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Updated: 18.12.2012 15:51
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Antillen: Einlenken der französischen Staatsmacht - Oder doch nicht?

Antillen: Einenken der französischen Staatsmacht - Oder doch nicht?Mister Bean ist nicht mehr sehr beliebt auf den Antillen. In jüngster Zeit glaubt man seinem Wort nicht mehr. "Mister Bean", das ist der Spitzname, den man auf den administrativ zu Frankreich gehörenden Karibikinseln Gouadeloupe und La Martinique dem Pariser Überseeminister Yves Jégo - einem aufstrebenden Jungpolitiker der rechten Regierungspartei UMP - gegeben hat.

Letzterer hatte in den letzten Wochen zuerst mit Vertretern der Protestbewegung auf Gouadeloupe verhandelt, war aber dann am 9. Februar überstürzt und ohne Vorwarnung nach Paris abgereist. Als er zurückkam, galt sein zuvor abgegebenes Wort nicht mehr. Vor seiner Abreise hatte der Minister noch ein Protokoll unterschrieben, das die Anhebung aller Niedriglöhne um 200 Euro vorsieht. Genau dieser Forderung aber, so verlautbarte die Pariser Regierung nach seiner Rückkehr auf die Insel drei Tage später unisono, werde auf keinen Fall nachgegeben: Alles andere ja, aber dies komme nicht in Frage. Aus Sicht der französischen Generalregierung würde es einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen: Nach den Einwohnern der französischen Antillen könnten dann ja auch die Menschen in anderen "Überseegebieten" Forderungen stellen - etwa in La Réunion im Indischen Ozean, wo ab dem 5. März zum Generalstreik aufgerufen wird. Und, warum nicht, danach auch in Festlandfrankreich?

Am Montag früh vergangener Woche begann die Radikalisierung des Protests, durch die Errichtung zahlreicher Straßensperren. Gleichzeitig setzte auch die Repression ein. Die linksliberale Tageszeitung Libération schildert: "Sie sind alle weiß und laufen - Knüppel in der Hand - herum, inmitten der Kokospalmen-Stümpfe, Reifen, Abfälle und großen Steine, mit denen die Fernverkehrsstraße blockiert ist. Sie sind alle schwarz und weichen vor dem Ansturm zurück, indem sie ihre Hymne singen (.)." Einige Zeilen weiter wird geschildert, wie 50 Demonstranten und Blockierer festgenommen werden: "<Worauf warten wir, um das alles einzuladen>, befiehlt ein Gendarm", bevor die Verhafteten in einen bereit stehenden Bus steigen. Ein ortsansässiger Weißer bekundet den Gendarmen: "Heute schäme ich mich dafür, Franzose zu sein. Ich gehe jetzt auf die Flagge pissen." Woraufhin ihm geantwortet wird, er möge sich doch "ein anderes Land aussuchen", vielleicht in Afrika. Ein verhafteter Gewerkschafter, Alex Lollia, wird bei dieser Gelegenheit durch Einsatzkräfte als "dreckiger Neger" beschimpft und verletzt.

In den Tagen darauf eskalierte die Situation. In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch etwa wurden 15 Geschäfte geplündert, rund dreißig Autos angezündet und etwa sieben Industrieniederlassungen angegriffen. Diese Attacken geschehen allerdings nicht willkürlich und nach dem Zufallsprinzip, sondern erfolgen sehr gezielt auf Angehörige jener "Béké"familien, die nahezu die gesamte Inselökonomie kontrollieren.

Aber der Zorn explodierte auch auf unkontrollierte Weise. Jugendliche Hitzköpfe schlossen sich zu bewaffneten Jugendgangs zusammen. Sechs Angehörige der uniformierten "Ordnungskräfte" wurden laut offiziellen Angaben in der ersten Nacht der Unruhen Anfang voriger Woche durch Schüsse - die aus Pump-guns abgegeben wurden - "leicht verletzt". Feuer loderten an zahlreichen Orten auf Guadeloupe. Aber jugendliche Hitzköpfe schossen in der Nacht zum Mittwoch an einer Straßensperre auch auf den 48jährigen Gewerkschafter Jacques Bino, der sich im Auto auf der Rückkehr von einer Veranstaltung der Protestbewegung befand. (Labournet berichtete am Mittwoch ausführlich.) Allem Anschein nach hielten sie ihn für einen Zivilpolizisten, von denen viele in nicht als Polizeifahrzeuge gekennzeichneten Wagen verkehren. Eine Kugel durchschlug die Brust des Gewerkschaftsaktivisten und tötete ihn. Das LKP rief daraufhin zu Besonnenheit auf - "Gefährdet nicht euer Leben und das von Anderen!" -, gab aber der Staatsmacht die überwiegende Schuld an der eingetretenen Eskalation. Nichts hatte sich von ihrer Seite her bewegt, bevor es zu einem solchen Ausbruch des Zorns wie in den Tagen zuvor gekommen war.

