namen der Bauern arbeitende „Bodengesellschaft des Larzac“ SCTL übernommen und bewirtschaftet. Auch die Vermarktung des in der Region erzeugten Roquerfort-Käses wurde kollektiv organisiert. Bis heute sind einige Strukturen dieser „Experimente“ bestehen geblieben.

Da der Larzac bis in die frühen 80er Jahre hinein viel Solidarität „empfangen“ hatte, gab er nun auch viel internationale Solidarität zurück ­ allen, die für „das Recht auf Boden jenen, die ihn bewirtschaften“ oder gegen seine Verseuchung und Vergiftung protestierten und kämpften. So gab es Solidaritätsaktivitäten für die um Unabhängigkeit kämpfenden Kanaken in der französischen Kolonie Neukaledonien. (Dort wurde Präsident Chirac übrigens jüngst, am 25. Juli 03, von Rufen empfangen: “Chirac in’s Gefängnis, Bové nach Hause“. Dieser Slogan war von AnhängerInnen der Freilassung José Bovés in den Wochen davor vielfach im kolonialen „Metropolen“land skandiert worden.) Auch anderen Pazifik-Bewohner, die sich gegen die französischen Atomwaffentests wehrten, und japanische Anti-Nuklear-Aktivisten wurde eifrig unterstützt. Mit diesen Aktivitäten ist José Bové, der Sprecher für internationale Kontakte der linken Bauerngewerkschaft Confédération paysanne ­ die heute viel von ihrer Mobilisierungsfähigkeit aus der Larzac-Erfahrung schöpft ­ ist, bestens vertraut. Er reist regelmäßig zu Solidaritätszwecken quer durch die Kontinente. Nicht verschwiegen oder unter den Teppich gekehrt werden soll, dass dabei anscheinend andere legitime Anliegen mitunter vernachlässigt wurden. Laut Aussagen seiner getrennt lebenden Frau Alice soll die Beteiligung José Bovés an der (theoretisch gemeinsamen) Hausarbeit jedenfalls nicht eben bedeutend gewesen sein, oder jedenfalls keinesfalls proportional zu seinem sonstigen Engagement. Ein Widerspruch, der sicherlich nicht nur Bové betrifft…

Haftentlassung Bovés (unter Auflagen)

Am vorigen Freitag, dem 1. August, ordnete der Haftrichter am Revisionsgericht von Montpellier an, Bové vorzeitig (unter Auflagen) aus der Haft entlassen, wo er eigentlich bis Weihnachten hätte sitzen sollen. Bové war am 26. Februar dieses Jahres letztinstanzlich zu 10 Monaten Haft verurteilt worden. Denn drei Jahre zuvor hatte er, zusammen mit indischen Bauern ­ die auf einer Europa-Solidaritätstournee gegen die Praktiken des Agro-Multikonzerns Monsanto unterwegs waren ­, genmanipulierte Reissetzlinge bei Montpellier ausgerissen. Dass ein Häftling, der zu weniger als einem Jahr Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, deutlich vorzeitig freikommt (bzw. normalerweise gar nicht erst inhaftiert wird) ist eigentlich eine normale Angelegenheit. Derzeit befinden sich 2.550 Verurteilte in einer ganz ähnlichen Situation wie Bové. Unnormal war eher, dass Bové überhaupt ­ mittels eines spektakulären Gendarmerie- und Helikopter-Einsatzes am 22. Juni ­ in die Haftentstalt befördert worden war. Dies rührte daher, dass Bové sich geweigert hatte, mit der staatliche Justiz über Modalitäten seiner Strafvollstreckung zu verhandeln ­ weil er einem justiziellen Urteil aufgrund gewerkschaftlicher bzw. sozialer Aktivitäten die Legimität absprach, und weil er statt institutioneller Wege eher auf politischen Druck setzte. Zunächst weigerte Bové sich nach seiner Einlieferung in die Haftanstalt in diesem Sinne auch, mit der Justizverwaltung in Verhandlungen etwa bezüglich Freigangs (zur Verfolgung einer Erwerbstätigkeit) aufzunehmen. Doch alsbald erwiesen sich die Haftbedingungen als weitgehend unerträglich, vor allem aufgrund der Unmöglichkeit, Nachtruhe zu finden. In der Zelle, in der Bové einsaß, herrschte die ganze Nacht hindurch Lärm ­ von Mitgefangenen, aber auch durch eine ihr benachbarte Belüftungsanlage, die ihn dazu zwang, auch bei 40 Grad Temperatur das Fenster nachts ständig geschlossen zu halten. Am 29. Juli stellte Bové daher über seinen Anwalt, François Roux (auch er ein früher Larzac-Aktivist, der bereits 1976 die ersten Angeklagten aus der Protestbewegung verteidigte) doch noch einen Antrag auf Freigang. Dieser wurde ihm gewährt, unter der Auflage, sich mindestens alle 14 Tage polizeilich zu melden. Ferner muss er ­ neben seiner landwirtschaftichen Tätigkeit ­ im Rahmen der modifizierten Strafvollstreckung einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Dafür wurde aber eine erträgliche Regelung gefunden, indem Bové fünf Monate lang halbtägig bei der Vereinigung für die Entwicklung des Larzac APAL arbeitet. Diese Vereinigung wurde 1982 durch Freunde des Larzac-Widerstands gegründet. Im Rahmen dieser Erwerbstätigkeit ist Bové nunmehr - mit der Vorbereitung des Widerstandsfestivals vom Wochenende befasst, dessen Ausgansidee ursprünglich auf ihn zurückgeht.

