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9. Juni in Paris - 25.000 demonstrieren gegen Entlassungen

Entlassungen von ca. 40.000 Beschäftigten sind in den unterschiedlichsten Branchen angekündigt worden – die Empörung ist groß. Umfragen zufolge lehnen 89% der Franzosen und Französinnen "Entlassungen aus Profitgründen" ab.

Drei Konzerne haben vor allem allgemein Entrüstung ausgelöst: Danone will seine Keksproduktion dichtmachen (570 Entlassungen), weil in dieser Branche die Profite etwas niedriger (!) sind als bei Milchprodukten, dabei geht es Danone mit umgerechnet 1,4 Milliarden DM Gewinn so gut wie lange nicht. Die britische Bekleidungskette Marks & Spencer will alle Läden außerhalb Großbritanniens schließen (1.700 Ent-lassungen in Frankreich) und hat zugleich 2 Milliarden Pfund an Aktionäre und Aktionärinnen ausgeschüttet. Schließlich haben die Fluggesellschaften AOM/Air Liberté, bei denen der französische "Arbeitgeberpräsident" zu den Hauptaktionären gehört, 1.500 Entlassungen angekündigt.

Gesetzliche "Regulierung" oder Klassenkampf

Das Aufsehen war so groß, dass auch die Regierungslinke (Sozialdemokratie, "Kommunistische" Partei, Grüne u. a.) nicht einfach darüber hinweg gehen konnte. Vor allem nicht die KP, die noch ziemlich stark in der arbeitenden Klasse verankert ist, und deshalb in den letzten Jahren einen Spagat "mit einem Fuß in der Regierung, mit einem Fuß auf der Straße" versucht, dabei aber alle Maßnahmen gegen die arbeitende Bevölkerung loyal mitträgt. Die KP hat die Initiative zu einer ersten Demonstration gegen die Schließung des Danone-Standorts in Calais am 22. April ergriffen, an der sich 10.000-15.000 beteiligt haben.

In der Bewegung standen sich von Anfang an jedoch zwei gegensätzliche Perspektiven gegenüber. Einerseits die Vorstellung, Druck auszuüben für eine gesetzliche Regelung gegen Entlassungen, die aber in einem bürgerlichen Staat allerhöchstens eine "sozialverträgliche" Regulierung von Entlassungen sein kann, andererseits die konsequente Mobilisierung der Betroffenen und aller Arbeitenden, um die Unternehmen zur Zurücknahme ihrer Entschlüsse zu zwingen.

Die Jospin-Regierung wollte die Betroffenen mit einem "Gesetz zur sozialen Modernisierung" vertrösten, das sich angeblich auch gegen Entlassungen richtet. Es sieht allerdings nur vor, die gesetzlichen Mindestabfindungen zu verdoppeln, die weit unter dem in Sozialplänen Üblichen liegen. Das Gesetz wurde von den von Entlassung Bedrohten zu Recht als blanker Hohn aufgefaßt.

Die KP wollte demonstrieren, um die parlamentarische Debatte zu beeinflussen und sich mit einer unbedeutenden "Verbesserung" von Jospins Gesetz schmücken zu können.

Eine Initiative unabhängig von Regierung und Gewerkschaftsbürokratie

Doch in Ris-Orangis, dem zweiten Danone-Standort auf der Abschussliste, hat ein Zusammenschluss der betrieblichen Gewerkschaftsstrukturen, der mit der revolutionären Linken sympathisiert, die Initiative zu einer zentralen frankreichweiten Demonstration am 9. Juni ergriffen. Der Kontakt zu Marks & Spencer und AOM wurde hergestellt, alle Betroffenen und alle gewerkschaftlichen und politischen Organisationen wurden aufgefordert, sich an der Mobilisierung zu beteiligen. Weder die Gewerkschafts-vorstände noch die Regierungspartei KP hatten die Kontrolle. Die großen Gewerkschaften CGT, CFDT und FO haben sich dann auch geweigert, die Demonstration zu unterstützen – unter dem Vorwand, es sei eine politische Demonstration. Trotzdem kamen annähernd 25.000 am 9. Juni in Paris zusammen, zu vergleichbaren Teilen die Betroffenen von Danone, Marks & Spencer und AOM; Aktivisten und Aktivistinnen der KP; die revolutionäre Linke; kleinere Gewerkschaften. Auch wenn das noch keine Größenordnung ist, die den Unternehmen wirklich Angst einjagt, so ist es doch ein Erfolg, der eine notwendige weitere Mobilisierung nach der Sommerpause ermöglicht.

