letzte Änderung am 21. Juli 2003 | |
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Im Vorfeld der traditionellen Präsidenten-Amnestie, die das französische Staatsoberhaupt jährlich am 14. Juli (dem Nationalfeiertag) ausspricht, war vielfach erwartet worden, dass Amtsinhaber Jacques Chirac aus diesem Anlass von seinem Gnadenrecht für den inhaftierten Gewerkschafter José Bové Gebrauch machen würde. Bové, das heute wohl bekannteste Mitglied der linken Bauerngewerkschaft Confédération paysanne - bei der er Sprecher für internationale Beziehungen ist - soll für zehn Monate hinter Gittern verschwinden, als Strafe für öffentliche Aktionen, die sich gegen genetisch manipulierte Nahrungsmittel richteten.
Die Möglichkeit dazu hat der Präsident grundsätzlich inne. Rund 800.000 UnterzeichnerInnen einer Petition hatten dies von Chirac gefordert, noch bevor José Bové wirklich ins Gefängnis transportiert worden war. Andererseits hatten viele Beobachter nicht so richtig an eine Amnestierung durch den bürgerlichen Staatschef geglaubt, da diese eine aus konservativer Sicht unerwünschte Beispielwirkung für soziale Bewegungen entfaltet hätte, in Zeiten, da diesen allgemein eher mit repressiver Härte begegnet wird.
Letztendlich hat Chirac sich für eine institutionelle "Kompromiss"lösung entschieden: Drei Tage vor dem Stichdatum am 14. Juli erließ er Bové, auf dem Wege des individuellen Gnadenrechts, zwei Monate von seiner Strafe (also ein Fünftel); zwei weitere Monate Straferlass kommen Bové auf dem Wege einer kollektiven Maßnahme, die alle am Stichtag Inhaftierten betrifft, zugute. Damit wird José Bové voraussichtlich kurz vor Weihnachten dieses Jahres freikommen - vielleicht auch ein wenig früher im Spätherbst, wenn ihm "gute Führung" zuerkannt wird.
Derzeit ist Bové in einer Zelle im Erdgeschoss des Gefängnisses von Villeneuve-lès-Maguelon (bei Montpellier) inhaftiert, in welcher die Temperaturen in den Sommermonaten leicht 40 Grad erreichen und in der er nachts das Fenster mit Blick auf eine Müllhalde und eine Wand - geschlossen halten muss, da eine Belüftungsanlage auf ihrer Höhe infernalischen Lärm verursacht.
Allerdings ist er von den UnterstützerInnen sozialer Bewegungen nicht vergessen worden: Bereits am Tag seiner Einlieferung hatten spontan mehrere hundert Menschen vor der Haftanstalt vonVilleneuve-lès-Maguelon demonstriert, Bewohner der Umgebung ebenso wie junge Tramper, die auf der Durchfahrt durch die Region waren. In den folgenden drei Tagen fanden in ganz Frankreich Demonstrationen statt, meist vor den Präfekturen (den Vertretungen der Zentralregierung in den Départements) und den örtlichen Gefängnissen. Zuletzt haben am 14. Juli dieses über 5.000 Menschen vor dem Knast von Villeneuve-lès-Maguelon protestiert, während auch in Paris gleichzeitig einige hundert Menschen für Bové demonstrierten und erst die Pyramide des Louvre besetzten, bevor sie ein Transparent an den Türmen der Kathedrale von Notre-Dame befestigten. Da Mitglieder des französischen Parlaments ein uneingeschränktes Besuchsrecht bei Gefangenen haben, sofern sie dies wünschen, haben Abgeordnete der französischen KP von diesem Recht ausgiebig Gebrauch gemacht. Wochenlang wechselten sie sich ab, um zu gewährleisten, dass täglich mindestens ein Parlamentsmitglied bei dem prominenten Häftling weilte.
In den verschiedenen sozialen Bewegungen hat sich unterdessen eine Parole wie ein Lauffeuer ausgebreitet, die sich derzeit großer Popularität erfreut: "Chirac en prison, Bové à la maison" Chirac ins Gefängnis (dem Präsidenten werden bedeutende Korruptionsdelikte aus seiner Amtszeit als Pariser Oberbürgermeister vorgeworfen, doch die Verfahren wurden niedergeschlagen), Bové nach Hause.