Zu den Auflagen gehört ferner, jedes Verlassen des Staatsgebiets vorab autorisieren zu lassen. Deswegen wird Bové auch eine Genehmigung benötigen, um vom 10. bis 14. September im mexikanischen Cancun anwesend zu sein, wo der nächste WTO-Gipfe, aber auch entsprechende Gegenaktivitäten stattfinden werden. Derzeit zeigt sich Bové jedoch zuversichtlich: Der Presse steckte er, die Flugtickets seien bereits gekauft. Die Staatsanwaltschaft (die dem Justizministerium untersteht) hätte binnen 24 Stunden nach der Entscheidung des Haftrichters Einspruch dagegen einlegen können. Die Frist verstrich jedoch am Samstag, 2. August ohne einen solchen Einspruch. Jean-Emile Sanchez, einer der anarcho-syndikalistischen Köpfe der Confédération paysanne im Département Aveyron (sein Vater kämpfte im spanischen Bürgerkrieg und kam im Anschluss in’s südfranzösische Exil), erklärte gegenüber „Le Monde“: „Nach einem in sozialer Hinsicht heißen Frühjahr war die Regierung offenkundig darum bemüht, Minen zu entschärfen, um einen ebenso heißen Herbst tunlichst zu verhindern“. Tatsächlich hatte die Agitation für dei Freilassung Bovés im Frühsommert ­ nach dem Auslaufen der Streiks gegen die Rentenreform ­ mit dazu beigetragen, die soziale Temparatur oben zu halten. Sogar die Tour de France war mehrfach von AnhängerInnen der Freilassung Bovés gestört worden, etwa zwischen Gap und Marseille (…die eher rechte Boulevardzeitung „France Soir“ machte daraus am 16. Juli sogar ihre Titelstory).

Bové, der aufgrund seiner Prominenz mit Sicherheit kein „gewöhnlicher“ Gefangener war, erwies sich im Gefängnis sowohl als Objekt als auch als Subjekt von Solidarität. Solidarität erwiesen ihm zunächst die Mitgefangenen: Da Bové überraschend und gegen 6 Uhr in der Frühe von seinem Hof abtransportiert worden war und daher mit buchstäblich leeren Händen und Taschen eingeliefert wurde, sammelten die Mitgefangenen spontan für ihn. Bereits am ersten Nachmittag erhielt er drei Tüten voll mit Früchten, Tabak, Papier und Briefumschlägen sowie ­marken und anderen Gebrauchsgegenständen, die im Knast entweder mitgebracht oder gekauft werden müssen.

Sein prominenter Sonderstatus sorgte dafür, dass auch eine Reihe von Parlamentariern von ihrem ­ jederzeit ohne Beschränkung gewährten ­ Besuchsrecht bei Gefangenen Gebrauch machten. Insgesamt 25 Abgeordneten, ausnahmslos von den Linksparteien, haben ihn in der Haft besucht. Bové hat seinen Bekanntheitsgrad aber auch genutzt, um sich für Mithäftlinge einzusetzen und über die teilweise hanebüchenen Haftbedingungen Zeugnis abzulegen. Einem 39jährigen, an AIDS sowie Heptatis erkrankten Gefangenen, der an Krücken gehen muss, war bis dahin die Haftentlassung unter Auflagen ­ die juristisch möglich gewesen wäre - verweigert worden. Nachdem Bové die Nachricht nach draußen dringen lassen, durfte er am 29. Juli vor einer Kommission erscheinen, die seinen Strafvollzug lockerte. In einem anderen Fall konnte ein Besucher ­ nicht explizit, aber faktisch ­ keinen Besuch von seiner Frau mehr erhalten, da diese behindert ist und die Knastverwaltung ihm stur die Verlegung vom ersten Stock ins Erdgeschoss verweigerte. Durch Mithilfe von José Bové konnte er die Verlegung endlich erreichen. Bové diskutierte nach seinem Bericht gegenüber der Presse (den „Libération“ am 4. August abdruckte) aber auch mit Aufsichtskräften über deren teilweise unglaublichen Arbeitsbedigungen, die ebenfalls zu einer Verschärfung der Beziehungen im Knast beitragen. Besonders bei den jüngeren fand er ein offenes Ohr und Anzeichen für Solidarität.

Bleibt zu hoffen, dass der Gewerkschafter Bové so „unverbesserlich“ bleibt und ihm seine nochmals gestiegene Prominenz nicht stärker zu Kopf steigt, als bisher.

Bernhard Schmid, Paris

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