Anscheinend brauchte es wirklich ein dramatisches Ereignis, um die Staatsmacht dazu zu bewegen, Schritte auf die Protestbewegung zuzumachen. Am Donnerstag früh zeichnete sich zunächst erstmals ab, dass auch die Zentralregierung - die ihren Überseeminister Jégo zuvor zurückgepfiffen hatte - bei der Forderung nach 200 Euro mehr für die tiefen Löhne auf den Antillen einlenken könnte. Premierminister François Fillon kündigte staatliche Zuzahlungen zu den Löhnen an, die "in die Nähe der 200 Euro" kommen würde. Bei näherem Hinsehen jedoch entpuppte sich, dass die anvisierte Höhe der Zuzahlungen - je nach Lohnhöhe gestaffelt - zwischen 30 und 120 Euro liegen würde.

Im Laufe des Tages präzisierte Premierminister Fillon dann noch, es handele sich lediglich um eine vorgezogene Anwendung des "Sozialen Aktivitätseinkommens" RSA, das ab Juni 2009 schrittweise - im Laufe circa eines Jahres - in ganz Frankreich flächendeckend eingeführt werden wird. (Vgl. Artikel externer Link) Dieser Mechanismus entspricht grob einem "Kombilohn", bei dem Unternehmer zwar Tiefstlöhne auf Hungerniveau bezahlen dürfen; diese aber durch den Staat, steuerfinanziert, aufgestockt werden. Ab diesem Jahr wird der neu eingeführte RSA, dessen gesetzliche Grundlage im Herbst verabschiedet worden ist, alle bisherigen Sozialhilfesätze (Sozialhilfe RMI sowie Sozialleistungen für Alleinerziehende, API) ersetzen. Er ist mit einer Quasi-Pflicht zur Lohnarbeit - in der Regel zu Tiefstlöhnen, unter Teilzeit- und anderen prekären Bedingungen - verbunden. Noch im Januar o9 hatte Präsident Sarkozy präzisiert, ab der zweiten Ablehnung eines Jobangebots werde RSA-Empfängern "der Hand zugedreht, und dann ist aus". Der RSA betrifft nur Löhne, die unter dem gesetzlichen Mindestlohn (SMIC) für eine Vollzeitstelle liegen.

Premier François Fillon fügte hinzu, für die anderen Löhne solle es keine Aufstockung geben, "denn dies würde der anderen Forderung widersprechen: Jene nach Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf den Antillen". Auch das Arbeitgeberlager auf den Inseln hatte sich in den vergangenen Wochen - unter dem massiven Druck der Proteste - bereit erklärt, der 200-Euro-Forderung nachzugeben, wollte diese allerdings seinerseits durch Erlässe bei den Steuern oder Sozialabgaben in entsprechender Höhe gegenfinanziert wissen.

In ersten Reaktionen zeigte sich das LKP (Kollektiv gegen Ausbeutung), das die Proteste organisiert, ausgesprochen skeptisch. Aktivisten des Protests sprachen von einem "Lutscher ( une sucette ) für Gouadeloupe". (Vgl. Artikel externer Link)

Am Donnerstag Abend zeichnete sich ab, dass Ankündigungspräsident Sarkozy die Sache vorläufig persönlich in die Hand nehmen wird - jedenfalls was die Kommunikation betrifft. Nach einem Treffen mit Parlamentariern von den Antillen kündigte er an, im April 2009 auf die Karibikinseln zu reisen. Zudem sollen in jedem einzelnen Überseebezirk "Generalstände"- also ein großer Kongress - zu seiner Zukunft einberufen werden, "sobald wieder Ruhe eingekehrt ist". Unterdessen sollen 580 Millionen Euro für dringende soziale Bedürfnisse bereitgestellt werden, von denen allerdings allein 280 Millionen auf den umstrittenen RSA - der ohnehin einige Monate später, wie überall in Frankreich, eingeführt worden wäre - entfallen. Sarkozy erkannte die Realität von rassistischen Diskriminierungen auf den Antillen an und forderte, diese müssten nun in eine "neue Entwicklungslogik" eintreten. Unterdessen schlugen die beiden Ombudsmänner, die vom Elysée-Palast als Vermittler eingesetzt worden waren, eine staatliche Sonderprämie an die Empfänger von Niedriglöhnen während einer Dauer von zwei Jahren zu bezahlen. (Vgl. Artikel externer Link). Auch danach dürften die Antillen allerdings wohl kaum aus ihrem Zustand einer Kolonialökonomie herausgetreten sein.

Ausführlichere Information folgt an dieser Stelle, Anfang kommender Woche...

Bernard Schmid, 20.02.2009


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