Vom 8. bis zum 10. August dieses Jahres wird darüber hinaus auf dem Larzac-Massiv, rund 20 Kilometer südlich der Kreisstadt Millau, ein größeres Festival der sozialen Widerstände stattfinden, das angesichts der Umstände auch in hohem Maße der Solidarität mit José Bové gewidmet sein wird. Aber nicht allein: Es dient ebenfalls der Vorbereitung der Gegenaktivitäten zum kommenden Gipfel der Welthandelsorganisation WTO im mexikanischen Cancun, der dort vom 1O. bis 14. September 2003 stattfindet. Internationale Unterstützung ist (schwach ausgedrückt) willkommen, und das Programm - in mehreren Sprachen - unter www.larzac2003.org abrufbar.
Am 26. Februar dieses Jahres verhängte das Revisionsgericht von Montpellier eine zehnmonatige Haftstrafe ohne Bewährung gegen ihn, die sich aus zwei Strafurteilen zusammensetzt. Erstens geht es um eine Aktion des Abmähens von genmainpuliertem Mais in der Nähe der Pyrenäen. Für diese ist Bové im Jahr 1998 im südwestfranzösischen Agen (nicht "im südwestfranzösischen Bové", wie in einem Hintergrundtext von Ende Juni fälschlicherweise zu lesen ist - bisher werden keine Städte nach José Bové benannt...) zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt worden. Davon wurde, aufgrund der "Mc Donalds-Affäre" von 1999, die Bewährung im Jahr 2001 für die Hälfte (also vier Monate Haft) aufgehoben.
Zu den vier Monaten ohne Bewährung kommt eine zweite Haftstrafe hinzu, die im Dezember 2001 vom Revisionsgericht Montpelliert verhängt wurde. Auch hier geht es um eine Aktion gegen genmanipuliertes Saatgut, die im Zusammenspiel mit indischen Bauern die gegen die Praktiken von Agrar-Multis in ihrem Land protestierne und sich auf einer Tour durch Südfrankreich befanden - durchgeführt worden war. Französische und indische Aktivisten hatten gemeinsam 3.000 genmanipulierte Reissetzlinge beim Forschungszentrum CIRAD fein säuberlich ausgerissen. Wie sich im Laufe des Gerichtsprozesses herausstellte, hatten die Leiter des Forschungszentrums keinerlei Gefahrenstudie etwa bezüglich der möglichen Verbreitung von Pollen der gemnamipulierten Pflanzen vorgenommen; vielmehr hatten sie die Risiken mit geradezu sträflichem Leichtsinn behandelt.
Mehrere Dutzend Forscher, darunter viele des CIRAD selbst, haben übrigens jüngst mittels einer Petition von Juni 03 die Freilassung von Bové gefordert. Ihm wird zugute gehalten, dass er durch seine Aktionen die Debatte um die Gefahren gentechnisch manipulierter Pflanzen und Nahrungsmittel vorangebracht habe.
Blanker Unsinn ist hingegen, wenn eine Autorin der "Jungle World" (vom 9. Juli 03) behauptet, Bové habe "Genmais- und Reisfelder in Montpellier angezündet". Das haben nicht einmal die Strafverfolgungsbehörden behauptet! Mit welchen gemeingefährlichen Mitteln gehen französische soziale Bewegungen denn, nach Ansicht der Autorin, im allgemeinen vor? Nehmen sie Waldbrände und unkontrollierte Feuersbrünste in Kauf? Es muss sich nach Auffassung der Verfasserin die zudem fälschlicherweise behauptet, die Confédération paysanne vertrete protektionistische Positionen zur EU-Landwirtschaft, was völlig unzutreffend ist um ebenso hirn- wie rücksichtlose Idioten handeln. Dieses Bild hat aber mit der Wirklichkeit nichts gemeinsam. Die Confédération hat ihre Aktionen stets vorher angekündigt, öffentlich (und ohne Allgemeingefährdung) durchgeführt, und ihre Ziele rational determiniert.