Richard Lux
Aus Avanti Juni-August

 

Entlassungen - Wie muss die Gegenoffensive aussehen?

Unter den AktivistInnen in Betrieb und Gewerkschaft wird die Frage, wie man gegen die Entlassungspläne vorgehen soll, seit über einem Jahr diskutiert, seit einen halben Jahr recht intensiv. Auch im Parlament gerät die Diskussion wiederholt aufs Tableau. Um die politischen Diskussionen, die zu der Demonstration vom 9. Juni geführt haben besser verstehen zu können bringen wir das nachfolgende Interview, das noch vor dem Aufruf zur Demo aufgenommen wurde. Claude Gabriel (Wirtschaftswissenschaftler) und Charles Paz (Gewerbeaufsichtsbeamter) – beides Mitglieder der LCR, der französischen Sektion der IV. Internationale – antworten auf die Fragen von Dominique Mezzi, abgedruckt in rouge, der Wochenzeitung der LCR.

 

Frage: Auf welcher Ebene kann man Multis wie Danone oder Marks & Spencer aktiv entgegentreten: auf europäischer, betrieblicher oder staatlicher?

C. P.: Theoretisch am besten auf europäischer Ebene. Um aber effektiv mobilisieren zu können, muss man von den Betrieben ausgehen, wo die kämpferischsten Aktivisten vorhanden sind und diese örtlichen Initiativen mit-einander vernetzen und damit auf eine breitere Basis stellen.

C. G.: Man kann nicht einfach darauf bauen, dass kämpferische Sektoren die gleiche Reaktion in allen Sektoren auslösen. Grundlage jeder Mobilisierung sollte das Ziel sein, Rechtsnormen zu schaffen, sodass die fortschrittlichsten Sektoren Verteidigungslinien für die anderen schaffen.

C. P.: Was diese Rechtsnormen anbelangt, ist m.E. klar, dass sie lediglich ein momentanes Kräfteverhältnis zum Ausdruck bringen. In puncto Entlassungen rührt man an die Macht der Unternehmer und dazu ergreifen die Re-gierungen keine Position. Jospin sagt, dass er nichts machen könne.

Frage: Wenn die Arbeiter aber mit Entlassungen konfrontiert werden, denken sie nicht an künftige Rechte, sondern gehen die Probleme mit Sofort-forderungen an, d.h. mit einer strikten Ablehnung. Auf gesamteuropäischer Ebene wäre dies trotz damit verbundener Schwierigkeiten effektiver.

C. G.: Man muss halt einschätzen, was angesichts des jeweils gegebenen Kräfteverhältnisses glaubwürdiger ist. Die Forderungen der Beschäftigten an alle Verhandlungspartner schließen die recht-liche Dimension mit ein. Die Beschäftigten bei Danone sagen: Wir wollen diesen Industriestandort erhalten. Also brauchen die Behörden und die Be-schäftigten das Recht, eine solche Umstrukturierung zu verbieten.

C. P.: Was die Glaubwürdigkeit der Forderungen angeht, gibt es sicherlich ein tief verwurzeltes Gefühl der Unrecht-mäßigkeit der skandalösen Entschei-dungen. Bei Danone ist die Ertragslage bekannt und bei Marks & Spencer geht es um einträgliche Immobiliengeschäfte. Wir müssen daher Losungen entwickeln, die diese Ungerechtigkeit aufgreifen, und dazu gehört auch der juristische Aspekt. Aber wir können nicht die Illusion erwecken, dass das Gesetz an diesen Dingen ungeachtet der Kräfteverhältnisse etwas rühren kann. Es geht hier um die Verfügungsgewalt über ein kapitalistisches Unternehmen und nicht um irgendwelche Verordnungen, die die Kosten der Ausbeutung erhöhen.

C. G.: Was die Kräfteverhältnisse angeht müssen die doch erst einmal geschaffen werden. Die überwältigende Mehrheit der Umstrukturierungen geht mittlerweile vonstatten, ohne dass die Allgemeinheit Notiz davon nimmt oder die Betroffenen dagegen mobilisieren. Dies müssen wir erst mal zur Kenntnis nehmen. Wenn für Lohnerhöhungen gestreikt wird, hat man doch immer ein festes Ziel vor Augen: 1000 oder 1500 Francs. Das gleiche gilt für Umstrukturierungen. Man beklagt die Ungerechtigkeit, versucht aber, ein bestimmtes Ziel zu formulieren, sei es auf örtlicher Ebene, gegenüber den Behörden oder auf Ebene einer ganzen Unternehmens-gruppe. Nur so zielt man auf das Kräfteverhältnis, weil ansonsten die Beschäftigten sich individuell um Höherstufungen oder Leistungs-prämien kümmern.