Zudem hat die linke Bauerngewerkschaft, in scharfem Gegensatz zum reaktionären Lobbyverband FNSEA, niemals protektionistische Positionen vertreten, die auf Kosten der so genannten Dritten Welt gehen würden. Ganz im Gegenteil hat sie stets das EU-Modell einer hoch subventionierten, produktivistischen und auf Export ausgerichteten Agrarwirtschaft oder industrie denunziert, und deren fatale Konsequenzen für die ProduzentInnen in der so genannten Dritten Welt öffentlich unterstrichen und angeprangert. Dass die Confé nicht einfach für die Streichung aller derzeitigen Subventionen in der EU und eine "Gesundschrumpfung der Landwirtschaft durch den Markt" ist, steht dazu nicht im Widerspruch (wie die Jungle World-Autorin darzustellen versucht, anscheinend ohne ihre Positionen wirklich zu kennen). Denn nach ihrer Ansicht würde eine marktradikale Sanierung des Sektors gerade jene hoch technisierten und am Export orientierten, ökonomisch aggressiven Produzenten übriglassen, die nach den bisherigen Regeln durch EU-Subventionen gepäppelt wurden. Die anderen hingegen müssten verschwinden. Daher tritt die linke Landwirtschafts-Gewerkschaft für eine öffentlich geförderte, aber gründlich umorientierte Agrarökonomie ein und für "Ernährungssouveränität", was aber keine Forderung zum Schutz der bestehenden EU-Agrarindustrie gegen die US-amerikanische ist, sondern vielmehr eine zum Schutze der Produzenten in der "Dritten Welt" gegen die EU wie gegen die USA.
In diesem Sinne hat die Confédération paysanne bei den verschiedenen Gerichtsprozessen gegen ihre Aktivisten, namentlich gegen Bové, stets zahlreiche ZeugInnen aus Afrika, Asien und Lateinamerika geladen, die vom Agieren europäischer und nordamerikanischer Agrarkonzerne dort berichteten. So lud die linke Bauernorganisation etwa zum Prozess gegen Bové im Februar 2001 in Montpellier u.a. die Ex-Ministerin aus dem westafrikanischen Mali, Aminata Traoré, die im Anschluss vor den Türen des Gerichts zu mehreren tausend DemonstrantInnen sprach und die Zerstörung afrikanischer ProduzentInnen durch europäische und US-Agrarkonzerne schilderte. Stets hat die Confédération sich auch mit den in Frankreich als "illegale" Immigranten lebenden (und für ihre "Legalisierung" kämpfenden) Sans papiers, von denen viele aus solchen und ähnlichen Gründen aus Ländern wie Mali und Senegal kamen, offensiv solidarisiert.
Die Einknastung von José Bové steht nicht isoliert da. Seit circa fünf Jahren ist eine erhebliche Verschärfung der Repressions- und Strafpraxis gegen Aktivisten gewerkschaftlicher und sozialer Bewegungen spürbar geworden. Auch darum wird es Mitte August auf dem Larzac gehen.
Bové ist nicht der einzige "Fall"; so wurde der normannische CGT-Gewerkschafter im Gesundheitswesen Alain Hébert zu einer Haftstrafe verurteilt, weil es anlässlich einer Demo (gegen Einsparungen im Krankenhausbereich) im Jahr 2001 in Caen ein wenig gerappelt hatte.
Es handelt sich um Anzeichen für eine gewollte, verschärfte Gangart im Umgang mit sozialen Protesten und Konflikten. Sie betrifft Gewerkschafter ebenso wie etwa Unterstützer von "illegalen" Einwanderern und Flüchtlingen. Just am 23. Juni dises Jahres stand etwa in der Pariser Vorstadt Bobigny die in der Nähe des Flughafens Roissy liegt - ein anderes führendes Mitglieder der Confédération paysanne vor Gericht.
Patrick Hermann, Aktivist der linken Bauerngewerkschaft, hatte Mitte April 2003 - als Passagier eines Linienflugs von Paris nach Bamako (Hauptstadt von Mali) - zusammen mit anderen Personen gegen die brutale Behandlung von Abschiebehäftlingen an Bord protestiert. Daraufhin hatten die "begleitenden" Polizei vier der aufmüpfigen Passagiere ihrerseits festgenommen; selbst der Pilot des Linienflugs hatte (vergeblich) die Polizeitruppe dringend zum Verlassen des Flugzeugs aufgefordert.
Zu dritt wurden sie jetzt in Bobigny verurteilt. Neben Patrick Hermann waren noch zwei Mitglieder einer humanitären Hilfsorganisation (Paulm Rosner und Léandre Chevalier) angeklagt, während das Verfahren gegen den Franzosen mauretanischer Herkunft Djibril Ba eingestellt wurde er sagte je als Zeuge der Verteidigung aus . Das Gericht war jedoch um Schadensbegrenzung bemüht: Es befand sie der Sache nach für schuldig, erklärte sie jedoch "von Strafvollstreckung befreit".
Wer José Bové in der Haftanstalt schreiben, oder auch Solidaritäts-Erklärungen schicken will seine (vorläufige) Adresse lautet :
José Bové
N° d'écrou 22377 Y
Bloc A 07
34753 Villeneuve-les-Maguelone
France
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