Die große Mehrheit der Umstrukturierungen beruht darauf, dass Unternehmen schlecht laufen. Dies ist die logische Folge des Konkurrenzkampfes, bei dem es immer Gewinner und Verlierer gibt. Auch die Beschäftigten unterliegen diesem Konkurrenzprinzip. Es geht nicht nur um ungerechtfertigte Profite. Das Unrecht liegt darin, dass die Beschäftigten bezahlen und die Geschäftsführer nicht. Natürlich geht es bei Marks & Spencer auch um Immobiliengeschäfte. Aber diese Gruppe fährt auch seit drei Jahren beträchtliche Verluste ein. Bezahlen dafür sollen wieder nur die Beschäftigten! Bei Danone hingegen läuft das Unternehmen gut, aber es soll umorganisiert werden, um Marktanteile und Rentabilität zu verbessern. Dies müsste rigoros verboten werden. Solange das Privateigentum regiert, sind es die Beschäftigten, die bezahlen. Diese Ungerechtigkeit muss in Mobilisierungen umgemünzt werden mit Forderungen nach Kontrolle und Rechten.

C. P.: Die meisten mittleren und Kleinunternehmen sind Zulieferbetriebe für Konzerne. Ihre wirtschaftlichen Probleme rühren aus den Bedingungen, die ihnen von den Konzernen auferlegt werden. In dieser Hierarchie werden die Zulieferbetriebe völlig erdrosselt. Der Zulieferer für sich steckt in den roten Zahlen, aber auf den ganzen Markt bezogen sackt einer die Gewinne ein. Es wäre wichtig, die Auftraggeber für die von ihnen letztlich zu verantwortenden Entlassungen in die Pflicht zu nehmen.

Wie hoch ist andererseits bei profi-tablen Unternehmen wie Danone die Lohnquote? Vielleicht bei 15%. Bei einem Abbau der Beschäftigtenzahlen in einer Größenordnung von 5% ist dies hinsichtlich der Gewinne letztlich eine Randgröße. Die Entlassungen sind also ebenso sehr politisch wie wirtschaftlich begründet; es geht um die Schaffung einer Reservearmee, um das Mobilisierungspotential zu schwächen.

Eine Mobilisierung geht immer von den fortgeschrittensten Sektoren aus, die ein kämpferisches Kollektiv geschaffen haben, das zu Initiativen fähig ist. Ich bin überzeugt davon, dass die Mobilisierung für ein Verbot aller Entlassungen breite Wirkung zeigt, weil sich darin die unter-schiedlichen Bedingungen zu einer Parole zusammenführen lassen, die da heißt: Es gibt keine Rechtfertigung für Entlas-sungen. Es gibt keinen Grund, weswegen ein Lohnabhängiger/eine Lohnabhängige in die Arbeitslosigkeit geraten sollte.

Frage: Die Lohnabhängigen sprechen nicht wirklich von Rechten. Sie sagen: wir lehnen die Entlassungen und Betriebsschließungen ab, unabhängig davon, wer der jeweilige Verhandlungspartner ist.

C. G.: Eine solche Reaktion ist völlig legitim. Aber man darf sich nicht auf eine Losung beschränken. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass die Produktionssphäre etwas unabänderliches sei. Ein typisches Beispiel ist: Was geschieht mit der Rüstungsindustrie, den umwelt-schädlichen Fabriken und den Atom-kraftwerken? Wir müssen einräumen, dass die Gesellschaft ihre Funktionsweise umorganisieren muss, einschließlich industrieller Gegebenheiten. Umgekehrt darf man die Ren-tabilitätshinweise der Unternehmer nicht für bare Münze nehmen. In vielen Fällen ist also die Parole: "Keine Entlassungen" völlig legitim. Wenn diese Umstände jedoch nicht zutreffen, lautet die korrekte Losung: Für das Recht auf Arbeit und Lohn, mit all den Implikationen.

Ich bin 100% einverstanden, dass die Verhältnisse zwischen Unternehmen und Zulieferern gesellschaftlich transparent gemacht werden. Wenn also ein bestimmter Unternehmer nicht immer für die Situation verantwortlich ist, sollte man die Lieferbeziehungen rauf und runter verfolgen, um die Zusammenhänge offenzulegen, und zwar so, dass Verant-wortung und Kosten in gesellschaftlicher, finanzieller und auch strafrechtlicher Hinsicht klar erkennbar werden. Hierfür bedarf es einer Gesetzesänderung.

Frage: Das Parlament wird sich mit gesetzlichen Regelungen zur "Umstrukturierung", auch damit verbundenen Entlassungen befassen. Welche Forderungen sollen wir aufstellen?

C. P.: Das Verbot von Entlassungen überhaupt bedeutet nicht, dass man an allen vorhandenen Produktionsstandorten - so wie sie sind - festhält. Aber es bedeutet, dass, wenn ein Atomkraftwerk geschlossen wird, die Beschäftigten nicht entlassen werden und ihre Löhne weitergezahlt werden, bis sie wieder eine geregelte Arbeit aufnehmen. Dies ist eine gesellschaftlich notwendige Forderung und die Unternehmer sollen dafür bezahlen.

C. G.: Ich bin einverstanden. Dennoch gilt, dass Entlassungen einen Bruch des Arbeitsvertrags darstellen. Es gibt Situa-tionen, wo das Beschäftigungsverhältnis mit demselben Arbeitsvertrag fortdauern kann und andere, in denen dies schwierig erscheint. Zum Beispiel, wenn das Unternehmen als juristische Person nicht mehr existiert. Hier muss ein (gesellschaft-liches) Einkommen gewährleistet werden, bis eine neue Arbeit gefunden wird.

C. P.: Bei den industriellen Umstrukturierungen liegt das Problem darin, dass nur die Unternehmer von den Produk-tivitätssteigerungen profitieren. Hieraus ergibt sich die Forderung nach einer gleitenden Skala der Arbeitszeit, d h. der jeweils erforderlichen Verkürzung der Arbeitszeit. Man kann genauso viele Kekse kaufen und herstellen wie bisher und weniger arbeiten.

C. G.: Wir dürfen nicht nur die Beschäftigten der Großkonzerne im Auge haben, sondern auch die Beschäftigten im Handwerk, in Bäckereien z.B., die ent-lassen werden, weil dem Besitzer wegen neu eröffneter Großmärkte der Umsatz wegbricht. Es ist genauso unerträglich, eine Putzfrau oder einen Bäckerlehrling zu entlassen wie einen Arbeiter in der Automobilindustrie. Die Lohnabhängigen dürfen in keiner Weise auch nur den geringsten Preis für unternehmerisches Versagen, konkurrenzbedingter Um-strukturierung, Managementfehler oder neue Technologien bezahlen. Sie müssen Einkommen, Beschäftigung und – wenn möglich – Arbeitsvertrag behalten können.

Die Lohnabhängigen haben durch die Einheitsakte und die Verträge von Ma-astricht eine schwere Niederlage erlitten. Während ausgefeilte Unternehmensrechte in Europa geschaffen werden, gibt es in sozialen Fragen keine Fortschritte. Dies ist eine zentrale politische Heraus-forderung, der durch europaweite Mobilisierungen mit dem Ziel gesetzlicher Regelungen und Kontrollmechanismen begegnet werden muss.

C. P.: Wir müssen uns auch zu bestimmten jüngst vorgebrachten Vorschlägen verhalten. Was die behörd-liche Genehmigung von Entlassungen angeht, hat sich dies in der Erfahrung als stumpfe Waffe erwiesen, da der Gewerbeaufsichtsbeamte nicht an Unternehmensentscheidungen rühren kann. Aber warum sollte man diese Kompetenz einem Beamten, der ja den Staatsapparat vertritt, und nicht den Arbeitern selbst erteilen?

Zweitens bin ich nicht mit dem von Noel Mamère vorgebrachten Vetorecht für Unternehmenskomitees [spezifisch französisches Mitbestimmungsorgan] einverstanden. Diese Komitees sind undemokratische Strukturen fernab der Beschäftigten, die die leitenden Angestellten überbewerten. Andererseits geht das Vetorecht nicht automatisch von der Unzulässigkeit von Entlassungen aus. Der Unternehmer kann enormen Druck auf die Komiteemitglieder ausüben, damit diese seine Entscheidungen akzeptieren.

C. G.: Genau! Ein Unternehmens-komitee kann durchaus für eine Betriebsschließung sein statt als Sach-walter der Interessen der Beschäftigten zu fungieren. Eine Gesetzesänderung, die die Komitees mit zusätzlichen Vollmachten ausstattet, wäre unzureichend und ginge am Kern der Sache vorbei.

Interview durch Dominique Mezzi
Rouge 1918 v. 12.4.2001
Übers.: MiWe
Aus Avanti Juni-August


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